Die besten Gespräche des Jahres
Personalentwicklung und Talentmanagement
Schon im eher konservativ agierenden Unternehmen Bertelsmann hat Nico Rose gezeigt, dass Führungskraft auch „anders geht“. So kam er in seiner Position als Vice President dann und wann im Heavy-Metal-Shirt zur Arbeit, was ihm nach eigener Aussage den Weg nach ganz oben verwehrte. Schlimm aber fand er das nicht, für ihn hat eine sinnvolle und sinnstiftende Arbeit innerhalb seines Teams viel mehr Priorität. Im Interview erklärte er – oft auch mit sehr direkten Worten –, wie Führungskräfte heute agieren müssen, um Unternehmen zu einem menschlicheren Ort zu machen, und wie wichtig Wertschätzung ist. Oder, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen:
Führung heißt Beziehungen gestalten und dafür zu sorgen, dass es den Leuten gut geht.
Nico Rose
Journal-Redakteurin Wilma Fasola, die das Gespräch geführt hat, sagt dazu: „Ich habe danach für mich bewusst reflektiert, wie sinnvoll ich meine Arbeit finde. Und auch welche Verantwortung wir als Autoren und Journalisten haben – gerade in diesen bewegten Zeiten. Und ich habe wieder einmal festgestellt: Ich liebe meinen Job!“
Freelance-Redakteurin Gundula Stoll liebt ihren Job auch, aber was kann man eigentlich im Personalwesen ändern, damit auch fest angestellte Mitarbeiter einen stärkeren Bezug zu dem haben können, was sie täglich machen? Sie fragte den Zimmerer und Coach Chris Böhler, der dafür plädiert, ein beherzt anpackendes Handwerker-Mindset auch in der betrieblichen Weiterbildung einzuführen.
„Das Interview fand vor der Kulisse unverputzter Backsteinwände statt“, erklärt Gundula Stoll. „Und Herr Böhler war erst wenige Wochen zuvor aus dem Bauwohnwagen in die ehemalige Scheune gezogen, die er in Eigenregie zu einem Co-Working-Space und Handwerkerhof umbaut. Agiles Lernen erklärte er mir am Beispiel seiner jüngsten Tochter, die nach der Enge im Wohnwagen etwas verspätet laufen gelernt hatte – empirisch und iterativ die neue Wunderwelt des halbfertigen Wohnhauses erkundend. Selten habe ich ein Autorengespräch geführt, bei dem Anspruch und Wirklichkeit so nahe beieinanderlagen!“
Führung und Verantwortung
Sie steht seit mehr als 20 Jahren als stellvertretende Vorstandsvorsitzende an der Spitze des Aufsichtsrats von Beiersdorf. Sie ist Professorin und erfolgreiche Buchautorin. Und das alles nur, weil ihre Mutter so enttäuscht war, dass sie als Mädchen zur Welt kam. Manuela Rousseau, findet Wilma Fasola, ist ein eindrückliches Beispiel dafür, dass man alles schaffen kann, was man will. Man muss es nur tun. Aufgrund persönlicher Umstände hat sie die Schule ohne Abschluss verlassen, sie hat nicht studiert – doch das alles hielt sie nicht davon ab, Karriere zu machen.
„Als harmoniebedürftiger Mensch“, sagt Wilma, „habe ich mir vor allem ihren Satz mit der kraftvollen Äußerung zu Herzen genommen: Aufstehen, seine Meinung vertreten! Das klappt zwar noch nicht immer, aber immer öfter.“
Für seine prononciert vertretenen Meinungen wiederum bekannt ist Klaus Doppler. Der Managementberater und Autor des Standardwerkes Change Management schloss sich im vergangenen Jahr mit seinem Freund, dem südafrikanischen Architekten Luyanda Mpahlwa zusammen – und die beiden veröffentlichten gemeinsam ihr Buch Die Logik der Anderen. Das Buch hat es dieses Jahr auf die Shortlist des getAbstract International Book Award geschafft, und im Zuge der Berichterstattung darüber führte Michael Wiederstein ein einstündiges Gespräch mit den beiden.
„Geblieben ist mir die unbändige Zuversicht der beiden, dass es auch in polarisierten Zeiten möglich ist, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu kommen und eine gemeinsame Basis für eine Zusammenarbeit und ein Zusammenleben zu finden“, sagt er. „Der südafrikanische Bürgerrechtler und der deutsche Führungsexperte ergänzen sich dabei prächtig und haben, trotz ganz unterschiedlicher Perspektiven, eine gemeinsame Vision: Miteinander reden ist besser als übereinander. Und egal, wie tief die Gräben auch sein mögen: Am Ende haben alle Seiten etwas davon, wenn man die Werte Offenheit, Zusammenhalt und Optimismus lebt, statt sie von Spaltern kaputtreden zu lassen.“
Digitale Transformation
„Aufgepasst!“ – so lässt sich das Interview mit dem Techjournalisten Christoph Keese zusammenfassen. Ohne Schnörkel und technisches Kauderwelsch bringt er auf den Punkt, was die digitale Transformation eigentlich wirklich bedeutet: Sie ist ein Erdbeben für zahlreiche Branchen, das viele Verwundete zurücklassen wird – und einige werden es gar nicht schaffen. Dabei sind die Konkurrenten im Kampf um Marktanteile selten die, die man selbst dafür hält.
