„Viele haben sich noch nie wirklich damit auseinandergesetzt, was New Work ganz konkret für die eigene Position bedeutet.“
Frau Busch-Holfelder, die Zukunft der Arbeit steht ganz im Zeichen der digitalen Transformation, und die wirkt – gerade auf ältere Generationen – oft bedrohlich. Was würden Sie diesen Menschen sagen?
Katrin Busch-Holfelder: Ich würde Ihnen sagen, dass die digitale Transformation und die Digitalisierung sicher Veränderung bedeuten, aber gleichzeitig auch eine Chance sind. Schauen wir auf die letzten eineinhalb Jahre zurück. Sie haben gezeigt, dass viele Menschen im Bereich Digital mehr können, als sie vorher angenommen haben. Remote-Arbeit, digitale Lerninhalte, Videocalls – plötzlich musste man sich, auch wenn man vielleicht schon ein wenig „älter“ war, damit auseinandersetzen und stellte fest: Geht doch. Und das sollte der Weg sein: sich mit den Dingen auseinandersetzen, vielleicht auch eine Fortbildung besuchen, sich Begrifflichkeiten wie „künstliche Intelligenz“ oder auch „digitale Transformation“ selbst erschließen oder erklären lassen. Das allein nimmt dem Ganzen schon den Schrecken. Viele verbinden mit der neuen Arbeitswelt den Verlust des Arbeitsplatzes oder gravierende Veränderungen, haben sich aber noch nie wirklich damit auseinandergesetzt, was das alles ganz konkret für die eigene Position bedeutet. Wo wird der eigene Job digitalisiert? Wie wird er sich verändern? Und was braucht es von meiner Seite, um hier gut aufgestellt zu sein? Das sind die Fragen, die wichtig sind. Und die Antworten darauf dürfen ruhig kreativ sein.
Um aus Ihrem Buch zu zitieren: Kreativität braucht einen stressfreien Raum. Wie finde ich denn diesen, wenn sich gefühlt alles schneller dreht?
Um einen stressfreien Raum für Kreativität zu schaffen, muss ich Freiräume herbeiführen – auch bei einem vollen Terminkalender. Das hat sehr viel mit Disziplin zu tun, und das ist ja erst einmal das Gegenstück von Kreativität. Doch ich muss es einfach schaffen, mich eigenständig mal rauszunehmen und zu sagen: Jetzt bin ich zwei, drei Stunden nicht erreichbar. Ich bin nicht da und das auch physisch nicht. Wechseln Sie den Raum, gehen Sie in die Natur. Seien Sie nicht erreichbar – auch per Handy nicht, der Rückruf reicht meistens vollkommen aus. Und auch so: Lassen Sie Luft rein, öffnen Sie sich. Tauschen Sie sich beispielsweise verstärkt mit Kollegen anderer Abteilungen aus. Da sie nicht so tief in der Materie stecken, werden Sie Ihnen eventuell ganz neue Perspektiven aufzeigen können. Das ist sicher etwas unkonventionell, aber sehr produktiv.
Wenn mir das nun aber alles nichts hilft und ich mich einfach nicht mehr wohl an meinem Arbeitsplatz fühle – was kann ich in diesem Fall tun? Vor allem, wenn es da finanzielle Verpflichtungen gibt oder ich einfach auch schon etwas „in die Jahre gekommen bin“?
Dann ist es sicher besser zu bleiben (lacht). Nein, im Ernst. Veränderungen sind immer möglich, dafür brauchen Sie nicht gleich die Abteilung, den Arbeitsplatz, den Arbeitgeber wechseln. Wichtig ist, dass Sie sich zuerst einmal ganz bewusst damit auseinandersetzen, was Sie wollen und was Sie brauchen. Was können Sie? Und wo können Sie mit diesen Stärken in Ihrer aktuellen Position erfolgreich sein? Und wenn Sie feststellen, dass es vielleicht an der einen oder anderen Stelle – wie beispielsweise mit Blick auf die Digitalisierung – ein Defizit gibt, dann fragen Sie sich, was Sie dagegen tun oder wie Sie sich weiterbilden können. Wer kann Sie eventuell unterstützen? Verlassen Sie Ihre Habachtstellung, werden Sie aktiv. Ein Arbeitgeberwechsel ist hier auch eine Option, muss es aber nicht sein. Sehen Sie die Chance, die in der Veränderung liegt, werden Sie Teil des Wandels, bringen Sie sich ein.
