Machen statt meckern!
Aktuell gebe ich zahlreiche Trainings zum Thema faire Führung. Es geht darum, wie Ungerechtigkeiten entstehen und wie sie sich verhindern lassen, was wir alle tun können, um ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem unterschiedliche Menschen gleiche Chancen haben – und Spaß an ihrer Arbeit. Was mir dabei auffällt: Die meisten Trainingsteilnehmerinnen und -teilnehmer sind sich vieler Fairnessverstöße in ihrem Umfeld durchaus bewusst. Leider oft nicht der eigenen. Woran liegt das?
Blinde Flecken
Vor einiger Zeit habe ich mit einer Kollegin eine Befragung unter Führungskräften durchgeführt, um zu erheben, wo Unternehmen mit ihren Bemühungen um Vielfalt und Chancengleichheit stehen und welche Maßnahmen besonders erfolgreich sind. Drei Viertel der Führungskräfte gab dabei an, innerhalb der letzten Monate eingeschritten zu sein, weil andere unfair agiert haben. Aber: Nur die Hälfte hatte ein solches Verhalten bei sich selbst beobachtet. Das Phänomen hat einen Namen: Bias Blind Spot. Dieser blinde Fleck führt dazu, dass wir ganz ausgezeichnet in der Lage sind, ungerechtes Verhalten bei anderen zu erkennen. Nur für das eigene sind wir häufig blind. Schließlich stellt sich aus unserer Perspektive die Sache eindeutig dar. Dass die Dinge aus einem anderen Blickwinkel, auf Basis anderer Informationen oder bei einer anderen Gewichtung auch anders aussehen, übersehen wir leider.
In der Untersuchung, die dem Phänomen seinen Namen gab, hielten sich 85 Prozent der Beteiligten für unterdurchschnittlich vorurteilsbelastet. Nur eine einzige Teilnehmerin von 600 schätzte sich selbst als voreingenommener ein. Dabei ist das Thema alles andere als neu. Eventuell kennen auch Sie es noch aus dem Religionsunterricht: Die Sache mit dem Splitter und dem Balken im Auge?
Einen weiteren Grund, der Verhaltensänderungen beim Thema Fairness ausbremst: Wir beschränken uns darauf, das Problem zu „bewundern“. Dann wird souverän mit Begriffen wie „unconscious bias“ und „Privilegien“ hantiert. Relevante Studien hat man schnell zur Hand und möchte am allerliebsten noch viel mehr zu diesem faszinierenden Thema erfahren. Ganz tief einsteigen, um bloß nichts Wesentliches zu übersehen. Nur ändern tut sich dadurch leider nichts.
Warum Diversityprogramme scheitern
Harvard Business ManagerDrei Schritte
Verstehen Sie mich nicht falsch: Meiner Erfahrung nach lohnt sich eine saubere Analyse, um Barrieren zu identifizieren, die Menschen im Job und beim Aufstieg behindern, und um strukturelle Ungerechtigkeiten abzubauen. Aber wenn wir nicht anfangen, etwas dagegen zu unternehmen, auch bei uns selbst, wird sich daran nichts ändern. Deshalb hier drei Dinge, die Sie sofort tun können, um Vorbehalte gegen andere Menschen abzubauen und die Chance zu erhöhen, sie fair zu behandeln:
Den inneren Film überprüfen
Äußerlichkeiten beeinflussen unsere Sicht auf andere. Beobachten Sie deshalb Ihre eigene Reaktion auf die nächsten drei Menschen, denen Sie begegnen. Was geht Ihnen zuerst durch den Kopf? Welchen Einfluss haben Alter, Geschlecht, Hautfarbe oder Kleidung auf Ihre Einschätzung? Und dann: Machen Sie die Person mal zur Hauptfigur einer ganz anderen Geschichte, um Stereotypen und Vorurteile abzubauen.
Machen wir die Probe aufs Exempel: An wen denken Sie, wenn Sie an deutsche Spitzenforschung in den Naturwissenschaften denken? Instinktiv kommt den meisten von uns weiterhin eher Albert Einstein als Özlem Türeci in den Sinn – obschon letztere jeden Tag in der Zeitung ist und ihre Arbeit für unseren Alltag um einiges relevanter. Und wäre „Unternehmerin“ Ihre erste Assoziation gewesen, wenn Sie die Biontech-Mitgründerin vor einem Jahr in Mainz auf der Straße getroffen hätten?
Schon wenn wir Menschen in unserer Vorstellung andere Rollen geben, als uns automatisch in den Sinn kommen, erweitern wir, was wir für „denkbar“ halten. Noch viel praktischer wird diese Aufklärung, wenn wir sie im wahren Leben vor Augen geführt bekommen – wenn also Führungskräfte als Vorbilder ihre Vorstellungen „live“ hinterfragen und wir von ihnen lernen können.
Sich überraschen lassen
Lernen Sie Neues kennen. Suchen Sie überraschende Erfahrungen und Gespräche, selbst wenn Sie sich damit (zunächst) unwohl fühlen. Das eröffnet neue Perspektiven und reduziert Vorbehalte und Vorurteile. Es gibt aktuell so viele spannende Onlineveranstaltungen, da ist bestimmt auch etwas für Sie dabei. Besonders praktisch: Die Barrieren sind bei virtuellen Veranstaltungen oft deutlich geringer als im „echten“ Leben.
Kontakt halten
Melden Sie sich regelmäßig bei Teammitgliedern, mit denen Sie selten Kontakt haben, und führen Sie kurze Gespräche ohne feste Agenda. Trinken Sie gemeinsam einen Kaffee und sprechen Sie darüber, was Sie aktuell umtreibt. Viele Menschen konzentrieren sich zurzeit nur auf ihre wichtigsten Verbindungen, auf diejenigen, die ihnen besonders nahestehen. Das ist verständlich bei der Menge an virtuellen Meetings, Ablenkungen und Neujustierungen des Alltags. Aber: Wenn wir immer nur unsere wichtigsten „Peers“ kontaktieren, können Menschen, die eine weniger zentrale Rolle im Team haben, leicht ins kommunikative Abseits geraten. Verhindern Sie das!
Nächste Schritte:
Weitere praktische Tipps und Tricks bietet Fair führen. Das Buch wurde mit dem getAbstract International Book Award 2020 ausgezeichnet. Laut Jury liefert es „nicht weniger als das erforderliche Rüstzeug für zukunftsfähige Unternehmen – eloquent, sachkundig und inspirierend.“