„Neue Arbeitsmodelle funktionieren, auch über Hierarchieebenen hinweg.“
Frau Allmers, Herr Trautmann, Sie schreiben in Ihrem Buch On the Way to New Work, dass Frithjof Bergmann bereits in den 1980er-Jahren den Begriff New Work prägte und damit eine neue, freiere und flexiblere Arbeitsform meinte. Ist „New“ also gar nicht neu?
Swantje Allmers: In meinen Augen war die Zeit damals noch nicht reif für New Work. Es gab sicher viele Ansatzpunkte, aber es fehlte der Druck – sowohl der von außen als auch der von innen. Heute sorgen Corona, Rohstoffmangel, Inflation, fehlende Fachkräfte und jetzt der Ukrainekrieg dafür, dass Unternehmen sich gezwungen fühlen, Dinge umzusetzen und zu verändern. Parallel fragen sich die Menschen in diesen bewegten Zeiten, ob das, was sie tun, sie wirklich erfüllt. Diese Frage hat man sich in den 1980er-Jahren weniger oder oft wohl gar nicht gestellt. Da ging es um Wachstum, ums Höher, Schneller, Weiter. Die Dinge funktionierten.
Michael Trautmann: Bergmanns Ansatz bestand aus zwei wesentlichen Punkten. Erstens die Aufteilung der eigenen Lebenszeit. Er schrieb damals, dass die Menschen ein Drittel ihrer Zeit für ein Gehalt arbeiten würden. In einem weiteren Drittel erschaffen sie Dinge. Das letzte Drittel widmen sie schließlich den Dingen, die sie wirklich wollen. Der zweite Punkt von Bergmanns Ansatz lautete, dass Technologie das Zusammenarbeiten deutlich vereinfachen würde, wenn wir sie denn richtig zu nutzen wissen. Auf Bergmann folgten dann weitere Autoren, die das mit der Sinnhaftigkeit und den Visionen, die das eigene Leben leiten sollen, zu ihrem Kernthema gemacht haben. Unter anderem David Allan mit Wie ich die Dinge geregelt kriege oder auch Stephan Covey mit Die 7 Wege zur Effektivität.
Greifen wir das Stichwort auf: Dinge tun, die wir wirklich wollen. Was würden Sie mir denn raten, wenn ich in einem Job feststecke, den ich nicht als sinnvoll empfinde und in dem ich entsprechend auch unmotiviert bin?
Michael Trautmann: Selbstreflexion ist hier sicher die beste Antwort. Sich fragen, was einem Freude macht. Welche Dinge einem Energie geben. Und das auch bezogen auf das eigene Privatleben. Fragen Sie Arbeitskollegen, Freunde, Ihre Familie, wo die Ihre Stärken sehen. Oder auch, warum man gerne mit Ihnen zusammenarbeitet. Daneben gibt es natürlich verschiedene Tools, die dabei helfen, die eigenen Stärken herauszufinden, wie zum Beispiel der Clifton-Strengths-Test. Investieren Sie Zeit, um sich selbst besser kennenzulernen und zu verstehen, um so die Tätigkeit zu finden, die am besten zu Ihnen passt.
Take-aways:
- Die Rolle der Führungskraft verändert sich durch New Work komplett.
- Bewegte Zeiten wie diese brauchen Fingerspitzengefühl, wenn es darum geht, Veränderungen zu bewirken. Die Menschen sind „angeschlagen“.
- Soziale Beziehungen sind auch im beruflichen Kontext wichtig und müssen aktiv gepflegt werden.
Und was raten Sie meinem Vorgesetzten, wenn der feststellt, dass ich eigentlich innerlich schon gekündigt habe, weil ich den Sinn hinter meinem Tun nicht sehe?
Swantje Allmers: Ein diesem Fall hilft eigentlich nur Kommunikation. Führungskräfte stehen heute unter einem enormen Druck: die operative Arbeit, die eigene Entwicklung und die vielen Managementaufgaben. Da ist es schwierig, konstant mit seinen Leuten in Kontakt zu bleiben. Doch es ist wichtig, sich für sie zu interessieren, immer wieder Dinge zu fragen wie: Auf welche Termine freust du dich? Welche bereiten dir Bauchschmerzen? Woran liegt das? Wie sieht für dich ein perfekter Arbeitstag aus? Diese Zeit zu investieren, ist ein Geheimnis guter und nachhaltiger Teamführung. Nutzen Sie jede Chance, sich persönlich mit den Menschen auszutauschen. Suchen Sie das Gespräch.
