Job Crafting: Schraub an deinem Arbeitsplatz!
„Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ – Pippi Langstrumpf wusste, mit welcher Lebenseinstellung sie besonders viel erreichen und zudem noch Spaß haben konnte. Und es wäre sicher interessant herauszufinden, ob eine „erwachsene“ Pippi diesem Prinzip treu geblieben wäre. Denn Tatsache ist, dass wir mit zunehmendem Alter und wachsender Verantwortung immer öfter den Kompromiss oder das Motto „Augen zu und durch“ wählen. Gerade wenn es um den eigenen Job geht, sind viele Arbeitnehmende bereit, die Freude am eigenen Tun hintenanzustellen. Dinge wie finanzielle Absicherung oder Image haben mehr Gewicht als dass man macht, was man am besten kann. Und am besten machen möchte.
Job Crafting als Gegenbewegung
Das Thema „Fachkräftemangel“ ist derzeit in aller Munde. Und aufmerksame Unternehmen wissen natürlich um den Wert ihrer Angestellten: Sie versuchen ihre besten Leute im Unternehmen zu halten, und bedienen sich dabei verschiedener Werkzeuge. Besonders effektiv ist hier „Job Crafting“, das Prinzip, die Mitarbeitenden eigenverantwortlich ihre Arbeitsrolle – fussend auf Stärken, Leidenschaften und Werten – anpassen zu lassen. Das sorgt nachweislich für bessere Laune bei der Arbeit, größere Motivation und hält gesund. Laut einer Studie schätzen Mitarbeitende, die viel Job Crafting betreiben, ihre Gesundheit 11 Prozent höher ein als ihre Kolleginnen und Kollegen, die sich einfach „in ihr Schicksal fügen“.
Eure Arbeitsrollen sind nicht in Stein gemeißelt, schnitzt sie euch zurecht, lautet die Botschaft, die im Unternehmen offensiv verbreitet werden sollte.
Sybille Kallwitz
Job Crafting ist ein von den Arbeitnehmern selbst gesteuerter Prozess, der die eigene intrinsische Arbeitsmotivation erhöhen soll. Wichtig: Die Personalabteilung kann dabei keinen Mitarbeiter daran hindern, seine Rolle zu modifizieren. Führungskräfte sollten jedoch eingreifen, wenn Mitarbeitende Werte und Ziele verfolgen, die der Unternehmensstrategie widersprechen. Ebenso müssen sie unter Umständen handeln, wenn Mitarbeitende zu viele zusätzliche Aufgaben übernehmen und nicht mehr in der Lage sind, ihre grundlegenden Aufgaben zu erfüllen – oder aufgrund von Überlastung einen Burn-out riskieren.
Von welchem Leben haben Sie geträumt?
Harvard Business ManagerMitarbeitende, die sich auf Job Crafting einlassen, zeigen Fähigkeiten und Eigenschaften, die in der Wirtschaft von morgen geschätzt werden: Eigenverantwortung, Flexibilität, Agilität und kritisches Denken. Wenn Sie also Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin sind, kann die Beschäftigung mit Job Crafting dazu beitragen, Ihre Karriere zukunftssicher zu machen. Und wenn Sie ein Arbeitgeber, eine Arbeitgeberin sind, denken Sie daran: Wer seinen Job gut macht und erfolgreich ist, der bleibt in aller Regel auch an Bord.
Die drei Dimensionen des Job Craftings
Veränderungen durch Job Crafting können verschiedene Aspekte der Arbeit betreffen:
- Anpassung der Arbeitsaufgaben (Task Crafting): Mitarbeitende können die Möglichkeit erhalten, bestimmte Aspekte ihrer Arbeitsaufgaben anzupassen oder neu zu gestalten. Zum Beispiel könnte jemand, der ein besonderes Interesse an Datenanalyse hat, mehr Aufgaben in diesem Bereich übernehmen, während er weniger Aufgaben übernimmt, die nicht so zu seinen Stärken oder Interessen passen – auch wenn er vielleicht mal für eine ganz andere Funktion eingestellt wurde.
- Beziehungsgestaltung (Relational Crafting): Hierbei geht es darum, wie Mitarbeitende ihre Interaktionen und Beziehungen am Arbeitsplatz gestalten. Sie könnten zum Beispiel bewusst den Austausch mit Kollegen aus anderen Abteilungen suchen, um neue Perspektiven zu gewinnen und das eigene Netzwerk zu erweitern. Oft wissen die Kolleginnen und Kollegen aus der Nachbarabteilung nicht, was nebenan eigentlich gemacht wird, bzw. wie – und noch öfter lassen sich Dinge voneinander lernen, wenn man sich und seine Workflows gegenseitig besser kennenlernt.
- Anpassung der Wahrnehmung der Arbeit (Cognitive Crafting): Diese Form des Job Craftings bezieht sich darauf, wie Mitarbeitende ihre Arbeit und deren Bedeutung wahrnehmen. So ist es durchaus vorstellbar, dass jemand in einer Kundendienstabteilung seine Rolle dahingehend neu interpretiert, sich selbst nicht nur als Problemlöser, sondern auch als wichtigen Botschafter der Marke des Unternehmens zu verstehen – mit neuen Aufgaben und Möglichkeiten, die eigene Arbeit und ihren Wert unter Beweis zu stellen.
Vorteile von Job Crafting
Die Liste der nachgewiesenen Vorteile des Job Craftings für beide Seiten – Organisation und Individuum – ist lang:
- Erhöhte Arbeitszufriedenheit: Mitarbeitende, die ihre Arbeit basierend auf ihren Stärken, Interessen und Werten gestalten, sind zufriedener.
