Transformationen und Change-Prozesse – woran sie scheitern und wie es anders geht
Transformationen und Change-Management-Projekte gehören zu den ganz großen Aufgaben im C-Level. Und sie sind eine der größten Quellen für Unzufriedenheit. Das erlebe ich bei Führungskräften und Klienten wie auch Klientinnen immer wieder. Mit den verärgerten bis verzweifelten LinkedIn-Nachrichten, die ich Jahr für Jahr bekomme, könnte ich ein ganzes Buch füllen. Es zu lesen, wäre aber sicher frustrierend und würde wenig Lust darauf machen, an der Unternehmensspitze mitzuwirken. Denn irgendwie gibt es immer jemanden, der von ganz, ganz oben den Change boykottiert, den man eigentlich so dringend wollte …
Einer der häufigsten Gründe für den Frust und das Scheitern: Change-Projekte starten oft unter ungünstigsten Voraussetzungen. Noch mehr sind von der Unternehmensspitze im Grunde gar nicht erwünscht. Auch wenn man nach außen anderes kommuniziert, sträubt man sich im obersten C-Level, im Vorstand und im Aufsichtsrat gegen jede Art von entscheidender Veränderung. Das führt dazu, dass es keine klaren Zielvorgaben gibt, unzureichende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden und Mitarbeitende den Wandel nicht mittragen, weil sie dessen Notwendigkeit nicht verstehen. „Wasser predigen, Wein trinken!“, wie es gerne mal formuliert wird.
Die gute Nachricht: Mit dem richtigen Mindset sowie passender Strategie und Unterstützung können Sie als Führungskraft auch herausfordernde Change-Projekte meistern. Lassen Sie mich daher Folgendes zeigen:
- Warum so viele Change-Projekte scheitern
- 8 Tipps, wie Sie Change-Projekte erfolgreich vorantreiben
- Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht – das gilt insbesondere für Veränderungen in Unternehmen: Rund 70 Prozent aller Changes scheitern. Grund dafür ist oft die Führungsebene.
- Darum scheitern Change-Prozesse
- Die größte Herausforderung: „die da ganz oben“
- 8 Tipps, wie Ihre Change-Projekte gelingen
- Fazit
Darum scheitern Change-Prozesse
Digitalisierung, Krisen, Kulturwandel, New Work und neue Arbeitsmodelle, Globalisierung, Nachhaltigkeit: Der Wandel gehört zur DNA langfristig erfolgreicher Unternehmen. Um in unserer hochgradig vernetzten, schnelllebigen Welt wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Transformationsprozesse daher immer schneller bewältigt werden – und dazu parallel auch gleich mehrere. Das führt zu Druck bei denen, die sie umsetzen sollen. Eine von vier Führungskräften verbringt laut einer Umfrage rund 80 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Transformationen und Changes. Da bleibt wenig Zeit für andere wichtige Aufgaben. Zudem ist nicht jede Führungskraft automatisch ein guter Change-Manager.
Zusammenfassend kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Changes scheitern, wenn:
- der (aktive oder passive) Widerstand der Mitarbeitenden so groß ist, dass die Transformationen nicht umgesetzt werden können,
- das Management nicht mitspielt und die Umsetzung von Innovationen nur unzureichend unterstützt.
Studien belegen und die Praxis zeigt deutlich:
- Der enorme Veränderungsdruck setzt Führungskräften zu. Sie stehen unter konstanter Beobachtung, müssen liefern und dürfen gleichzeitig ihre positive Ausstrahlungskraft als Vorbild nicht verlieren.
- Führungskräfte sind verunsichert. Altbewährtes gibt Stabilität. Mit Veränderungsprozessen geht daher oft ein Gefühl der Ungewissheit einher. Führungskräfte müssen sich daher mit Unsicherheiten auseinandersetzen – sowohl mit ihren eigenen als auch mit denen der Mitarbeitenden. Eine Mammutaufgabe.
- Die Verantwortungs-To-dos nehmen ein riesiges Ausmaß an. Es heißt ja so schön, dass sich Führende nicht im Operativen verlieren sollen. Aber dennoch gehört auch das weiterhin zu ihren Aufgaben, zumindest in Teilen. Wenn man nur noch versucht, allen Baustellen gerecht zu werden, wird am Ende nichts gut bzw. fertig.
- Kommunikation ist mehr, als nur Infos weiterzugeben. Das zu verstehen, ist eine der wichtigsten Aufgaben. Es aber umzusetzen, ist verdammt schwierig. Denn dazu braucht es Empathie, emotionale Intelligenz, das Wissen um Kommunikationstechniken … und darüber verfügen längst nicht alle. Sprich: Es muss trainiert werden, hart trainiert werden.
- Mit Konflikten und Widerstand kann nicht jeder umgehen. Veränderungen sind unbequem und werden daher meist erst einmal abgelehnt. Wer verantwortlich ist oder gemacht wird, muss also auch Krisenmanagement beherrschen. Und Konfliktmanagement zu seinen Stärken zählen. Das ist in dieser Kombination nicht einfach ein Talent, sondern vor allem hartes Training.
Infolge all dieser Herausforderungen scheitern viele Projekte bereits in ihren Anfängen: Laut einer McKinsey-Studie sind es 70 Prozent aller Change-Projekte, die misslingen oder nach 1,5 Jahren eingestellt werden.
Die größte Herausforderung: „die da ganz oben“
Auch hier habe ich wieder Erfahrungen aus der Praxis. Final muss „ganz oben“ mitspielen, das Ganze unterstützen mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen. Und das ist eben nicht oft so. Tatsächlich predigen viele mächtige Unternehmenslenkende den tiefgreifenden Wandel. In Wahrheit aber soll der Status quo unter neuen Vorzeichen erhalten, sprich doch irgendwie alles beim Alten bleiben. Das höre ich in meinen Coachings immer wieder. Der Philosoph Richard David Precht einigte sich mit Moderator Markus Lanz in der 72. Podcastfolge von Lanz & Precht darauf, dass das WEF in Davos nur ein Ziel habe: Wege zu finden, wie die alte Weltordnung / die alten Spielregeln unter sich verändernden Vorzeichen weitergehen können.
Hinter der beschworenen Change-Mentalität steht also oft der (un)bewusste Wunsch, das Alte möglichst zu konservieren – für die Ewigkeit oder zumindest so lange, wie man dafür verantwortlich ist. Dazu sagte ein ehemaliger Klient: „Letztendlich ist es so, dass sich die Beharrungskräfte im Unternehmen durchsetzen konnten und die Kalender dort auf das Jahr 2017 zurückgesetzt wurden. Nachdem mein CEO, mein Chief HR, Chief Sales, … alle gehen mussten und somit nur noch eine Person das Sagen hatte. Ich selbst bin, wie man so schön sagt, in Transition.“
Die Leistungsträger
Wirtschaftsverlag Carl Ueberreuter GmbH8 Tipps, wie Ihre Change-Projekte gelingen
Erfolgreiche Veränderung jedoch kommt von innen – nicht von außen. Das heißt:
- Die Unternehmensspitze muss mit an Bord sein und den Transformationsprozess aktiv unterstützen.
- Führungskräfte brauchen neben Leader-Qualitäten auch das Wissen, Wandel strukturiert zu gestalten. Also planen, kommunizieren und dann als positives Beispiel vorangehen können.
- Und Mitarbeitende müssen dringend die Notwendigkeit des Change verstehen. Denn schon als Kinder fanden wir es bescheiden, wenn man uns zu etwas zwingen wollte.
Um die Transformation eines Unternehmens voranzutreiben, ist der Wille zur Veränderung bei Entscheidenden und Mitarbeitenden essenziell. Genauso wie das Verständnis bei den Mitarbeitenden. Vielleicht ein etwas „böses“ Beispiel, aber ein plakatives Bild: Der Trommler konnte einst auf einer Galeere im Takt klopfen, wie er wollte. Wenn die Rudernden nicht willig waren, diesen Takt anzunehmen und ihm gemeinsam zu folgen, wurde das mit dem Vorankommen schwierig.
Mit den folgenden Tipps holen Sie Schritt für Schritt alle Akteure ins Boot – oben wie unten. Und Sie stellen auch sicher, dass Sie selbst am Ball bleiben und nicht irgendwann frustriert das Handtuch werfen – und mir eine LinkedIn-Nachricht senden.
Folgende Dinge können Ihnen als Wegweiser dienen.
- Gehen Sie mit Widerständen richtig um. Egal, ob Ihre Mitarbeitenden oder das Management nicht mitspielen: Widerstände sollten Sie niemals mit „Druck“ aufzulösen versuchen. Selbst bei guten Ergebnissen halten Sie Ihre Kündigung schneller in den Händen, als Ihnen lieb ist. Oder wie es ein Direktor in einer Mail an mich formulierte: „Ich setze um, was mir der Chef sagt, ich erreiche Ergebnisse, aber ich bekomme schlechtes Feedback. Statt Lob erhalte ich eine Watsche.“ Ein anderer Interessent erhielt, nachdem er ein wichtiges Projekt in Windeseile geräuschlos umgesetzt hatte, sogar die fristlose Kündigung. Im C-Level ist mehr als anderswo eine gute Beziehung zu Entscheidenden und Stakeholdern das A und O. Ohne diese werden Sie Change-Projekte mittel- und langfristig nicht durchsetzen können. Sich „nur“ auf gute Ergebnisse zu konzentrieren, reicht nicht aus. Veränderungen gewaltsam durchzudrücken, geht fast immer schief. So entsteht bei vielen Leistungsträgern der Eindruck „Macher werden ausgebremst!“
- Denken Sie den technischen UND den adaptiven Wandel mit. Oft wird (digitale) Transformation nur als technisches Problem gesehen. Tatsächlich ist Wandel aber auch ein adaptives Problem. Das heißt: Die Veränderungen müssen von den Mitarbeitenden umgesetzt und gelebt werden – und das ist weitaus schwieriger als die Implementierung eines neuen Systems. Stellen Sie sicher, dass Ihr Fokus auf der Bewältigung des adaptiven Wandels liegt.
- Kommunizieren Sie ehrlich und positiv. Eine nachhaltige Veränderung ist nur möglich, wenn Sie von Beginn an mit offenen Karten spielen. Informieren Sie Ihre Mitarbeitenden rechtzeitig über anstehende Änderungen – und stellen Sie sicher, dass Sie diese gemeinsam bewältigen können.
- Fokussieren Sie sich auf den Gewinn – nicht auf den Aufwand. Eine Transformation ist eine Herausforderung. Aber nicht nur der Aufwand, sondern auch der Gewinn ist hoch. Das Ergebnis, auf das Sie hinarbeiten, sollte bei Ihren Mitarbeitenden ebenso wie bei Ihren Vorgesetzten immer präsent sein. Im Regelfall übersteigt der zu erwartende Gewinn den zu investierenden Aufwand um ein Vielfaches.
- Seien Sie Lokführer – und nicht Kontrolleur. Schlüpfen Sie am besten in die Rolle des Lokführers. Stellen Sie klar, dass Ihr Transformationszug mehrmals anhalten und neue Passagiere begrüßen wird. Wer jetzt noch nicht einsteigen möchte, kann das zu einem späteren Zeitpunkt tun. Verzichten Sie auf Kontrollen oder Sanktionen. Über kurz oder lang dürfte Ihr Zug immer voller werden. Immerhin arbeiten die ersten zufriedenen Fahrgäste bereitwillig als Multiplikatoren für Ihre Vision – und das ganz ohne Druck.
- Holen Sie alle Akteure ins Boot – auch an der Spitze. Überzeugen Sie das träge Management davon, dass die anstehende Transformation notwendig ist. Binden Sie die Entscheidenden ein und machen Sie die Transformation zum gemeinsamen Interesse. Dieser Schritt ist wichtig und wird von Change-Managern häufig unterschätzt. Die Erfahrung zeigt aber: Sobald die Transformation zum Erfolg und zur Reputation der Entscheidenden beiträgt, wird Ihr Zug Fahrt aufnehmen.
- Achten Sie während der Transformation auf Ihre eigenen Bedürfnisse. Das Vorantreiben von Transformationsprozessen kann für Change-Verantwortliche sehr belastend sein. Achten Sie daher unbedingt auch auf Ihre eigenen Bedürfnisse – und sprechen Sie mit vertrauten Menschen (Mentoren, Freunden, Familienmitgliedern, Coaches) über Dinge, die Sie belasten.
- Behalten Sie den Überblick. Angesichts der vielen Fronten, an denen Sie kämpfen, ist es wichtig, den Überblick zu behalten, immer mal wieder das große Ganze ins Auge zu fassen und Klarheit zu gewinnen. Das gilt insbesondere für Leistungsträger, die erfahrungsgemäß oft in die „Fokus-Falle“ tappen.
Fazit
Als Führungskraft brauchen Sie die Unterstützung von oben und unten. Also: Das Board muss die Transformation, den Change wirklich wollen. Legen Sie sich ins Zeug und sorgen Sie dafür. Definieren Sie vor Beginn, welche Ziele erreicht werden sollen, und setzen Sie sich Zwischenziele. Schenken Sie Ihren Mitarbeitenden von Beginn an reinen Wein ein und erklären sie das Warum, Wie, Was und Wann. Erkennen Sie zu guter Letzt auch Ihren eigenen Vorteil. Ja, dass ist eine große Aufgabe. Aber als C-Level ist es Ihre.
Über die Autorin:
Gudrun Happich unterstützt als Executive Business Coach Führungskräfte verschiedener Hierarchiestufen in Wirtschaftsunternehmen. Sie ist Autorin der Bücher C-Level – Im Top-Management erfolgreich werden, sein und bleiben, Herausforderungen im Führungsalltag, Was wirklich zählt! Mit Überzeugung führen und Ärmel hoch!. Sie ist zudem Gewinnerin des getAbstract Readers’ Choice Award im Jahr 2021.