Eindrücklich und alarmierend waren, findet Wilma Fasola, seine Aussagen, dass „eine neue Generation herangezogen (wird), die das Streben nach unabhängigem Wissen und Wahrheit nicht mehr als ethischen Grundwert vermittelt bekommt“. Das stimmt: Die Digitalisierung hat Wissen sehr vielen Menschen zugänglich gemacht, sie bietet aber auch denen Raum, die Nicht-Wissen, Fake News und andere nicht belegte Fakten verbreiten. „Hier“, sagt Wilma, „habe ich als Journalistin erneut innehalten müssen und ich bin froh, dass ich Teil von getAbstract bin, eines Unternehmens, das wie wenige andere dafür steht, wichtiges Wissen möglichst knapp zu vermitteln.“
Seit beinahe einem Jahrzehnt warnt der Aufmerksamkeits- und Arbeitsforscher Cal Newport jetzt schon vor digitaler Überlastung am Arbeitsplatz, und die Zusammenfassungen seiner Bücher bei getAbstract zählen zu den meistgelesenen. Denn jede und jeder kennt das Phänomen:
Immer und überall bimmelt etwas, jede App und jeder Dienst ‚pusht‘ uns Nachrichten zu – und wir glauben immer noch, dass wir das alles gleich gut wahrnehmen und organisieren können: ‚Sind ja nur zwei Minuten auf Twitter!‘
Dass uns bei allem Multitasking und immer neuen digitalen „Helferlein“ die Zeit zum Fokussieren, die Bedingung für effizientes Arbeiten, abhandenkommt, merken wir aber oft erst, wenn es zu spät ist: Nervosität, Überarbeitung, Ausgelaugtsein – das sind die Stichworte, die vielen einfallen, wenn es um die negativen Auswirkungen der hybriden Arbeitswelt geht.
Im kurzen, aber kondensierten Gespräch mit Newport hat Journal-Redakteur Michael Wiederstein viel gelernt, das ihm hilft, gegenzusteuern: „Noch am Abend nach dem Interview habe ich meinen digitalen Kalender mit Fokuszeiten ausgestattet, die alle anderen Notifications abstellen.“ Die interne Kommunikation mit den Kolleginnen läuft seither ausschließlich über Microsoft Teams. Und seine – nun auch deutlich weniger gewordenen – E-Mails holt er seither wieder manuell ab, wenn die richtige Zeit dafür ist. „Adé, ihr zahllosen ‚Pusher‘!“
Persönliche Weiterentwicklung und Lernen
„Ich denke immer gern an mein Interview mit dem renommierten Psychologen Steven C. Hayes zurück, der das Gespräch begann, indem er sagte, dass er leider nicht allzu viel Zeit hätte“, sagt Belén Haefely. „Ich war bereit, konzentriert und professionell all die Listenpunkte durchzuarbeiten, für die ich mich unter tagelangem Für und Wider entschieden hatte.“
Dass das Ganze dann in einem dreieinhalbstündigen Gespräch enden würde, in dem Hayes munter aus dem Nähkästchen plauderte, bei manchen unschönen Geheimnissen großer Konzerne gar ein gelachtes „Das sollten Sie vielleicht nicht schreiben“ nachreichte, konnte Belén da nicht ahnen. Und sie ergänzt: „Dass ich mich danach eher fühlen würde, als hätte ich einen Nachmittag mit meinem kauzigen Onkel verbracht, aber auch nicht!“
„Mein erstes Interview des Jahres hatte ich zum Thema Lernen mit dem Hirnforscher Martin Korte“, sagt Freelance-Redakteurin Gundula Stoll. Der hatte gerade eine große Samstagabend-Wissens-Show auf RTL mitmoderiert, glamourös waren die Zeiten aber nicht: „Damals saßen wir überall in Europa noch im mehr oder weniger scharfen Lockdown. Just als Herr Korte betonte, dass unsere Lernfähigkeit extrem leidet, wenn wir versuchen, alles gleichzeitig zu erledigen, lief unsere zwölfjährige Tochter während ihrer Homeschooling-Pause lachend durchs Bild.“
Kein anderer Zoom-Moment in diesem Jahr hat mir auf so lustige Weise klargemacht, wie sehr Anspruch und Wirklichkeit in der schönen neuen Arbeitswelt manchmal auseinanderklaffen.
Gundula Stoll