Wie Sie Silos aufbrechen
„Nö, frag doch den Vertrieb.“ Oder: „Das ist Aufgabe vom Marketing. Dafür sind wir nicht zuständig.“ Kennen Sie Sätze wie diese? Dann herzlich willkommen in der Welt des Silodenkens oder in der Unternehmensküche, in der jeder „sein eigenes Süppchen kocht“.
Silodenken ist ein gruppenpsychologisches Phänomen, das leider immer noch sehr häufig in vielen Unternehmen zu finden ist. Und das weder den Menschen guttut noch der Organisation.
Das bestätigt auch die Silo-Index-Studie der Hochschule Koblenz: Sowohl der Erfolg des Unternehmens wie auch die Mitarbeiterzufriedenheit werden durch Silodenken und -handeln negativ beeinflusst, und den „Kampf“ um Talente wird man mit dieser Art des Nebeneinanderher- statt Zusammenarbeitens auch nicht gewinnen.
Das alles ist nicht neu. Und dennoch wird nur selten etwas gegen das Geklüngel von Abteilungen innerhalb eines Unternehmens getan. Ein Grund dafür: Hilflosigkeit und Resignation auf Führungsebene. Viele Abteilungsleiter wissen nicht, wie man Silos aufbricht oder das Entstehen bereits im Vorfeld verhindert, häufig sind sie sogar so incentiviert, dass ihnen dadurch Nachteile erwachsen.
Ihre Mitarbeitenden wiederum sehen sich oft nicht in der Lage, überhaupt aktiv werden zu können: Wer vorschlägt, mehr mit anderen Teams zusammenzuarbeiten, wird zurückgepfiffen und muss mitunter gar mit negativen Konsequenzen rechnen. Viele finden deshalb, dass es gar nicht ihre Aufgabe ist, Hürden zwischen Abteilungen abzubauen und Reibungs- oder Doppelspurigkeitsverluste zu minimieren. Also macht man weiter und weiter und weiter … und stellt dennoch immer wieder fest:
- Es herrscht übertriebenes Konkurrenzdenken zwischen den Abteilungen.
- Es wir nicht transparent und proaktiv über die Abteilungsgrenzen hinweg kommuniziert.
- Es herrscht ein schlechtes allgemeines Betriebsklima im Unternehmen.
- Andere Bereiche/Abteilungen werden als inkompetent oder irrelevant abgestempelt.
- Jede Abteilung setzt sich eigene Ziele, die mit den übergeordneten Unternehmenszielen nur wenig gemein haben.
- Projekte werden nicht umgesetzt, es fehlt an Innovationen.
Im Folgenden soll es darum gehen, diese Probleme strukturiert zu identifizieren und zu beheben. Dabei sind Führungskräfte gefragt, aber auch Mitarbeitende, die sich um die Effizienz eines Unternehmens verdient machen und nicht länger hinnehmen wollen, dass sie wertvolle Zeit und andere Ressourcen verschwenden, nur weil sich niemand zuständig fühlt.
Schritt 1: Sich der Silos bewusst werden
Silodenken entwickelt sich in aller Regel schleichend und über einen längeren Zeitraum. Bis in die 1990er-Jahre hinein war auch in den allermeisten Organisationen das Silodenken durchaus erwünscht: Dank klarer, konservativer Managementstrukturen und -verantwortlichkeiten sollte so sichergestellt werden, dass jede Arbeitskraft einen klar eingehegten Auftrag in ihrer Abteilung bekam und entsprechend geführt, bewertet und entlohnt werden konnte.
Seither setzt sich allerdings immer mehr die Erkenntnis durch, dass das Denken in eng gefassten, sehr abteilungsspezifischen Jobprofilen auch viele Nachteile hat, unter anderem den, dass damit häufig Talente verschwendet oder irgendwo im Unternehmen versteckt werden, die eigentlich breitenwirksameren Einsatz verdienen.
Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass fehlende Kenntnisse im Management – und damit: falsch gesetzte Anreize – heute der Hauptgrund dafür sind sind, dass Abteilungen nicht über ihre Grenzen hinaus geführt und besser miteinander vernetzt werden.
