KI im Arbeitsalltag
Prof. Heike Bruch ist Direktorin am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen. Im Jahr 2019 sagte sie im Rahmen einer gemeinsam mit Microsoft durchgeführten Studie zum Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in Unternehmen:
Erfolgreiche Führungskräfte haben die Wichtigkeit von AI erkannt und nutzen die Technologie für operative Aufgaben, aber auch, um bessere Führungskräfte zu werden. Mit AI können sie das Wachstum vorantreiben und die richtigen Prioritäten setzen. Das bietet ihnen Freiraum, um Menschen zu motivieren und zu inspirieren.
Heike Bruch
Rund drei Jahre später zeigt sich aber, dass in vielen Unternehmen zwar die Relevanz des Themas angekommen ist, die Verantwortlichen bei der konkreten Umsetzung aber gegen sicht- und unsichtbare Mauern laufen, ihre Mitarbeitenden verunsichert sind. Dem kann man von beiden Seiten entgegenwirken.
1. Führungspersonal: Überblick gewinnen
So wird etwa in die Technologie investiert, und das nicht zu knapp, aber zu wenig in die Menschen, die diese effektiv zum Einsatz bringen (können). In einem Artikel zum Thema schreibt der Head of Data Science Strategy & Evangelism des Domino Data Lab, Kjell Carlsson, Ende 2022 deshalb:
You don’t have an AI talent gap: you have an AI leadership gap.
Er bezieht sich hier auf eine hauseigene Studie, die feststellt, dass es flächendeckend an Menschen fehlt, die wissen, wo und in welchem Rahmen der Einsatz jeweils sinnvoll ist, wie KI an den richtigen Schnittstellen implementiert wird und was es bedeutet, diese Transformationen strukturiert zu begleiten, damit einzelne Abteilungen und Mitarbeitende tatsächlich Mehrwert generieren können – ohne ständig das Gefühl zu haben, an ihrem eigenen Ast zu sägen.
Wer sich als Teamleiter oder Führungsperson einen Überblick verschaffen will, findet einen weiterhin guten Einstieg in den Hinweisen der Digitalpioniere Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee.
Von Managern und Maschinen
Harvard Business Manager- Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen sind die neuen Universaltechnologien. Nur Unternehmen, die sie nutzen, haben eine Zukunft.
- In den letzten Jahren hat es hier große Fortschritte gegeben. Lernende Maschinen (LM) sind enorm leistungsfähig bei der Erledigung spezieller Aufgaben.
- Sie assistieren Menschen, machen sie effektiver und effizienter.
- Zu ihren Risiken gehört, dass die Art der Informationsverarbeitung in den neuronalen Netzen von LM letztlich nicht überprüft werden kann.
- Lernen Sie mehr …
Die diffuse Angst vor KI, die dieser Tage an vielen Arbeitsorten zu spüren ist, ist zwar übertrieben, in vielen Fällen aber auch nicht ganz unbegründet: Wer glaubt, seinen Schreibtisch und die hier zusammenlaufenden Prozesse in fünf Jahren noch genauso vorzufinden wie heute, liegt höchstwahrscheinlich falsch. Allerdings bedeutet das nicht, dass dort nichts mehr zu tun wäre. Im Gegenteil:
Man wird mehr Möglichkeiten haben, den eigenen Job besser zu machen. Und viele Bullshittasks, die heute bis zu 40 Prozent des Arbeitsalltags prägen, werden automatisiert sein. Zum Glück!
Wer genauer wissen will, warum und wie das möglich ist, wird in den folgenden Zusammenfassungen bei getAbstract fündig:
Wer sich weitere Ängste vor künstlichen Intelligenzen nehmen, neue Handlungsmöglichkeiten entdecken und spannende KI-Einsatzbeispiele aus der Unternehmenswelt kennenlernen will, findet im Folgenden weitere Anregungen.
2. KI ist längst am Arbeitsplatz angekommen
Die Interaktion mit künstlicher Intelligenz ist schon im heutigen Büroalltag kein Buch mit sieben Siegeln mehr, sondern der Normalzustand. Wer als täglicher Bildschirmarbeiter auf seine Standardwerkzeuge wie aktuelles Betriebssystem, Browser, Office Suite oder Teamsoftware zurückgreift, steckt schon mitten in der Transformation: Autovervollständigung, cloudbasierte Kalenderplanung, Rechtschreibhilfe, bessere Suchergebnisse – all das wird laufend durch die großen Techkonzerne mit KI-Tools im Hintergrund ergänzt, die ihnen lästige Arbeit abnehmen. Vorschläge für Kurzantworten im Mailingprogramm? Autotranskription der letzten Voicemail-Nachricht des Chefs? Proaktive Formelhilfen in der Tabellenkalkulation? Alles schon da.
Als Nutzer nehmen Sie die Verbesserungen zwar meist wahr (wenn sie wirklich welche sind), führen sie aber selten auf den Einsatz von KI zurück.
