Me, Myself & I
Antonia Götsch ist Chefredakteurin des Harvard Business managers und in einem ihrer Artikel schreibt sie: „Starke Führung basiert auf Selbstreflexion und Selbststeuerung. Das macht die Sache manchmal so anstrengend.“ Und für viele zu anstrengend. Rund 40 Prozent aller Führungskräfte scheitern in ihrer leitenden Rolle. Weitere 30 Prozent der Führenden sind zwar noch dabei, hegen jedoch große Zweifel an ihrem Tun, so sagt es der Führungskräfteradar der Bertelsmann Stiftung. Und dann gibt es noch die, die sich selbst überschätzen oder deren eigene Werte, deren Stil nicht (mehr) zu den angestrebten Unternehmenszielen passen.
Führen ist schwieriger geworden in den letzten Jahren. Krise folgt auf Krise und in vielen Unternehmen brodelt es. Hier in der Verantwortung zu stehen – und das manchmal für Hunderte Mitarbeitende – ist ein Druck, mit dem man umgehen können muss. Und genau deshalb dürfen Sie sich als Führungskraft selbst nicht aus den Augen verlieren. Professionelle Selbstreflexion ist dazu das Werkzeug Ihrer Wahl: Nur, wer mit sich selbst ehrlich ist, aufgrund von Feedback hart ins Gericht geht, die eigene Komfortzone verlässt, kann sich selbst führen.
Nebenbei erledigen lässt sich diese erste unter den Führungsaufgaben nicht.
Wer aber strukturiert ans Thema Selbstreflexion herangeht, wird schnelle Erfolge erzielen. Hier sind einige Starthilfen.
1. Wissen, wer Sie sind
Patentrezepte gibt es nicht, wenn es um Karriere geht, schreibt Stephanie Schorp in ihrem Buch Persönlichkeit macht Karriere. Kann es auch gar nicht, denn was sie damit meint, ist: Für jeden Menschen bedeutet „Karriere machen“ etwas anderes. Aber das A und O für beruflichen Erfolg ist laut der Headhunterin gesunde Selbstreflexion – denn nur sie versetzt Menschen in die Position, zielgerichtete Entscheidungen auf dem individuellen Karriereweg zu treffen.
Damit sollten Sie also nicht erst beginnen, wenn Sie Führungskraft sind – sondern lange bevor Sie es werden. Finden Sie für sich heraus, welche Rolle überhaupt zu Ihnen passt: Fragen Sie sich, wo Sie mit Ihrer Persönlichkeit am meisten erreichen können und wie Sie – einhergehend mit Ihren Werten und Zielvorstellungen – agieren möchten.
Es gibt nicht die eine Eigenschaft, die notwendig ist, um Karriere zu machen.
Stephanie Schorp
Reflektieren Sie vor dem Antritt der neuen Führungsrolle die folgenden Dinge:
- Karriere ist eine individuelle Kombination aus Kompetenz, Talent, Zeitgeist und Situation – finden Sie für sich heraus, wo genau Sie Ihre Stärken zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort am besten einsetzen können. Seien Sie grundehrlich zu sich selbst – und kritisch: Es geht nicht darum, was Ihr Image aufwertet, sondern um die Frage, was zu Ihnen passt.
- Stellen Sie an keinen Job der Welt die Anforderung, dass er Sie glücklich machen soll. Ein guter Job macht zufrieden, wird fair bezahlt und bietet Gestaltungsmöglichkeiten. Für Glück sind Sie jedoch in Ihrem (Privat)Leben selbst zuständig. Übertreiben Sie es also nicht mit der Sinnsuche, wenn es um Ihren Job geht, sondern legen Sie auch andere, profanere, aber für Sie wichtige Messlatten an.
- Halten Sie grundsätzlich immer wieder mal inne, nehmen Sie sich selbst bewusster wahr. Hinterfragen Sie Dinge wie Ihre Werte, Ihre Ziele, Ihre Ängste, Ihre Wünsche. Sprechen Sie mit externen Beratenden wie einem Coach oder Mentor. Scheuen Sie nicht den Vergleich: Fremd- versus Selbstbild.
- Schreiben Sie vor einer Bewerbung eine Liste: Wie gut sind Sie in Dingen wie Beharrlichkeit, Frustrationstoleranz, Resilienz, Adaptivität, Flexibilität und Optimismus? All das sind Dinge, die Führungspersönlichkeiten unter einen Hut bringen sollten – in der richtigen Mischung, die bei jedem Job etwas anders ist.
- Fragen Sie sich, wie es um Ihre Konfliktfähigkeit bestellt ist – denn die werden Sie immer brauchen, und das im besten Fall souverän, wenn es mal knallt. Gleiches gilt für ein gutes Gespür: Wie empathisch sind Sie, wenn es darum geht, dunkle Wolken bereits bei ihrer Bildung zu erkennen?
