Oper oder Intimrasur?
Die Gründe, warum Menschen bei der Arbeit miteinander reden, sind vielfältig. Es wird informiert, es wird Wissen transferiert, es werden Anweisungen gegeben. Ebenso wichtig: Wir gestalten Beziehungen. Geben Dinge über uns preis, die uns als Menschen erlebbar machen. Darüber, was uns umtreibt – bei der Arbeit, aber auch privat –, was uns glücklich macht oder eventuell den Schlaf raubt.
Die Entscheidung, was wir teilen, treffen wir bewusst. Wir überlegen uns, wem wir was erzählen und warum: ob wir eine neue Idee austesten wollen und eine weitere Perspektive und Austausch suchen. Ob wir Hilfe brauchen und auf Unterstützung hoffen. Ob wir uns auf eine bestimmte Weise inszenieren möchten – als kreativer Chaot, entschlossene Macherin oder verantwortungsvoller Kümmerer.
Die Gründe, warum wir Dinge über uns teilen, sind vielfältig. Gründe, es nicht zu tun? Nicht so sehr. Wenn wir Informationen über uns nicht „mit zur Arbeit bringen“, halten wir es schlicht nicht für opportun, nicht für eine gute Idee, sie zu teilen. Glauben nicht, dass sie unseren Zielen oder unserem Image zuträglich wären. Denken nicht, dass es uns dient, sondern höchstens behindert.
Die feine Kunst des Prahlens
Harvard Business ManagerWas „privat“ ist, wird unterschiedlich bewertet
„Klar“ sagen Kritiker. „Es gibt Dinge, die haben bei der Arbeit nichts zu suchen.“ Aber so einfach ist es nicht. Viele Dinge, die wir verschweigen, sind nicht „geheim“ oder übermäßig „privat“. Es sind Themen, die in einem anderen Kontext völlig unbesorgt besprochen werden. Nur auf der Arbeit sind sie für uns „tabu“. Welche das sind, unterscheidet sich je nach Kontext.
Wie oft sprechen Ihre Mitarbeiter aus, was sie wirklich denken?
Harvard Business ManagerStellen Sie sich vor, Sie arbeiten bei der Sparkassenversicherung oder in einem Tattoostudio. Würden Sie die gleichen Informationen über sich preisgeben? Was glauben Sie, wäre Ihrem Image dienlich? Was abträglich? Wo sorgt der Beinbruch beim Kitesurfen tendenziell für Mitgefühl, wo vor allem für ein Stirnrunzeln? Der zuteilungsreife Bausparvertrag, das Opernwochenende in Verona, Waxing oder Sugaring? Berechtigt oder nicht, die meisten von uns haben ein Bild davon, wo welche Informationen vermutlich besser ankommen.
Vorgesetzte signalisieren, was als „okay“ gilt
Ein solches Urteil treffen wir nicht nur in Bezug auf Arbeitsplätze, die uns fremd sind. Auch im eigenen Unternehmen haben wir ein klares Bild davon, wovon wir erzählen können oder ob wir es besser lassen. Kranke Kinder, pflegebedürftige Angehörige, eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft? Leider auch heute noch Themen, bei denen viele Beschäftigte Vorsicht walten lassen.
Der häufigste Grund? Die Befürchtung negativer Konsequenzen. Menschen entscheiden sich, zu „covern“[1] – Themen zu vermeiden –, wenn sie denken, dass sie andernfalls weniger ernst genommen werden, als weniger leistungsfähig gelten, dass sie sich angreifbar machen. Das bedeutet nicht, dass sie sich in ihrem Team oder ihrer Organisation grundsätzlich ausgegrenzt fühlen. Allerdings gibt es Konditionen für die Zugehörigkeit. Gegen sie zu verstoßen, würde die eigene Position gefährden.
Anhaltspunkte, was erwartet wird, geben die Vorgesetzten.
Sie spielen eine herausragende Rolle, um eine Kultur der Wertschätzung zu schaffen. Mit ihrem Verhalten demonstrieren sie, welche Regeln für eine Gruppe gelten. Was gewünscht und okay ist, was inakzeptabel.
Wer aufgrund dieser Zeichen glaubt, das eigene Verhalten anpassen zu müssen, sieht für sich auch weniger Chancen. Schließlich ist es offensichtlich weder gewünscht noch gewollt, dass Menschen wie man selbst erfolgreich sind. Das beeinflusst Einsatz, Leistung und damit auch das Ergebnis eines Teams.
Was also tun?
- Ergründen Sie den Status quo: Lassen Sie vor Ihrem inneren Auge das Bild der typischen Führungskraft Ihrer Organisation entstehen. Was ist das für ein Mensch? Welche Merkmale machen „typisch“ aus? So ermitteln Sie, welche Eigenschaften – auch unbewusst – für Erfolg vorausgesetzt werden.
- Ermitteln Sie Barrieren: Was kommt Ihnen nicht in den Sinn? Welche Merkmale und Eigenschaften passen weniger gut zum Bild in Ihrem Kopf? Das sind Merkmale, aufgrund derer – wieder unbewusst – Leistungsfähigkeit und -bereitschaft tendenziell infrage gestellt werden. Merkmale, die Menschen nicht für größere Aufgaben empfehlen, sondern sie ausbremsen können. Die Dinge, über die man besser nicht spricht, um sich nicht ins Abseits zu manövrieren.
- Überlegen Sie, welche Wirkung es hat, wenn diese Themen vorzugsweise vermieden werden: Kann sich das negativ auswirken? Menschen stressen? Vertrauen untergraben? Bei der persönlichen Körperpflege sind die Konsequenzen vermutlich gering. Bei familiärer Situation und Verpflichtungen? Wahrscheinlich nicht. Geben Sie wichtigen Themen Raum!
- Berichten Sie über eigene Erfahrungen und Erlebnisse, um andere zu motivieren, es Ihnen gleichzutun. Ein besonders wirkungsvolles Verfahren dafür? Storytelling. Gute Geschichten helfen, Beziehungen zu stärken und neue Standards zu etablieren.
Quellen:
[1] Deloitte: Uncovering talent. A new model of inclusion.
Nächste Schritte:
Weitere praktische Tipps und Tricks bietet Fair führen. Das Buch wurde mit dem getAbstract International Book Award 2020 ausgezeichnet. Laut Jury liefert es „nicht weniger als das erforderliche Rüstzeug für zukunftsfähige Unternehmen – eloquent, sachkundig und inspirierend.“