Silos sind, einmal entstanden, auch überaus stabil, ihre Strukturen hartnäckig. Dennoch sollte man nicht resignieren und Silos Silos sein lassen. In einer Studie von Microsoft gaben 86 Prozent der Befragten in innovativen Organisationen an, dass die teamübergreifende Zusammenarbeit sehr wichtig für das Unternehmenswachstum sei (in weniger innovativen Firmen liegt der Wert nur bei 72 Prozent).
Auch die Kooperationsbereitschaft mit Externen hat silosprengende Relevanz: 79 Prozent der teilnehmenden Mitarbeitenden innovativer Unternehmen gaben an, dass sie eine kollaborative Zusammenarbeit mit externen Stakeholdern als wirtschaftlichen Erfolgsfaktor betrachten. In weniger innovativen Unternehmen sehen das nur 54 Prozent so.
Stellen wir uns deshalb nicht mehr die Frage „Warum Silodenken aufbrechen?“, sondern besser „Wie Silodenken aufbrechen?“. Der erste Schritt ist eine umfassende Analyse des aktuellen Zustands einer Organisation:
- Wie ist unsere Organisation strukturiert? Untersuchen Sie Ihr Organigramm nach offensichtlichen und weniger offensichtlichen Abhängigkeiten in Teams, Abteilungen und über Abteilungen hinweg (wenn es noch keines gibt, zeichnen Sie eins!). Zeigen Sie dabei plakativ auf, wer von wem „abhängig“ ist bzw. wer mit wem im produktiven Austausch steht. Gewinnen Sie ein Bild davon, welche Abteilungen wie neben- oder miteinander platziert und damit in der Gesamtorganisation oder im Produktionsprozess eingebunden (oder: isoliert) sind.
- Welche Abteilungen arbeiten wie zusammen? Hier gibt das Organigramm nun bereits ersten Aufschluss. Markieren Sie die wichtigsten Schnittstellen zwischen den einzelnen Abteilungen (das können Menschen oder Positionen sein, gemeinsam genutzte Tools oder regelmäßige Kommunikationen). Wie wichtig ist Marketing für den Vertrieb? Wie entscheidend ein reibungsloses Miteinander zwischen HR und IT? Schauen Sie, wie diese Schnittstellen noch besser genutzt werden können bzw. was andere, weniger vernetzte Abteilungen vielleicht von diesen Schnittstellen lernen können. Überlegen Sie außerdem, ob es sinnvoll ist, Projektgruppen (Tribes) einzurichten, die – wie auf einem Zwischenstockwerk über den Abteilungen oder Teams, aber unter der nächsten existierenden Hierarchieebene – regelmäßigen Austausch pflegen sollten oder gemeinsame Ziele schneller erreichen können als die Teams allein. Achten Sie darauf, diesen Gruppen Verantwortungen klar zu übertragen, falls Sie sie einrichten.
- Wo hakt es bzw. gibt es offensichtliche Barrieren, die die Zusammenarbeit erschweren? Schreiben Sie diejenigen Herausforderungen auf, die für die Zusammenarbeit in Ihrem Unternehmen bestehen (z. B. zu viele fragmentierte Standorte, Sprachbarrieren, Generationskonflikte). Tauchen Sie dann tiefer ein und schauen Sie, wie Hürden zwischen Abteilungen abgebaut werden können – unterscheiden Sie dabei zwischen „Quick Wins“ und längerfristig angelegten Initiativen. Die „Klassiker“ in den meisten Firmen sind: Warum weiß eigentlich niemand, was die IT macht bzw. plant? Warum gibt es keinen klaren Onboarding-Prozess (über alle Abteilungen hinweg)? Warum plant das Marketing eine Vertriebskampagne ohne den Vertrieb?
