Ich pass mich an (soweit ich kann)!
Im Personalwesen ist eine Schlüsselqualifikation eine Qualifikation, mit der eine Person leichter und schneller Änderungen der Umweltzustände bewältigen kann. So beschreibt es Wikipedia. Etwas simpler könnte man auch sagen: Es sind Fähigkeiten, die sich als besonders geeignet erwiesen haben, um (proaktiv) mit Veränderungen umzugehen.
Zu den wohl wichtigsten Schlüsselqualifikationen der nahen Zukunft gehört – und da sind sich HR- und Wirtschaftsforscher einig – die Anpassungsfähigkeit. Carl Naughton schlägt vor, diese mittels Anpassungsfähigkeitsquotient – kurz: AQ – zu messen. Neben dem IQ und dem EQ entscheidet nun also die Höhe des AQ mit darüber, wie gut wir – vor allem beruflich – für die Zukunft aufgestellt sind. Die „Das haben wir immer so gemacht“-Fraktion kann also einpacken, und wenn Sie bisher dazugehörten, finden Sie in diesem Artikel alles Wissenswerte, um das schleunigst zu ändern.
1. Wie hoch ist mein AQ?
Um es ganz ehrlich vorweg zu sagen: Wissenschaftlich messen lässt sich die Anpassungsfähigkeit nicht. Will man herausfinden, wie anpassungsfähig jemand ist, nützt es laut der Start-up-Investorin Natalie Fratto aber, „Was, wenn …?“-Fragen zu stellen. Frattos Job ist es, zu entscheiden, ob ein Start-up eher Top oder Flop wird. Sie hat also einiges zu verlieren, wenn sie behauptet, auf diesem Wege am besten einschätzen zu können, welche der Kandidaten erfolgreich sein werden. Zu ihrem Fragenkatalog an aussichtsreiche Kandidaten gehören:
Was, wenn Ihre Haupteinnahmequelle über Nacht versiegt?
Natalie Fratto
Oder: „Was, wenn eine Hitzewelle all Ihre bisherigen Kunden davon abhält, Ihren Laden zu besuchen?“ Denn, so sagt sie selbst, nach dem „Was, wenn …?“ zu fragen statt zum Beispiel nach einer gemachten Ausbildung oder einer Erfahrung als Führungskraft, zwingt das Gehirn, sich konkrete Szenarien in der Zukunft vorzustellen. Und je nachdem, wie stark und wie zahlreich diese Zukunftsbilder sind, teilt Fratto die Kandidaten auf einer Skala ein und wägt sie gegeneinander ab.
Weiter versucht Fratto herauszufinden, wie gut sich die Unternehmenslenker, die bei ihr vorstellig werden, von Gelerntem auch wieder verabschieden und es durch neues Wissen ersetzen können. Und ob diese Personen einen ausgeprägten Entdeckergeist haben – oder eher den Status quo so lange wie möglich ausnutzen wollen. Wer sich für weitere nützliche Informationen zum Thema interessiert, ist bei den Kollegen vom Business Insider gut aufgehoben.
Wichtig ist: Wollen Sie den AQ von jemandem herausfinden oder Ihren eigenen ermitteln und wollen Sie ihn vergleichbar machen, müssen Sie sich Ihre eigene Skala zusammenzimmern – ein allgemein vergleichbares oder gar definiertes AQ-Messverfahren existiert nicht.
2. Wie lassen sich Veränderungen proaktiv gestalten?
In seinem Buch AQ – Warum Anpassungsfähigkeit die wichtigste Zukunftskompetenz schreibt Carl Naughton:
Das Anpassen der äußeren Umstände an die eigenen Bedürfnisse ist einer der stärksten Treiber unserer Arbeitszufriedenheit.
