„Die Aussicht auf Führungsverantwortung ist heute kein echter Motivator mehr.“
Herr Maas, die Generation junger Nachwuchskräfte, geboren ca. zwischen 1995 und 2010, wird neben GenZ auch Generation Greta, Generation Snowflake, Generation Zero, Generation Zombie, Generation Azubi und Digital Natives 2.0. genannt. Was hat diese Begriffsinflation zu bedeuten?
Rüdiger Maas: Ich glaube, es hat auch viel mit Profilierungssucht zu tun, wenn da alle paar Monate jemand eine neue Generation ausruft. Die meisten selbst ernannten Generation-Z-Versteher oder Jugendforscher setzen sich aber gar nicht wissenschaftlich mit der Generationenforschung auseinander. Das Problem: Mit jedem dieser Begriffe geht auch eine neue Stigmatisierung einher. Die Amerikaner verstehen unter Generation Snowflake beispielsweise eine Jugend, die angeblich furchtbar zerbrechlich und empfindlich sei. Viele verwechseln aber altersbedingte Momentaufnahmen mit den Eigenschaften ganzer Generationen – und betrachten sie losgelöst von ihren Vorgängergenerationen. All das ist wenig seriös.
Worin unterscheidet sich denn diese Generation von den Vorgängergenerationen?
Es gibt in Deutschland schon mal 4,6 Millionen weniger von ihnen als von der Alterskohorte ihrer Eltern, der sogenannten Generation X. Außerdem sind sie aufgewachsen in einer Welt, in der ein Leben ohne Internet und Smartphone gar nicht mehr vorstellbar ist. Die meisten anderen Dinge interpretieren wir in diese Generation hinein – etwa, dass sie deutlich stärker von apokalyptischen Ängsten geprägt oder besonders umweltbewegt sei. Tatsächlich engagieren sich für Fridays for Future nur 15 Prozent der Gymnasiasten. Die anderen 85 Prozent werden meist ausgeblendet. Und selbst wenn unser Bauchgefühl etwas anderes sagt: Die Welt ist heute deutlich weniger grausam, dafür wohlhabender und lebenswerter als früher.
Wirklich? Mir ist vor Kurzem aufgefallen, dass ich 15 war, als der Eiserne Vorhang in Europa fiel – und unsere ältere Tochter nur ein Jahr älter, als er wieder hochgezogen wurde.
Also der Ukraine-Konflikt bedeutet ja nicht automatisch, dass der Eiserne Vorhang wieder hochgezogen wird! Es gab auch in unserer Jugend unfassbar viele Konflikte. Wir sorgten uns über das Ozonloch, den sauren Regen, dann kam Tschernobyl, später der Jugoslawienkrieg. Was sich verändert hat, ist der Blick auf diese Dinge: Wir haben heute eine verunsicherte Elterngeneration, die sich permanent um ihre Kinder sorgt und die nicht mehr loslassen kann. Diese Ängste färben auf die jungen Menschen ab.
Generation Z für Personaler und Führungskräfte
Carl Hanser VerlagUnd die Personalverantwortlichen, die Zler rekrutieren und in ihrem Unternehmen halten möchten? Worauf sollten sie achten?
In einer unserer Studien mit über 4.000 Jugendlichen in der Bundesrepublik äußerten 88,5 Prozent der Befragten an erster Stelle den Wunsch nach einem angenehmen Arbeitsklima. Der Tenor ging in die Richtung: Das Unternehmen soll sich mir anpassen, nicht ich mich dem Unternehmen, und wenn es mir nicht gefällt, dann gehe ich eben zum nächsten; schließlich gibt es genug. An zweiter Stelle stand eine interessante Tätigkeit und an dritter Sicherheit im Beruf. Fest steht: Diese Generation ist in einer Welt schier endloser Optionen aufgewachsen. Im Schnitt brauchen Jugendliche heute 20 Minuten, um zu entscheiden, welchen Film sie bei Netflix anschauen wollen. Dahinter steht der Drang, das absolut Beste aus ihrer begrenzten Zeit herauszuholen.
Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem Buffet, und es gibt nur Ihr Lieblingsessen. Egal wie voll Sie sich den Teller machen, Sie fühlen sich nicht gut dabei, weil Sie fürchten, etwas noch Besseres zu verpassen.
Rüdiger Maas
Und Sie sehen darin ein Problem?
Es führt auf jeden Fall dazu, dass viele Ältere sagen, die Jüngeren seien nicht mehr verbindlich. Das sehen Angehörige der Generation Z natürlich ganz anders: Sie empfinden es als ineffizient, im Lichte neuer Optionen alte Vorgaben einzuhalten. Wenn sie am Montag etwas für Freitag zusagen, aber sich am Donnerstag eine neue Möglichkeit ergibt, dann ist es für sie völlig normal, diese wahrzunehmen und die vorherige Vereinbarung aufzukündigen. Zler sind ja ihr Leben lang darauf getrimmt worden, immer das Maximale herauszuholen.
Aber wie soll man als Arbeitgeber damit umgehen?
Also zunächst einmal kommen da Nachwuchskräfte, die in vielen Bereichen sehr gut ausgebildet sind. Es wäre schade, wenn wir dieses Potenzial nicht nutzten. Sie sollten nur viel vorsichtiger mit ihnen umgehen. Einerseits behutsamer mit Kritik und Rückmeldungen sein und andererseits zum Beispiel bei der Einarbeitung feste Strukturen schaffen und zeitliche Vorgaben machen. Was früher vielleicht zwei, drei Wochen dauerte, dafür brauchen Sie heute vier oder fünf Monate. Aber diese Zeit müssen Sie investieren.
Was können Führungskräfte konkret tun, damit Zler mehr Verantwortung übernehmen?
Das ist tatsächlich ein Problem: Anders als in früheren Generationen ist die Aussicht auf Führungsverantwortung heute kein echter Motivator mehr. Zler übernehmen gerne Verantwortung für etwas, was sie gut können. Schwierig wird es, wenn es etwas Neues ist, das sie frustriert. Da gehen die lieber, bevor sie das machen. Es fällt ihnen außerdem schwerer, sich Dinge von anderen abzuschauen. Ich hatte zum Beispiel eine Praktikantin, der ich auftrug, etwas zu kopieren – bis sich herausstellte, dass sie nicht wusste, wie das geht. Ihre Ausrede war, sie hätten daheim keinen Kopierer, also woher sollte sie das auch können? Alle Vorgängergenerationen haben sich einen solchen Vorgang einfach von sich aus abgeschaut. Für Arbeitgeber bedeutet das:
Sie müssen sehr viel mehr zeigen und demonstrieren, nachmachen lassen und Neuankömmlinge Schritt für Schritt an bestimmte Aufgaben heranführen.
Rüdiger Maas
Die Geschichte hatte übrigens noch ein Nachspiel: Eine Stunde später kam unsere Praktikantin zu mir und meinte, dass das gar nicht der beste Kopierer sei. Sie habe im Internet recherchiert und gesehen, dass das Gerät ja nur vier von fünf Sternen hat.
Gibt es noch andere Fähigkeiten, die GenZler sich im Job aneignen müssen?
Auf jeden Fall fällt es jugendlichen Nachwuchskräften schwerer, Menschen anzusprechen oder anzurufen, die sie nicht kennen – viele Leute im Vertrieb verzweifeln daran. Eltern sagen mir: „Ja, ja, ich weiß schon, wenn man bei meinem Sohn die Telefonierfunktion deaktivieren würde, das würde er erst nach drei Tagen merken.“ Und dann sage ich immer: „Nein, das würde er nach zwei Stunden merken, wenn Sie nämlich nicht mehr anrufen.“ Wir dürfen uns als Vorgängergeneration nicht rausnehmen aus dem Ganzen – viele dieser Verhaltensweisen sind eine direkte Folge der Umstände, die wir geschaffen haben.
