Agil durch Mitarbeiterentwicklung
Unzählige Artikel, Bücher, Podcasts, Videos, Blogs und müde Gesichter: Das Thema Agilität ist nun schon seit geraumer Zeit omnipräsent in der Businesswelt. Und zwar zu Recht: Obwohl rund die Hälfte aller Firmen auf dem Weg zu weitgehend agiler Zusammenarbeit scheitert, umfasst der Begriff elegant so viele der Aspekte, die Unternehmen berücksichtigen müssen, um auf die neue, dynamische Arbeitswelt vorbereitet zu sein.
So manch einer vergisst dabei schnell, dass Agilität nicht für sich steht.
Agil zu sein bedeutet, anpassungsfähig zu sein. In Krisen: resilient. Und bei Problemlösungen: flexibel. Agilität bedarf einer Art zu handeln, die sich auf unterschiedlichste Weise zeigt.
Um dabei größtmögliche Fortschritte zu machen, gibt es aber einen zentralen Hebel: die Mitarbeitenden. Mit ihnen steht und fällt alles. Wenn Sie Mitarbeitende haben, die unter neuen Umständen, bei neuen Herausforderungen sofort frustriert aufgeben oder auf stur stellen, helfen auch die tollsten Tools und Ansätze nichts. Doch wie macht man Mitarbeitende agil?
Crossfunktionales Training
Ganz einfach: Indem man sie weiterentwickelt. Und zwar nicht nur in ihrem Bereich. Das Zauberwort heißt: crossfunktionales Training. Die meisten Unternehmen haben keine Ahnung von den tatsächlichen Kompetenzen, die in ihrem Unternehmen unter ihren Mitarbeitenden verteilt sind. Sie gehen einfach davon aus, dass Leute aus dem Vertrieb wohl ganz gute Verkäufer sind und Leute aus der IT-Abteilung die firmeninternen Systeme schnell (wieder) zum Laufen bringen. Aber dass der Vertriebler in seiner Freizeit gern mit verschiedenen Foto- und Designprogrammen arbeitet und die Mitarbeiterin aus der IT-Abteilung sich schon lange mal wünscht, mit auf Konferenzen zu gehen und potenzielle Kunden anzusprechen, das wissen in aller Regel die wenigsten. Oder: wollen es nicht wissen.
Und da liegt auch schon das Problem. Damit Agilität – wie generell alle unternehmensweiten Maßnahmen und Veränderungen – erfolgreich sind, braucht es Unterstützung von oben. Und zwar eine informierte. So ehrlich die anfängliche Begeisterung auf der Führungsebene auch sein mag, wenn sie von agiler Zusammenarbeit redet:
Wer das Thema Agilität nur oberflächlich behandelt, verändert gar nichts.
Das zeigt sich am Beispiel der Mitarbeiterentwicklung sehr gut: Mitarbeiterentwicklung ist wichtig, hilft allen Beteiligten und sollte deswegen auch einen Platz im Unternehmensalltag haben. Bis hierhin gehen wohl die meisten Führungskräfte mit. Warum sollte man die eigenen Leute auch nicht schulen wollen?
Zum Beispiel weil es bedeutet, dass Arbeitszeit geopfert werden muss. Eine Weiterentwicklung in einzelne Workshops zu packen oder die beliebten „freien Zeiten neben dem Tagesgeschäft“ dafür zu reservieren, ist, wenn überhaupt, nur kurzfristig erfolgreich. Um einen festen Bestandteil des Pensums kommt man kaum herum – und idealerweise denken Sie dabei auch nicht über Dezimalzahlen nach. Halten Sie sich immer vor Augen: Ein realistisch großes Zeitbudget macht nicht nur eine positive Entwicklung wahrscheinlicher, weil in mehr Zeit mehr mitgenommen, gelernt und reflektiert werden kann, es sendet auch die richtigen Signale:
Erst wenn Mitarbeitende merken, dass Führungskräfte ernsthaft hinter einer Weiterentwicklung stehen, werden die meisten von ihnen mitziehen.
Spüren sie hingegen, dass hier nur „die nächste Pro-forma-Übung“ ansteht, weil „denen da oben grad nix Besseres einfällt“, werden sie weder Zeit noch Lust in die Sache investieren.