Seine Propaganda: sich aktiv anpassen und nicht einfach neuen Regeln oder äußeren Umständen unterwerfen. Offen sein für Veränderungen. Sie im besten Fall sogar mitgestalten. Denn aus der Krise heraus und unter Druck lassen sich zwar Dinge verändern – doch die Ergebnisse sind in der Regel einfach „besser als nichts“. Proaktiv zu sein bedeutet hingegen den eigenen Hintern in Bewegung setzen – und das am besten vor der Krise. Dazu braucht es neben Disziplin kreative Ideen und einen klaren Kopf. Der erste Schritt ist also: Betrachten Sie die Situation, so wie sie ist, und überlegen Sie sich, wie es anders und in Ihrem Sinne besser sein könnte.
Auch dabei hilft es, gewünschte Zustände zu visualisieren. Bilder sind stark und machen stark. Denn Ihr Hirn kann nicht eindeutig zwischen Vorstellungen und der Realität unterscheiden. Visualisieren ist eine effektive Methode zur Persönlichkeitsentwicklung, denn es hilft dabei, Ziele zu erreichen. Wenn Sie Veränderungen anstreben, stellen Sie sich das Ziel vor, das Sie erreichen wollen, und schauen Sie dann, wie es sich erreichen lässt. Oder um es bildlich zu sagen: Stellen Sie sich vor, wie Sie am Pool eines Fünfsternehotels an Ihrem Lieblingsurlaubsort liegen. Und dann fragen Sie sich, was es alles braucht, um dorthin zu kommen. Flug buchen, Koffer packen, administrative Dinge wie Pass checken. Urlaub einreichen beim Arbeitgeber. Jemanden finden, der auf den Hund aufpasst. Schreiben Sie alles auf, was es braucht, um Ihr Ziel, das Hotel, zu erreichen. Dann priorisieren Sie und machen Sie eine Liste, bis wann was erledigt werden soll und wo Sie vielleicht auch Unterstützung benötigen.
Große Veränderungen werden Sie nicht von jetzt auf gleich umsetzen können. Planen Sie sie Etappe, für Etappe, Schritt für Schritt.
Daneben gibt Naughton noch weitere Tipps, wie Sie lernen, sich besser anzupassen:
- Nehmen Sie Abschied von alten Wahrnehmungsmustern. Lernen Sie Ihr Denken, Fühlen und Handeln besser kennen und übernehmen Sie die Kontrolle darüber.
- Gehen Sie Problemen auf den Grund. Wechseln Sie Ihre Perspektive und öffnen Sie sich anderen Einstellungen. Halten Sie nicht verbissen an der eigenen Sichtweise fest.
- Schauen Sie optimistischer in die Zukunft. Versuchen Sie, immer die Chance zu erkennen, die eine schwierige Situation Ihnen eröffnet, auch wenn das Problem prominenter ist. Das braucht Training, zahlt sich aber aus.
- Etablieren Sie neue, effektive Gewohnheiten. Fragen Sie sich, was Ihren Alltag besser, einfacher, schöner, glücklicher, erfolgreicher machen könnte. Und dann eignen Sie sich entsprechende Fähigkeiten an.
- Reduzieren Sie Energiekiller und konzentrieren Sie sich auf Energiequellen. Schreiben Sie dazu eine Liste mit allen Tätigkeiten, die Sie an einem Tag ausführen. Markieren Sie diese mit einem Plus- oder einem Minuszeichen: Minus für Energiekiller, Plus für Energiequelle. Planen Sie Ihre Arbeit dann so, dass Sie möglichst viel Energie aus Ihren Tätigkeiten gewinnen.
Wer seinen (beruflichen) Alltag so gestaltet, wird stressresistenter und ist nicht gleich beim kleinsten negativen Ereignis frustriert. Wichtig ist auch, dass Sie sich Freiräume schaffen – das tun Sie übrigens auch, indem Sie diese Ihren Mitarbeitenden zugestehen.
Freiraum ist der Sauerstoff in der Lunge der Proaktivität.
Carl Naughton
Wenn Sie Ihren Mitarbeitenden die Chance geben, anpassungsfähiger zu werden, bleibt Ihr Team nicht nur zukunftsfähig, sondern ist auch produktiver – und das nicht selten langfristig.
3. Wie übernehme ich Verantwortung dafür, dass ich anpassungsfähiger werde und es auch bleibe?
Eine weitere Grundlage für einen hohen AQ ist die Fähigkeit, alte Dinge ad acta zu legen. Der berühmte Schlussstrich, den zu ziehen vielen von uns nicht unbedingt leichtfällt. Besonders wenn oder gerade weil wir emotional involviert sind. Marc Reklau rät in seinem Buch 30 Tage – Ändere deine Gewohnheiten, ändere dein Leben:
„Lasse dir nicht von der ganzen Welt sagen, wer du sein solltest.“
Beginnen Sie am besten damit, dass Sie mal schauen, was bei Ihnen Emotionen triggert: Warum sind Sie angefasst? Und warum fällt es Ihnen so schwer, einfach „Schluss, aus, basta“ zu sagen? Was sorgt dafür, dass Sie an dieser Gewohnheit, an diesem Menschen, dieser Situation oder an was auch immer festhalten? Stellen Sie sich – auch hier wieder proaktiv – Ihren Emotionen. Verdrängen hat auf Dauer noch nie wirklich gut funktioniert. Das wusste schon Herr Freud. Schreiben Sie die Dinge am besten auf. Manchen hilft es auch, sie laut auszusprechen. Wichtig ist auch hier, dass Ihr Ziel klar ist. In diesem Fall „Getting Things Done“.
Übernehmen Sie das Steuer in Ihrem Leben. Reklau erklärt, was das praktisch heißt:
- Hören Sie auf, sich in der Opferrolle zu sehen. Die Verantwortung dafür, wie Ihr Leben verläuft, liegt zu einem großen Teil in Ihrer Hand.
- Wenn Glaubenssätze aus Ihrer Kindheit Sie hemmen, sich Herausforderungen zu stellen, oder den Wunsch ausbremsen, gewisse Dinge endlich umzusetzen, setzen Sie sich mit ihnen auseinander. Woher kommen sie? Wie beeinflussen sie Sie? Und: Haben sie heute, in Ihrem aktuellen Leben, wirklich noch eine Daseinsberechtigung?
- Haben Sie keine Angst vor Ablehnung. Trennen Sie sich von allen Menschen, die Ihnen nicht guttun. Bei denen Sie also das Gefühl haben, nur zu geben oder konstant niedergemacht zu werden. Umgeben Sie sich mit Menschen, die Sie dabei unterstützen, Dinge in Ihrem Sinne zu verändern.
- Haushalten Sie mit Ihrer Zeit. Nutzen Sie die ersten 15 Minuten am Tag, um diesen zu planen, und die letzten 15 Minuten vor dem Schlafengehen, um den neuen Tag vorzubereiten. Tun Sie die Dinge, die (Ihnen) wichtig und für Ihren beruflichen und privaten Erfolg relevant sind.
- Stellen Sie sich Ängsten und Sorgen. Nicht allen, aber denen, die Sie beeinflussen können. Auch hier wieder: Sehen Sie sich nicht als Opfer, sondern begegnen Sie Problemen proaktiv. Beginnen Sie damit, dass Sie sich fragen, was Ihnen Angst macht und warum. Und schauen Sie dann, wie sich das ändern lässt. Auch hier hilft es, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
- Seien Sie freundlich – und zwar zu sich selbst. Genießen Sie Erfolge, erkennen Sie Ihre Stärken und Ihre Talente. Wertschätzen Sie andere, aber auch sich selbst. Und nutzen Sie Ihre Talente, um sich weiterzuentwickeln. Denn:
Wenn du die Welt verbessern willst, fange bei dir selber an!
Marc Reklau
All diese Dinge werden Ihnen dabei helfen, Neuem offen und interessiert zu begegnen.
4. Wie lerne ich Akzeptanz, um darauf aufbauende Veränderungen anzustreben?
Auch wenn er es „psychische Flexibilität“ nennt, meint Steven C. Hayes nichts anderes, als gut darin zu sein, sich anzupassen. Er fasst unter dem genannten Begriff ein Bündel an unterschiedlichen Fähigkeiten zusammen, die einem helfen, besonders in Krisen und schwierigen Situationen den Kopf über Wasser zu halten. Das Gute: Diese psychische Flexibilität lässt sich lernen. Sein Konzept dazu ist die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT).
