Mit Pizza Margherita zur Selbstverwirklichung
Vor einigen Jahren schrieb die Autorin Rhonda Byrne das Buch The Secret. Ein esoterisch angehauchtes Werk, das sich mit dem Geheimnis von Erfolg, Glück und dem ganzen Trallala beschäftigt. Es verkaufte sich weltweit millionenfach. Byrne macht ihren Lesern weis, sie müssten nur möglichst fest und positiv an ihre Ziele glauben, dann werde es schon laufen. Das Problem an der Sache: Im Leben gehen eine Menge Dinge den Bach runter. Man verliert seinen Job, die Tochter will Germanistik studieren und der blöde Knubbel am Hals ist definitiv kein Mitesser. „Think positive“, sagt Rhonda Byrne. Was, wenn sie nur bei der Diagnose des Knubbels Recht behält?
Glück, Zufriedenheit und Erfolg lassen sich nicht mit ein paar allgemeinen Grundsätzen aus der Selbsthilfeliteratur erreichen. Wer das glaubt, lügt sich in die eigene Tasche. Der oft genannte Satz ‚Sei einfach du selbst‘ ist ein guter Rat für maximal fünf Prozent aller Menschen.
Nichtsdestotrotz sehnen wir uns alle danach. Laut einer Allensbach-Umfrage geben 87 Prozent der deutschen Schulabgänger an, das Wichtigste sei ein Beruf, der ihnen Spaß mache. Glück, Zufriedenheit und Selbstverwirklichung stehen ganz oben auf der beruflichen Wunschliste. Doch genau da fängt das Drama an: Wie will ich im Voraus wissen, ob mich eine Tätigkeit erfüllt oder nicht? Oder ob mich eine andere Tätigkeit eventuell glücklicher machen würde? Abgesehen davon sind Werte wie „Zufriedenheit“ und „Glück“ nur schwer messbar.
Hinweis
Als Vortragsredner spricht unser Kolumnist Vince Ebert auf Kongressen, Tagungen und Firmenfeiern in deutscher und englischer Sprache zu den Themen Erfolg, Innovation und Digitalisierung. Hier können Sie Vince Ebert als Keynote-Speaker für Ihren Event engagieren.
Vergleichen Sie einmal einen Odenwälder Bauern aus dem Mittelalter mit einem Frankfurter Investmentbanker von heute: Der Bauer lebte in einer unbeheizten Holzhütte mit Blick auf seinen stinkenden Schweinestall. Der Börsenhändler lümmelt abends in seinem luxuriösen Penthouse herum und blickt auf die Alte Oper. Man könnte meinen, dass der Banker bestimmt glücklicher ist, als der Bauer es je war. Doch aus wissenschaftlicher Sicht entsteht Glück nicht durch den Besitz von Luxusgütern oder den Blick auf schicke Opernhäuser. Glück entsteht im Gehirn. Dort werden Serotonin, Dopamin und Endorphine ausgeschüttet, und die sorgen für positive Gefühle.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Das soll jetzt kein romantisches Plädoyer für ein armseliges Leben in der Einöde inmitten stinkender Schweineställe sein. Ganz im Gegenteil. Ich habe die ersten zwanzig Jahre meines Lebens im Odenwald verbracht, und was das mit meinem Serotoninspiegel angerichtet hat, möchten Sie nicht wissen. Was ich sagen will, ist, dass ein Leben noch so hart und entbehrungsreich sein kann – solange man es als sinnvoll erachtet, belohnt uns die Hirnchemie mit Glücksgefühlen. Demgegenüber kann ein Leben in Luxus und Überfluss eine schreckliche Qual sein, wenn wir in ihm keinen Sinn sehen. Denken Sie nur an Charlie Sheen.
Dennoch lassen sich viele Berufstätige durch Boni, Firmenwagen und diverse andere Annehmlichkeiten ködern. Aus der Motivationsforschung ist dabei längst bekannt, dass sich gerade finanzielle Anreize sehr oft negativ auf die Zufriedenheit auswirken. Unter bestimmen Umständen wirkt Geld auf genau die gleiche Weise wie eine Droge: Es wird im Lustzentrum verarbeitet, und dadurch wird die selbstlose Motivation verzerrt. Wenn Sie den Jungs von der freiwilligen Feuerwehr für jeden gelöschten Brand einen fetten Bonus zahlen, muss es schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht ein paar von ihnen auf die Idee kommen, das Geschäftsmodell ein wenig anzukurbeln.
Was sagt die Wissenschaft über das Erreichen von Glück und Sinnhaftigkeit? Zum Beispiel Folgendes: Wenn Tiere in Versuchslaboren die Wahl haben, sich ihr Futter durch bestimmte Handlungen selbst zu beschaffen oder es einfach so zu bekommen, dann ziehen sie es vor, für das Futter zu arbeiten. Es verschafft ihnen ein höheres Level an Zufriedenheit. Selbstbestimmung und Autonomie erhöhen nachweislich den Serotoninspiegel. Wer sich dagegen als hilfloses Opfer begreift, ist signifikant unglücklicher. Und leider sind wir Deutschen in dieser Disziplin Weltmarktführer:
Laut einer Studie des Pew Research Centers glauben 68 Prozent aller Bundesbürger, ihr Schicksal hänge von Faktoren ab, die sie nicht beeinflussen können. Hätte man diese Umfrage unter Leibeigenen im Mittelalter gemacht, wäre womöglich ein ähnliches Ergebnis zustande gekommen.