Dass interne Mobilität von Firmen längst nicht so umfassend und damit profitabel genutzt wird, wie es möglich wäre, zeigen die Resultate einer Analyse von LinkedIn: Mitarbeitende in Deutschland ziehen eher einen Wechsel ihres Arbeitgebers in Betracht als einen internen Stellenwechsel. Linda Jingfang Cai aus dem Bereich Talent Development bei LinkedIn meint, dass das unter anderem darauf zurückzuführen sei, dass externe Jobangebote einfacher zu finden und besser bezahlt sind. Zudem gingen internen Stellenwechseln oft langwierige Auswahlprozesse voraus. Damit schaden Unternehmen sich selbst. Wer ernsthaft will, dass Mitarbeitende sich intern weiterentwickeln können, sollte entsprechende Möglichkeiten stets attraktiv(er) gestalten als die Konkurrenz.
Wie können konkrete unternehmensinterne Maßnahmen aussehen, um die crossfunktionale Mitarbeiterentwicklung erfolgreich voranzutreiben?
1. Betrachten Sie Ihre Mitarbeitenden ganzheitlich
Sicher, Sie lesen immer wieder davon, dass Führung menschlicher werden muss, etwa, um Mitarbeitende zu motivieren. Wenn Sie Ihre Mitarbeitenden entwickeln wollen, reicht es allerdings nicht aus, wenn Sie verstehen, dass sie auch Menschen sind – vielmehr müssen Sie herausfinden, welche Menschen sie sind. Monika Kraus-Wildegger nennt das in ihrem Buch Feelgood Management als eine der fünf zentralen achtsamen Führungsregeln des digitalen Zeitalters:
Heute muss es heißen: ‚Do more with different.‘ Die Aufgabe der Führung im digitalen Zeitalter besteht darin, die Talente ihrer Mitarbeiter zu sehen, zu stärken, zu verbinden und Potenziale zu entfesseln, damit sie als Führungskraft mehr wirken können durch Vielfalt und Kollaboration.
Monika Kraus-Wildegger
Dazu rät sie, Mitarbeitende einfach direkt zu fragen, worin sie gut sind. So gelingt es Ihnen auch, die Vielfalt, die sich vielleicht in Ihrem Team oder Unternehmen befindet, besser wahrzunehmen. Denken Sie an sich selbst oder an Personen, die Sie gut kennen: Die wenigsten Menschen können nur eine einzige Sache gut bzw. haben nur an einer einzigen Sache Spaß – und noch weniger bringen diese Interessen und Neigungen in ihrem Beruf ein.
Ganz entscheidend, um Mitarbeitende überhaupt dazu zu bringen, bisher ungenutzte Potenziale weiterzuentwickeln, ist Wertschätzung. In Das Wunder der Wertschätzung schreibt Reinhard Haller, dass sich Wertschätzung zusammensetzt aus Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Respekt und Anerkennung, die Mitarbeitenden entgegengebracht werden. All dies bedeutet, sich wirklich für die Leute zu interessieren, die in Ihrem Team arbeiten, sie vielleicht sogar so gut kennenzulernen, dass Sie ihre Potenziale erkennen, bevor die Kollegen selbst es tun.
Das heißt nicht, dass Sie mit all Ihren Mitarbeitenden befreundet sein müssen. Vielmehr sollten Sie ein Gefühl für Ihre Leute entwickeln:
Bei welchen Aufgaben innerhalb ihres Jobs stechen sie jeweils besonders hervor? Was gelingt wem nie wirklich gut, obwohl die entsprechende Person es ernsthaft versucht? Wo blühen sie auf? Wo ziehen sie sich zurück und machen Dienst nach Vorschrift?
Nicht selten stehen sich Mitarbeitende selbst im Weg – etwa weil sie sich eine Veränderung nicht zutrauen, Angst haben zu versagen, andere zu enttäuschen oder schlicht unsicher sind, ob die neue Aufgabe zu ihnen passt.
