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Für Ihren individuellen Wissensvorsprung haben wir hier 2 getAbstract-Zusammenfassungen (2 Bücher mit insgesamt 483 Seiten) zum Thema recherchiert und praktisch eingeordnet. Hätten Sie diese Arbeit selbst übernommen, wären Sie nicht weniger als 569 Minuten (ungefähr 10 Stunden) beschäftigt gewesen. Erfahren Sie mehr.

„Die Frage ist nicht, warum sich Menschen mit Veränderungen schwertun, sondern warum mit dem Loslassen.“

Jede Geschichte beschreibt Veränderung. Weshalb wir von Geschichten lernen können, reale Veränderungen zu gestalten, findet Andri Hinnen.

„Die Frage ist nicht, warum sich Menschen mit Veränderungen schwertun, sondern warum mit dem Loslassen.“
Quelle: Shirin Büeler.

Herr Hinnen, gemeinsam mit Ihrem Bruder wollen Sie die Menschen mit Ihrem Buch zu Veränderungen anstiften. Der Duden sagt, dass Anstiften bedeutet „zu etwas Schlechtem, Bösem verleiten, überreden“.

Andri Hinnen: Oh, so haben wir das gar nie gesehen. Uns geht es darum, von Geschichten und ihren Mechanismen zu lernen, Veränderung anzustoßen oder anzustiften. Positive Veränderung.

Einer dieser Mechanismen ist, dass jede Geschichte mit einer vorhandenen Ordnung beginnt, die zuerst einmal aufgebrochen wird.

Der Bauer Luke Skywalker erhält inmitten seiner Ödnis einen Hilferuf der Prinzessin, in Titanic lernt Jack aus der vierten Klasse Rose aus der ersten Klasse kennen, oder eine Abteilung wird plötzlich mit einer anderen zusammengelegt. Dies führt immer dazu, dass die „alte Stabilität“ ordentlich aufgewirbelt wird. Und so fängt fast jede Geschichte und jede Veränderung an. Das berühmte alte Change-Modell von Lewin nennt dies „Unfreezing“. Und genau das wollen wir auch mit unseren „Anstiftungen“ tun: bestehende Denkmuster knacken und unsere Leser:innen zum Aufbruch anstiften – im doppelten Sinn. Aber ja, aus Sicht der „herrschenden Klasse“ hat das natürlich immer etwas Gefährliches, Unheilvolles, Böööses. Das ist uns ganz recht.

Disruptiv ist sicher auch Ihre Aussage, dass mit zunehmenden IQ der Menschen deren Fähigkeit, reale Probleme zu lösen, nicht besser wurde

Vielleicht kennen Sie diese berühmte optische Illusion der beiden gleich großen Kreise. Einer davon ist umgeben von kleinen, der andere von großen Kreisen. Dies lässt den ersten Kreis groß, den zweiten Kreis klein erscheinen. Doch der Clou ist: Nur Menschen aus industrialisierten Kulturen, die gelernt haben, abstrakt zu denken, fallen auf die Illusion herein. Wir verlieren uns zunehmend im Abstrakten, doch die echten und realen Probleme sind ja nicht aus der Welt. Gerade in großen Organisationen beobachten wir oft die Lust am Konzepten, Hirnen, Abstrahieren. Doch nicht selten geschieht es, indem wir uns all zu lange ans Reißbrett klammern, statt das Abstrakte ins Konkrete zu überführen – und ständig zwischen den beiden Levels hin- und herzuwechseln. Das ist für uns eine der Hauptaussagen von Change it!:

Nur wenn es gelingt, die Abstraktionsleiter ständig hoch- und runterzuklettern, zwischen „Landkarte“ und „Terrain“, zwischen Geschichte und Wirklichkeit hin- und herzuwechseln, haben wir eine Chance, Wirksamkeit zu entfalten.

Haben Sie daher auch Ihr Buch Rolf geschrieben?