- Machen Sie die Kommunikation zur Chefsache. Es hat keinen Sinn, darauf zu warten, dass sich Mitarbeitende damit exponieren, darauf hinzuweisen, dass ihre Abteilungsleiter bei der bereichsübergreifenden Kooperation und Kommunikation versagen. Schauen Sie als Führungsperson hin und schreiben Sie auf, was Sie sehen, hören, bemerken und was man Ihnen durch die Blume mitteilt. Binden Sie die Menschen mit ein, bitten Sie um eine ehrliche Meinung, auch mittels anonymer Mitarbeiterbefragung. Wird Kommunikation ggf. bewusst unterbunden oder einfach vergessen? Welche Bedeutung haben Informationen innerhalb des Unternehmens? Wie sieht es mit dem Wissensmanagement aus? Machen Sie Ihren Führungskräften klar, dass Sie dafür verantwortlich sind, innerhalb und außerhalb ihrer Abteilungen in Kontakt mit den Menschen zu stehen und Kollaboration zu honorieren.
All das werden Sie als Einzelperson – egal auf welcher Hierarchieebene Sie es versuchen – nicht schaffen. Wenn es um übergeordnete Kollaboration geht, müssen die betreffenden Abteilungen, Teams und Mitarbeitenden innerhalb der Organisation mitmachen. Damit sie das tun, braucht es einen Anfang und dann zügige Ergebnisse, die den Beteiligten zeigen, dass sich der Aufwand lohnt. Es bietet sich deshalb an, ein Team aus Mitgliedern verschiedener Abteilungen zusammenzustellen, das obige Schritte einleitet, begleitet, dafür verantwortlich zeichnet und Ergebnisse präsentiert.
Schaffen Sie den nötigen Raum, den Dingen auf den Grund zu gehen. Geben Sie diesen Mitarbeitenden die „Lizenz“, Strukturen zu analysieren und erste transparente Abläufe über Silogrenzen hinweg und unter Einbezug der jeweiligen Mitarbeitenden einzuführen. Wichtig: Achten Sie auf Diversität in diesem Team, aus jeder Abteilung sollte mindestens eine Person dazugehören.
Suchen Sie auf gar keinen Fall ‚Schuldige‘ für die aktuelle Lage, sondern schauen Sie nach vorn und gestalten Sie eine kollaborative Zukunft.
Gehen Sie dabei stets organisiert, strukturiert vor. Holen Sie die Menschen dort ab, wo sie gerade stehen. Überrumpeln Sie niemanden und belohnen Sie diejenigen, die zum Erfolg neuer Kooperationen beitragen. Gelingt Ihnen nach hartem Initialzusatzaufwand ein effizientes Set-up, sollten die eingebundenen Abteilungen schon bald von spürbaren Entlastungen berichten und „gelöste Knoten“ feiern. In jedem Fall sollten Sie die Aufgabenlast im Auge behalten: Der Schritt zu weniger Silos wird zuerst anstrengend, darf aber nie mit dauerhafter Überbelastung einhergehen. Passiert das doch, machen Sie etwas falsch.
Next Steps:
- Zeigen Sie Ihren Mitarbeitenden, dass ein funktionierendes Miteinander sich lohnt: weniger Frust, bessere Betriebsergebnisse, neue Aufstiegswege, besserer Lohn. Betonen Sie Vorteile einer guten Zusammenarbeit und halten Sie Ihre Versprechen.
- Bringen Sie die Menschen zusammen und lassen Sie diese in regelmäßigen, offenen Gesprächen herausfinden, wie man noch mehr voneinander profitieren kann. Tun Sie dies formell, aber sorgen Sie auch für die Chance auf einen informellen Austausch. Schaffen Sie Orte der Begegnung – virtuell oder in der realen Welt.
- Vernetzen Sie Ihre Teams, indem Sie die Kontaktaufnahme einfach machen. Zum Beispiel mittels Intranet, in dem mit wenigen Klicks ersichtlich ist, wer wofür verantwortlich ist. Oder nutzen Sie dafür Tools wie Teams, Slack & Co.
Schritt 2: Gestalten Sie die Zusammenarbeit
Beginnen Sie, kommunikative und räumliche Grenzen aufzubrechen. Kommunikation und Miteinander ist in Remote-Work-Zeiten auch virtuell möglich. Sicher braucht jede Abteilung ihren internen Austausch, aber warum nicht parallel und übergeordnet alle gemeinsam informieren? Bieten Sie zumindest die Möglichkeit an, das zu tun. Ob und wie jeder einzelne das Angebot annimmt, sei ihm selbst überlassen.