Und: Es gelingt. Ein schönes und prominentes Beispiel ist Microsoft 365: Egal ob in Teams, Outlook, Word usw. – überall werkelt im Hintergrund fleißig eine (oder mehrere) KI.
- Ein Antwortvorschlag auf eine Mail in Outlook oder sogar der Hinweis, dass man eine Aufgabe, zu der man via Mail aufgefordert war, noch nicht erledigt hat? Kann Ihnen im hektischen Alltag „den Arsch retten“.
- Der in PowerPoint integrierte Designer, der aus einer „Geht-so“-Präsentation basierend auf dem gesammelten Wissen von Millionen Daten vorzeigbare Folien zaubert? Hält Ihr Publikum wach! Und erlöst das Designteam in Ihrem Unternehmen nach einem kurzen Training von all den Anfragen, unter denen er im Hinblick auf Corporate-Identity- und Branding-Fragen wöchentlich untergeht.
- Sie sind immer der Doofe, der in virtuellen Meetings in MS Teams Notizen machen, To-dos herausschälen, Anwesenheitslisten aufbereiten und als Protokoll herumschicken muss? Haben Sie schon gemerkt, dass Sie das eigentlich gar nicht mehr müssten? Wenn Sie Organisator des Meetings sind, starten Sie einfach Ihr nächstes Meeting, wechseln Sie zu den Einstellungen (…), wählen Sie „Transkription starten“ – und danken Sie uns später! Hilfreich bei dieser Übung ist übrigens die richtige Meetingstruktur (inkl. kurzer, gebündelter Wiederholung der wichtigsten Elemente am Schluss), damit das Protokoll einfacher zu redigieren ist.
2. KI-Einsatz ist einfacher als gedacht
Auch spezifischere Bereiche der Wissensarbeit profitieren von KI-optimierten Abläufen. Um unsere Produktivität zu steigern, setzen beispielsweise unsere Journal-Redakteure schon lange auf bewährte KI-Tools, die ihnen die Arbeit mit Texten nicht abnehmen, aber enorm erleichtern (und das können sie in jeder Organisation der Welt tun, die ebenfalls vornehmlich über Text kommuniziert):
- Da hätten wir etwa DeepL, die KI-gestützte Übersetzungssoftware aus Köln, bei der das „Deep Learning“ schon im Namen steckt und die viel besser arbeitet als ihre Konkurrenz von Google und Co. Bei Bedarf Dinge mit nur einem Klick in 27 Sprachen übersetzen, stilistisch aufbereiten und in der Pro-Version mit einem eigenen Wortschatz weitertrainieren? Super, das hilft uns bei Anschreiben, ersten Textbausteinen und anderem „Rohmaterial“, das nur noch geschliffen werden muss – und was hier in Sekunden geleistet wird, hat uns früher Stunden um Stunden gekostet!
- Oder Sonix.AI, die treffsicherste KI-gestützte Transkriptionssoftware der Welt: Das spannende inhaltliche Vorbereiten von fachspezifischen Interviews mit Expertinnen und Experten kann sie uns nicht abnehmen, aber – und das ist viel wichtiger – das nervige Abtippen des aufgenommenen Audio-Ergebnisses. Manche Redaktionsmitglieder erinnern sich noch daran, dass dieselbe Arbeit früher bei komplexeren Gesprächen Tage dauerte. Heute erhalten wir innerhalb von Minuten ein einstündiges Audio-Interview als Text, der „sauber“, also ohne „Ähs“ und „Öhs“ zurückkommt und damit zwar stilistisch noch nicht perfekt ist, aber gut genug, um das Beste in weniger Zeit daraus zu machen.
- Im nächsten Schritt kommt dann häufig Grammarly zum Zuge, ein cloudbasierter Schreibassistent, der nicht nur (grammatikalische) Fehler findet, sondern unter Rückgriff auf KI Vorschläge dazu macht, wie Abschnitte und ganze Dokumente besser klingen. Dabei kann bestimmt werden, ob Texte „vertrauenswürdig“, „sachlich“ oder „kritisch“ daherkommen sollen, „einnehmend“ oder „nüchtern“ u. v. m. Grammarly ersetzt dabei keine professionelle, menschliche Abschlusskorrektur, sondern erleichtert unserer Korrektorin Juliane nur ihre Arbeit und gibt ihr mehr Zeit für andere Texte und Kunden. Hoffentlich.
Vor allem profane und repetitive Tätigkeiten werden also aktuell (und zunehmend) auf KI-Werkzeuge abgewälzt. Es sind insbesondere jene, die uns beim Erreichen unserer Ziele viel Zeit und Energie kosten und die deshalb auch kaum jemand vermisst. Tendenz: steigend.
Dass Microsoft sich den Löwenanteil an OpenAI (der Firma hinter ChatGPT) gesichert hat, deutet darauf hin, dass bald noch viel mehr solcher Tools Einzug an Ihrem Arbeitsplatz halten – oder die bestehenden immer besser und besser werden.