(Lacht.) Den Roman? Sicher auch. Mich interessiert das Wechselspiel zwischen der inneren und der äußeren Welt. Zwischen der physischen Realität auf der einen Seite und der Welt des Flüchtigen, Abstrakten, Fantastischen auf der anderen Seite. In Rolf geht’s darum, dass ein wohlgeordneter Bünzli versehentlich einen Dämon aus seinem tiefsten Inneren aufweckt. Dieser, Rolf, ein frivoles Tentakelmonster, wirbelt darauf das Leben seines Menschen ziemlich durcheinander. Und am Schluss führt die Vermischung des Inneren und Äußeren zu einer tiefgreifenden Veränderung des  Protagonisten. Der Dämon ist ein Trickster, ein Aufbrecher, ja ein (Unheil-)Anstifter und ein Change Agent. Die Headline einer Rezension war: „Das Chaos sollte man feiern“. Was eigentlich noch ein schöner Frame für Veränderung ist – zumindest für gewisse Phasen davon. Die Pandemie hat ja beispielsweise auch gezeigt, wie es manchmal einen Disruptor braucht, um Veränderungen anzustoßen oder zu beschleunigen.

Take-aways:

  • Eine Geschichte ist ein Stück Information, das eine Transformation beinhaltet. Deswegen lehren uns Geschichten, wie wir auch reale Veränderung anstoßen können.
  • Storytelling ist kein Allheilmittel. Geschichten sind ein Frame nebst vielen anderen. Doch geschickt genutzt, können Geschichten helfen, Gestaltungsräume aufzustoßen.
  • Veränderungen sind nur möglich, wenn man Altes hinter sich lässt und Platz für Neues schafft. Veränderung bedingt immer auch harter Entscheide.

Warum tun sich Menschen in Ihren Augen so schwer mit Veränderungen? Wovor haben sie am meisten Angst?

Grundsätzlich sind wir Menschen nicht so unglaublich schlecht mit Veränderungen. Und die meisten von uns sind auch mit gutem Grund gefeit vor dem ständigen Veränderungswahn, der allerorts gepredigt wird. Es gab mal ein schönes Paper dazu. Es hat gezeigt, dass sich nur jene neuen Produkte durchsetzen, die nur einer kleiner Verhaltensänderung bedürfen, hingegen einen riesigen Mehrnutzen bringen. Wenn das nicht der Fall ist, bleiben wir lieber beim Alten. Doch natürlich gibt es Veränderungen, die nötig sind. Und einer der Hauptgründe, wieso wir uns davor scheuen, diese anzupacken, ist sicher die Verlustangst.

Denn jede Veränderung bedeutet auch, Altes aufgeben: Privilegien, Denkmuster, Attachments, Routinen, Freundschaften.

In Hollywoodgeschichten gibt es oft den Moment der großen Krise. Diese beschreibt die absolute Verdichtung aller Konflikte. Es ist jener Moment, in dem der/die Protagonist:in sich für etwas, aber auch gegen etwas anderes entscheiden muss. Die blaue oder die rote Pille? Zur dunklen Seite der Macht überlaufen oder seine Freunde opfern? Diese Verdichtung zeigt schön, welche großen Opfer jede Veränderung einfordert. Und davon können wir lernen.

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Zusammenfassung (Buch)

Reframe it!

Mit dieser Toolbox haben überkomplexe Strategiepapiere keine Chance mehr.

Andri Hinnen und Gieri Hinnen Murmann Verlag
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Die Frage ist also weniger, warum sich Menschen mit Veränderungen schwertun, sondern warum mit dem Loslassen?

Menschen wollen das, was da ist, nicht aufgeben. Im Gegenteil: Wir messen dem, was wir bereits haben, mehr zu als dem, was sein könnte. Die Verhaltensökonomen nennen dies „Verlust-Aversion“. Das berühmte „Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“-Denken ist letztlich stärker als das „Auf der anderen Seite des Zauns ist der Rasen grüner“-Denken. Aber zahlreiche Geschichten zeigen, dass du nur Neues bekommen und erleben kannst, wenn du Altes aufgibst, dich von Dingen löst. Ich finde das Bild der Lianen noch schön, von dem uns mal ein Psychologe erzählt hat. Um weiterzukommen, musst du die alte im richtigen Moment loslassen, erst dann kannst du die Neue greifen und weiterschwingen. Lässt du die alte nicht los, greifst aber nach der Neuen, dann tut das in aller Regel weh und vor allem hängst du dann irgendwo im Dazwischen.