- Verbesserte Leistung: Wenn Arbeitnehmende ihre Aufgaben an ihre Fähigkeiten und Stärken anpassen, sind sie produktiver.
- Erhöhtes Engagement und Motivation: Mehr Engagement und Spaß an der eigenen Arbeit führt zu einer stärkeren Bindung an das Unternehmen. Mitarbeitende identifizieren sich dann nicht nur mit der Rolle selbst, sondern auch mit der Organisation.
- Reduktion von Stress und Burn-out: Zufriedene Mitarbeitende werden seltener psychisch krank – ausgelöst durch die Arbeit selbst.
- Grundlage für erfolgreiche Veränderungen: Job Crafting ermöglicht es den Menschen, ihre Rolle an veränderte Bedingungen anzupassen, was besonders in dynamischen Arbeitsumgebungen von Vorteil ist und die Konkurrenzfähigkeit verbessert.
- Förderung von Kreativität und Innovation: Indem Arbeitnehmende neue Wege in ihrer Arbeit gehen können, tragen sie zur Entwicklung neuer Ideen und innovativer Lösungen bei.
Herausforderungen von Job Crafting
Wenn die Vorteile so klar auf der Hand liegen, was hindert Organisationen eigentlich daran, die Methode intensiver zu nutzen? In einem Wort: der Aufwand. Job Crafting ist für alle Seiten „anstrengender“ als Dienst nach Vorschrift oder Stellenausschreibung. Die Hauptproblemquellen sind:
- Unklare Arbeitsgrenzen: Ist die Veränderung der Arbeitsrolle zu groß, kann dies zu Verwirrung über Verantwortlichkeiten und Arbeitsgrenzen führen, sowohl für den Einzelnen als auch für das Team.
- Konflikt mit Organisationszielen oder -strukturen: Job Crafting darf nicht zu einem Konflikt mit den übergeordneten Zielen oder Strukturen der Organisation führen, um das aber auszuschließen, muss man sich detailliert mit den Arbeitsprofilen der Job Crafter beschäftigen.
- Ungleichheit und Unfairness: Es besteht das Risiko des Ungleichgewichts und des Zwists in Teams, wenn nur einige Mitarbeitende mehr Freiraum zum Job Crafting erhalten oder dieses „zu weit“ treiben.
Für den Einzelnen kann es verlockend sein, die Aufgabenstellung ein wenig zu weit zu treiben.
Catherine Moore
- Überforderung: Nicht jeder Mitarbeiter mag Freiheit und Flexibilität im Job, viele wünschen sich klare Vorgaben. Diese Menschen können sich überfordert fühlen.
- Mangelnde Unterstützung und Ressourcen: Ohne angemessene Unterstützung und Ressourcen vonseiten der Organisation kann Job Crafting Mitarbeitende selbst, aber auch die Führungsverantwortlichen frustrieren. Nichts ist ärgerlicher als ein selbst ausgearbeitetes neues Jobprofil, das viel verspricht – dann aber nie das organisationale Tageslicht erblickt.
- Kurzfristige Fokussierung: Menschen fokussieren sich sehr oft auf kurzfristige Ziele und ihre persönlichen Präferenzen. Das geht mitunter zulasten langfristiger oder teamorientierter Ziele.
Umsetzung im Unternehmenskontext
Für eine erfolgreiche Implementierung von Job Crafting in Unternehmen ist es entscheidend, eine Kultur zu fördern, die Eigeninitiative und Selbstgestaltung unterstützt. Es braucht Führungskräfte, die menschenorientiert führen und ihren Mitarbeitenden Freiräume ermöglichen.
Selbstgestaltung herbeiführen
managerSeminare VerlagGleichzeitig müssen sie einen klaren Rahmen vorgeben, in der die Gestaltung der individuellen Rollen selbstbestimmt möglich ist. Folgend einige Beispiele, wie sich Job Crafting in Unternehmen praktisch umsetzen lässt:
- Ein IT-Spezialist schult aktiv die Kolleginnen und Kollegen und greift nicht nur ein, wenn wieder einmal der Server ausgefallen ist. So hilft er auch, Notfälle zu verhindern – etwa durch regelmäßige Schulungen zu Phishing und Cybersicherheit.
- Eine Vertriebsmitarbeiterin interessiert sich sehr für das, was das Marketingteam macht. Schulungen können sie dem Thema näherbringen und sie kann folgend zusätzlich Aufgaben im Bereich des digitalen Marketings übernehmen.
- In vielen Unternehmen herrscht noch eine Silokultur. Diese kann effizient aufgebrochen werden, wenn regelmäßig abteilungsübergreifende Treffen stattfinden oder dezidiert offene Foren des Austauschs gepflegt werden, die Vertrauens- und Wissensbildend zugleich wirken. Nur, wer sieht, was und wie andere arbeiten, kann angeregt werden, ebenfalls etwas auszuprobieren oder eigene Best Practices zu teilen.
- Es gibt die Menschen, die gern gemeinsam mit anderen in einem lebhaften Büro arbeiten, andere brauchen Ruhe, um sich zu konzentrieren. Unternehmen sollten hier beiden Menschentypen entsprechende Räumlichkeiten (oder Möglichkeiten der Fernarbeit) zur Verfügung stellen – der Arbeitsort spielt beim Job Crafting eine nicht unerhebliche Rolle.