Die Konkurrenz bei Apple, Meta und Google wird nicht minder stark in diese Richtung investieren. Die Leistung, die diese Firmen bringen, besteht denn auch zuvorderst daran, eine aktuell eher zersplitterte KI-Tool-Landschaft im Hintergrund extrem populärer Anwendungen zusammenzuführen und so die bisher einzeln zu absolvierenden Arbeitsschritte „in einem Guss“ verfügbar zu machen.
3. Was noch kommt
In der Industrie findet der Umbau in Richtung KI-gestützter Produktion, Logistik und vieler weiterer Arbeitsbereiche längst sehr erfolgreich statt (meine Kollegin Wilma Fasola hat sich für ihren Artikel bei deutschen Großunternehmen umgeschaut). In Zukunft werden die Möglichkeiten, KI an vielen weiteren weitverbreiteten Arbeitsplätzen in Unternehmen einzusetzen, rasant wachsen. In einer bitkom-Umfrage von 2021 zeigen sich die zu erwartenden Potenziale in den befragten Unternehmen, die alles andere als unrealistisch sind:
- 44 Prozent erwarten schnellere und präzisere Problemanalysen durch KI,
- 35 Prozent erwarten beschleunigte Prozesse und
- 30 Prozent einen geringeren Ressourcenverbrauch, wovon auch die Umwelt profitieren würde,
- 39 Prozent rechnen mit der Vermeidung menschlicher Fehler im Arbeitsalltag,
- 31 Prozent erhoffen sich durch KI-Systeme Expertenwissen, das sonst nicht vorhanden wäre, und
- 28 Prozent gehen davon aus, dass sich Mitarbeitende dank KI-Unterstützung auf wichtigere Aufgaben konzentrieren können.
Wer am letzten Punkt schon arbeiten will, bevor sich alle Vorteile rumgesprochen haben, kann die neuen Potenziale von KI – und überraschende Anwendungen von ChatGPT im Speziellen – auch bereits im kleinen Maßstab intern ausprobieren. Hier einige aktuelle Anregungen mit weiterführenden Lektüreempfehlungen:
- Wer sich im Hinblick auf die eigene Weiterentwicklung von einem Chatbot zu irgend einem Thema coachen lassen will, kann das heute schon tun. Die psychotherapeutische Plattform Simcoach nutzt KI ebenso wie das virtuelle Sicherheitstraining der Schweizer Bundesbahn, schreibt Gudrun Porath.
- Auch Programmiersprachen sind Sprachen. Coder haben deshalb immer mehr die Möglichkeit, die KI bei Programmlücken um Ergänzungen zu bitten, auch wenn eine erste „Bot-Übernahme“ der prominentesten altgedienten Coding-Q&A-Plattform Stack Overflow für Probleme und ein Bot-Verbot sorgte.
- Vom KI-Einsatz besonders profitieren werden wahrscheinlich diejenigen Personalabteilungen, die mit digitalen internen Fähigkeitsinventaren und Talent-Marktplätzen (hier eine Übersicht zum Thema bei Deloitte) Engpässe bei wichtigen Fähigkeiten der Belegschaft früh erkennen und beheben lernen.
- Auch im Marketing und generell bei der Generierung von weniger komplexen Inhalten (und nicht länger allein beschränkt auf Texte) bahnen sich drastisch sinkende Preise an und eine rasant steigende Qualität des KI-Outputs. Es kann gut sein, das langwierige Google-Keywordsuchen und -diskussionen hier bald der Vergangenheit angehören, weil die KI das Management einer Kampagne übernimmt und ansprechende Contentstücke mit Unterstützung von GPT auch von Laien produziert und beworben werden können.
Praxisleitfaden für Künstliche Intelligenz in Marketing und Vertrieb
Springer Gabler Zusammenfassung ansehenKünstliche Intelligenz im Marketing – ein Crashkurs
Haufe Verlag Zusammenfassung ansehen- Auch in der Kommunikation mit den Kunden und Nutzern werden sich neue Interfaces abseits der Hotline oder der Feedbackbox etablieren: Mit dialogisch arbeitenden, von KI gestützten Chatbots lassen sich viele externe Anfragen schnell und effizient behandeln, wenn man die richtigen Daten zur Hand hat und die Bot-Produkte damit trainieren kann. Mehr zum Einsatz von Chatbots in Unternehmen lesen Sie im Artikel meiner Kollegin Belén Haefely.
Diese Listen sind alles andere als vollständig, und eine ergänzende Recherche für Ihren Verwendungszweck kann in wenigen Stunden erstaunliche Ergebnisse zutage fördern. Dieser Tage ploppen die KI-Lösungen für spezifische Arbeitsalltagserleichterungen beinahe wie Pilze aus dem Boden. Deshalb:
Experimentieren Sie! Teilen Sie Erfolgsgeschichten!
Und achten Sie auf mögliche Synergien und Skaleneffekte, die solche Tools über Ihre individuelle oder teaminterne Nutzung hinaus herstellen könnten.