Ein schönes Bild. Eine gute Geschichte. Womit wir wieder beim Storytelling sind. Das Wort wird in meinen Augen heute inflationär benutzt. Mir fehlt es oft am Konkreten.

Da bin ich ganz bei Ihnen. Storytelling ist und bleibt ein Buzzword. Entsprechend negativ wird es manchmal aufgenommen. Uns sind deswegen drei Dinge wichtig: Erstens, die Story ist ein Frame unter vielen. Ja sie ist unsere älteste „Landkarte“, um unsere Welt navigierbarer zu machen. Aber längst nicht mehr die einzige. Man denke an logische und abstrakte Modelle, an Analogien und Metaphern, an Visualisierungen aller Art. Hast du nur einen Hammer, sieht alles aus wie ein Nagel. Nein, je nach Problem dürfen wir auf verschiedene Werkzeuge, auf verschiedene Frames zurückgreifen. Zweitens möchten wir das Bewusstsein schärfen für die Grenzen der Geschichte. Manchmal vergessen wir ja gerne, was die Realität ist und was die Geschichte, die wir uns und anderen darüber erzählen. Aber wenn wir Geschichten und die Geschichte lernen zu verstehen, können wir uns von ihrer Macht befreien. Und von ihrem inflationären Gebrauch. 

Und drittens?

Drittens wollten, ja haben wir kein Buch darüber geschrieben, wie man mit dem Erzählen von Storys die Welt verändert. So einfach ist’s ja längst nicht mehr. Was uns hingegen interessiert, ist, was wir von den Mechanismen des Erzählens lernen können.

Eine Story ist per Definition ein Stück Information, das mindestens eine Transformation beinhaltet. Der Schüler wird zum Meister. Oder auch: Heute Morgen bin ich aufgewacht.

Deswegen wissen die Meistererzähler:innen unserer Welt doch eigentlich am besten, wie Veränderung gelingen kann. Welche Stufen, Entscheidungen, Rollen, Konflikte, Motivationen und Kräfte braucht es dafür? Ein Beispiel ist hier wieder die Krise. Nur wenn wir sie als Aufforderung zur Entscheidung, zur Eskalation verstehen, bringt sie uns weiter. Und Erzähler:innen tun und erzwingen genau das.

Auf der anderen Seite geht es gerade im Bereich Werbung weniger um Eskalation, sondern vielmehr darum, mit Storytelling Menschen auf positive Art und Weise emotional zu erreichen …

Natürlich. Werbungen spielen oft mit dem Plot „Was wäre, wenn“. Sie regen unsere Fantasie an und ermutigen uns, uns von kleinen Veränderungen – zum Beispiel ein neues Deo – große Veränderungen zu erhoffen. In diesem konkreten Fall: Ich dufte anders, und daher werde ich geliebt werden. Es gibt eine schöne Liedzeile von Drake, wo er schreibt: „I told my story and made history.“ Das kann man auch verstehen als: Ich erzähle meine Geschichte und beeinflusse dadurch seine oder deine Geschichte. Was ich bei Werbungen übrigens auch spannend finde, ist der Einsatz des sogenannten Zeigarnik-Effektes. Dieser besagt, dass wir uns an nicht zu Ende erzählte Geschichten besser erinnern. Viele Werbungen spielen damit, dass ich als Betrachter aufgefordert werde, die Geschichte selbst zu Ende zu führen. Was oft heißt, das Produkt zu kaufen. Geschichten sind dann besonders mächtig, wenn sie zur Partizipation einladen.

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Zusammenfassung (Buch)

Change it!

Über den vielfachen Nutzen von Storytelling, speziell in Change-Projekten.

Andri Hinnen und Gieri Hinnen Murmann Verlag
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Haben Sie ein Beispiel?

Denken Sie an Martin Luther Kings berühmte „I have a dream“-Rede. Diese zeichnet einerseits ein mögliches „Big Picture“ der Zukunft. Aber andererseits lädt sie jede/n Zuhörer:in zum Mitmachen ein, dazu selbst einen Beitrag zu leisten. Gute Führungskräfte tun das oft. Sie zeichnen die groben Linien, geben eine Strategie und eine Vision vor. Doch gleichzeitig geben sie allen Teilnehmenden zu verstehen, dass sie genau das sind: Teilnehmende. Die Erzähler:innen zeigen auf, wer wo was beitragen kann. Und was ich auch immer spannend finde, ist, wenn die Metaebene aufgezeigt wird. Wenn Führungskräfte ihr Vorhaben effektiv als Geschichte bezeichnen, die es gemeinsam zu schreiben und immer wieder zu verändern gilt. Das ist ein schöner Frame, der die Realität gestaltbar anmuten lässt.

