„Erfolg entsteht durch Konzentration und nicht durch Verzettelung.“
Herr Kurz, mit Erfolgreich digital zusammen arbeiten führen Sie in die Welt von Microsoft 365 ein. Das Paket wird in einem Großteil hiesiger Unternehmen bereits genutzt. Aber: Was sind die drei schwerwiegendsten Fehler, die Firmen und ihre Mitarbeiter im Umgang damit immer noch machen?
Das mit Abstand größte Problem ist, dass Firmen Microsoft 365 ohne klare Ziele und ohne Integration in die bestehende IT-Landschaft einführen. Am Anfang muss immer die Frage „Wofür nutze ich Microsoft 365 – und wofür nutze ich andere Systeme?“ stehen. Erst dann können weitere, praktischere Fragen geklärt werden. Etwa die, die mir von Kunden eigentlich immer gestellt wird: Die Frage nach den E-Mails. Gerade kürzlich hat mich wieder ein Unternehmer gefragt, ob es ein sinnvolles Ziel wäre, mit der Einführung von Microsoft 365 bei sich im Haus zu vereinbaren, dass dadurch die Anzahl der E-Mails halbiert wird.
Was haben Sie geantwortet?
Dass die Kommunikation durch Microsoft 365 nicht abnehmen, sondern zunehmen wird! Das ist auch gewollt. Allerdings wird die Kommunikation sehr viel direkter sein. Sie wird genau dort stattfinden, wo sie notwendig ist, nämlich zwischen den beteiligten Mitarbeitern. Ein schönes Beispiel dafür ist die Geschichte hinter unserem Buch Erfolgreich digital zusammen arbeiten: Normalerweise dauert es etwa 7 Monate, ein Buch zu schreiben. Wir haben das Buch aber in 7 Wochen geschrieben. Es waren insgesamt 6 Mitglieder in dem Projektteam, dabei haben sich die Beteiligten vorher teilweise gar nicht gekannt. Mit Ausnahme von meinem Sohn und mir haben sich die Projektteilnehmer während der kompletten Projektlaufzeit nicht physisch getroffen. Und trotzdem gab es nur 2 Meetings mit der kompletten Mannschaft: Das erste Meeting zum Projektbeginn als „Kickoff“, und das zweite Meeting am Ende der ersten Woche, als wir die Aufgaben festgelegt und die Projektspielregeln diskutiert und verabschiedet haben.
Wie sind Sie dann weiter vorgegangen?
Während der Projektlaufzeit gab es jede Menge Kommunikation in Form von Chats, Planner-Nachrichten mit Projektaufgaben, Videokonferenzen im kleinen Kreis, sehr schnell, sehr direkt, wenig formal und hoch effizient. Das führt mich dann auch gleich zum zweiten großen Fehler, den Firmen bei der Einführung von Microsoft 365 machen: Sie unterschätzen die Dateiablagemöglichkeiten und organisieren sie schlecht.
Konkreter?
Mitarbeiter von Firmen suchen unserer eigenen, aber auch anderer Studien zufolge etwa 13% ihrer Arbeitszeit nach Dokumenten, an denen sie arbeiten sollen. Und das, obwohl die Daten in der Regel zentral auf einem File-Server liegen!
Wenn die Mitarbeiter jetzt verstärkt im Homeoffice, also dezentral auf ihren „Inseln“ arbeiten, und wenn sie ihre Daten nicht mehr zentral, sondern eben auf ihren eigenen Inseln oder Team-Inseln ablegen, dann entsteht eine enorme zusätzliche Fragmentierung.
Es besteht also die dringende Notwendigkeit, das erarbeitete Know-How auch anderen Menschen im Unternehmen zugänglich zu machen. Dazu braucht es Spielregeln, sonst geht alles verloren.
Jürgen Kurz
Diese Spielregeln muss man festlegen, aber dazu muss auch die Organisationsstruktur jedem klar sein, oder?
Das ist das dritte große Problem, das uns im Umgang mit Microsoft 365 begegnet: Eine Inhouse-Trainerin eines großen Automobilzulieferers etwa hat mir berichtet, dass man die Mitarbeiter dort alle geschult, es ihnen dann aber selbst überlassen hat, Teams und Kanäle anzulegen. Das Ergebnis war, dass sehr viele Mitarbeiter Mitglieder in 100 oder mehr Teams sind. Einer meiner Lieblingssprüche lautet deshalb: Erfolg entsteht durch Konzentration und nicht durch Verzettelung.
Wenn ich in 100 Teams bin, habe ich genau 1% meiner Arbeitszeit pro Team, das sind in Deutschland etwa 24 Minuten pro Woche.
Jürgen Kurz
Wenn ich davon nur die Hälfte brauche, um die Infos zu lesen, die im Team entstehen, dann wird deutlich, dass da nicht mehr viel Zeit für die eigentliche Arbeit bleibt.
Wie kann man das verhindern?
