„Wer macht was wie womit wo wann und bis wann wozu?“
Frau Nussbaum, in Lass mal andere arbeiten! widmen Sie sich dem Thema „Delegieren“, einer Kernaufgabe von Führungskräften, die oft vernachlässigt wird. Aus Ihrer eigenen Erfahrung: Was sind eigentlich die Hauptgründe dafür, dass Leute nicht richtig delegieren?
Einer der Hauptgründe klingt erst mal lustig, denn es ist die Aussage: „Bis ich das erklärt habe, habe ich es zehnmal selbst gemacht!“. Lustig deshalb, weil Delegieren uns ja Zeit verschaffen soll, um uns um andere – wichtige – Themen zu kümmern, wir aber natürlich erst mal Zeit investieren müssen, um andere gut und ausreichend zu briefen. Und mangelnde Zeit ist auch der Killerfaktor beim Delegieren, selbst wenn die Führungskraft schlussendlich doch nicht selbst Hand anlegt.
Wieso?
Viel zu häufig wissen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht genau, wie die Aufgaben erledigt werden sollen, was das Ziel ist und innerhalb welcher Rahmenbedingungen sie beispielsweise selbst entscheiden dürfen. Dann liegen die unerledigten Aufgaben rum, bis es zeitlich brenzlig wird – und die Führungskraft stöhnt: „Delegieren klappt einfach nicht!“
Erfolgreich delegieren bedeutet zuerst: Zeit investieren – Zeit, die sich dann vielfach auszahlt in Entlastung und auch in Motivation meiner Leute.
Cordula Nussbaum
Allerdings liegt dem Zeitproblem sehr häufig auch das Kernproblem zugrunde, dass manche Führungskräfte im Grunde ihres Herzens gar nicht abgeben wollen. Und dann kann Delegieren natürlich nicht funktionieren.
Wie meinen Sie das: Die Führungskräfte wollen im Grunde ihres Herzens gar nicht abgeben?
Immer noch zu viele Führungskräfte ziehen ihre Daseinsberechtigung daraus, „unabkömmlich“ zu sein. Sie glauben, ohne sie würde überhaupt nichts laufen, und wenn sie sich nicht kümmern, fahren die Projekte an die Wand. Diese Führungskräfte geben zwar vordergründig Aufgaben ab, „vergessen“ aber dann leider, relevante Informationen mitzuteilen. Läuft die Sache dann aus dem Ruder, kommen sie als Retter daher, nach dem Motto: „Tatütata, ich bin die Feuerwehr“, und fühlen sich mal wieder bestätigt, dass sie eben – genau! – unabkömmlich sind. Andere vertrauen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von vornherein nicht ausreichend, möchten jedes Detail kontrollieren und blockieren so als „Mikromanager“ die Prozesse …
Wie ist dabei das Kontrollfreak-Unwissenheits-Verhältnis? Also wie hausgemacht ist das Problem statistisch?
(Lacht.) So eine statistische Auswertung würde ich gern mal erhalten, glaube aber, dass sie gar nicht erstellt werden kann. Denn welche Führungskraft ist schon so selbstreflektiert und dann auch noch so ehrlich, dass sie in einer Studie sagen würde: „Hey, ich bin ein Kontrollfreak!“ oder „Yeah, ich habe eigentlich keine Ahnung von dem, was ich da tue!“? Selbst wenn wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragen würden, so könnten die zwar oft sagen, dass das Aufgaben-Übernehmen nicht klappt – aber auch die können ja nicht in die Köpfe der Führungskräfte schauen, woran das am Ende liegt. Nicht statistisch belegt, sondern aus meiner Erfahrung würde ich sagen, dass zu 70 Prozent innere Saboteure das Aufgaben-Abgeben erschweren. Und die anderen 30 Prozent der Führungskräfte, die nicht richtig delegieren, kennen schlicht und einfach das richtige Handwerkszeug nicht.
Was können sie denn tun, um mehr zu delegieren – bzw. wie können sie es lernen?
Mein erster Tipp: Prüfen Sie sich als Führungskraft ganz ehrlich, ob Sie Aufgaben wirklich abgeben wollen. Halten Sie sich dazu vor Augen, was Ihr Gewinn ist, wenn Delegieren klappt, und welchen Preis Sie, Ihre Leute und auch das Unternehmen unterm Strich zahlen, wenn es hakt. Enttarnen Sie Ihre inneren Saboteure und schaffen Sie die richtige innere Einstellung, um Aufgaben erfolgreich abzugeben.
Take-aways
- Wer Aufgaben nur schwer abgeben kann, schadet sich, aber auch anderen – und der ganzen Organisation.
