„Erfolgreich ist, wer es schafft, situationsbezogen zu führen.“
Herr Freudiger, Sie schreiben in Ihrem Buch Das Phönix-Prinzip, dass Führungskräfte immer unzufriedener werden. Woran machen Sie das fest?
Patrick Freudiger: Einerseits – und das war die Inspiration zu meinem Buch – stelle ich das in meinem unmittelbaren Umfeld fest: Viele Freunde und Bekannte zwischen 50 und 60 Jahren, die höhere Führungspositionen innehaben, wünschen sich für ihre verbleibenden Karrierejahre, dass die alten Führungsqualitäten noch genauso Anklang finden, wie das früher der Fall war. Sie stellen jedoch konsterniert fest, dass ihr Führungsstil bei jüngeren Menschen nur eingeschränkt funktioniert. Auf der anderen Seite erhalte ich von vielen meiner Klienten, in der Regel Führungskräfte zwischen 30 und 45 Jahren, das Feedback, dass sie sich mit der Führung älterer Mitarbeitender in ihren Teams schwertun. Beide Seiten sind unzufrieden. In meinem Buch möchte ich sie ermuntern, ihr eigenes Führungsverhalten ehrlich zu reflektieren, und gebe Impulse dieses zu verändern.
Was passiert, wenn beide Typen aufeinanderprallen?
Junge Menschen, die erstmals in eine höhere Führungsposition gelangen, wollen sich darin beweisen und zeigen, dass sie diese zu Recht erhalten haben. Sie hinterfragen bestehende Strukturen, Prozesse, Werte, die gelebte Kultur. Und wollen diese Elemente meist recht zügig verändern. Dabei stoßen sie oft auf Unverständnis und hartnäckigen Widerstand bei älteren Mitarbeitenden. In der Konsequenz wollen sie diese dann loswerden. Machbar ist das jedoch selten, da sich die meisten Organisationen querstellen. Der Tenor: „Die haben so lange gute Arbeit für uns geleistet, du kannst diese einfach entlassen, nur weil du dich schwer damit tust, diese für deine Veränderungen zu gewinnen.“
Die Alten wollen oft nicht und die Jungen können oft nicht. Das sorgt für weitverbreiteten unproduktiven Frust in Organisationen.
Ältere Führungskräfte leben hingegen meist einen Führungsstil, der von alten Traditionen geprägt ist, und stoßen damit junge Mitarbeitende vor den Kopf, die sich eine andere Art der Führung wünschen. Prallen Führungskräfte mit ihren unterschiedlichen Ansichten aufeinander, dann ist auf beiden Seiten der Frust vorprogrammiert.
Es ist also der Generationen-Gap, der zu Unzufriedenheit führt?
Ja. Es ist oft anspruchsvoll im Alltag, zu akzeptieren, dass jede Generation anders tickt. Dass diese Menschen andere Werte haben, an denen sie sich orientieren, und auch eine andere Vorstellung davon, was Arbeit und Führung für sie bedeutet.
Konkreter?
Meine Generation war und ist sehr leistungsorientiert, wenn es um den Job geht. Wir wollten und wollen Karriere machen und es war immer klar: Das geht nur mit großem persönlichen Einsatz. Und nun trifft diese Generation plötzlich auf Menschen, bei denen die berufliche Karriere und Leistung vollkommen anders definiert wird. Sie vertreten oftmals den Standpunkt: Wenn es funktioniert, ist das gut. Wenn nicht, geht es auf einem anderen Weg. Dazu kommt noch das, was alle mit VUKA umschreiben. Das sorgt für eine zusätzliche Dynamik, führt zu disruptiven Veränderungen und stellt viele vor bisher nicht gekannte Herausforderungen:
Sich mit Dingen beschäftigen zu müssen, von denen man hoffte, dass sie nicht eintreten, ist eine echte Challenge.
Es macht aber doch Sinn, der Unzufriedenheit die Stirn zu bieten: Wie viel Einfluss haben wir persönlich darauf, wie groß unser Frust ist?
Für mich ist klar: Der eigene Einfluss liegt bei 100 Prozent. Basierend auf einer einfachen Überlegung: In dem Augenblick, indem Sie zu 100 Prozent Verantwortung für Ihr Leben und alles, was Ihnen in diesem Leben widerfährt, übernehmen, sehen Sie sich nicht länger als Opfer von äußeren Umständen. Sie nehmen das Steuer in die Hand und gestalten selbstbestimmt Ihr Leben. Es ist lediglich eine Frage Ihrer persönlichen Haltung: Ist das Glas halb leer oder halb voll? Sie können, wenn Sie wollen, innerhalb von Sekunden die Perspektive wechseln. Die Dinge anders sehen. Es ist an Ihnen, zu entscheiden, ob Sie ein Leben voller Wachstum, Perspektiven, Exzellenz, Verbesserung und positiver Impulse anstreben. Oder ob Sie Ihr Leben lieber aus der Perspektive eines Frosches leben.
