Raus aus den Schubladen!
Letztens war es wieder einmal so weit. Ein lautes „Prösterchen!!!“ schallte durchs Abteil des Regionalexpress, danach folgten ein lautes, mehrkehliges Lachen, dann der süße Duft von günstigem Prosecco und Energy Drinks, zwei leere „Döschen“ rollten zu meinen Füßen drei Reihen weiter hinten. „Herzlichen Glückwunsch!“, sagte ich freundlich, aber bestimmt. Und fügte an: „Aber ich bin hier am Lesen und unterwegs zu einem Vortrag – geht es etwas leiser?“ „Spaßbremse“, schallte es zurück. Und dann fügte eine der jungen Frauen an: „Wir Mädels sind halt so 😉😜🥰🥂“, was natürlich auch auf ihren T-Shirts stand.
Nein, sind wir nicht, dachte ich. Und notierte die Szene in meinem Notizbuch. Warum? Nun, nicht nur angetrunkene Junggesellinnenabschiednehmerinnen begeistern sich für simple Rollenbilder. Schon kleine Jungs wissen: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Und überhaupt: „Männer weinen nicht“. Selbst wenn das alles „Spaß“ sein soll und es Menschen gibt, die sich ganz muckelig in ihrer Schublade eingerichtet haben: Geschlechterstereotype schränken Menschen ein, pressen sie in ein gewünschtes Format und rauben ihnen Möglichkeiten.
Und dass ich mich auch nicht für eine spezielle Spielart des Schubladendenkens begeistern kann, die aktuell besonders beliebt ist – typisch „weibliche“ Eigenschaften und ihre Trägerinnen zu feiern –, wissen Sie seit meiner letzten Kolumne.
Nur „richtige“ Frauen sollen was werden
Natürlich ist es großartig, wenn die oft unterschätzten „Soft Skills“ Zuhören, Teamfähigkeit, Empathie oder Hilfsbereitschaft endlich die Würdigung erfahren, die sie verdienen. Wer sie aber „gendert“, als typisch „weiblich“ zelebriert, erweist ihnen dennoch einen Bärendienst.
Warum? Da sind zum einen die Diskussionen, die ich immer wieder in Unternehmen erlebe. Die versichern bei jeder Gelegenheit, sie hätten gerne mehr Frauen in Führungspositionen. Die sollen sich dann allerdings auch „wie Frauen verhalten“. Immerhin – so die Begründung – könne man ja sonst „gleich Männer nehmen“. Stereotypische Erwartungen sind damit ein wirkungsvoller Mechanismus, um Karrieren von Frauen zu behindern – und wer diese Erwartungen stärkt, macht fleißig mit.
Aber auch angeblich „weibliche“ Frauen stoßen früher oder später an Grenzen. Denn die begeistert gepriesene „feminine“ Sozialkompetenz hat in Sachen Führung keinen besonders hohen Stellenwert. In den meisten Köpfen ist das Bild des durchsetzungsstarken Leaders fest verankert; einem, der bei Bedarf auch mal auf den Tisch haut und seine Ziele mit wilder Entschlossenheit verfolgt. Das führt dazu, dass selbst Unternehmen, die „inclusive Leadership“ in ihren Führungsprinzipien verankert haben, tendenziell „Ergebnisorientierung“ höher gewichten als „Teamfähigkeit“, wenn eine mögliche Nachfolge diskutiert wird.
Wenn Frauen allerdings „männlich“ konnotiertes Verhalten an den Tag legen, ist es auch wieder nicht recht:
Wenn eine Frau durchsetzungsfähig ist oder wettbewerbsorientiert, wenn sie ihr Team zum Erfolg antreibt, wenn sie entschlossene und energische Führung zeigt, weicht sie von dem sozialen Skript ab, das vorgibt, wie sie sich verhalten ‚sollte‘.
Marianne Cooper, Soziologin an der Stanford University[1]
Ein Beispiel: An der Columbia-Universität wurden im Rahmen einer Vorlesung zwei Lebensläufe an die Studierenden verteilt. Die einen sollten einen Kandidaten namens Howard beurteilen, die anderen sich ein Bild von Heidi machen. Während Howard viele positive Rückmeldungen erhielt, als Gewinn für ein Unternehmen, als engagiert, erfolgreich und sympathisch eingeschätzt wurde, war Heidi weit weniger beliebt. Sie wurde als machthungrig eingeschätzt, zu wenig bescheiden, vor allem auf ihr eigenes Fortkommen bedacht. Sie war den Befragten schlicht zu aggressiv.
