Chef werden?! – Nein danke!
Seit rund zehn Jahren erlebe ich in den Köpfen von Führungskräften ein Umdenken. War Karriere und der Aufstieg an die Spitze über viele Jahrzehnte klares Ziel – „Erst war ich Fachkraft, dann Führungskraft und später werde ich der Boss“ –, geht es heute weniger um den Aufstieg ins C-Level. Genau genommen sind es laut einer Studie gerade noch 14 Prozent der Führungskräfte, die Lust haben, ganz oben im Unternehmen Platz zu nehmen. Der Rest verzichtet freiwillig auf das C-Level und den Chefsessel.
Die Gründe dafür erlebe ich wie folgt:
- Machtspielchen, ein enormes Arbeitspensum, viel Politik – an der Spitze weht ein anderer Wind. Darauf haben viele Menschen keine Lust.
- Chef sein bedeutete früher, dass man viel Geld verdient. Heute kann ich auch viel Geld verdienen, ohne Führungskraft zu sein. Viele sprechen beim Gehalt für C-Level sogar von Schmerzensgeld.
- Status ist für viele Menschen nicht mehr so wichtig. Man erfährt das Gefühl, das die eigene Persönlichkeit zählt, in anderen Bereichen seines Lebens.
- Keine Lust auf Rampenlicht – dank der Digitalisierung sind private Themen der Menschen an der Unternehmensspitze schnell in den Medien. Warum sich und seine Familie dem aussetzen?
- Arbeiten und Karriere machen hat grundsätzlich an Attraktivität verloren – denn private Lebenszeit ist ein kostbares Gut.
Machtspiele sind Zeit- und Spaßräuber
Seit über drei Dekaden begleite ich Führungskräfte auf ihrem Weg an die oder an der Spitze. Zunächst waren es vor allem männliche Klienten, mit denen ich über Karriere, Führung und Verantwortung sprach. Von ambitionierten Frauen bekam ich eher zu hören: „C-Level ist sicher interessant, aber ich will was bewegen und gestalten. Und ich frage mich, ob das im C-Level so möglich ist, wie ich mir das vorstelle? Mir geht es im Kern darum, den für mich besten Platz zu finden, und der muss nicht automatisch im Topmanagement sein.“ Männer hingegen antworteten mir auf meine Frage „Warum C-Level?“ mit: „Na, weil ich Karriere machen will. Und die mache ich, wenn ich ganz oben bin!“
Im Handelsblatt erschien Ende 2021 ein Artikel mit dem Titel Keine Lust auf Seilschaften: Wofür moderne Manager auf 800.000 Euro Gehalt verzichten. Im Fokus stand eine Umfrage von Odgers Berndtson.
Rund 2000 Führungskräfte wurden gefragt, wie sie ihre nächsten Karriereschritte sehen. Nur vier von zehn Befragten gaben an, dass sie Lust auf Einflussnahme, Gestaltungswillen und Macht hätten.
Viele waren zufrieden mit dem, was sie bislang in Sachen Hierarchie erreicht hatten. „Machtspiele an der Spitze seien Zeitverschwendung“, so der Tenor. „Und auf Mikromanagement und politisches Taktieren kann man gut verzichten.“
Heute denken viele männliche Führungskräfte wie ihre weiblichen Mitstreitenden. Man wiegt die Pros und Contras ab und stellt nicht selten fest, dass in einer anderen Rolle, in einer anderen Position viel mehr erreichbar ist. Gerade Leistungsträger, deren DNA es ist, Dinge möglich zu machen, glauben, sich im C-Level nicht wohlzufühlen. Sie sind abgeschreckt von Machtspielen und Politik, von denen sie gehört oder über die sie gelesen haben. Dabei würde es gerade sie brauchen, um „da oben“ etwas zu erreichen. Denn ihre Einstellung zu Leistung und dem Wunsch, die Macht zum Machen zu nutzen, sind es, die Unternehmen erfolgreich machen.
Dinge möglich machen und sich selbst infrage stellen
Heute ist mein Klientenstamm in Bezug auf Geschlechter ausgeglichen. Und alle stehen bereits an der Spitze oder streben an, hier ihren Platz einzunehmen. Auf meine Frage, warum sie sicher sind, hier richtig zu sein, kommt in aller Regel die Antwort: „Weil ich gut bin und weil ich es kann!“ Das ist weder selbstdarstellerisch noch egodominiert gemeint und auch nicht von kämpferischem Ehrgeiz getrieben. Alle wollen Dinge verändern und die Zukunft eines Unternehmens mitgestalten – nachhaltig. Sie verstehen sich als Multiplikatoren und wollen an ihrem vorbildlichen Verhalten gemessen werden. Sie fragen sich ganz konkret: Wie Veränderungen an der Spitze umsetzen? Wie trotz der politischen Spielchen und anderer Herausforderungen Zeit finden, Dinge nachhaltig zu verbessern? Die gute Nachricht ist: Es ist machbar. Dinge wie ein kooperativer Führungsstil, das Wissen um die politischen Spielchen und zu sehen, dass das C-Level eigene Regeln hat, liefern die Grundlage für den Erfolg. Ich sage immer:
Der Unterschied zwischen guten und herausragenden Könnern ist die Bereitschaft, den Status quo und sich selbst infrage zu stellen, zu lernen und zu wachsen – auch wenn es manchmal wehtut.