Es geht nicht darum, dass die Menschen den besten Arbeitsplatz der Welt wollen, sondern vielmehr darum, dass sie Perspektiven sehen.
Vielleicht ist das, was sich Ihre Mitarbeitenden an Veränderung wünschen, nicht gleich umsetzbar, aber eventuell in einem halben Jahr, in einem Jahr. Oder in Ansätzen auch schon bald. Menschen wollen gesehen und ernst genommen werden.
Michael Trautmann: In einer Podcastfolge habe ich mit einer Frau gesprochen, die ihr Pensum auf 90 Prozent gekürzt und dieses auf vier Tage die Woche verteilt hat. Dafür hat sie auf 10 Prozent ihres Gehalts verzichtet. Das Interessante: Der Vorschlag dazu kam vonseiten ihrer Vorgesetzten! Und die war sich sicher, dass die Arbeit ja weiterhin gemacht wird. Und ihre Mitarbeiterin auf jeden Fall motivierter und engagierter sein würde, weil sie neuen Freiraum hat, in dem sie die Dinge tun kann, die ihr Energie geben. Was es braucht, ist also der Austausch darüber, sodass man Lösungen finden kann, die für beide Seiten stimmen. Die Möglichkeiten in Sachen Flexibilität sind in den letzten Jahren nämlich enorm gewachsen.
Im Rahmen von New Work oder der Veränderung der Arbeitswelt ändert sich die Rolle der Führungskraft gewaltig. Weg von der hierarchisch-befehlenden hin zur dienenden Führungskraft. Sind die Führungskräfte dazu heute schon alle bereit?
Swantje Allmers: Sagen wir mal so, einige sind noch unterwegs. Aber es gibt viele junge Führungskräfte, die so sozialisiert wurden, dass sie für ihren Job brennen. Die jung eingestiegen sind und sich sagen: Ja, ich bin nun „Head of“ oder „Mitglied der Geschäftsleitung“, aber ich möchte weiterhin für mein Team da sein. Ich will Erfolg im Team erreichen und das sollen auch alle mitbekommen. Andere hingegen, in der Regel die älteren Generationen, wurden anders sozialisiert. Sie haben teilweise 30 Jahre gearbeitet, um da zu sein, wo sie jetzt sind und die entsprechenden Privilegien zu genießen. Wenn dann plötzlich jemand kommt, und sagt: „Wir machen das nun ganz anders“, entwickelt sich Widerstand. Das ist normal. Hier ist der Ansatz, diese Menschen langsam abzuholen und ihnen die Chancen aufzuzeigen, die ein Umdenken und Andersdenken mit sich bringen. Ganz konkret bezogen auf ihre eigene Position und Situation.
Michael Trautmann: Nehmen Sie zum Beispiel die Spitze von Unilever. Ein internationaler Konzern mit rund 150 000 Mitarbeitern. Hier teilen sich Christiane Haasis und Angela Nelissen im Jobsharing die Aufgabe des Vice President Refreshment für den DACH-Raum. Offiziell agieren sie unter dem Pseudonym CHAN sogar als eine Person. Sie coachen sich gegenseitig und leben vor, was sie von ihren Mitarbeitern erwarten. Dabei sind sie auch ein Vorbild für ein neues Führungsverständnis. Sie zeigen, dass neue Arbeitsmodelle funktionieren, über alle Hierarchieebenen hinweg. Und von diesen Vorbildern braucht es mehr. Man muss sehen, dass die neuen Arbeitsmodelle in der Realität funktionieren. Geeignet ist dafür vielleicht nicht der toxische CEO, der noch auf alte Rollenbilder und -funktionen setzt, sehr wohl aber die, die wissen, wie wichtig Veränderung in der heutigen Zeit ist.