- Hören Sie auf, Ihre Gedanken als objektive und echte Wahrheit zu betrachten.
- Betrachten Sie sich aus der Perspektive eines neutralen Beobachters. Sie sind mehr als das, was Sie selbst über sich erzählen. Oder auch denken. Stichwort: Fremd- und Eigenbild.
- Akzeptieren Sie Ihre Gefühle. Weichen Sie ihnen nicht aus, unterdrücken Sie sie nicht. Lassen Sie sich darauf ein, aber immer bewusst und kontrolliert.
- Seien Sie in der Gegenwart zu Hause. Grübeln Sie weniger über das, was kommt, und erst recht nicht über die Dinge, die waren. Leben Sie im Jetzt.
- Legen Sie selbst Ihren Weg fest. Regeln zu gesellschaftskonformem Verhalten sind okay und wichtig, aber nicht in Gänze das Nonplusultra. Zwingen Sie sich nicht selbst in ein Korsett, das Ihnen die Luft zum Atmen nimmt.
- Lernen Sie, nach Ihren eigenen Werten zu leben, und entwickeln Sie entsprechende Gewohnheiten.
Der Name Akzeptanz- und Commitment-Therapie sagt schon viel darüber aus, was damit erreicht werden soll: Erst einmal akzeptieren, wer man ist, um darauf aufbauend ein Commitment zu treffen, wohin man sich verändern will.
5. Warum sollte ich mich nicht nur mit Gleichgesinnten austauschen?
Anpassungsfähigkeit lässt sich vor allem im Austausch mit anderen lernen. Am besten ist eine respektvolle, aber echte Diskussion, in der unterschiedliche Meinungen vertreten sind. Das unterstützt Sie auf der einen Seite dabei, sich Ihres eigenen Standpunkts noch einmal ganz bewusst zu werden. Auf der anderen Seite zeigen die Meinungen der anderen Ihnen jedoch auch andere Wege, Werte und mögliche Interpretationen auf. Finden Sie gemeinsam in einem konstruktiven Austausch heraus, was es wirklich in der jeweiligen Situation für die Zukunft braucht. An welchen Punkten (geistige) Flexibilität zukünftig und auch aktuell wichtig ist.
Die Fähigkeit, konstruktiv zu streiten, macht uns nicht nur zivilisierter; sie fördert auch die Entwicklung unserer kreativen Muskeln.
Adam Grant
Ein Leitfaden für konstruktive Debatten:
- Suchen Sie bewusst den Austausch mit Menschen, die anderer Meinung sind, über Fachwissen in Bereichen verfügen, über die Sie weniger wissen, und die auch bereit sind, für ihre Sicht der Dinge einzustehen.
- Sehen Sie einen Konflikt als Chance, zu einer Lösung eines Problems zu kommen.
- Eine gute Debatte ist die, in der sich alle Beteiligten persönlich und emotional im Griff haben. Ansonsten eskaliert es schnell zu einem Streit.
- Machen Sie mit einer Einstiegsfrage wie „Können wir debattieren?“ klar, dass Sie an einer echten Diskussion interessiert sind. Der andere sollte von Beginn an verstehen, dass es Ihnen nicht ums Rechthaben geht.
- Meiden Sie den reinen Konfrontationskurs. Das erzeugt auf der anderen Seite in aller Regel automatisch Widerstand.
- Fokussieren Sie sich auf einige wenige Fakten und Argumente. Legen Sie vorher für sich fest, welche stark und überzeugend sind. Den Rest lassen Sie außen vor.
Fazit
Grundsätzlich ist der Mensch von Natur aus ein anpassungsfähiges Wesen – war er schon immer. Doch sich bewusst darin zu üben, mit Blick auf die Zukunft die eigene Flexibilität auszubauen, ist wichtig. Sich die eine oder andere Sache der hier aufgeschriebenen Ratschläge zu Herzen zu nehmen, kann bestimmt nicht schaden und ist bestenfalls ein Schlüssel für nachhaltigen Erfolg – im privaten, aber vor allem auch im beruflichen Leben.