Der Wirtschaftsphilosoph Frédéric Laloux hat dazu in einem Interview mit Egon Zehnder zusammengefasst: „Sensitivität und Reaktionsvermögen sind entscheidende Führungskompetenzen.“ In seinen Augen geht es nicht mehr darum, zu planen und zu kontrollieren. Sondern ums Wahrnehmen und Ermöglichen. Der berühmte Faktor Empathie.
Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt
Carl Hanser VerlagLeistungsträger sind die Antwort
Doch gute Führende sind mehr als nur empathisch, sie sind vor allem selbstkritisch und hinterfragen sich immer und immer wieder selbst. Allein oder mit Sparringspartnern – das bleibt den eigenen Vorlieben überlassen. Folgende sind aus meiner Erfahrung gute Fragen, die Sie unterstützen können, auf Kurs und Ihren Führungswerten treu zu bleiben. Und den Platz als Chef und Chefin zu finden, an dem Sie Dinge bewirken können:
- Bin ich noch auf dem richtigen Weg?
- Habe ich das große Ganze noch im Blick?
- Welche Erwartungen hat man an mich von der Konzernführung, welche habe ich an das Unternehmen und auch an mein Team?
- Wie kommuniziere ich transparent, aber auch so, dass sich alle abgeholt und sicher fühlen?
- Lebe ich das vor, was ich von meinen Leuten verlange? Bin ich Vorbild?
Die Leistungsträger
Wirtschaftsverlag Carl Ueberreuter GmbHFazit
Im C-Level braucht es motivierte und engagierte Menschen. Menschen, die nicht (nur) für sich selbst arbeiten, sondern im Sinne des Unternehmens. Denen es getreu ihren eigenen Werten um Leistung sowie um die (gemeinsame) Sache geht. Menschen, die Dinge verändern wollen und das können. Fernab von Blendern und Selbstdarstellern, von denen es noch viele in der Unternehmensführung gibt.
Ich würde Ihnen als Leistungsträger gern sagen, dass es Aufgabe der Unternehmen sei, diese narzisstisch angehauchten Charaktere von der Spitze fernzuhalten – aber das ist utopisch. Die sind gut, sich selbst ins rechte Licht zu rücken – besonders im Vorstellungsgespräch und später auch im Arbeitsalltag. Doch Leistungsträger verändern Unternehmen und das Bild vom Chef-/Chefin-Sein. Es braucht sie, um Unternehmen zukunftsweisend zu gestalten und aufzustellen. Deshalb:
- Der Wind an der Spitze lässt sich nicht kurz- bis mittelfristig ändern – aber mit dem richtigen Rüstzeug trotzen Sie dem Sturm und können langfristig durchaus Impulse setzen. Eine intensive Vorbereitung auf die neue Aufgabe ist deshalb das Wichtigste und wird über Ihren Erfolg entscheiden. Und wenn Sie Dinge durchbringen, ändern Sie den Kurs „am Wind“, nicht dagegen.
- Sie werden Machtspiele und Politik erleben, Sie brauchen sich aber nicht selbst daran zu beteiligen. Definieren Sie stattdessen Ihre eigene Strategie, wie Sie sich im C-Level bewegen wollen. Eine Kundin verglich das Topmanagement einmal mit einem Becken voller Piranhas. Sie meinte, dass sie lernen müsse, wie ein Piranha auszusehen, ohne einer zu werden. Das trifft es.
- Geld: Lassen Sie sich das Machen fair bezahlen. Und zwar ohne Ihr Gehalt als Schmerzensgeld zu sehen, sondern als das, was es ist: Wertschätzung für Ihre geleistete Arbeit und ein Beitrag zu Ihrer persönlichen finanziellen Freiheit.
- Status und Karriere: Es kann ja sein, dass Sie darauf – oder aufs Rampenlicht – gar keinen großen initialen Wert legen, weil Sie damit vor allem das angedeutete Führungsgegockel verbinden. Gleichwohl gilt: Wer vorbildliche Arbeit macht, stets einen Willen zum Lernen und zur Verbesserung demonstriert, zu dem schauen andere auf. Sie werden also positive Aufmerksamkeit erregen, und das Bild, das Sie abgeben, beeinflusst damit direkt die Status- und Karrierekultur Ihrer Organisation. Jeder Schritt, den Sie in die richtige Richtung tun, macht es Ihnen (und Ihren Nachfolgern beim Aufsteigen) leichter.
- Es ist völlig in Ordnung, sich einen Führungsjob zu Beginn nicht zuzutrauen. Trotzdem rate ich dazu, sich der Herausforderung zu stellen, Allianzen zu schmieden und neue Erfahrungen zu machen, da sie ungemein wertvoll sind. Sie können sich, sollte sich das C-Level auch nach Monaten für Sie noch unpassend anfühlen, stets gezielte Hilfen und eine riesige Auswahl an Weiterbildungsoptionen auftun. Mehr Möglichkeiten als hier gibt es dazu nicht. Oder, wenn die Chefetage wirklich nichts für Sie ist, zur Not gar einen Schritt zur Seite oder zurück machen – damit haben Sie nichts verloren.
Über die Autorin:
Gudrun Happich unterstützt als Executive Business Coach Führungskräfte verschiedener Hierarchiestufen in Wirtschaftsunternehmen. Sie ist Autorin der Bücher C-Level – Im Top-Management erfolgreich werden, sein und bleiben, Herausforderungen im Führungsalltag, Was wirklich zählt! Mit Überzeugung führen und Ärmel hoch!. Sie ist zudem Gewinnerin des getAbstract Readers’ Choice Award im Jahr 2021.