Sie schreiben außerdem, dass Zler kaum noch versuchen, sich von ihren Eltern abzugrenzen, Stichwort „back to Biedermeier“. Warum sehen Sie das als Problem?
Wenn Eltern immer alles toll finden, was die Kinder machen, dann fehlen diesen die Vorbilder. Sie müssen sich das so vorstellen: Sobald jemand ein Fan von Ihnen ist, dann sind Sie in der Regel nicht zwangsläufig ein Fan von dieser Person, oder? Viele Eltern sagen mir in Interviews, dass sie traurig seien, wenn ihre Kinder Geheimnisse hätten oder beste Freunde und Hobbys, von denen sie ihnen nichts verrieten. Es gibt heute einfach nicht mehr so viele Rückzugsräume für junge Menschen.
Aber was bedeutet das für Unternehmen?
Unternehmern und Personalverantwortlichen muss klar sein, dass die Eltern der jungen Nachwuchskräfte buchstäblich mit am Tisch sitzen. Sie entscheiden mit, ob ihre Kinder einen Job annehmen, ob sie bleiben oder zur Konkurrenz wechseln. Mir haben Führungskräfte aus einem großen Unternehmen erzählt, dass Eltern an Mitarbeitergesprächen teilnehmen und Kritik an ihrem Nachwuchs damit kontern, dass sie die eigenen Kinder ganz anders sähen als deren Vorgesetzte. Außerdem rufen uns Mitarbeitende von Universitäten an und fragen, wie sie die vielen Mamas und Papas aus den Hörsälen herausbekämen. Wir haben Eltern zu diesem Thema befragt. Da heißt es dann: „Also mein Sohn war gestern feiern. Er konnte wirklich nicht in die Vorlesung. Also gehe ich für ihn dahin.“
Sie arbeiten in Ihrem Institut für Generationenforschung in einem klassischen Mehrgenerationenteam: ein Boomer, mehrere XYZ. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Wir beschäftigen uns ja jeden Tag mit Generationenfragen und haben deshalb eine Art Metablick auf das Thema. Die jungen Mitarbeitenden finden es zum Teil lustig, wie sie gesehen werden, sind teilweise aber auch schockiert und sagen selber „Ja, so sind wir halt.“ Umgekehrt erklären sie uns Älteren zu Recht, dass bestimmte Dinge nicht mehr zeitgemäß sind.
Manche Eigenarten muss man als Arbeitgeber auch schlicht akzeptieren. Wenn beispielsweise ein Projekt noch nicht fertig ist, dann machen die jungen Mitarbeitenden um Punkt 17 Uhr Feierabend, während die Älteren auch mal bis 19 Uhr weiterarbeiten.
Rüdiger Maas
Für Letztere ist es okay, in einer informellen Mittagspause über die Arbeit zu sprechen. Zler trennen dagegen viel schärfer zwischen Arbeit und Freizeit.
Fällt Ihnen abschließend etwas ein, warum wir mit Blick auf die Generationen Z und Alpha dennoch optimistisch in die Zukunft schauen sollten?
Natürlich! Junge Menschen denken heute viel liberaler und globaler. Sie engagieren sich für Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung und gegen die Ausgrenzung von Minderheiten. All das ist super, es hilft uns, als Gesellschaft endlich im 21. Jahrhundert anzukommen. Wir müssen nur aufpassen, dass wir mit der wachsenden Liberalisierung auch weiterhin eine gesunde Debattenkultur pflegen. Wir sollten die Meinung Andersdenkender zumindest anhören, um so gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.
Über den Autor
Rüdiger Maas ist Psychologe und arbeitet als Unternehmensberater und Generationenforscher. Neben Generation Z für Personaler und Führungskräfte hat er unter anderem folgende Bücher geschrieben: Generation lebensunfähig – Wie unsere Kinder um ihre Zukunft gebracht werden und Cyberpsychologie in der Arbeitswelt – Was Führungskräfte über die Auswirkungen des Internetkonsums wissen müssen.