- Schaffen Sie sich Rückzugsorte vor dem Start – gemeint sind Safe Spaces, an denen Sie abschalten können, an denen der Job nicht wichtig ist und Sie zur Ruhe kommen.
- Betrachten Sie Verbesserungspotenziale, die Sie auf diesem Weg erkennen, als Chancen. Versuchen Sie nicht, gefundene Lücken zu negieren oder zu beschönigen, sondern suchen Sie sich in Ihrem Job Wege, die Leerstellen möglichst proaktiv zu schließen.
2. Erfahren, was Sie motiviert
Friedemann Schulz von Thun unterstreicht, wie sehr die eigene Persönlichkeit unseren beruflichen Weg beeinflusst. Sein Fokus liegt auf dem Thema Selbstverwirklichung.
In dem Maße, wie es dir gelingt und es die Umstände erlauben, das zu verwirklichen, was dich zutiefst ausmacht und was als Möglichkeit in dir steckt, in dem Maße erfüllt sich dein Selbst.
Friedemann Schulz von Thun
Das Thema Selbstverwirklichung ist ein wichtiges Detail, wenn es um Selbstreflexion geht. Denn der Wunsch danach ist ein menschliches Grundbedürfnis und lässt sich schwer unterdrücken. Im Job geht es vor allem darum, herauszufinden, welche Bedürfnisse Sie mit Ihrer Arbeit stillen wollen. Tun Sie das nicht, kann Selbstverwirklichung auch zur Stolperfalle werden. Dann nämlich, wenn sie narzisstische, egoistische Züge annimmt und man sich irgendwann nur noch um sich selbst dreht.
Erinnern Sie sich selbst immer wieder daran: Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Sie für sich feststellen, dass es Ihnen um Anerkennung geht, dass Sie besser sein möchten als andere. Etwa, wenn Sie auf der Hierarchieleiter höher steigen wollen als Ihr eigener Vater oder glauben, dass Ihr Ex-Chef leicht zu übertrumpfen ist und Sie im neuen Job zeigen wollen, was Sie aus dessen Fehlern gelernt haben. Wichtig ist, dass Sie sich dabei Ihre Motivation bewusst machen. Es unterstützt Sie, objektiv bleiben zu können und die unternehmerischen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Fragen Sie sich regelmäßig:
- Der Grund: Warum tun Sie gerade, was Sie tun?
- Der Auslöser: Warum tun Sie es, wie Sie es tun?
- Die Motivation: Welches innere Bedürfnis stillen Sie damit?
- Die innere Einstellung: Wie fühlen Sie sich dabei, wenn Sie es tun?
3. Verstehen, dass Sie Vorbild sind
Wasser predigen und Wein trinken hat noch nie funktioniert. Und das tut es auch nicht, wenn Sie für die Führungsrolle immerhin gelernt haben, dass man vom Primitivo in aller Regel die Finger lassen sollte. Wichtiger ist es, das Gesagte zu leben. Nachahmung liegt in der lernenden Natur des Menschen und beginnt im Kleinkindalter: Nutzen Sie diesen Umstand und begeistern Sie Ihre Leute, indem Sie selbst als gutes Beispiel vorangehen, das vorleben, was Sie von anderen erwarten. Zahlreiche Studien belegen die Effizienz dieser Art der Führung.
Um die wichtigsten Eckpunkte vorbildlicher Führung immer wieder einzuüben, fragen Sie sich:
- Wie integer bin ich? Dazu gehört, dass Sie Ihre Versprechen halten und fair agieren. Seien Sie ehrlich und vertrauensvoll. Verhalten Sie sich ethisch korrekt, zu Deutsch: anständig.
- Wie kommuniziere ich? Wenn Sie mit Ihren Mitarbeitenden sprechen, tun Sie dies offen und respektvoll. Hören Sie selbst aktiv zu, ohne sich bei kritischen Bemerkungen „betupft“ zu fühlen, und geben Sie konstruktives Feedback. Wenn Sie eine Entscheidung treffen, begründen Sie diese. Lassen Sie Ihre Mitarbeitenden – wann immer es geht – an Entscheidungen teilhaben.
- Agiere ich zielorientiert? Setzen Sie klare Ziele und treffen Sie Zielvereinbarungen mit Ihren Mitarbeitenden, die nicht interpretierbar sind. Wecken Sie Engagement und Leistungsbereitschaft, indem Sie kommunizieren, was die Zielerreichung für das Team, das Unternehmen, aber auch für den Einzelnen, die Einzelne bedeutet. Bieten Sie die Chance auf Weiterentwicklung an.
- Wie führe ich mein Team? Fördern Sie Zusammenarbeit und Kooperation, unterstützen Sie einen offenen Austausch und die Weitergabe von Wissen innerhalb Ihres Teams. Sie können auch kleine Mentoring-Programme einführen, bei denen jüngere älteren Teammitgliedern vielleicht beim technischen Know-how unter die Arme greifen und ältere ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen an ihrem fachlichen Wissen teilhaben lassen.