Im Büro sollte es die Chance geben, sich an einem einladenden Ort auszutauschen. Früher war das die Kaffeemaschine, heute kann es eine kleine Lounge sein oder ein Sitzplatz im Freien. Virtuell kann es ein Teams-Kanal oder ein regelmäßiger „Coffee-Break“ sein. Wenn die Leute einander besser kennen, arbeiten sie in der Regel auch vorbehaltloser zusammen.
Führen Sie neue Meeting-Formate ein – bei denen Sie die folgenden Prinzipien beachten:
- Timeboxing: Ein pünktlicher Start, ein pünktliches Ende – egal ob Sie sich real oder virtuell treffen. Eine klare Agenda und ein Moderator / eine Moderatorin, der/die dafür sorgt, dass das Timing eingehalten wird, sind dabei zwingend notwendig. Bleiben Themen offen, werden diese auf ein neues Meeting vertagt.
- Teamwork: Definieren Sie team- oder bereichsübergreifende Ziele und sorgen Sie für mehr Mitspracherecht. Keine Idee wird sofort verworfen oder ist irrelevant – so hören Sie Dinge, die Sie vorher nie gehört haben.
- Fokussierung: Alle bleiben bei den Themen, die auf der Agenda stehen. Es werden keine neuen Themen eingebracht. Tipp: Bestimmen Sie einen Teilnehmer dazu, spontan aufkommende Ideen zu notieren, diese können im Anschluss für ein neues Meeting eine Grundlage bilden.
- Machbarkeitsanalyse: Jeder Beschluss muss machbar sein. Gemeint ist: Verlieren Sie sich nicht in Perfektionsplanung, sondern setzten Sie auf einzelne, kleine Schritte mit Blick auf das große Ziel.
Abteilungsgrenzen brechen Sie zudem auf, wenn Sie:
- für gewisse Projekte interdisziplinäre Teams zusammenstellen, die gemeinsam an einem Projekt arbeiten sollen, und das Geleistete sich in den Erfolgen aller beteiligter Teams wiederfindet.
- gemeinsame Aktivitäten über die unternehmerischen Abteilungsgrenzen hinaus ermöglichen.
- ein strukturiertes Wissensmanagement und klare Kommunikationsregeln einführen. Wer teilt wann, was, wo und wie?
Wertschätzende Kommunikation im Business
Junfermannsche Verlagsbuchhandlung GmbH & Co. KGSchritt 3: Nehmen Sie auch die „unwilligen“ Kollegen mit
Sie werden nicht jede und jeden gleich für diesen neuen Weg der Zusammenarbeit begeistern können. Das müssen Sie aber auch nicht. Denn: Die Erfolge, die die neuen Kollaborationen zeitigen, werden Beispiel dafür sein, dass es sich lohnt, auch selbst aktiv zu werden. Klar: Völlige Verweigerung ist mittel- bis langfristig inakzeptabel. Allerdings ist es durchaus Teil eines Change-Prozesses, die Erfolge erster Initiativen für sich sprechen und die rationalen Skeptiker dann davon überzeugen zu lassen. Schon Henry Ford wusste:
Zusammenkommen ist ein Beginn, zusammenbleiben ist ein Fortschritt, zusammenarbeiten ist ein Erfolg.
Machen Sie diese Einstellung zu einem Motto in Ihrem Unternehmen. Und sorgen Sie für den entsprechenden Rahmen, in dem es vom Kopf auf die Füße gestellt werden kann. Zeigen Sie als Führungskraft Chancen auf, geben Sie ein Ziel vor, nicht den Weg dahin, und achten Sie darauf, dass diese Ziele nicht nur einzelne Abteilungen betreffen, sondern alle.
Das Schwarz-Weiss-Buch der Mitarbeiter-Motivation
SmartBooksKreativität und viele andere positive menschliche Eigenschaften wie Mitdenken, Verantwortungsgefühl usw. setzen ein geeignetes Umfeld voraus und beginnen da ganz von alleine zu blühen.
Arnold H. Lanz
Übrigens: Neben der richtigen Motivation ist es vor allem auch Neugier und die Lust aufs „Machen“, die Menschen dazu bewegt, (mit)gestalten zu wollen. Hier lesen Sie mehr zum Thema: