Wenn Hirnforscher helfen, Kunden zu verstehen
Der Kunde: Die längste Zeit war er für Anbieter von Dienstleistungen und Produkten ein Mysterium. Wie, so fragte man sich, kann man ihn nur überzeugen, das eigene Angebot dem des Wettbewerbers vorzuziehen? Das ist die Frage aller Fragen, nicht nur, wenn es ums Marketing geht. Und es gibt viele Antworten darauf – eine der jüngsten und vermeintlich treffsichersten nennt sich Neuromarketing.
Was ist Neuromarketing?
In diesem Marketingbereich werden die Erkenntnisse der Psychologie und der Hirnforschung genutzt, um Werbung „besser“ und vor allem zielgruppengerecht(er) zu machen. Es geht darum, Kaufentscheidungen zu analysieren – und zwar nicht nur anhand von Feedback oder Absatzzahlen, sondern gleich im Kopf des Käufers. Sie haben richtig gelesen. Denn: Wer dieses Wissen hat, kann es mit genau darauf abgestimmten Kommunikationsstrategien beeinflussen.
Neuromarketing beschäftigt sich damit, wie Kauf- und Wahlentscheidungen im menschlichen Hirn ablaufen, vor allem aber, wie man sie beeinflussen kann.
Hans-Georg Häusel
Die wohl wichtigste Erkenntnis der Hirnforscher ist, dass kein Kunde eine komplett rationale Kaufentscheidung trifft. Kann er gar nicht, denn da spielt seine Denkzentrale nicht mit. Fakt ist aber, dass viele von uns ihre Entscheidungen im Nachgang „rationalisieren“ und gute Erklärungen parat haben, warum wir nicht anders konnten, als ein Produkt oder eine Dienstleistung zu kaufen. „Schatz, das war ein einmaliges Angebot!“ Diese Rationalisierungen wiederum ähneln sich strukturell – und wer sie vor dem Kaufentscheid kommunizierend „vorwegnehmen“ kann, hat mitunter einen Vorteil.
Eine zweite zentrale Erkenntnis ist, dass Frauen bei Kaufentscheidungen anders ticken als Männer. Und da Frauen gerade in Familien und Partnerschaften rund zwei Drittel aller Einkäufe übernehmen, sollte das bei der Werbung nicht vergessen werden, sondern besondere Berücksichtigung erfahren – selbst dann, wenn Sie Hacksteaks oder Bier loswerden wollen.
Emotionen als Grundlage
Was die Hirnforscher darauf aufbauend feststellen konnten: Emotionalisierung ist wichtig für Markenerfolg und Markenloyalität, deshalb sollten Sie sie wecken. Produkte müssen (passende) Emotionen auslösen, Gleiches gilt für Dienstleistungen: Sie sollten „etwas mit uns machen“, das uns dann wiederum unterbewusst eine Entscheidung fällen lässt, weil wir instinktiv darauf reagieren. Stichwort: limbisches System. Gemeint sind damit alle Teile des Hirns, in denen Emotionen verarbeitet werden. Dieses System arbeitet bei Entscheidungen mit dem präfrontalen Kortex zusammen, wobei letzterer den rationalen Part übernimmt – und am Ende im Marketing oft möglichst nur die Nebenrolle spielen soll.
Forscher haben zudem herausgefunden, dass jeder von uns über drei Emotionssysteme verfügt, die wie folgt getaktet sind:
- Balance-System: Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit, darauf basierend Vermeidung und Angst
- Dominanz-System: Wunsch nach Macht und Status, darauf basierend Vermeidung von Unterdrückung
- Stimulanz-System: Wunsch nach Abwechslung und Belohnung, darauf basierend Vermeidung von Langeweile
In jedem Menschen sind diese Teile unterschiedlich ausgeprägt und je nachdem, welcher Teil dominiert, werden auch die Entscheidungen getroffen. Rund ein Drittel der Menschen entscheidet sozial- und familienorientiert. Ein Viertel ist sehr traditionell veranlagt, und für diese Menschen sind die Aspekte Ordnung und Sicherheit sehr wichtig. Und dann gibt es noch die Genießer, die Spontanen, die Pflichtbewussten, die Abenteurer und die Statusjäger: Ihr Anteil ist im Vergleich zu den ersten beiden Gruppen eher klein, viele von ihnen geben aber spontan auch deutlich mehr Geld aus.
Neuromarketing – die Zukunft des Marketings
Talks at GoogleMenschen lieben Geschichten
Doch wie erreichen Sie nun das Unterbewusstsein Ihrer Kunden? Oder besser: Wie emotionalisieren Sie Ihr Angebot? Was bei allen genannten Entscheidungstypen funktioniert, sind Geschichten.
Geschichten sind eindrücklich, nicht umsonst erinnern Sie sich noch an Märchen, die man Ihnen vor 40 Jahren mal erzählt hat.
Dank dieser Geschichten lernen Kinder etwa, welche Aktionen welche Konsequenzen mit sich bringen – ohne dass Papa oder Mama mahnend den Finger heben müssten. Und genau darum geht es auch beim Neuromarketing: Geschichten mit vielen Adjektiven sorgen für Mitgefühl und für Begeisterung, sie sorgen für Verbundenheit – und wer auf Storytelling setzt, geht einen ersten wichtigen Schritt.