Also weg von der reinen Informationsweitergabe hin zur Wissens- sowie Verstehensvermittlung?

Ich würde noch einen Schritt weiter gehen. Weg von der Vermittlung hin zur Mobilisierung. Führungskräfte setzen einen narrativen Kontext, den alle Beteiligten selbst ausfüllen können und auch selbst verändern können. Ein schöner, demokratischer Gedanke. Aber natürlich schwierig umzusetzen. Im Grunde ist das alles, was Sie als Unternehmer, als Führungskraft zu Ihrem Ziel machen sollten. Beteiligen im Sinne von Partizipation, aber auch der Übernahme von Verantwortung. Dazu braucht es Klarheit und bei jedem Einzelnen die Erkenntnis: Das ist meine Aufgabe, meine Herausforderung, aber auch meine Chance. Das Beispiel ist ein wenig krass, ich weiß, aber man hat bei Untersuchungen zu Menschen, die den Holocaust überlebt haben, herausgefunden, dass sie stets der festen Überzeugung waren, selbst Einfluss auf ihre Zukunft zu haben.

Würden Sie sagen, an diesem Punkt waren wir einmal und nun – nach Corona mit all seinen Maßnahmen – müssen viele das wieder lernen mit der Selbstbestimmung? Vor allen in Bezug auf Veränderungen?

Ich teile die Meinung nur bedingt, dass uns die Selbstbestimmung während der Pandemie abgesprochen worden ist. Es war eine chaotische Situation, in der schnelle Entscheidungen getroffen werden mussten. Und so schlecht haben das doch weder die „Führungskräfte“ noch die Bewohnenden unseres Planeten gemacht. Okay, vielleicht mit Ausnahme der Zero-Covid-Politik in China. Aber hier in der Schweiz habe ich in meinem Umfeld sehr viel Solidarität und Gemeinschaftsgefühl erlebt. An dieser Stelle muss man vielleicht auch unterscheiden zwischen verschiedenen Situationen. Vielleicht kennen Sie das Cynefin- oder auch das Stacey-Framework. Beide unterscheiden zwischen einfachen, komplizierten, komplexen und chaotischen Situationen. Der Würfelwurf, das Schachspiel, die Unternehmung und das Kriegsschlachtfeld. Storys und die Arbeit mit anderen Frames sind vor allem in komplexen Situationen ein mächtiges Managementtool. Covid war aber vor allem chaotisch. Und da ging es um rasche, harte Entscheidungen. Erst im Nachhinein kann man dann versuchen, sich daraus eine Geschichte zu spinnen und die Learnings zu bewahren.

Arbeiten Sie an einem neuen Buch?

Ja, wir sind in den ersten Zügen. Im ersten Buch Reframe it! ging es uns ja darum, mit einer Vielzahl von Frames Komplexität besser zu erfassen. Mit Change it! versuchen wir zu erforschen, wie man komplexe Lebenswelten nicht nur besser versteht, sondern auch besser mitgestalten kann. Im dritten Buch überlegen wir uns, wie wir das gemeinsam tun können. Und die Prämisse ist, dass wir die Zukunft nur zusammen gestalten können, wenn wir sie miteinander verhandeln. Negotiate it. Und natürlich hilft da, dass mein Bruder Gieri die Hälfte des letzten Jahrzehnts damit verbracht hat, Gesamtarbeitsverträge auszuhandeln (Lacht.).

Über den Autor:
Andri Hinnen ist Gründer von Zense – Reframing Complexity, Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen, Autor und Filmemacher. Die Bücher Reframe it! und Change it! hat er gemeinsam mit seinem Bruder Gieri Hinnen geschrieben. Dieser ist Head of Labor Relations & HR Steering bei Swiss International Air Lines. Außerdem ist er als Privatdozent an der Universität St. Gallen tätig.

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