Einfach mal draufhauen?
Den meisten von uns ist es völlig klar: „Einfach draufhauen“ ist nicht die beste Form, Kritik zu üben. Dessen ungeachtet finden sich viele von uns immer mal wieder in einer Situation, in der es mit gutem und angemessenem Feedback nicht wirklich klappt. Das passiert vor allem, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die anders sind als wir selbst. Die einem anderen Geschlecht angehören, einer anderen Generation, eine andere nationale oder soziale Herkunft haben oder deren politische Meinung wir nicht teilen. Mit Menschen, die einen anderen Blick auf die Welt haben, ist es schwerer, eine gemeinsame Basis für ein Gespräch zu finden.
Wer „anders“ ist als wir, erhält aber tendenziell nicht nur seltener Feedback von uns, letzteres ist auch nicht so konkret und wird, bevor es denn endlich geäußert wird, auch öfter vertagt. Warum? Weil das Gespräch schwieriger ist und sich weniger Gelegenheiten ergeben – wir treffen uns ja seltener. Außerdem fühlen wir uns diesen Menschen nicht so verbunden. Das Geben von Feedback scheint uns der Mühe weniger wert.[1]
Vergleichsweise gut untersucht ist das beim Feedback für Frauen im Beruf. Sie erhalten nicht nur deutlich seltener entwicklungsorientiertes Feedback als ihre männlichen Kollegen[2]. Wenn sie dann mal Rückmeldungen bekommen, sind diese auch weniger spezifisch, weniger konstruktiv – dafür häufig negativ und mitunter auch noch verletzend. Heißt:
Nachdem sich Vorgesetzte lange um das Gespräch gedrückt haben, gibt es, sobald sie loslegen, plötzlich gar kein Halten mehr.
Hilfreich ist das nicht. Denn: Wer davon überzeugt wird, sich entwickeln und besser werden zu können, gibt sich mehr Mühe als jemand, der ein Feedbackgespräch völlig frustriert oder paralysiert verlässt. Menschen, die glauben, wachsen zu können, akzeptieren Fehler als Teil des Lernens, testen so die eigenen Grenzen und genießen die resultierenden Fortschritte. Gleichzeitig werden Spaß an der Arbeit und Motivation größer, und in der Konsequenz passieren weniger Schnitzer.[3] Das sind ziemlich viele gute Gründe gegen Haudrauf-Käfigkämpfe, wie sie Elon Musk und Mark Zuckerberg austragen wollen, und für erwachsenere Formen des Rückmeldunggebens, finden Sie nicht?
Was tun für produktives Feedback?
- Feedback kann zur „Alles oder nichts“-Situation werden, in der nicht nur die Leistung, sondern die ganze Person zur Debatte steht. Einen Weg, das zu verhindern, hat Daniel Coyle, Autor von The Culture Code, identifiziert, indem er sagt: „Ich gebe dir diese Rückmeldung, weil ich sehr hohe Erwartungen habe und weiß, dass du sie erfüllen kannst.“
- Das vermittelt nicht nur Zugehörigkeit und Wertschätzung, es triggert auch eine „Lernhaltung“, in der wir neue Herausforderungen annehmen. Studierende, die so angesprochen wurden, überarbeiteten ihre Referate öfter als andere und ihre Leistung verbesserte sich merklich.
- Ebenso wichtig ist es, zu spiegeln, wenn etwas gut funktioniert. Erfolg zu haben, gelingt vor allem auf Basis von Stärken. Die wirksamste Strategie, um Erfolg zu befördern, ist es, jemanden unmittelbar darauf aufmerksam zu machen, wenn wir von einer Fähigkeit des Gegenübers begeistert sind.
- Überlegen Sie, welchen Einfluss Aspekte wie Ihr Auftreten oder Tonfall potenziell auf die Situation haben. Setzen Sie sie bewusst ein oder verstärken oder verfälschen sie Ihre Botschaft eventuell?
- Entdecken Sie, was Sie gemeinsam haben, statt sich auf Unterschiede zu versteifen. Gemeinsamkeiten schaffen Verbundenheit. Das führt zu einer vertrauteren Atmosphäre, mehr Sicherheit – und erleichtert schwierige Gespräche.
Quellen:
[1] Binna Kandola: Racism at Work. Pearn Kandola Publishing, 2018. / Sylvia Ann Hewlett and Tai Green: Black Women: Ready to Lead. CTI, 2015.
[2] McKinsey und LeanIn: Women in the Workplace, 2016.
[3] Heidi Grant Halvorson: Nine Things Successful People Do Differently. Harvard Business Review Press, 2012.
Nächste Schritte:
Weitere praktische Tipps und Tricks bietet Fair führen. Das Buch wurde mit dem getAbstract International Book Award 2020 ausgezeichnet. Laut Jury liefert es „nicht weniger als das erforderliche Rüstzeug für zukunftsfähige Unternehmen – eloquent, sachkundig und inspirierend.“