Genau hier kommen die Führungskräfte ins Spiel, die Mitarbeitende bei jedweder Form des Ausprobierens im Unternehmen unterstützen (können) und ermutigen. Das ist kein neumodisches Nice-to-have, sondern essenziell für den Erfolg Ihres Unternehmens. Denn:
In heutiger Zeit kann es sich kein Unternehmen leisten, den Zugang zu den Leistungspotenzialen seiner Mannschaft als blinden Fleck zu behandeln und brach liegen zu lassen. Denn in den Köpfen und Herzen der Mitarbeiter schlummern oft noch viele ungenutzte Eigenschaften und Talente, die geborgen werden wollen. Die bislang nicht zugängliche Vielfalt und Fülle an Ideen, Kreativität und Fähigkeiten wird dringend zur Steigerung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen benötigt.
Monika Kraus-Wildegger
2. Denken Sie in Projekten
Geoff Tuff und Steven Goldbach plädieren in ihrem Buch für mehr projektorientierte Arbeit im Unternehmen, also Arbeit, die sich ganz an Kundenbedürfnissen ausrichtet und die Leute miteinbezieht, die das Projekt möglichst gut voranbringen – mehr oder weniger unabhängig von ihrer Position und Abteilung.
Das bedeutet aber auch, sich möglichst von detaillierten, weit im Voraus angedachten Karriereplänen zu verabschieden. Sie vermitteln Mitarbeitenden ein falsches Gefühl von nur vermeintlicher Stabilität in einer VUKA-Welt, in die eine flexible – agile – Denk- und Entwicklungsweise viel eher passt. Natürlich können Mitarbeitende bei guter Arbeit mit mehr Verantwortung rechnen. Aber das Silodenken, das einer ganzheitlichen Betrachtung Ihrer Talente im Weg steht – und damit einer erfolgreichen Weiterentwicklung –, fängt bereits mit Fünfjahresplänen an.
Der typische Ansatz ist leider, dass Berufsgruppen in der Organisation in gleichdenkenden Teams zusammengefasst werden, aber das Magische passiert erst, wenn Sie diese Leute mischen.
Geoff Tuff & Steven Goldbach
Thomas Landwehr geht davon aus, dass projektorientierte Arbeit in Zukunft nur noch weiter zunehmen wird. In seinem Buch Karriere im Umbruch rät er Mitarbeitenden sogar, über eine Selbstständigkeit nachzudenken. Schlicht, weil er vorhersagt, dass Unternehmen künftig größtenteils nur noch dazu da sein werden, Organisation und Kommunikation zu koordinieren.
Das zeigt, wie stark in Zukunft die einzelnen Mitarbeitenden und ihre Fähigkeiten im Fokus stehen werden. Es wird weniger wichtig sein, unter welchem Titel man gearbeitet hat – und vielmehr, was man genau gemacht hat und wie man es gemacht hat. Nutzen Sie diese Entwicklung für sich, indem Sie Ihren Mitarbeitenden zum einen ermöglichen, möglichst viele ihrer Talente zu entwickeln, und zum anderen, neue und bessere Fähigkeiten danach bei Ihnen einzubringen.
Statt in Silos und Abteilungen zu denken, versuchen Sie, eine projektorientierte Denkweise anzunehmen. Dabei hilft es freilich, wenn Sie bereits wissen, wo welche Mitarbeitenden welche Potenziale haben, die sie in einem Projekt einbringen und weiterentwickeln könnten.
3. Ermöglichen Sie Jobrotation
Eine Möglichkeit, Silos aufzubrechen und Mitarbeitende – und damit Kompetenzen – abteilungsübergreifend miteinander zu vernetzen, ist die Jobrotation. Dabei wechseln Mitarbeitende regelmäßig die Arbeitsbereiche und damit ihre Aufgaben und Funktionen im Unternehmen oder schnuppern als „Praktikanten“ für eine Woche oder einen Monat in anderen Abteilungen und Projekten. Auch möglich ist ein temporärer Austausch von Mitarbeitenden zwischen unterschiedlichen Niederlassungen desselben Unternehmens oder gar zwischen ganz anderen Unternehmen – Hauptsache, die Mitarbeitenden entwickeln bestehende Fähigkeiten oder entdecken gar ganz neue.
Die Jobrotation kann unter anderem auch als ein Mittel zur Frauenförderung oder zur Entwicklung von Führungskräften eingesetzt werden. In ihrem Artikel schlagen Uwe Dombrowski, Jonas Wullbrandt und Thore Belz für Letzteres vor, bei dem Wechsel eine neue Position zu wählen, die vergleichbare Anforderungen und Verantwortungen erfordert, um eine sofortige Unter- oder Überforderung zu vermeiden.