- Beim Delegieren haben Sie die Wahl zwischen verschiedenen Graden der Verantwortungsabgabe. Machen Sie sich das immer wieder bewusst.
- Führen Sie ein virtuelles Team, sorgen Sie dafür, dass die zwischenmenschliche Kommunikation nicht zu kurz kommt.
- Mit der Formel „Wer macht was wie womit wo wann wozu?“ stellen Sie sicher, dass alle relevanten Fragen im Vorfeld geklärt sind.
Zweiter Tipp: Überlegen Sie genau, auf welcher Stufe der Delegation Sie sich befinden wollen, wenn Sie Aufgaben abgeben: Wollen Sie lediglich eine Arbeitsanweisung geben, die die Kollegin exakt so umsetzen soll? Oder wollen Sie, dass der Kollege selbstständig entscheidet, aber Ihr letztes „Go“ einholen soll? Oder wollen Sie, dass Ihr Team komplett autonom agiert? Entscheiden Sie den Grad der Freiheit, den Sie geben wollen, und teilen Sie das bitte unbedingt dem Aufgaben-Empfänger mit! Denn genau aus diesem Grund entstehen Probleme: Der oder die andere stellt dauernd Rückfragen – obwohl Sie doch Selbstständigkeit wollten. Oder umgekehrt: Jemand prescht voran – und Sie sind dann sauer, weil Sie nicht mehr draufschauen konnten. Und der dritte Tipp ist: Nehmen Sie sich vor allem zu Beginn des Delegierens Zeit für die Abstimmung. Je länger Sie dann mit der anderen Person zusammenarbeiten und je fachlich versierter Ihr Gegenüber ist, desto schneller geht es später.
Ganz konkret?
Briefen Sie beispielsweise nach den 7 W-Fragen: Wer macht was wie womit wo wann und bis wann wozu? Das klingt banal – aber genau hier lauern die Fallstricke, weil beispielsweise nur ein W – zum Beispiel die Deadline – nicht klar kommuniziert wurde.
Sie sprachen gerade von „Gewinn“ des Delegierens für alle. Warum lohnt sich Delegieren für alle Beteiligten?
Wenn Delegieren gut klappt, dann ist das für die abgebende Person ein großer Zeitgewinn, weil sie sich nun um andere Aufgaben kümmern kann – Aufgaben, die der eigenen Führungsrolle gerecht werden. Es ist aber auch ein Gewinn fürs Unternehmen, weil einerseits die Ressource der Führungskraft – die ja in der Regel teurer ist als andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – richtig eingesetzt wird. Und am Ende ist es natürlich auch gut fürs Ergebnis. Denn: Wir sollten Aufgaben abgeben an Menschen, die fachlich mindestens so gut sind wie wir, am besten aber fachlich noch besser. Damit schaffen wir die beste Voraussetzung, dass eine Aufgabe besonders gut erledigt wird, was wiederum einen echten Mehrwert für das Unternehmen schafft.
Erfolgreiches Delegieren ist nicht zuletzt super für die Aufgaben-Empfänger: Es stärkt das Selbstbewusstsein und die Motivation, wenn wir übertragene Aufgaben souverän erledigen können. Wir fühlen uns wichtig und gebraucht, was die Loyalität stärkt – und unnötige Fluktuation verhindert.
Cordula Nussbaum
Welche Fettnäpfchen sind beim Delegieren unbedingt zu vermeiden bzw. woran erkennt man, dass man eine Sache wirklich selbst übernehmen sollte?
Eine große Gefahr beim Delegieren ist das „Rückdelegieren“. Da stellen sich Kolleginnen oder Kollegen bewusst oder unbewusst doof an oder lassen die Aufgabe so lange liegen, bis dann doch wieder die Führungskraft in die Bresche springt und die Kastanien aus dem Feuer holt. In diesem Fall helfen Zeitpuffer und Feedbackschleifen, damit die Aufgaben nicht doch wieder bei Ihnen landen. Und Aufgaben selbst übernehmen? Das sollten Sie nur, wenn Sie wirklich, wirklich, wirklich keinen in Ihrem Team haben, der die Expertise oder die Zeit hat, es für Sie zu tun. Oder wenn es sich um Aufgaben handelt, die in dieser Form nicht mehr wiederkommen, bei denen Sie aber schon gut im Thema drin sind. Denn dann wäre es tatsächlich aufwändig, das Know-how für dieses eine Szenario weiterzugeben, ohne damit eine mehrfache Zeitersparnis in der Zukunft sicherzustellen.