Seien Sie nicht in so vielen Teams wie möglich, sondern in so wenigen wie nötig! Neue Teams sind nur dann notwendig, wenn sich darin ein komplett anderer Personenkreis organisieren muss. Meine Empfehlung: Bei neuen Projekten schauen, welcher Personenkreis betroffen ist und dann ggf. einen neuen „Kanal“ anlegen. Bei mittelständischen Firmen reicht es in aller Regel, eine Handvoll Teams zu verwenden.
Zurück zum Produkt: Welche Probleme, die Office in den letzten Jahrzehnten immer hatte, wurden in der letzten Version und mit Microsoft 365 behoben – und welche wirken sich besonders positiv auf den Arbeitsalltag aus?
Natürlich wurde das Programm in den letzten Jahren ständig weiterentwickelt, vor allem, was die Videokonferenzen und ihre Integration betrifft. Die hauptsächliche Entwicklung hat aber Corona-bedingt in den Köpfen der Mitarbeiter stattgefunden: Vor Corona war die Arbeit in der Cloud vielfach verpönt. Durch Corona und die rasche Ausbreitung der Notwendigkeit, im Homeoffice zu arbeiten, war die Arbeit in der Cloud alternativlos. Gut auf den Punkt gebracht hat das der Vorstand eines österreichischen Industrieunternehmens, der mir berichtete, dass Mitarbeiter vor Corona bei jeder Videokonferenz geklagt haben über Bildqualität, Tonqualität … das gibt es heute de facto kaum noch.
Aber sorgt nicht jenseits dieser basalen Integration die schiere Fülle an Optionen von Microsoft 365 für einen gewissen Überdruss seitens der Angestellten?
Durchaus. Umfragen bei unseren Seminarteilnehmern und Beratungskunden ergeben jedes Mal dasselbe Bild: Die Mitarbeiter geben an, maximal 10% der Möglichkeiten ihrer Programme und dabei insbesondere von Microsoft 365 zu nutzen. Unsere Schulungen gehen deshalb in zwei Richtungen. Erstens: Reduzierung der vielfältigen Möglichkeiten auf die wesentlichen Funktionen. „Digitaler Minimalismus“ ist ein wichtiges Schlagwort in dem Zusammenhang. Insbesondere für Anfänger empfiehlt es sich deshalb, die meisten Zusatzfunktionen von Teams, also alles jenseits der direkten Kommunikationskanäle und integrierten Hauptanwendungen, zunächst zu ignorieren.
Und zweitens: Die Programme, die genutzt werden, sollten die Mitarbeiter dafür besonders gut kennen – und ihre Nutzung zu einem persönlichen Workflow kombinieren lernen. Die wesentlichen 5 Programme, die jeder Büromitarbeiter im Zusammenhang mit Microsoft 365 kennen sollte, sind Outlook, OneNote, OneDrive, SharePoint und Teams.
Sie erläutern Teams als zentrale Schnittstelle, um Arbeit zu koordinieren und zu erledigen – und liefern jede Menge hervorragende Tipps, wie man Zusammenarbeit auf diesem Wege effizienter gestalten kann. Ab welcher Firmengröße lohnt sich dieses System?
Meiner Meinung nach ist die Unternehmensgröße nur ein Punkt bei dieser Entscheidung. Microsoft Teams ermöglicht dezentrales Arbeiten durch die Speicherung in der Cloud. Das ist insbesondere in Corona-Zeiten für viele, auch kleine Unternehmen eine Herausforderung.
In Zeiten fragmentierter Arbeitsalltage ist die Möglichkeit zur Einbindung von externen Mitarbeitern ein großes Plus von Teams und der hier integrierten Lösungen.
Jürgen Kurz
Gerade kleine Unternehmen kennen doch die Notwendigkeit, Externe in verschiedenste Funktionen und Projekte einzubinden, weil sie die jeweiligen Aufgaben nicht alle selbst übernehmen können. Was sie dabei aber nicht aus der Hand geben sollten: Koordination. Lassen Sie mich deshalb noch das Thema Projektsteuerung beleuchten. Aus meiner Sicht ist der heimliche Star von Microsoft 365 nämlich die App „Planner“.
Warum?
Weil dort alle Projektaufgaben in einer übersichtlichen Form dargestellt werden können. Durch die Sortiermöglichkeit sieht jedes Projektmitglied, aber insbesondere auch der Projektleiter, zu jeder Zeit was gerade läuft, wo es hakt und wo es zu Verzögerungen kommt. Besonders effizient empfinde ich hier die Möglichkeit, dass man Aufgaben automatisch zugewiesen bekommt – wenn der vorherige Schritt erledigt ist. Im Planner kann ich mir als Projektmitarbeiter also ständig meine offenen Aufgaben anzeigen lassen. Ganz grundsätzlich hat Microsoft hier viel richtig gemacht, arbeitet aber auch an Weiterentwicklungen – etwa, wenn es um die Darstellung und Workflow-Integration von Aufgaben auch jenseits des „Planners“ geht.
