Nichts ist „völlig logisch“. Gar nichts!
Eigentlich hatten wir einen gemütlichen Abend geplant. Einfach nur reden und etwas Leckeres Essen. Immerhin hatten wir uns länger nicht gesehen, coronabedingt. Entsprechend viel hatten wir uns zu erzählen.
Wir sprechen also darüber, was uns aktuell umtreibt, bis mich ein sorglos hingeworfenes „Das ist doch völlig logisch“ ihrerseits abrupt verstummen ließ. Ich hatte gerade über ein Problem gesprochen, das mir sehr zu schaffen machte. Sie fand den Fall einfach und dachte, die Lösung läge auf der Hand. Aber statt mich zu freuen und ihr aufmerksam zuzuhören, wurde ich sauer. Ich fühlte mich klein – und das nahm ich ihr übel.
Warum? Dazu müssen wir eine Dynamik verstehen, die abläuft, wenn Menschen miteinander kommunizieren. In jedem Gespräch loten wir kontinuierlich unsere Position zueinander aus. Wir beobachten, wie wir zueinander stehen, und tarieren das aus, wenn wir uns unwohl fühlen. Vielleicht haben Sie das schon räumlich erlebt – gerade, wenn Sie mit Menschen aus anderen Kulturkreisen zu tun haben:
Es gibt eine starke kulturelle Prägung, wie viel Abstand Menschen von mir haben sollten. Wenn ich das Gefühl habe, die Distanz sei zu groß oder jemand rücke mir zu nah auf die Pelle, werden die Gesprächspartner versuchen, das auszugleichen und ein Stück nach vorn gehen – oder zurückweichen.
Wenn sich die Vorstellungen über die „angemessene“ Distanz unterscheiden, dauert das so lange, bis jemand an einer Wand steht oder den Versuch aufgibt, den Abstand hinzukriegen, den man selbst als „richtig“ empfindet.
Das Gleiche passiert auch verbal, wenn wir durch Wortwahl und Artikulation Nähe oder Distanz herstellen. Allerdings findet parallel noch ein Abgleich auf anderer Ebene statt. Dabei geht es um Status:
Wer ist stark, wer ist schwach? Über- oder unterlegen? Wie stehen wir hierarchisch zueinander?
Wir wissen meistens ganz gut, wo wir in einer Beziehung stehen, und wenn sie tragfähig ist, sind wir mit den Positionen einverstanden oder kommen zumindest damit klar. Während es im Job oder beim Mentoring regelmäßig ein Gefälle gibt, sind wir bei Freundschaften zumeist auf Augenhöhe. Dann sind beide freundlich und hilfsbereit und gehen gut miteinander um. Alternativ machen Menschen vielleicht Witze übereinander und kriegen sie nicht in den falschen Hals, oder sie versuchen aufzutrumpfen – mein Haus, mein Auto, meine Yacht. In jedem Fall sind die Regeln klar.
Anders wird das, wenn sich jemand vulnerabel macht, Unsicherheiten zugibt oder um Hilfe bittet. Wer das tut, begibt sich freiwillig in eine unterlegene Position und das ist für die meisten kein schönes Gefühl. Genau das war es aber, was an dem Abend passierte: Während ich mich klein machte, trumpfte meine Freundin – ungewollt – mit ihrer Nonchalance auf. Darauf habe ich reagiert, war sauer auf sie und daher nicht besonders interessiert an irgendwelchen Ratschlägen, die sie geben könnte.
Was besser funktioniert, wenn Sie jemanden unterstützen möchten?
Um in solchen Fällen erst gar keinen „Frost“ aufkommen zu lassen, gehen Sie wie folgt vor:
- Achten Sie auf die Signale, die Sie senden: Überlegen Sie, welchen Einfluss Aspekte wie Ihr Auftreten oder Ihr Tonfall potenziell auf die Situation haben.
- Setzen Sie Ihre Signale bewusst ein, damit sie die Botschaft verstärken, statt diese zu verfälschen.
- Statt gleich eigene Tipps zu geben, ist es meistens hilfreicher, das Gegenüber dabei zu unterstützen, auf Basis der eigenen Erfahrungen Lösungen zu finden.
- Achten Sie auf einen positiven Fokus: Was läuft gut? Worum genau geht es dem Gegenüber? So ein Blickwechsel hilft, ein Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen.
- Widmen Sie sich erst anschließend dem Problem. Fragen Sie: Wann ist so was schon einmal passiert? Was hat da funktioniert? Was kannst du davon auf die aktuelle Situation anwenden?
- Haben Sie den Sachverhalt verstanden und das Problem charakterisiert, können Sie auch eigene Geschichten etwaiger Problemlösungsansätze erzählen. Achten Sie darauf, dass Sie das nachvollziehbar – und nicht als Besserwisser – tun.
Wer sich in schwierigen Situationen auf andere einstellt und – statt einer vermeintlich schnellen Lösung – ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellt, kann mehr bewirken und erspart sich zudem Streit und ein klärendes Gespräch. Die folgenden englischsprachigen Zusammenfassungen bieten weitere wertvolle Einsichten zum Thema, auch im Hinblick auf Teamkontexte:
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Nächste Schritte:
Weitere praktische Tipps und Tricks bietet Fair führen. Das Buch wurde mit dem getAbstract International Book Award 2020 ausgezeichnet. Laut Jury liefert es „nicht weniger als das erforderliche Rüstzeug für zukunftsfähige Unternehmen – eloquent, sachkundig und inspirierend.“