Frosch? Wieso Frosch?
(lacht) Mein Mentor nutzte diese Formulierung gerne. Betrachten wir die Welt aus der Perspektive eines Frosches, sprich von unten, dann erscheint vieles gefährlich und angsteinflößend.
Take-aways:
- Als Führungskraft sind Sie Vorbild. Mitarbeitende schauen primär darauf, wie Sie sich verhalten, und weniger darauf, was Sie sagen. Sie imitieren bewusst und unbewusst das Verhalten ihres Vorgesetzten.
- Eine Führungskraft vereint die vier Rollen des Förderers, Unterstützers, Veränderers und Visionärs.
- Das Phönix-Prinzip ist eine praktische Anleitung, um sich als Führungskraft selbstbewusst und selbstständig weiterzuentwickeln.
Wenn es um die Zufriedenheit im Job geht, kommen nicht selten Glaubenssätze und Werte mit ins Spiel. Welchen Einfluss haben diese auf unseren beruflichen Alltag?
Das Schwierige ist, dass wir oft annehmen, die Kontrolle über unsere Glaubenssätze und Werte zu haben und reflektiert zu handeln. Doch das ist ein Trugschluss. Unser Leben besteht aus einer langen Reihe von Automatismen, die tief verankert sind. Diese laufen unbewusst ab, beeinflussen unser Denken und Handeln und bestimmen unser Verhalten – und zwar nachhaltig. Nehmen wir das Beispiel der aktuellen Frage in vielen Chefetagen: „Homeoffice oder alle zurück ins Büro?“ Die Antwort darauf ist fast immer von Glaubenssätzen geprägt. Wenn eine Führungskraft verinnerlicht hat, dass Vertrauen gut, aber Kontrolle besser ist, holt sie ihre Mitarbeitenden zurück – egal wie produktiv sie im Homeoffice waren. Sie werden ihre Entscheidung versachlichen und irgendwelche „rationalen“ Argumente finden, mit denen Sie die Menschen „zurücklocken“ wollen – den Ausschlag dafür geben aber immer unbewusste Glaubenssätze.
In vielen Coachings und Trainings geht es nun darum, die eigenen Glaubenssätze zu verändern oder sogar aus der Welt zu schaffen. Ist das denn wirklich machbar?
Absolut. Nehmen Sie einen Vorreiter wie Anthony Robbins. Sein Ansatz baut auf der neuro-assoziativen Konditionierung auf. Das ist im Grunde eine abgewandelte Form der neuro-linguistischen Programmierung (NLP). Es ist spannend zu sehen, in welcher Geschwindigkeit er Verhaltensmuster bei Menschen aufbrechen kann. Und zwar so, dass es zu einer nachhaltigen Veränderung führt.
Welche Rolle spielen hier die Führungskräfte?
Wir alle haben ein evolutionäres Erbe, ein genetisches Programm, und es sagt uns: Orientiere dich am Anführer deiner Sippe. Früher war das lebensnotwendig. Wurden wir vom Anführer verstoßen oder haben uns gegen ihn aufgelehnt, bedeutete das den sicheren Tod. Darauf basiert bis heute unsere Unterwürfigkeit in hierarchischen Organisationen: Man tut, was von einem verlangt wird, oft sogar, wenn das mit den eigenen Werten kollidiert. Wir alle haben diese Urangst, dem Anführer, Chef, Vorgesetzten zu missfallen. Kommt es bei den Mitarbeitenden zu Unzufriedenheit durch die Art der Führung, folgen daraus Missstimmung und unpassendes Verhalten. Potenziert sich das in Organisationen, leidet die gesamte Unternehmenskultur. Und dadurch natürlich die wirtschaftliche Performance. Die dann eintretende Fluktuation muss von der Organisation mühsam aufgefangen werden, was mit großen finanziellen Verlusten einhergeht. Deshalb gilt:
Als Führungskraft ist es in jedem Moment Ihre Aufgabe, als Vorbild zu agieren und zu handeln. Man orientiert sich an Ihnen, daran, wie Sie eine Sache, ein Problem, einen Grund zum Handeln angehen und meistern.
Leider ist das vielen Führungskräften zu wenig bewusst. Sie wissen nicht um ihr Dasein im Schaufenster. Sie verstehen und sehen nicht, dass die Menschen um sie herum ihnen nacheifern und sie zum Vorbild nehmen. Das geht vom weiterhin epidemischen, pardon, Macho- und Arschlochgehabe in Machtpositionen bis zum eher dezenten „Signaling“.
Was meinen Sie damit?
Es beginnt bei den „kleinen“ Dingen: Stellen Sie sich vor, Sie kommen in eine neue Organisation und jeder im Unternehmen trägt Anzug und Krawatte bzw. ein Kostüm. Was tun Sie am zweiten Tag? Genau. Es sei denn, Ihr Chef tut genau das nicht. Solche vermeintlichen „Kleinigkeiten“ beeinflussen das Klima einer Organisation, und ihre Zahl ist riesig. Was Sie als Führungskraft tun, hat Signalcharakter, kann einen Spurwechsel ermöglichen. Deshalb ist es wichtig, dass Sie als Chef Ihr Verhalten regelmäßig bewusst reflektieren.
Leben bedeutet, dass sich die Dinge ändern, und Sie müssen den Rahmen der Veränderung gestalten. Statt sich also dagegen zu wehren, sollten Sie Ihre Energie nutzen, um ein Profi im Umgang mit Veränderungen zu werden.
Es spielt keine Rolle, ob Sie Mitarbeitender oder Führungskraft sind: Ein „Growth Mindset“ schadet nicht. Es lässt Sie Weiterentwicklung und Wachstum als etwas Positives sehen. Als etwas, das Ihnen Befriedigung im Leben gibt.
Okay, für mich kann ich das selbst entscheiden. Was aber mache ich mit Mitarbeitenden, die sich vehement gegen Veränderungen wehren?
Hier möchte ich zur Veranschaulichung die 20-60-20-Regel anführen. In einer Veränderung gibt es in der Regel 20 Prozent Ihrer Mitarbeitenden, die hinter Ihnen stehen und die Veränderung von Beginn an begrüßen. Weitere 20 Prozent hingegen werden sich dagegen wehren. Und die übrigen 60 Prozent schauen sich das erst einmal an. Viele Führungskräfte machen jetzt den Fehler, dass sie versuchen, die 20 Prozent, die sich gegen eine Veränderung wehren, zu überzeugen. Dabei sollten sie sich viel mehr auf die 60 Prozent konzentrieren, die sie überzeugen können. Führungskräfte verlieren viel Energie, wenn sie ständig versuchen, die 20 Prozent ins Boot zu holen, die partout nicht mitmachen wollen und es nie werden. Hier sollten dann andere Maßnahmen in Betracht gezogen werden.
Sie schreiben in Ihrem Buch über verschiedene Führungsstile. Welcher ist in Ihren Augen der erfolgreichste, besonders mit Blick auf die Zukunft?
Kurz gesagt: Es gibt nicht den einen erfolgreichen Führungsstil. Erfolgreich ist, wer es schafft, situationsbezogen zu führen. Einerseits mit Blick auf den Menschen, der einem gegenübersitzt. Also zu verstehen, wie er tickt, um dann die passenden Impulse zu geben. Andererseits brauchen Sie ein Gespür für die Situation. Nehmen wir ein Beispiel aus der Coronazeit: In vielen Unternehmen wurde ein Krisenstab gegründet. Und als es darum ging, zur Besetzung desselben die richtigen Menschen innerhalb der Organisation zu finden, schaute man in der Schweiz, wer eine militärische Ausbildung genossen hatte – und zwar über die normale Rekrutenschule hinaus.
Ein Krisenstab bestand also aus ehemaligen Offizieren oder Grenadieren. Menschen, die einen direkten, einfachen und klaren Führungsstil hatten.
Es wurde nicht lang diskutiert, sondern es gab klare Anweisungen und das hat – so das Feedback meiner Klienten – in aller Regel hervorragend funktioniert. Es wurden schnell Entscheidungen getroffen und dann umgesetzt. Das ist nicht immer das richtige Mittel, aber im speziellen Fall „Krisenstab“ hat es sich bewährt.
Sie sagen, dass eine gute Führungskraft vier Rollen in sich vereint: Förderer, Visionär, Veränderer und Unterstützer. Gibt es darunter eine, die die wichtigste ist?
Nein. Das wichtigste ist, dass Führungskräfte wissen, dass sie diese vier Rollen haben. Und dann gibt es ein paar Zusammenhänge, die sie kennen sollten. Etwa: Je höher Sie in der Hierarchie stehen, desto wichtiger wird die Rolle des Visionärs. Damit Sie darin aufgehen können, sollten Sie eine Vision entwickeln – und sich dazu die Frage stellen: Wie authentisch bin ich als Führungskraft in dieser Rolle? Das hängt stark mit den Glaubenssätzen, Werten und Erfahrungen zusammen. Die Rolle des Förderers des Einzelnen und Unterstützers des Teams übernehmen Menschen hingegen bereits mit der ersten Führungsposition. Während meiner Recherche zum Buch habe ich mit rund 100 Führungskräften gesprochen. Und es war interessant, wie vielen es schwerfiel, kurz und knackig auf den Punkt zu bringen, welche Rollen sie in ihrer aktuellen Position zu bedienen haben. Auffällig ist:
Es fehlt vor allem am Bewusstsein, dass man als Förderer für die individuelle Karriere von Kollegen mitverantwortlich ist. Dass man als Unterstützer dazu da ist, ihnen Steine aus dem Weg zu räumen – und nicht nur so zu tun!
Wie hilft nun Ihr Phönix-Prinzip bei dieser doch offenbar auch sehr persönlichen Entwicklung?
Das Phönix-Prinzip ist ein praktisches Führungsmodell, bei dem die vier angesprochenen Rollen im Mittelpunkt stehen ebenso wie die Metakompetenz Kommunikation, die diese Rollen verbindet. Es geht darum, eine erlebbare Art und Weise von Führung darzustellen, also klarzumachen, dass es als moderne Führungskraft nicht primär um Fachwissen, sondern vielmehr um Verhaltenskompetenzen geht. Wie kommunizieren Sie in Ihren vier Rollen und wie kommt das beim Mitarbeitenden an? Wie verhalten Sie sich und wie reagieren die Mitarbeitenden darauf? Darauf aufbauend hilft das Modell, sich mit dem sehr individuellen inneren Steuerungssystem auseinandersetzen, also mit Ihren Werthaltungen, mit unbewussten Glaubenssätzen und prägenden Erfahrungen. Immer mit dem Ziel, sich selbst als Mensch, aber vor allem als Führungskraft weiterzuentwickeln. Eine Version 2.0 von sich selbst zu werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Sie sind neu in einer Führungsrolle unterwegs und wollen von Anbeginn an die meisten gängigen Fehler vermeiden und sich auf die wichtigsten Erfolgsfaktoren guter Führung konzentrieren. Hier hilft Ihnen das Phönix-Prinzip, indem es die theoretischen Erkenntnisse aus 60 Jahren Führungsforschung ergänzt durch Interviews mit 100 Top-Führungskräften in einem klaren, praktisch anwendbaren Führungsmodell vereint. Dadurch sparen Sie sich Hunderte von Stunden des Suchens und Lesens und können sich dadurch auf das wirklich Wesentliche in der Führung fokussieren. Oder aber Sie werden als Führungskraft schon zum wiederholten Male bei einer Beförderung übergangen, ohne dass Sie die Gründe dafür kennen. Hier hilft Ihnen das Phönix-Prinzip, indem es Sie in einem klaren 5-Schritte-Prozess dabei unterstützt, sich als Führungskraft zu reflektieren und gezielt zu verbessern. Sie lernen Ihre bestehenden Werthaltungen, Glaubenssätze, Referenzerlebnisse und Gewohnheiten auf ihre Nützlichkeit zu überprüfen und – falls nötig – durch effektivere zu ersetzen. Sie erhalten eine praktische Anleitung, um sich als Führungskraft neu zu erfinden.
Ich will kurz noch einmal auf die eben angesprochene Authentizität zurückkommen. Da scheiden sich ja die Geister: Die einen sagen, eine Führungskraft muss authentisch sein. Andere warnen genau davor, sich berechenbar zu machen. Was sagen Sie?
Authentisch sein bedeutet für mich: Sie sagen, was Sie tun, und Sie tun, was Sie sagen. Sie stellen Kongruenz zwischen dem her, was aus Ihrem Mund kommt und wie Sie sich tatsächlich verhalten. Ja, das macht Sie berechenbar als Führungskraft. Und das ist gut so, denn Ihre Mitarbeitenden müssen doch in all dem Veränderungstrubel wenigstes bei ihrem Vorgesetzten wissen, woran sie sind. Das zeichnet für mich eine authentische Führungskraft aus! Sich nicht verbiegen, sondern zu den Dingen und sich selbst stehen. Aber Achtung! Das bedeutet nicht, dass man sich bei jedem Fehlverhalten mit „Ich bin halt so“ rechtfertigen kann.
Dann sind Sie zwar auch authentisch, aber halt authentisch daneben.
Und was tun Sie, wenn Ihre Berechenbarkeit missbraucht wird?
Stellen Sie von vornherein klar, welche Konsequenzen ein Vertrauensmissbrauch hat. Einfacher wird das Ganze, wenn Sie Ihren Mitarbeitenden von Beginn an größtmögliches Vertrauen schenken – so wird Missbrauch unwahrscheinlicher und Sie können sich den Aufbau der allermeisten anderen Kontrollmechanismen sparen.
Über den Autor
Patrick Freudiger ist Berater und Coach mit Schwerpunkt Führung und Digitale Transformation.