Verspielte Chancen
Lernen durch Spielen steht hoch im Kurs: Glaubt man den Absichtsbekundungen, ist Gamification in der betrieblichen Weiterbildung das Gebot der Stunde. Allein, vielen Entscheidern fehlt der Glaube.
„Tatsächlich verbinden wir Spielen mit Kindsein und schließen es daher aus unserem beruflichen Leben aus“, erklärt Petra Pflugfelder, Co-Autorin von Echter Change braucht das Spiel und Personal- und Organisationsentwicklerin bei HRpepper Management Consultants. „Wir sind auf Effizienz, Ziele und kognitive Prozesse gepolt und glauben, positive Emotionen wie Freude und Spaß, kreatives Kombinieren ohne Plan, Spontanität etc. stünden im Widerspruch dazu.“
Ihr Kollege Thomas Lilge, Gründer der Forschungs- und Entwicklungsplattform gamelab.berlin, geht noch einen Schritt weiter: „Spiele motivieren zum Handeln. Die motivationserzeugende Kraft ist dabei so hoch, dass sogar Ziele, die nur innerhalb eines künstlichen Spielsystems Gültigkeit haben, mit großem Ernst verfolgt werden.“
Pflugfelder und Lilge sind überzeugt, dass Spielen Berge versetzen kann, wenn Mitarbeiter ihr Verhalten ändern sollen. „In über 80 Prozent der Unternehmen ist bekannt, welche Veränderungen nötig sind“, so Lilge. „Doch wie kommen sie dorthin?“ Visionäre Transformationsprozesse scheitern nicht selten an der Umsetzung – und indirekt an einer überkommenen Vorstellung davon, was Lernen überhaupt ausmacht.
Lernen ist Verhaltensänderung durch Erleben – und nicht Wissensvermittlung.
Petra Pflugfelder
Die Autorin ergänzt: „Erleben wiederum ist mit positiven Gefühlen, Interaktion und Bedeutsamkeit verknüpft. Diese können spielerisch erzeugt werden und Menschen dazu bringen, ihr Verhalten zu ändern.“
Systemisches Problem
Bei manchen hört der Spaß schon beim eigenen Nachwuchs auf. Denn kaum sind die Kleinen raus aus den Windeln, geht’s rein ins Bildungshamsterrad: Schon in der Kita sollen sie möglichst Schach spielen und auf Englisch plaudern, bevor es nachmittags in die Musikschule und abends in den Sportverein geht. Fürs freie Spielen bleibt da kaum Zeit – obwohl Kinder nur spielerisch lernen, Beziehungen aufzubauen, sich selbst zu organisieren und als selbstwirksam wahrzunehmen.
Damit Hans noch lernt, was Hänschen verwehrt bleibt, appelliert Sylvia Lipkowski in Die Selbstentwickler an Führungskräfte, ihren Mitarbeitenden die nötigen Freiräume zu schenken und sie darin zu unterstützen, sich im Alleingang weiterzuentwickeln. Wie schon in der frühkindlichen Bildung kommt es dabei weniger aufs Wissen, sondern vielmehr auf die erworbenen Fähigkeiten an:
Was Menschen heute lernen, kann morgen schon wieder überholt sein. Und von manchen Kompetenzen, die sie morgen brauchen, ahnt heute noch keiner, dass es sie überhaupt geben wird.
Sylvia Lipkowski
Eine Möglichkeit besteht darin, Mitarbeitern ein Weiterbildungsbudget einzuräumen, über das sie frei verfügen. Auch Bonussysteme können an die Bereitschaft zu selbstbestimmtem Lernen geknüpft werden.
Bleibt noch die Frage, wie Personalabteilungen diese hehren Ideale konkret umsetzen. Im Technologieunternehmen Festo hat man das früh erprobt: Die Autoren von Die Kombi macht’s stellen verschiedene Ansätze vor, wie das Unternehmen klassische Schulungen mit innovativen, digitalen Trainingsprogrammen verbindet und Mitarbeitende dazu ermutigt, Silodenken aufzubrechen, spielerisch zu lernen und ganze Lernnetzwerke zu bilden.
„Digitale Lernkonzepte sind zur reinen Wissensvermittlung sehr gut geeignet“, erklärt Renate Aheimer, Learning-Spezialistin bei Festo. „Wenn jedoch die Themen Anwendung, Erfahrungsaufbau und Praxistransfer im Fokus stehen, kann eine Präsenz- oder Live-Onlineschulung die richtige Wahl sein.“
Entscheidend ist immer das Lern- und Entwicklungsziel, das mit der Maßnahme erreicht werden soll.
Renate Aheimer
Eine Lernmethode schließt die andere also keinesfalls aus. Beispielsweise konnte die reine Anlernzeit von Mitarbeitenden in der Montage durch den Einsatz von Holo Lens, einer Mixed-Reality-Brille von Microsoft, um 60 bis 80 Prozent verkürzt werden. Das anschließende Präsenztraining ersetzte die Holo Lens nicht. „Die Kombination aus vielen Elementen ist sinnvoll, da meist mehrere Entwicklungsziele auf verschiedenen Ebenen verfolgt werden“, betont Aheimer.
Und Covid-19? Hat natürlich nicht alles, aber einiges langfristig verändert. Pflugfelder ist überzeugt: „Corona hat vieles möglich gemacht, was in Unternehmen vorher undenkbar schien.“ Auch für Aheimer gibt es keinen Weg zurück: „Wir haben für eine breite Basisqualifizierung LinkedIn Learning eingeführt und gleichzeitig diese Themen aus unserem analogen Katalog genommen. Digitale Angebote haben für uns mittlerweile Vorrang vor Präsenzlösungen.“