Wir reden momentan auch viel über Stress und Überarbeitung, gerade im Homeoffice, wo viele Leute glauben, ihre Tasks möglichst schnell – und ohne andere zu „behelligen“ – abarbeiten zu müssen, um zu zeigen, dass sie „auch wirklich da“ sind. Ich könnte mir vorstellen, dass konsequenteres Delegieren auch positive Effekte auf die psychologische Sicherheit und die Resilienz des Einzelnen hat. Gibt es dazu neuere wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. haben Sie zu diesem Thema Neuigkeiten?
Durch meine Seminare und Coachings habe ich tiefen Einblick in die Schwierigkeiten der Berufstätigen, gerade auch in den letzten Monaten des virtuellen oder hybriden Arbeitens. Aus Sicht der Führungskräfte haben wir hier ein Delegationsproblem erlebt, das ich „Aus den Augen, aus dem Sinn!“ nenne:
Weil Führungskräfte ihr Team nicht mehr unmittelbar sahen, haben viele den inneren Bezug zu ihren Leuten verloren und deutlich mehr selbst gemacht als in ‚normalen‘ Präsenzzeiten. Sie gaben plötzlich keine Verantwortung mehr ab, igelten sich ein.
Cordula Nussbaum
Für einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mag das nett gewesen sein – „Super, ich habe nichts mehr zu tun, da kann ich ja gleich mal meine Wohnung neu streichen!“. Engagierte Kolleginnen und Kollegen fühlten sich auf der anderen Seite durch das Verhalten der Vorgesetzten aber alleingelassen, was die eh schon starke Unsicherheit angesichts der Pandemie noch mehr geschürt hat – und irgendwann zu einem ernsthaften Motivationsproblem führte: Das Zugehörigkeitsgefühl sinkt ja immer zuerst im Team, dann aber im ganzen Unternehmen.
In Ihrem Buch widmeten Sie sich schon 2020 auch dem hybriden Arbeiten respektive dem Delegieren in virtuellen Teams. Welche besonderen Regeln gelten denn hier?
In der virtuellen Zusammenarbeit fallen die berühmten zufälligen Flurgespräche oder Tür-und-Angel-Gespräche weg. Manchmal brauchen wir als Aufgaben-Empfänger nur ein schnelles Stichwort, um sinnvoll weitermachen zu können, und weil ich mir das im Homeoffice eben nicht so „nebenbei“ holen kann, ist es sehr viel wichtiger zu regeln, wann und wie wir erreichbar sind. Besprechen Sie deshalb in Ihrem Team klar, für welche Art von Themen oder Fragen Sie über welchen Kanal kommunizieren. Legen Sie fest, dass jeder und jede Fokuszeiten nutzen darf, zu denen absolut störungsfrei gearbeitet wird, und machen Sie diese Zeiten transparent, beispielsweise mit „Deep-Work“-Blockern im vernetzen Teamkalender. So wissen Ihre Leute, wann Sie eben nicht für Rückfragen zur Verfügung stehen und wann schon. Viele meiner Kunden haben sich mittlerweile auch dazu entschieden, in der Früh einen gemeinsamen virtuellen Check-in zu machen, wo jeder kurz umreißt, welche Aufgaben er oder sie heute auf der Agenda hat, wo die Prioritäten liegen und wobei möglicherweise Unterstützung aus dem Team oder seitens der Führungskraft gewünscht ist. Das ist auch für die Vorgesetzten ein gutes Mittel, um delegierte Aufgaben im Blick zu behalten.
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Es birgt aber auch die Gefahr des allzu routinierten, gleichförmigen „Task-Abhakens“, über das viele Menschen im Homeoffice klagen, nicht?
Ja, das ist ein weiterer wichtiger Punkt: Virtuelle Zusammenarbeit verleitet dazu, dass wir hocheffizient die Sachthemen durchpeitschen – aber das Persönliche, das Menschliche, das Spontane bleibt dabei auf der Strecke. Unternehmen, die sogenannte virtuelle Kaffeeküchen zum informellen Austausch geschaffen haben, oder Cuddle-Meetings am Freitagnachmittag, in denen es ausdrücklich um privaten Austausch ging, die stehen heute mit einer nach wie vor motivierten Mannschaft da. Unternehmen, die sich nur auf die Fachthemen konzentriert hatten, das „Abhaken“ von To-do-Listen, und sich nicht mehr für die Belange der Menschen interessierten, denen laufen gerade scharenweise die Leute weg, weil sie sich nicht mehr zugehörig fühlen.
Das Abgebenkönnen wird in der neuen, etwas unübersichtlicheren hybriden Arbeitswelt also zur „versteckten“ Kernkompetenz aller Wissensarbeiter werden, wie es aussieht. Ohne Vertrauen und passgenaues Delegieren entstehen nämlich in hybriden Teams noch mehr Reibungsverluste als sonst schon. Wie, glauben Sie, kann man Organisationen von der Wichtigkeit des Themas überzeugen?
Zunächst mal die gute Nachricht: Die meisten Unternehmen müssen nicht mehr davon überzeugt werden, dass mobiles oder hybrides Arbeiten die Zukunft ist. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) wollen 71 Prozent der befragten Organisationen weiterhin mobiles Arbeiten anbieten. Knapp 90 Prozent der befragten Unternehmen meinen, das lasse sich ohne Nachteile umsetzen. Das könnte aber auch ein wenig zu rosig gedacht sein.
Wieso?
Es ist schlicht unrealistisch, dass wir einfach per Fingerschnipp von einer ausgemachten Präsenzkultur in den Unternehmen zu einer gut austarierten Hybridkultur wechseln könnten. Da braucht es viel Einfühlungsvermögen, viele Gespräche und viele Anpassungen. Führungskräfte, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen eine neue Vertrauenskultur schaffen.
Wer zeitlich und räumlich flexibel arbeiten soll, der muss in puncto Selbstorganisation unterstützt werden. Und so ein Wandel greift unter Umständen tief in die DNA eines Unternehmens ein. Er muss von der Unternehmensspitze her gewünscht sein.
Cordula Nussbaum
Und ich glaube, wer heute nicht erkennt, wie umfassend – aber auch behutsam – so ein Kulturwandel über die Bühne gehen muss, der wird in einigen Jahren ein massives Fluktuations- und auch Recruitingproblem haben. Denken Sie also nicht an kurzfristige Aktionen, sondern behalten Sie die Zukunft des ganzen Unternehmens in Blick!
Welche Rahmenbedingungen sollten Firmen also für richtiges Delegieren setzen, damit möglichst wenig hochtouriger Leerlauf stattfindet?
Unternehmen, die hybrid in die Zukunft gehen wollen, müssen zunächst einmal die technische Voraussetzung schaffen, dass wirklich alle Unterlagen und Informationen sowohl im Büro als auch beim mobilen Arbeiten gleich einfach zugänglich sind. Da sind längst noch nicht alle Unternehmen auf dem nötigen digitalen Stand der Dinge – und wenn ich eine Aufgabe erst erledigen kann, wenn ich mal wieder im Büro bin, dann stocken die Prozesse ganz zwangsläufig. Auch müssen zeitliche Strukturen klar vereinbart werden: Wann sind unsere Kernzeiten? Haben wir feste Tage, an denen alle im Büro sein müssen, um Team-Themen vor Ort zu klären? Wann besprechen wir delegierte Aufgaben? Immer wieder habe ich erlebt, dass es hieß: „Am Donnerstag sind wir ja beide im Büro, dann besprechen wir das!“. Und dann ist das Gegenüber doch nicht gekommen, weil er oder sie spontan Homeoffice gemacht hat. Was schon bei zwei Kolleginnen und Kollegen nicht funktioniert, funktioniert „skaliert“ schon gar nicht. Das heißt:
Hybrides Arbeiten verspricht viel Flexibilität – aber um wirklich flexibel und produktiv sein zu können, brauchen wir mehr Absprachen und intensivere Kommunikation.
Cordula Nussbaum
Abschlussfrage: Welche Ratschläge zum Thema würden Sie nach zwei Jahren Pandemie in Ihrem Buch – in einer neuen Auflage – ergänzen wollen?
Für eine Neuauflage würde ich noch sehr viel mehr auf das Thema „Wo bleibt das Zwischenmenschliche?“ eingehen. Denn darunter haben die meisten Berufstätigen in den letzten zwei Jahren wirklich gelitten: Sie haben einen super Fachjob gemacht, aber als Menschen fühlten sich viele nicht mehr gesehen und wertgeschätzt. Wir sind einfach soziale Wesen, wir brauchen den echten Kontakt mit anderen, und da sind die Unternehmen mehr denn je gefragt, wenn hybrides Arbeiten gelingen soll.
Über die Autorin
Cordula Nussbaum ist langjährige Wirtschaftsjournalistin, Unternehmerin, 21-fache Buchautorin, Bloggerin und Podcasterin. Unternehmen von Allianz bis ZDF schätzen ihre Expertise als (Online-)Trainerin und Coachin. Kontakt: www.Kreative-Chaoten.com