Diese offene und nach vorn gerichtete Auseinandersetzung mit der eigenen Situation hilft, das Unwohlsein oder die Angst zu verringern, die man an seinem Arbeitsplatz oder um seinen Arbeitsplatz hat.
Katrin Busch-Holfelder
Und wie ich eben schon sagte: Seien Sie offen. Schauen Sie sich um. Gehen Sie zum Beispiel einfach mal zwei Tage bei einem Start-up „schnuppern“. Fragen Sie, ob das möglich ist, kostet nichts! Sie müssen Gestalterin, Gestalter Ihres eigenen Lebens und damit auch Ihrer Arbeitswelt sein. Da kommen Sie nicht drum rum. Ebenso werden Sie sich mit digitalen Prozessen auseinandersetzen müssen. Und je mehr wir uns auf kreative Lösungsfindung und uns als Mensch besinnen, auf unsere Kommunikationskompetenzen, auf agiles Arbeiten, auf eine andere Art von Kundenorientierung fokussieren, umso besser werden wir damit zurechtkommen. Und dazu muss man raus aus der Komfort- und rein in die Lernzone.
Und das ist unbequem, kann sogar schmerzhaft sein … Wie gehe ich es richtig an?
Veränderungen sind nicht smart. In dem Moment, wo ich Neues lerne, ist das erst mal unangenehm. Doch sobald der erste Schritt getan ist, wird es besser. Dann folgt der zweite, es wird wieder ein bisschen unangenehm. Aber auch dann wird es besser. Jeder kleine Schritt, jede kleine Etappe bringt einen weiter. Berufliche Entwicklung oder nennen wir es Karriere ist dynamisch. Es geht um den Weg, um Ziele, die Sie sich selbst setzen, und weniger um das Ziel „Höher, schneller, weiter“. Es geht zunehmend um Sinnerfüllung. Hier hat sich in den letzten Jahren sehr viel verändert.
Sie sprechen es an: „Karriere“ und „Erfolg“ werden in Wirtschaftsbüchern gern benutzt, ändern aber mitunter ihre gesellschaftliche und ihre individuelle Bedeutung – wie würden Sie sie aktuell definieren?
Karriere ist für mich eine Entwicklung, es geht immer um einen Weg, den man einschlägt. Und Erfolg heißt für mich, dass man sich kontinuierlich weiterentwickelt, sich persönliche Etappenziele setzt und hinterher reflektiert, ob und wie man sie erreicht hat. Das ist sehr unterschiedlich und individuell. Für den einen ist Erfolg monetär zu beziffern, für den anderen ist es Lob und Anerkennung, für den dritten ist es, wenn er seiner eigenen Leidenschaft nachgehen kann. Und man darf die eigenen Ziele auch wieder verwerfen. Wichtig ist, sich dann neue Ziele zu setzen und den eigenen Weg zu finden.
Ich frage noch einmal andersherum: Würden Sie sagen, dass Sie erfolgreich sind und Karriere gemacht haben?
Ich würde auf jeden Fall meinen Weg so weitergehen, wie ich es bislang getan habe. Ich habe schon einige Etappen geschafft und auch vielfältige Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Bereichen gesammelt, auch solche, die ich eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Und die sich auch erst im Nachhinein erklären. Sie kennen sicher diesen Spruch „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“. Und so ist es auch oft mit Erfolg und Karriere. Man sieht erst hinterher, wofür bestimmte Schritte notwendig waren und dass die einem ganz andere Türen geöffnet und Möglichkeitsräume geschaffen haben, als einem zuvor bewusst war. Aber: Bewegen müssen Sie sich! Auch aus der Komfortzone heraus.
Wir sprachen schon von der Komfort- und der Lernzone. Sie schreiben in Ihrem Buch zudem noch über die Panikzone. Was zeichnet die jeweiligen Zonen aus und wie sind sie miteinander verknüpft?
Jeder von uns hat seinen Rahmen, in dem er sich sehr sicher fühlt. Das ist die Komfortzone. Man ist die Dinge gewohnt, kennt sich aus, hier hat man eine gewisse Routine. Wenn ich diese Zone aber verlasse, betrete ich die Lernzone. Wenn ich das mit kleinen, sanften, vorsichtigen Schritten tue, fühlt sich das auch gar nicht so schlimm an. Vielleicht hakt es an der einen oder anderen Stelle, es ist ein bisschen ungemütlich, aber es ist aushaltbar.