- Sind Sie empathisch? Bei Empathie geht es vor allem um Verständnis. Verständnis für die Sorgen, Situationen, Ängste, Freuden Ihrer Mitarbeitenden. Seien Sie ansprechbar. Empathisch sein bedeutet mitfühlend sein, aber nicht im Sinne von mitleiden, sondern sich vorstellen können, was Ihr Gegenüber empfindet.
- Übernehmen Sie Verantwortung? Authentisch ist, wer zugeben kann, auch mal einen Fehler gemacht zu haben. Zeigen Sie Ihren Leuten, dass Sie den Menschen in jedem Mitarbeiter sehen. Aber machen Sie auch klar: Ich fördere dich, aber fordere dich auch. Verantwortungsvolle Führungskräfte agieren im Dreiklang: Verantwortung für sich übernehmen, für die Arbeit der Mitarbeitenden und für die Ziele des Unternehmens.
4. Wahrnehmen, wie viel Einfluss Sie haben
Eine selbstreflexive Führungskraft macht sich auch immer wieder die eigene Einflussnahme bewusst. Wie steht es beispielsweise um Ihre Beziehungen zu Stakeholdern und Ihren Vorgesetzten? Investieren Sie hier Zeit? Hört man Ihnen zu? Gleiches gilt für Ihre Truppe: Schaffen Sie es, durch Empowerment alle Energie Ihres Teams freizusetzen? Kennen Sie die Stärken Ihrer Mitarbeitenden und sind Sie in der Lage, diese auch zu fördern? Können Sie Veränderungen managen, ohne Leuten Angst zu machen oder sie zu bevormunden?
Führungskräfte wissen um ihre Macht, aber wo und in welchem Maße sie Einfluss nehmen, verlieren sie mitunter ob der vielen To-dos aus dem Blick. Setzen Sie sich deshalb schwerpunktmäßig mit den folgenden Themen auseinander:
- Motivation und Engagement: Passen Ihre Motivationsmaßnahmen zu Ihrem Team? Welche Maßnahmen sind im Umgang mit einzelnen Mitarbeitenden zielführend? Sprechen Sie regelmäßig mit dem gesamten Team, und planen Sie in regelmäßigen – nicht: jährlichen – Abständen Einzelgespräche ein.
- Richtungsweisung: Kommunizieren Sie Vision, Ziele und Werte des Unternehmens transparent? Sind allen diese Dinge klar oder gibt es Missverständnisse? Holen Sie immer mal wieder wichtige Stakeholder und auch „kleine Leuchten“ zusammen und schauen Sie gemeinsam, ob der Kurs noch stimmt.
- Weiterentwicklung: Nutzen Sie Dinge wie Mentoring, Coaching und Weiterbildungsmöglichkeiten? Nehmen Sie Einfluss, um die Weiterbildung Ihres Teams aktiv zu fördern.
- Veränderungen vorantreiben: Wie stark sind Sie in Change-Prozesse involviert? Initiieren Sie diese am besten selbst und bringen Sie Innovationen auf den Weg. Ihre Macht ist ja zum Machen da.
5. Fazit
Als Führungskraft ist die Selbstreflexion ein wesentlicher Bestandteil der beruflichen Entwicklung. Es geht um Wachstum und darum, dem inneren Schweinehund auf die Spur zu kommen. Selbstreflexion bedeutet nicht, einfach nur über Vergangenes nachzudenken. Es geht um einem strukturierten und regelmäßigen inneren Dialog mit sich selbst. Egal ob Sie ein Reflexionstagebuch schreiben, Selbstgespräche halten oder sich Feedback von anderen einholen – alles, was Ihr Verhalten widerspiegelt, ist dabei wertvoll.
Dabei gilt: Denkmuster und Verhaltensweisen sind nie schnell zu verändern, auch nach konstruktivem Feedback nicht. Aber wenn Sie besser verstehen lernen, wie Sie ticken, haben Sie den ersten Schritt zu Veränderungen schon getan. Es ist der Schlüssel für:
- Persönliches Wachstum: Wer sich selbst gut kennt, um seine Stärken und Schwächen weiß, kann bewusster handeln. Das führt zu besseren Entscheidungen und nachhaltigen positiven Veränderungen.
- Bessere Selbstregulierung: Selbstreflexion ermöglicht es Ihnen, Ihr Verhalten und Ihre Emotionen bewusster zu kontrollieren und zu steuern.
- Verbesserte Beziehungen: Sie verbessern Ihre Interaktionen mit anderen Menschen, weil Sie Ihre Denk- und Verhaltensmuster kennen und darauf aufbauend bessere Gespräche führen. Wenn Sie sich selbst „fühlen“, verbessert das auch Ihr Einfühlungsvermögen.
Klingt eigentlich nicht schlecht, oder?