Konkreter?
Die Softwareingenieure haben kürzlich mit „Tasks“ die Weiterentwicklung des Planners vorgestellt. Mit diesem Tool, einer Art „Cockpit“, kann man nun endlich auch die persönlichen und betrieblichen Ziele in die eigene Agenda einbeziehen. Denn:
Für den Workflow eines Mitarbeiters ist es doch egal, ob eine Aufgabe aus einem Team kommt oder aufgrund eigener Aktivitäten entsteht. Als Mitarbeiter muss ich einfach die Summe meiner Aufgaben – egal aus welcher Quelle – ständig im Überblick haben. Nur das gibt mir das gute Gefühl, Herr der Lage zu sein.
Jürgen Kurz
Stewart Butterfield, der Mitgründer von „Slack“, der direkten Konkurrenz von Teams, sagte vor wenigen Wochen, dass Teams „anstelle von gar nichts“ genutzt werde, und nicht, weil es besser sei als die Konkurrenz. Klar: Das muss er sagen. Aber welche Alternativen zu Teams gibt es?
Natürlich gibt es jede Mengen Alternativen, die gegenüber Teams Vor- und Nachteile haben. In vielen Fällen ist das eine Glaubensfrage. Der Hauptgrund, warum wir Microsoft 365 schulen ist, dass die Mehrzahl der Unternehmen ohnehin die Microsoft-Pakete verwenden. Gerade auch in der Zusammenarbeit mit anderen hat man hier über vertiefte Integration die kleinste Hürde zu nehmen. Punktuell können aber natürlich auch andere Programme dazu geschaltet werden – etwa Asana für das Thema Zielsetzung. Wichtig ist nur, dass Sie die unterschiedlichen Funktionen abdecken und die im Haus notwendigen Spielregeln kommunizieren. Das heißt: Bitte nicht 5 Kommunikationskanäle zusätzlich installieren, sondern sich für einen Kommunikationskanal entscheiden und hier klare Spielregeln für die Nutzung vereinbaren.
Wir befinden uns nun mitten in der zweiten Corona-Welle, und aktuell arbeiten wieder mehr Menschen gezwungenermaßen von zuhause. Was empfehlen Sie Firmen, die sich digital besser wappnen wollen als vor einem halben Jahr für Welle eins?
Wenn Unternehmen sich über die Struktur ihrer digitalen Zusammenarbeit und über die Spielregeln für die gemeinsame Nutzung im Klaren sind, ist schon viel gewonnen.
Auf unserer Website bieten wir kostenlose Vorschläge für Teams-Spielregeln an, an denen man sich leicht orientieren kann. Es ist aber sicherlich gut und richtig, sich auch weitergehende Gedanken zu machen.
Ein großes Thema ist derzeit die Arbeitszeiterfassung. Wie weit ist Teams hier, und welche nächsten Schritte werden nicht nur den Mitarbeitern die Arbeit erleichtern – sondern vielleicht auch ihre Privatsphäre aufweichen?
Das Thema Transparenz und Arbeitszeit hat aus meiner Sicht zwei Komponenten. Klar ist, dass ich bei der Arbeit mit Microsoft 365 immer einen digitalen Fingerabdruck hinterlasse – und man genau messen kann, was, wie lang und von wo gearbeitet wurde. Das erzeugt bei vielen das Problem, dass sie glauben, nicht mehr „Off“ sein zu können. Es wird praktisch rund um die Uhr gearbeitet, Freizeit, Familien und Hobbys leiden. Deshalb ist es wichtig, gerade auch bei eigenverantwortlichem Arbeiten, im Homeoffice gute Regeln für die Verbindung von Arbeit und Privatleben zu finden.
Microsoft testet aktuell ein wöchentliches Feedback zum Arbeitsverhalten. Es wird nur an die Endnutzer von Microsoft 365 verschickt – was Microsoft auch ständig betont – und soll beim Zeitmanagement helfen. Die Ergebnisse dieser Erhebungen sind aber bestenfalls bruchstückhaft, oft eher irreführend. Was glauben Sie: Werden solche Reports künftig auch ans HR geschickt, ohne dass Mitarbeiter davon wissen?
Wie überall wird es auch beim Thema Teamsoftware und Arbeitszeiterfassung Fälle geben, in denen Daten missbraucht werden. Aber:
Die besten Mitarbeiter zu finden und zu halten ist für alle Unternehmen eine große Herausforderung. Durch die Transparenz des Internets werden sich Arbeitgeber selbst ins Abseits stellen, wenn sie an dieser Stelle übergriffig werden oder meinen, über Daten Micromanagement betreiben zu müssen.
Jürgen Kurz
Ich hoffe und glaube, dass Firmen zunehmend verstehen, dass nicht die Länge der Arbeitszeit, sondern die Qualität der Ergebnisse Maßstab für die Leistungsbewertung sein sollten.