Betrete ich jedoch die Lernzone nicht, kann es passieren, dass in Zeiten mit vielen Veränderungen der Druck so groß wird, dass ich gar nicht weiß, wie ich mich anpassen kann. Und dann stecke ich in der Panikzone fest.
Katrin Busch-Holfelder
Und Panik bedeutet hier mitunter Stillstand, dann verfalle ich in eine Schockstarre – ich kann mich nicht mehr bewegen. Und genau deshalb ist es wichtig, Schritt für Schritt immer mal wieder raus aus der Komfort- in die Lernzone zu gehen. Sich zu fragen: Wo kann ich Neues lernen? Was will ich Neues lernen? Wir müssen neue Verhaltensweisen lernen und offen sein für Veränderungen, denn Letztere finden auch ohne uns statt – sie verschwinden nicht, weil wir uns wegducken.
Man muss flexibel sein – oder bleiben. Aber das ist für viele leichter gesagt als getan.
Carol Dweck hat es mit dem „Growth Mindset“ auf den Punkt gebracht. Glaube ich daran, dass Fähigkeiten ein Leben lang entwickelbar sind? Suche ich aktiv nach Herausforderungen, um etwas besser zu verstehen und um dazuzulernen? Mit dieser Einstellung ist auch der Umgang mit Wandel leichter. Zudem geht es darum, mit Fehlern umgehen zu können, einen Zugang zu Fehlern zu haben, der darauf basiert, dass man sie nicht für schlecht hält und deshalb vermeiden will. Fehler sind nicht das gefürchtete Rot-Angestrichene aus der Matheklausur, ein menschlicher Makel, sondern sie sind eine Chance für Wachstum. „Was, wenn wir es einfach mal anders machen?!“ Flexibilität hat damit zu tun, neugierig und offen mit Dingen umzugehen und Feedback von außen offen gegenüberzustehen. Fühle ich mich angegriffen, wenn jemand sich kritisch äußert? Oder gehe ich in den Dialog, um zu schauen, was ich nun anders machen kann? Dinge zum Besseren beeinflussen wollen – diese Einstellung macht flexibles Handeln erst möglich. Und dazu gehört auch, dass ich mir Hilfe und Unterstützung suche, wenn ich es nicht allein schaffe.
Das gilt auch für Führungskräfte. Da sie aber die erste Adresse für Mitarbeiter sind, die Orientierung suchen, müssen sie noch mehr können, oder?
Führungskräfte müssen vor allem interessiert sein. Und zwar wirklich interessiert – an ihrem Team, ihren Mitarbeitern. Nur so werden sie deren Kompetenzen und Stärken wirklich erkennen und diese im Unternehmen passgenau einsetzen können. Parallel müssen sie ein gutes Gespür haben und die vorhandenen Stärken stärken, erweitern und auch einsetzen und dort fördern, wo Potenziale brachliegen. Und natürlich: Jede Führungskraft braucht heute eine digitale Basiskompetenz. Die digitale Transformation kann niemand mehr ausblenden. Eine erfolgreiche Führungskraft schafft es, die Menschen und die Dinge zusammenzuführen – auch dort, wo bis vor Kurzem noch gar keine Verbindung existierte. Auch das ist Kreativität.
Was kann ich denn tun, wenn ich total in meinen eingefahrenen Denkmustern gefangen bin? Kann ich da überhaupt „flexibler werden“?
Wenn Sie bereits erkannt haben, dass Sie sich da in etwas verrannt haben oder in etwas feststecken, ist der erste wichtige Schritt getan. Sie fangen an, sich mit Ihrer Situation auseinanderzusetzen. Und wenn Sie sich dann noch in einem Umfeld bewegen, in dem eine gewisse Fehlerkultur gelebt und Weiterentwicklung gefördert werden, dann haben Sie gute Chancen.
Welchen Zeithorizont muss ich einplanen?
Selbst bei selbstkritischer Einsicht und optimalem Umfeld werden Sie nicht innerhalb von Tagen oder Wochen „flexibel“. Diese Strukturen, die wir da in unseren Köpfen haben, haben ganz viel mit Prägung und Erziehung zu tun. Und damit auch mit den uns vorgelebten Denkmustern, die häufig einer anderen Generation entstammen. Das können Sie nicht einfach auslöschen – aber Sie können es „bewusst verlernen“.
Wie sieht das im Idealfall aus?
Ich sehe immer wieder, dass Menschen beim Lernen von einem Automatismus ausgehen: Wenn ich etwas Neues lerne, werde ich das Alte schon vergessen. Das ist aber ein Trugschluss. Um alte Verhaltensweisen abzulegen, muss ich sie beim Namen nennen. Hier braucht es die Kompetenz zur Selbstreflexion. Wenn ich weiß, wie ich ticke, kann ich mein Handeln viel bewusster steuern. Dann können Sie „Stopp“ sagen, wenn Sie wieder in alte Verhaltensmuster abdriften – und bewusst mal etwas Neues ausprobieren. Dem Neuen müssen Sie Raum und Zeit geben. Und die neuen Muster wie einen Muskel trainieren. Immer wieder und wieder. Viele wünschen sich gute Veränderungen im Schnelldurchgang – aber die gibt es leider nicht.
Menschen streben danach, zunächst einmal ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Das sei, so sagen Sie, die Grundlage für individuellen Erfolg …
Wenn wir von den Grundbedürfnissen reden, sprechen wir von Autonomie, Selbstwirksamkeit und der Verbindung zu anderen Menschen. Besonders Letzteres – also Beziehungen – ist enorm wichtig, auch und besonders am Arbeitsplatz. Fühle ich mich aufgehoben und komme ich gut mit den Kollegen aus? Wenn ich beides mit einem Ja beantworten kann, dann ist es auch leichter, Neues zu lernen, denn die Angst vor Fehlern ist geringer. Und auch hier sind wieder die Führungskräfte gefragt: Schauen Sie den Mitarbeitern in die Augen! Fühlen die sich wohl? Fühlen sie sich sicher? Und betrachten Sie das Team: Wie ist die Atmosphäre?
Es braucht keine überzogene Harmonie, es braucht aber Zufriedenheit, innere Ruhe und ein echtes Miteinander.
Katrin Busch-Holfelder
Denn dann kann und wird auch jeder Einzelne sein Bestes geben. Und damit sind wir bei der Selbstwirksamkeit. Gemeint ist damit: sich der eigenen Kompetenzen im Kontext der Arbeit bewusst zu werden und diese wirksam einbringen zu können. Sich als Teil des Ganzen erleben. Zu sehen und auch zu fühlen, dass man mit dem eigenen Tun etwas Gutes bewirkt. Wer das auf Dauer nicht tut, nicht kann, weil es ihr oder ihm schwierig gemacht wird, der wird immer weniger Einsatz zeigen. Man stumpft ab, traut sich nichts mehr zu und zieht sich zurück.
Autonomie klingt gut, aber wenn ich Ihnen hier so zuhöre, hat das mitunter auch etwas Einsames, das zum Einigeln führen kann – gerade in unserer „hybriden Arbeitswelt“.
Das Bedürfnis nach Autonomie ist sehr individuell. Es gibt Menschen, die brauchen unheimlich viel Freiraum, auch einen kreativen Schaffensraum, dann finden die immer ihre eigenen Lösungen. Leitplanken an Anweisungen reichen für sie, alles andere engt sie ein. Sie finden den Weg zum Ziel auf ihre eigene Art und Weise. Und dann gibt es diejenigen, die ganz, ganz klare Strukturen und Schubladen und demnach weniger Entscheidungsfreiräume brauchen. Einsamkeit entsteht , wenn ich eigentlich lieber im Team Lösungen finde und plötzlich allein vor Aufgaben stehe. In anderen Fällen kann es beim Draufschauen so aussehen, dass sich jemand einsam fühlt. Doch in Wahrheit arbeitet er gerne allein, liebt es, allein zu sein. Dann sollte das respektiert, aber gleichzeitig auch sichergestellt werden, dass er die An- und Verbindung nach außen nicht verliert. Aber: Das müssen Sie als Führungskraft in einer hybriden Arbeitswelt herausfinden. Die Krux: Oft wissen die Leute selbst nicht, wie viel Autonomie sie benötigen. Dann braucht es ein Gespräch oder auch mehrere Gespräche, um das aufzudröseln: Sind alle Grundbedürfnisse gedeckt? Oder gibt es Verbesserungspotenzial? Bin ich eher ein beziehungsorientierter Mensch oder arbeite ich lieber allein? Weiß ich, was mein Anteil am großen Ganzen ist? So kann es klappen.
Über die Autorin:
Katrin Busch-Holfelder ist Autorin, Keynote-Speakerin und Businesscoachin.