Selbstentwicklung im Lean Management
zfo – Herausgebergesellschaft GbRAber nicht nur Führungskräfte, sondern alle Talente im Unternehmen werden mit einer Jobrotation entwickelt. Winfried Gertz etwa meint in seinem Artikel, dass durch eine Möglichkeit zur Jobrotation gar das (klassische) Talentmanagement überflüssig wird.
Interessierte Mitarbeitende mit genügend Eigeninitiative können damit ihre Interessen und Fähigkeiten nämlich auf eigene Faust erkunden und sich so ganz von selbst weiterbilden. Positive Beispiele finden sich nicht nur beim Bio-Detailhändler Alnatura, den Gertz erwähnt, sondern auch bei großen Unternehmen wie Google oder Lidl. Eine selbstbestimmte Herangehensweise sollte generell gefördert werden.
4. Legen Sie Wert auf eine selbstbestimmte Weiterentwicklung
Indem Sie Mitarbeitenden ermöglichen, Ihre Weiterentwicklung aktiv zu gestalten, machen Sie gleich in mehrerer Hinsicht Dinge richtig:
- Sie geben Ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, aktiv Einfluss auf ihre Karriere zu nehmen. Dieses Gefühl der Autonomie im Job ist absolut essenziell für die Mitarbeiterzufriedenheit, wie etwa Ingo Hamm in seinem Buch erklärt. Das Gefühl von Autonomie schlägt sogar den oft gepriesenen „Purpose“ als Motivator.
- Mitarbeitende haben so nicht nur die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, sondern auch, sich besser kennenzulernen und eigenständiger zu werden. Sie üben sich damit in Selbstorganisation und Eigenverantwortung. Diese Fähigkeiten können zum einen im Arbeitskontext bei gewissen Aufgaben und Projekten sinnvoll eingesetzt werden. Zum anderen sind sie aber auch der Stoff, aus dem agiles Arbeiten ist – und damit agile Mitarbeitende. Genauer nachzulesen ist das im Buch Agiles Lernen von Nele Graf, Denise Gramß und Frank Edelkraut.
- Eine solche Art der Entwicklung macht Ihre Mitarbeitenden und damit Ihre Firma resilienter. Mitarbeitende, die das Gefühl haben, ihre Karriere im Griff zu haben und sich selbst sowie ihre Kompetenzen gut zu kennen (und einsetzen zu dürfen), können in Krisensituationen schneller reagieren. Sie finden sich besser unter veränderten Umständen zurecht und passen sich schneller an – schlicht, weil sie lernen konnten, wie das geht.
Eine Möglichkeit zur eigenverantwortlichen crossfunktionalen Weiterentwicklung sind die „Shape-Kompetenzen“, die Anja Dilk in ihrem Artikel vorstellt. Statt Positionen, besitzen Mitarbeitende ein Set von Patchwork-Rollen, die sie je nach Bedarf im Unternehmen einnehmen. Hier erfahren Sie mehr dazu:
Fazit
Ihr Unternehmen wird ganz automatisch agil, wenn Sie Ihre Mitarbeitenden befähigen, flexibler zu agieren. Ein kleines Extra: Mit solchen Möglichkeiten zur Weiterbildung steigern Sie nicht nur die Agilität Ihres Unternehmens, sondern auch die Attraktivität. Der Begriff „Career Mobility“ bezieht sich darauf, dass es nicht nur Möglichkeiten für lineare Karrierewege gibt, sondern dass Mitarbeitende sich ausprobieren dürfen – in anderen Abteilungen, in anderen Rollen.
Die Recruiting-Firma Lever fand in einer Studie heraus, dass fast die Hälfte aller Angestellten in einem Unternehmen sich einen solchen Rollenwechsel wünschen. Ein Drittel würde sogar ein niedrigeres Gehalt hinnehmen, nur, um die Rolle wechseln zu dürfen.
Genau diese Mitarbeitenden können Sie auffangen – und den anderen helfen Sie genauso –, wenn Sie als Entscheidungsträger voll und ganz hinter der Idee stehen, Ihre Mitarbeitenden weiterzudenken. Mit all den disruptiven Veränderungen, die damit einhergehen und all den vermeintlichen Opfern, die dazugehören.