Fragen Sie sich selbst: Angenommen, Sie hätten nur noch sechs Monate zu leben – was würden Sie mit Ihrer Zeit anfangen? Und angenommen, nach sechs Monaten stellte sich heraus, dass der Arzt sich damals geirrt hat, Sie sind kerngesund. Würden Sie wieder in Ihren alten Trott zurückfallen wollen? Und falls nicht, warum tun Sie es dann heute?
Was ich damit sagen will: Wenn Sie Ihren Job nicht mögen, kündigen Sie. Jaaa, aber … NEIN! Kündigen Sie! Vielleicht wäre Ihr Unternehmen ohne Sie sowieso besser dran. Und wenn Sie zu ängstlich oder zu bequem sind, dann bleiben Sie, aber meckern Sie nicht rum! Nicht über Ihren Chef, die Globalisierung, Ihre Kollegen oder Ihre Kunden.
Der höchste Preis, den ein Mensch zahlen kann, ist nicht der Verlust eines gut dotierten Jobs oder die Pfändung des neuen Reihenhäuschens. Der höchste Preis ist der Verlust der Selbstachtung.
Unser Gehirn bleibt unser ganzes Leben lang flexibel und dynamisch. Und daher ist es auch nie zu spät, sein Leben zu ändern. Es ist zwar wahr, dass viele große Dinge von jüngeren Menschen geleistet wurden. Die meisten Mathegenies haben ihre originellsten Arbeiten zu einem Zeitpunkt abgeliefert, an dem wir unseren ersten Kredit für ein Haus aufnehmen. Was wir wahrscheinlich nicht tun würden, wenn wir besser rechnen könnten. Dennoch kann man auch im Alter noch Großes leisten. Benjamin Franklin erfand das Bifokalglas mit 78. Vladimir Horowitz gab noch mit 84 Jahren Klavierkonzerte. Und bei Johannes Heesters schallte es angeblich noch aus dem Sarg heraus: „Heut geh ich ins Maxim …“ Wenn Sie also vierzig Jahre alt sind und denken, Ihr Leben sei vorbei, dann täuschen Sie sich.
Was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist, müssen Sie ganz allein entscheiden. Ich kenne viele, die ihre Berufsentscheidung danach getroffen haben, was „vernünftig“ ist. Sie wechselten nach der Ausbildung nahtlos ins Berufsleben und haben seitdem ihren Job nie infrage gestellt. Für die nächste Beförderung machen sie Überstunden und haben lange aufgehört, darüber nachzudenken, ob der Vertriebsleitungsposten in dem neuen Werk in Castrop-Rauxel wirklich so ein spitzenmäßiges Ziel für sie ist. Dafür kennen sie exakt den Tag, an dem sie in Rente gehen.
Andere folgen ihren Träumen, steigen aus, machen eine Bar auf, gründen eine Surfschule, geben Gewürzbindekurse oder werden Künstler. Sie pfeifen auf einen sicheren Job und verwirklichen sich selbst. Und natürlich ist nicht alles möglich. Wenn Sie kurz vor Ihrem Neunzigsten stehen, ist es relativ unwahrscheinlich, dass Sie mit der Rolle des Prinz Siegfried in Schwanensee durchstarten. Vor allem, wenn Sie eine künstliche Hüfte haben und heterosexuell sind. Viele Träume sind schlichtweg nicht realisierbar. Manche aber schon. Wenn Sie den Hintern hochkriegen. Eine Garantie gibt es nicht, aber es gibt sie auch erst recht nicht durch das sture Befolgen und Anwenden von irgendwelchen dubiosen Erfolgs- und Glücksbüchern.
Ersetzen Sie also die naive Think-positive-Strategie durch die Pizza-Margherita-Taktik:
Erwarte nichts, dann wirst du im Zweifel positiv überrascht.
Zum Abschluss meiner Kolumnenserie für getAbstract bleibt mir nicht mehr, Ihnen dabei viel Erfolg zu wünschen. Sie haben es verdient!
Vince Ebert ist Diplom-Physiker, Wissenschaftskabarettist und Bestsellerautor. Sein Anliegen ist die Vermittlung wissenschaftlicher Zusammenhänge mit den Gesetzen des Humors. Seit 2004 ist er erfolgreich auf deutschsprachigen Bühnen unterwegs, aktuell mit seinem neuen Programm „Make Science Great Again!“ (Tickets & mehr …). Seine Bücher verkauften sich über eine halbe Million Mal und standen monatelang auf den Bestsellerlisten. In der ARD moderiert er regelmäßig die Sendung „Wissen vor acht – Werkstatt“.
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Foto: Frank Eidel