Wenn da aber nun oben besagter toxischer Chef oder ein sturer Kopf hockt, muss die Veränderung ja von untern gewollt und angestrebt werden.
Swantje Allmers: Genau. Sicher werden Sie nicht das komplette Unternehmen auf links drehen, wenn Sie Veränderungen aus dem mittleren Management oder auch als Team aus Mitarbeitenden anstoßen. Aber es fängt im Kleinen an.
Und wenn Sie sich als Team entscheiden, anders zu arbeiten, flexibler und selbstbestimmter zu agieren, und dabei die Ergebnisse besser werden und die Produktivität steigt, wer sollte Sie dann daran hindern wollen, das so fortzusetzen?
Außerdem bedeutet Vorgehen ja nicht, dass Sie sich pauschal über formelle Anforderungen hinwegsetzen.
Wir sprachen über den Sinn, der für immer mehr Menschen bezogen auf ihr (berufliches) Tun immer wichtiger wird. Wie verträgt sich das mit der aktuellen Situationen, in der wir nach zwei Jahren Pandemie nun vor einer Energiekrise stehen. Wenn ich weiß, dass ich bald 2000, 3000 Euro mehr für einen warmen Haushalt berappen muss und die Inflation mein Erspartes auffrisst, dann ist das mit dem Sinn doch eher Nebensache, Hauptsache, das Geld stimmt am Ende des Monats. Oder nicht?
Swantje Allmers: Ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Punkt ist, dass man sich bei allen aktuell angestrebten Veränderungen bewusst ist, dass sie sich von Menschen gewünscht werden, die im Moment sowieso eher gestresst und ausgebrannt sind. Hier braucht es Verständnis auf beiden Seiten, auf der des Mitarbeitenden und auf der der Führungskräfte. Alles sollte ein wenig langsamer stattfinden, niemand sollte überfordert werden, alle müssen mitkommen. Viele erleben gerade eine vor allem private Überforderung. Der Druck ist groß, das sagen wir auch unseren Kunden. Aktuell ist es wichtig, Unternehmensinteressen, die anstrengend für die Menschen innerhalb der Organisation sind, vielleicht noch zurückzustellen, wenn sie nicht dringend sind. Keine Frage: Geld verdienen und es verdienen müssen ist wieder in den Vordergrund getreten. Vielleicht führt das aber auch dazu, dass man den eigenen Job noch einmal neu betrachtet. Und vielleicht erkennt man so, welche Rolle man im Unternehmen spielt, wie wichtig die eigene Aufgabe ist und was man eigentlich täglich zum Erfolg des Unternehmens beisteuert. Sinn lässt sich auch in einer bestehenden Position (wieder-) finden.
Michael Trautmann: In unsicheren Zeiten ist die Unternehmenskultur der Klebstoff. Menschen brauchen verstärkt psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz. Und diese schaffen Sie, indem Sie Transparenz bieten und Menschen das Gefühl geben, auch Kritik äußern und Dinge ansprechen zu können. Tauschen Sie sich untereinander aus, pflegen Sie soziale Beziehungen. Seien Sie Vorbild.
Gutes Stichwort, denn gerade in Deutschland war man jetzt nahezu zwei Jahre teilweise komplett isoliert und separiert. Dabei sind soziale Beziehungen unser Lebenselixier. Wie bleibe ich als Team und mit meinem Team gut vernetzt, wenn remote und hybrid zur Tagesordnung werden?
Swantje Allmers: Ich stelle fest, dass es hier in den Unternehmen noch wenige Regelungen zu gemeinsamen Bürozeiten gibt. Und nicht-virtuelle Treffen auch ein wenig verkompliziert werden. Wir haben zum Beispiel gerade einen Workshop organisiert, bei dem wir sechs Monate gebraucht haben, um einen Termin zu finden, an dem alle im Büro sind. Und wir reden von einer Gruppe von sechs Personen! Hier ist es in meinen Augen Aufgabe der Führungskräfte, klare Regeln aufzustellen, wann man sich wie, wo und warum sieht. Keine Endlos-Meetings, sondern bewusst geplante Termine zum Austausch. Die Zeit, die man gemeinsam im Büro verbringt, sollte mehr zelebriert werden. Früher war sie selbstverständlich, heute ist sie selten und sollte daher auch entsprechend gewürdigt und genutzt werden.
Michael Trautmann: Führungskräfte müssen die Rolle des Büros klar kommunizieren. Das Büro ist der Ort, wo kreativ und kollaborativ gearbeitet wird. Wo auch Dinge entstehen, die nicht geplant waren.
Das Büro muss vonseiten der Vorgesetzten zu einem attraktiven Ort gemacht werden.
Und wenn man nicht im Büro ist, braucht es eine geregelte und regelmäßige Kommunikation. Und das über Hierarchieebenen hinweg. Ich kenne Unternehmen, in denen die Führungskräfte nicht nur mit den ihnen direkt unterstellten Mitarbeitern konstanten Austausch halten, sondern auch mit den Leveln darunter. Und das nicht, um zu schauen, wie die Vorgesetzten arbeiten, sondern um die Stimmung im Unternehmen zu erleben und zu verstehen. Zu schauen, wie es den Mitarbeitenden geht, und das Unternehmen und die gelebte Kultur wahrzunehmen.
Elon Musk hat das mit dem attraktiven Büro eher missverstanden. Sein Appell war ja: Ihr kommt zurück oder kommt gar nicht mehr.
Michael Trautmann: Das hat natürlich viel mit Vertrauen zu tun. Eigentlich wurde ja in den letzten beiden Jahren größtenteils bestätigt: Mitarbeitende sind auch im Homeoffice produktiv. Die Arbeit wird gemacht, auch wenn man nicht Kontrolle im Sinne von Anwesenheitspflicht ausübt. Und wer das als Führungskraft noch nicht verstanden hat, dem rate ich wirklich zu mehr Kommunikation. Regelmäßig sprechen und nicht kontrollieren. Sehen Sie sich als Coach, der in den erwachsenen Dialog geht und herausfindet, was Mitarbeitende brauchen, um ihre Aufgabe im Sinne des Unternehmenserfolgs zu bewältigen. Wer das nicht schafft, wird in Zeiten von Fachkräftemangel, Great Resignation etc. als Unternehmen Probleme bekommen.
Abschließend noch eine Frage: Sie beide haben Jahre als Führungskräfte gearbeitet. Herr Trautmann, Sie haben sogar zwei Agenturen aufgebaut und waren für Hunderte Menschen verantwortlich. Wie hat sich Ihr Führungsstil über die Jahre verändert?
Swantje Allmers: Ich für mich finde es ein wenig schwierig zu beantworten, da ich nun schon so lange selbstständig war. Vorher war ich Führungskraft bei TUI Cruise und dann kurz noch in einem Konzern, aber das war nicht meins. Ich führe heute eher lateral. Was bedeutet, dass ich Projektpartner oder Freelancer „führe“. In unserem Unternehmen arbeiten wir mit einem breiten Netzwerk zusammen, in einem großen Miteinander. Auch einem selbstständigen und selbstorganisierten Miteinander. Wir gehen sehr freundschaftlich miteinander um. Unsere Basis ist Commitment. Es gibt immer einen klaren Auftrag und jeder kennt seine Aufgabe. Anders würde ich aber auch nicht mehr führen, wenn ich Angestellte hätte. Ich wünsche mir eine Führung auf Augenhöhe ohne Druck.
Michael Trautmann: Wie Sie sagen, bei mir ist es ein wenig anders gewesen. Ich habe in dem Sinne eine klassische Führungskarriere gemacht, bin Unternehmer. Wenn ich die letzten Jahre jedoch Revue passieren lasse, habe ich immer mehr festgestellt, was ich damals alles falsch gemacht und wo ich als Führungskraft Mist gebaut habe. Heute würde ich viele Dinge anders machen. Das Gute ist: In der jetzigen Konstellation in unserem Unternehmen New Work Masterskills ist Swantje die Geschäftsführerin und ich bin Angestellter: Und sie ist definitiv die bessere Führungskraft.
Über die Autoren
Swantje Allmers und Michael Trautmann sind Gründer der Beratungsfirma New Work Masterskills. Trautmann ist zudem Co-Podcaster bei On The Way to New Work.