Was die Studierenden nicht wussten: Beide Gruppen arbeiteten mit dem exakt gleichen Lebenslauf. Das Einzige, was ihre Einschätzung beeinflusste, war die – unbewusste – Vorstellung darüber, wie sich Männer bzw. Frauen verhalten sollen.
Nette Männer
Damit werfen Geschlechterstereotype nicht nur Frauen zurück, sie können auch die Begeisterung von Männern ausbremsen, zurückhaltend, hilfsbereit und empathisch zu agieren. Schon im Bewerbungsprozess tun sich Männer keinen Gefallen, wenn sie freundlich und bescheiden auftreten. Sie werden kritischer betrachtet und weniger positiv beurteilt als Mitbewerberinnen, von denen ein entsprechendes Verhalten erwartet wird.[2] Später wird das aber leider nicht besser: Eine Untersuchung der Yale-Universität zeigt, dass männliche Vorstände, die viel reden, als kompetenter wahrgenommen werden als stillere Kollegen[3].
Welche schrägen Blüten Geschlechtererwartungen im täglichen Leben treiben, unterstreicht eine Untersuchung von Onlinediskussionen[4]: Solange niemand das Geschlecht der dort Beteiligten kannte, hielt sich das Engagement von Frauen und Männern die Waage und ihre Beiträge wurden von den anderen gleichermaßen gewürdigt. Das änderte sich, als man es (vermeintlich) mit einer Frau zu tun hatte. Dann hielt sich die Begeisterung für die Beiträge plötzlich in Grenzen. Woraus die anderen auf „Frausein“ schlossen?
Wer negativ oder kritisch rüberkam, galt automatisch als Mann und wurde als qualifiziert erachtet. Freundliche Kommentare wurden grundsätzlich Frauen zugeschrieben und in der Konsequenz – unabhängig von ihrer Qualität – als weniger relevant abgetan. Angeblich ‚weibliches‘ Verhalten wurde also abgestraft, egal von wem es kam.
Wie so was passiert? Vielleicht ist Ihnen vor einigen Jahren die #LikeAGirl-Kampagne begegnet:
In ihr wurden Teilnehmende aufgefordert, „wie ein Mädchen“ zu agieren – so zu laufen, zu werfen oder zu kämpfen. Während sich junge Mädchen dabei richtig ins Zeug legten und das Letzte gaben, um die Aufgaben so gut zu erledigen, wie sie eben konnten, war die Sache für Jungs, Männer und Frauen ein Witz: Ab 10 oder 12 haben Menschen fest verinnerlicht, dass „etwas ‚wie ein Mädchen‘ machen“ bedeutet, sich ziemlich blöd anzustellen. Schauen Sie das Video!
„Weil ich ’n Mädchen bin?“
Frauen wird es – allein – nicht gelingen, diese tief verinnerlichten Glaubenssätze aufzubrechen. Ein erster Schritt ist es aber, damit aufzuhören, irgendwelche Verhaltensweisen zu „gendern“, denn das beeinflusst nicht nur ihr Wertigkeit, ihr soziales Prestige. Es definiert gleichzeitig, „für wen sie sind“ und von wem wir sie erwarten.
Im Klartext:
Freundlichkeit, Mitgefühl und die Bereitschaft anderen beizustehen sind zutiefst menschliche Eigenschaften. Wer sie vermissen lässt, ist nicht ‚männlich‘, sondern ein Arschloch.
[1] For Women Leaders, Likability and Success Hardly Go Hand-in-Hand (hbr.org)
[2] When Men Break the Gender Rules: Status Incongruity and Backlash Against Modest Men (researchgate.net)
[3] What Works, Iris Bohnet, 2016, Harvard University Press, London
[4] Gender Stereotypes in Deliberation and Team Decisions – Article – Faculty & Research – Harvard Business School (hbs.edu)
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Nächste Schritte:
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