Kreativität: 4 Techniken, diese zu wecken
Schon Thomas Edison wusste: „Der sichere Weg zum Erfolg ist immer, es doch noch einmal zu versuchen.“ Oder anders: Es noch mal, aber auf einem anderen Weg zu versuchen. Und derer gibt es viele. Heute können Sie aus unzähligen Methoden und Ansätzen wählen, um neue Ideen zu entwickeln, Visionen zu definieren und Probleme zu lösen. Doch gerade im unternehmerischen Alltag kommt das mit der Kreativität und der kreativen Arbeit noch immer zu kurz, so die Ergebnisse einer aktuellen Studie des Marktforschungsinstituts Opinium im Auftrag von Ricoh Europe.
Rund sechs von zehn Arbeitnehmern (59 %) sagen, dass ihnen ihre Arbeit mehr Spaß machen würde, wenn sie mehr Zeit für kreative Aufgaben hätten.
Doch aktuell gehen rund 40 Prozent des Arbeitsalltags für administrative und technische Aufgaben drauf. Zeit, um als Arbeitnehmer den nachhaltigen Erfolg sicherzustellen, indem man sich aktiv einbringt und an Innovationen mitarbeitet, bleibt kaum. Und dabei wäre das so wichtig: Ein moderner Arbeitsalltag sollte Raum und Möglichkeiten schaffen, damit Menschen sich einbringen und ihre Ideen kundtun können. Weg vom Abarbeiten immer längerer – oft stupider – Aufgabenketten, hin zum drastischen Kürzen derselben durch gemeinsam gefundene Innovationen.
Hier sind vier Techniken, die Mitarbeitende auf allen Hierarchieebenen dabei unterstützen können, einen kreativeren Arbeitsalltag zu schaffen:
1. Laterales Denken und die Denkhüte
„Ein Mann, so um die 90, landet nach seinem Tod in der Hölle. Er läuft herum – und sieht plötzlich einen seinen Kumpanen, ebenfalls schon 90 Jahre alt, mit einer wunderschönen Blondine auf dem Knie. ‚Das kann doch nicht die Hölle sein. Du scheinst es hier doch ziemlich gut zu haben‘, sagt er zu seinem Freund. ‚Doch, doch‘, entgegnet der. ‚Das hier ist die Hölle. Ich bin ihre Strafe.‘“ – Das war der Lieblingswitz des 2021 verstorbenen Kognitionswissenschaftlers Edward de Bono. Er galt schon zu Lebzeiten als Pionier des „freien Denkens“, und der Witz ist ein schönes Beispiel dafür, wie unser Gehirn funktioniert:
Es gibt den üblichen Pfad. Und dann gibt es noch einen anderen, etwas versteckter. Aber sobald man auf den erst einmal hinübergesprungen ist, erscheint auch der absolut logisch. Auf diese veränderte Wahrnehmung kommt es an.
Edward de Bono
Zeit seines Lebens hat der Psychologe versucht, uns (und Unternehmen und Organisationen) diesen Pfadwechsel, eine Art des „Um-die-Ecke-Denkens“ beizubringen, weil er fest davon überzeugt war, dass unsere herkömmliche Art zu denken nicht nur unvollständig, sondern mitunter sogar gefährlich sei und dem nur mit kreativerem Denken begegnet werden könne.
Er selbst nannte seine Technik: das laterale Denken. Wer lateral denken lernen will, sollte die folgenden Hinweise beachten:
- Assoziieren Sie bei Problemlösungsversuchen und erlauben Sie sich gedankliche „Sprünge“.
- Jedes Zwischenergebnis zählt – und es darf nicht mit richtig oder falsch bewertet werden, denn:
- Es gibt kein eindeutiges Nein, es gibt kein finales Ja. Selbst wenn eine Idee sich schwierig umsetzen lässt, sollten Sie sie als Schritt in Richtung Veränderung sehen und es weiter versuchen.
- Ziehen Sie immer auch die unwahrscheinlichste Lösung für ein Problem in Betracht.
- Ausgangslagen und Rahmenbedingungen sind Fakten, aber keine Hindernisse: Verinnerlichen Sie, dass es immer auch anders geht.
- Bewerten Sie Informationen subjektiv und selektiv. Beim lateralen Denken geht es um Intuition und nicht um Analyse.
De Bono selbst nannte laterales Denken deshalb auch Seitwärtsdenken. Er hat sich Zeit seines Lebens gegen die Mystifizierung von Kreativität ausgesprochen, weil er nachweisen konnte, dass dieser Bereich unseres Denkens genauso gut nutz- und einsetzbar ist wie der analytische – wenn man es nur richtig trainiert:
Kreativität ist keine geheimnisumwitterte Gabe, die manchen Menschen in die Wiege gelegt wurde, während andere leer ausgegangen sind. Laterales Denken ist eine Spielart der Kreativität, die jeder erlernen und praktizieren kann.
Edward de Bono
De Bonos bekanntestes Werkzeug des lateralen Denkens sind die sechs Denkhüte. Die Grundidee hinter diesem Rollenspiel ist simpel, effektiv und macht Spaß: Gedanklich oder tatsächlich setzen Menschen innerhalb einer Gruppendiskussion zu einem Thema verschiedenfarbige Hüte auf. Jeder Hut steht dabei für ein spezifisches Denkverhalten, mit dem der jeweilige „Träger“ die Situation oder auch eine Idee bewerten soll.
Was verbirgt sich also hinter der bunten Runde? Gehen wir die Hüte nach Farben sortiert durch:
- blau: Hier geht es um das „Big Picture“, den Überblick über die aktuelle Ist-Situation und den derzeitigen Entscheidungsstand. Wer den blauen Hut trägt, ist verantwortlich für das ordnende, moderierende Denken.
- weiß: Der Fokus dieses Hutträgers liegt auf den Fakten, auf den bestehenden Anforderungen und der Realisierbarkeit von Ideen. Es geht um das analytische Denken.
- rot: Unter dem roten Hut gilt es, Gefühle, Empfindungen und Emotionen einzubeziehen, was sehr subjektiv sein kann. Hier äußert sich das emotionale Denken.
- schwarz: Wer den schwarzen Hut aufhat, legt klares Augenmerk auf bestehende Risiken, Schwierigkeiten, Ängste und Probleme. Hier regiert das kritische Denken.
- gelb: Unter diesem Hut geht es um den „Best Case“, die rosarote Brille, also um das beste auszudenkende Szenario im Hinblick auf eine umzusetzende Idee. Es geht um optimistisches Denken.
- grün: Diesem Hutträger geht es nur um das Generieren von neuen Ideen, ums Über-den-Tellerrand-Schauen. Hier findet sich das kreative, assoziative bzw. laterale oder konstruktive Denken.
Jedes Denkverhalten und seine eindeutig „gefärbten“ Wortmeldungen werden nun in Stichpunkten vom Teamleiter notiert und anschließend werden die verschiedenen Sichtweisen in der Gruppe diskutiert. Der Vorteil dieser Methode: Es wird nie einseitig gedacht, was besonders in homogenen Gruppen schnell der Fall sein kann. Meist eröffnen sich unter Einbezug der Hüte und der damit definierten Rollen neue Ein- und Aussichten, die ohne sie nie entdeckt worden wären.
2. Clicking-Fragen
Eine andere bekannte Methode, um die Kreativität zu wecken, stammt von Mario Pricken. Sie nennt sich „Clicking-Fragen“ und bezieht sich indirekt auf die bekannte Osborn-Checkliste, die systematisch Einfälle für neue Produkte oder Prozesse liefern kann.
Sicher entstehen gute Ideen auch unter der Dusche. Doch wenn es um ausgeklügeltere Innovationen geht, braucht es auch Organisation und Struktur, also Disziplin. Denn:
Wer die ersten Ideenrohlinge bereits als Topideen behandelt, ohne daran zu feilen, ist auf dem besten Weg zur Mittelmäßigkeit.
Mario Pricken
Clicking-Fragen sind eine Sammlung von reizauslösenden Fragen, die hauptsächlich der besseren Bewerbung oder Herausstellung von Produkten oder Dienstleistungen dienen, die aber auch zur Ideenentwicklung in anderen Kontexten dienen und dabei Mittelmäßigkeit vermeiden helfen können. Folgend eine kleine Auswahl an Fragen – die sowohl in der Gruppe als auch als Einzelperson gestellt werden können:
- Der Vergleich: Was ändert sich? Machen Sie detailliert deutlich, wie sich das Vorher und das Nachher beim Einsatz eines Produktes oder einer Idee unterscheiden.
- Wiederholung: Wie gewinnt man Aufmerksamkeit durch gezielte Wiederholung? Versuchen Sie, sich und anderen ein und dieselbe Sache immer wieder positiv ins Gedächtnis zu rufen. Was bleibt hängen?
- Wortlosigkeit: Was spricht für sich? Entwerfen Sie Bilder, die ohne Worte auskommen und in den Köpfen anderer Menschen genau die Assoziation wecken, die Sie wecken wollen.
- Übertreibung: Wie würden Sie Ihre Idee bewerben, wenn Sie maßlos übertreiben dürften? Welche Eigenschaften Ihrer Idee oder Ihres Produkts stünden im Fokus?
- Schockmomente: Welches Drama rund um Ihre Idee, Ihr Angebot würde alle Menschen schockieren oder provozieren?
Beide hier bisher vorgestellten Techniken machen deutlich: Kreativität bedeutet, sich bewusst aus gewohnten Denkmustern herauszubewegen. Anderes Denken zuzulassen. Und es zu belohnen! Wer kreativen Denkerinnen und Denkern Wertschätzung entgegenbringt, also ihre Stärken erkennt und ihnen den nötigen Freiraum gibt, diese auch einzusetzen, animiert auch andere, bisher eher unkreativ tätige Mitarbeitende zu diesem Ausprobieren.
Auf diese Art entsteht eine Kultur des Um-die-Ecke-Denkens, das im immer schnelleren Wettbewerb der Ideen zu einer wichtigen Zukunftsversicherung für Organisationen werden kann. Denn: Abarbeiten können auch Roboter. Und sie werden es künftig immer besser und immer schneller können.
3. Biegen, brechen und verbinden
Auf den ersten Blick klingt das, was Svenja Hofert in ihrem Buch Business Slowdown erklärt, ein wenig radikal, vielleicht auch brutal: Stoppen Sie für eine bestimmte Zeit Ihre gewohnten – organisationellen – Abläufe! Denn: Jede Veränderung beginnt mit einem Innehalten, einem „Nicht-mehr-weiter-So“.
Jede bewusst gestaltete Transformation sollte mit einem Slowdown beginnen. Das ist wie das Herunterfahren des eigenen Betriebssystems: So öffnen wir uns für die Gegenwart und andere Wahrnehmungen.
Svenja Hofert
Ist Ruhe eingekehrt, fragen Sie sich und Ihre Kollegen: Was passiert wie und wann und wo? Wer agiert in welchem Rahmen? Welche Verantwortlichkeiten bestehen, wer ist von wem abhängig? Nach welchen Zielen und auf welchen Werten basieren Ihre Tätigkeiten?
Das sind keine neuen Fragen, aber trotzdem diejenigen, die viele im Alltag nur ungern beantworten. Denn: Oft sind Abläufe einfach da, weil sie irgendwann einmal so bestimmt wurden oder sich ergeben haben – nicht, weil sie unbedingt sinnvoll sind. Dabei geht es nicht um potenzielles Versagen, sondern um eine klare Auslegeordnung, um eine Bewusstmachung des Systems, in dem agiert werden kann. Hat man den Ist-Zustand einmal erfasst, kartografiert, kann in Co-Kreation ein neuer, womöglich viel zielsicherer Kurs gesetzt werden. Hofert empfiehlt, den ersten Schritt mit den folgenden Techniken einzuleiten:
- Biegen: Erweitern Sie Ihre Perspektive! Setzen Sie den grünen Hut von De Bono auf und schauen Sie über den Tellerrand. Interpretieren Sie vorgefundene Dinge neu, indem Sie Bestehendes oder Anstehendes einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
- Brechen: Trennen Sie sich von alten Gewohnheiten! Überraschen Sie sich und Ihre Kollegen, indem Sie einfach mal einen anderen Weg gehen als den, den Sie schon jahrelang plattgetreten haben.
- Verbinden: Bringen Sie Menschen mit Worten, Bildern und Ideen zusammen. Setzen Sie neue Maßstäbe, wenn es um Verhältnisse geht. Fragen Sie sich: Wer spinnt zukünftig mit wem und warum?
Was Sie heute tun, beeinflusst Ihre Zukunft. Wer Dinge aus Gewohnheit immer weiter tut, kann weder mit gutem Beispiel vorangehen noch neue Ideen und ihre Potenziale freisetzen.
4. Wecken Sie Neugier!
Kaum eine menschliche Eigenschaft hat in den Personalabteilungen in den letzten Jahren für mehr Wirbel gesorgt als die Neugier. Früher als eher nervtötender Wesenszug verschrien, während der ersten Wellen der Industrialisierung an den Fließbändern gar als unnütz eingestuft, setzen große Unternehmen wie Merck oder Porsche heute auf Neugier als Kernkompetenz, bauen organisationsweite Lernkulturen damit auf. Bei Neuanstellungen spielt Neugier wieder eine große Rolle, und bei der unternehmensinternen Weiterbildung wird sie unerlässlich.
Neugier treibt uns an, alles zu hinterfragen, kritisch zu sein, unsere Voreingenommenheiten zu reflektieren, unsere Annahmen zu prüfen und zu lernen, indem wir den Zusammenhang infrage stellen.
Paul Ashcroft, Simon Brown und Garrick Jones
Paul Ashcroft, Garrick Jones und Simon Brown (Brown ist Chief Learning Officer bei Novartis in der Schweiz), schreiben in The Curious Advantage, warum das so ist: Egal, ob Sie etwas Bestimmtes wissen oder größere Zusammenhänge kennenlernen wollen, die Bedeutung eines einzelnen Wortes erfahren, eine neue Sprache lernen oder in die Geschichte des Volkes eintauchen, das diese Sprache spricht – Neugier heißt erkunden, Fragen stellen, experimentieren. Von Neugier getrieben verknüpfen Menschen Ideen, Informationen und Wissen – und werden aktiv.
- Unternehmen profitieren von einer Kultur der Neugier und des geteilten Wissens.
- Führungskräfte müssen Neugier und Experimentierfreude fördern, ohne dabei zu sehr auf Erfolge zu schauen.
- Eine Kultur der Neugier bietet Mitarbeitenden Perspektiven – gerade in Zeiten der Automatisierung.
Neugier ist entgegen einer weitverbreiteten Meinung nicht angeboren. Man muss kein Künstler oder Genie sein, um sie einzusetzen. Neugier kann man lernen, jeder kann sie lernen. Und, so die Autoren, sie ist die Voraussetzung dafür, dass Kreativität erst entstehen kann. Egal ob es darum geht, Prozesse zu hinterfragen („Warum so? Warum nicht anders?“), Ihre Mitmenschen und Mitarbeitenden besser schätzen zu lernen („Sag, wie machst du das?“) oder Dinge in ein neues Licht, einen neuen Zusammenhang zu setzen („Was wäre, wenn …?“) – Neugier ist das Schmiermittel kreativer Zusammenarbeit und obendrein ein echter Motivator.
Im folgenden Artikel erfahren Sie, wie Sie Neugier wecken, ihren Wert vorleben und warum Ihnen das manches angesetzte Hütchenspiel im Unternehmen erspart, wenn die Leute ihren Wert verinnerlicht haben.
Um zum Schluss noch einmal Edison zu Wort kommen zu lassen: „Wenn wir alles täten, wozu wir imstande sind, würden wir uns wahrscheinlich in Erstaunen versetzen.“ Genau das ist Kreativität.