Damit dieser nicht in die falsche Richtung führt, also weg von Ihrem Kunden, sollten Sie darum besorgt sein, Botschaften zu verbreiten, mit denen sich der Kunde identifizieren kann. Im besten Fall hat er irgendwann sofort ein bestimmtes Gefühl, wenn er mit Ihrer Marke, Ihrer Dienstleistung oder Ihrem Produkt über Werbung in Berührung kommt: „Mit Felsquellwasser gebraut“ – Was das heißt, weiß kein Mensch. Aber der Frischeliebhaber versteht es trotzdem. Es geht um ein „Die verstehen mich! Die kennen mein Problem! Die haben genau die Lösung, die ich schon immer gesucht habe!“
Oder aber die Botschaft ist emotional besonders aufgeladen und triggert genau einen „wunden“ Punkt beim Kunden. Stichwort Kindchenschema:
Kinder und Tiere funktionieren als Werbetestimonials, nicht weil sie ständig schreien oder ins Wohnzimmer machen – sondern weil sie unserer Idee von Nähe, Schutzbedarf und Niedlichkeit entsprechen.
Auch online sind unsere Emotionen King
Gut auf die Zielgruppe abgestimmte und richtig getextete wie medial passend untermalte Geschichten lassen sich heute auch hervorragend über die digitalen Kanäle verbreiten. Denn wer denkt, dass Neuromarketing wegen seiner emotionalen Komponente eher im realen Leben Erfolg hat, der täuscht. Emotionen lassen sich durch Inhalte, Worte, Bilder erreichen – und zwar in Umfeldern und Stimmungslagen, die jenseits des Fernsehgeräts im Wohnzimmer mannigfaltig sind. Menschen sind in einer anderen Stimmung, wenn sie einen Elternblog lesen, als wenn sie die Tagesschau sehen. Sie haben andere Gefühle, wenn Sie bundesliga.de besuchen, als wenn sie online einen Rechtsbeistand finden wollen oder einen neuen Partner suchen (oder beides).
Auch die digitale Kaufentscheidung wird zu 95 Prozent durch Emotionen beeinflusst, damit steht sie der physisch-analogen nicht nach. Die Art des Kaufes wird aber dort in vier Kategorien eingeordnet:
- habituell: Dies sind Gewohnheitskäufe, die auf Routine basieren. Der Mensch kauft dort, wo er und was er schon immer gekauft hat.
- impulsiv: Spontankäufe, zu denen oft gewisse Angebote oder Aktionen führen.
- extensiv: Diesen Käufen gehen gründliche Recherche, Nachfragen bei Freunden und auch in den sozialen Netzwerken voraus. Sie werden in der Regel getroffen, wenn es um wichtige Käufe geht und ein Fehlkauf negative Konsequenzen hat.
- limitiert: Auch hier recherchiert man im Vorfeld, tätigt den Kauf aber sofort, wenn etwas Passendes gefunden wurde.
Ein ansprechender Onlineauftritt spielt daher mit Elementen, die ebenfalls Emotionen hervorrufen – egal ob es Ihre eigene Produktseite ist oder die Repräsentation des Produkts auf fremden Plattformen. Wer mit Bildern und Videos, entsprechenden Texten, aber auch sogenannten anthropomorphen Interface-Agenten arbeitet, muss das berücksichtigen, sonst ist all der Aufwand für die Katz.
Anthropo-was? Dabei handelt es sich um virtuelle und in manchem Fall animierte Figuren – die zunehmend auch mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind – und die den User beim Surfen auf der Seite begleiten oder ihm den richtigen Weg weisen. Und zwar zum eigenen Produkt, zum eigenen Angebot. Das beste Beispiel für den kreativen Einsatz eines solchen Figurensets ist übrigens die Zeichentrickserie Paw Patrol. Denn die wurde nicht geplant, um Kinder zu unterhalten. Die findigen Schöpfer der Serie suchten stattdessen ein möglichst einfach zu verstehendes, süßes, buntes, mit Adjektiven um sich schmeißendes und breit streubares Vehikel, um mit überteuertem Plastikspielzeug enorm viel Geld zu verdienen.
Sie sendeten ihre als Zeichentrickserie getarnte Werbebotschaft über Netflix in Millionen Haushalte – und verdienten allein damit kein Geld. Mit dem so indirekt angepriesenen Merchandising schicken sie sich allerdings an, Disneys Verwertungskanälen Konkurrenz zu machen. Wer dieser Tage mal versucht hat, etwas von dem qualitativ unterirdischen Spielzeug als Weihnachtsgeschenk zu kaufen, weiß, dass diese Strategie aufgegangen ist: Vieles ist ausverkauft. Und was noch erhältlich ist, steigt sicher bis Heiligabend im Preis.
Fazit
Neuromarketing ist keine eierlegende Wollmilchsau, aber ein mittlerweile sehr gut erforschtes und durchaus effektives Tool, mit dem sich Kunden zielgerichteter erreichen lassen. Aus diesem Grund: Zielen Sie auf den Kopf und damit gleichzeitig aufs Herz – seien Sie also durchaus emotional. Auch bei Ihrer Werbung!
Lesen Sie auch: