„Wenn ich mich kraftvoll und klar äußere, wo ich stehe und warum ich da stehe, werde ich ernst genommen“
Sind Sie gerne eine Frau?
Manuela Rousseau: (lacht) Naja, wie man im Buch lesen kann, war meine Mutter ziemlich enttäuscht darüber, dass ich als Mädchen auf die Welt kam. Doch ich muss sagen, ich bin gerne Frau. Ich bin froh, dass ich als Frau in Deutschland lebe und nicht in einem Land, wo Gleichberechtigung noch kein realisiertes Thema ist. Wir Frauen in Europa sind vielleicht noch nicht da, wo wir sein wollen, aber wir sind schon sehr weit gekommen, haben viele Möglichkeiten, unserer Leben zu gestalten.
Die Enttäuschung Ihrer Mutter hat dafür gesorgt, dass Sie sich besonders angestrengt haben. Sie wollten immer zeigen, dass Mädchen auch das erreichen können, was Jungen erreichen können.
In allem, was ich tat, musste ich ihr beweisen, dass sie Unrecht hat mit ihrer Annahme, dass Mädchen nur Nachteile in dieser Gesellschaft haben. Mit diesem Bild hat sie mich mein Leben lang herausgefordert, zu zeigen, dass es super ist, ein Mädchen zu sein! Ich kann etwas sagen, ich kann etwas tun, ich kann etwas bewirken, ich kann Karriere machen.
Was glauben Sie, säßen Sie heute auch im Aufsichtsrat bei Beiersdorf, wenn Sie als Mann geboren wären?
Mit meiner Erziehung eher nicht. Meine starke Motivation basierte darauf, dass ich zeigen wollte, dass Frauen alles erreichen können. Als Junge hätte sich die Frage, wie weit mich eine Karriere tragen kann, nicht so zwingend gestellt. Die Annahme wäre von vornherein gewesen: Natürlich taugt er für so etwas wie einen Aufsichtsratssitz. Für ein Mädchen wäre es eine Spinnerei gewesen. Daher: Ich glaube, dass ich als Junge beziehungsweise als Mann diesen Schritt in den Aufsichtsrat gar nicht angestrebt hätte.
Eigentlich gilt die westliche Welt als aufgeklärt und emanzipiert. Und dennoch ist das Mann-Frau-Thema und die gleichberechtigte Präsenz von Frauen und Männern, zum Beispiel in Führungspositionen, noch immer aktuell.
Ich bin eine Befürworterin der Quote, da der Nachholbedarf immer noch sehr groß ist. Sicher wollte ich niemals eine Quotenfrau sein. Dies gilt auch für Männer – auch sie wollen keine Quotenmänner sein. Für mich ist die zentrale Frage: Wie schaffen wir es, in gemischten Teams nach vorne zu kommen? Für Aufsichtsräte wurde die Quote im Jahr 2015 ins Gesetz aufgenommen und seitdem gilt: In den Aufsichtsräten muss ein Frauenanteil von 30 Prozent gelten. Und diesen Anteil konnten wir bei Beiersdorf sehr schnell erreichen. Aktuell liegen wir bei 42 Prozent, und das ist ein super Ergebnis! Für den Frauenanteil im Vorstand aber galt bislang nur die Freiwilligenquote, es hat sich also wenig getan. Heute liegen wir in deutschen Unternehmen bei 12 Prozent, wobei sich die Quote aber jahrelang im einstelligen Bereich bewegt hat. Hoffnung macht das neue Führungspositionsgesetz. Die Quote beschleunigt den Prozess, was gut ist. Denn der Frauenanteil an der weltweiten Bevölkerung liegt nun einmal bei ungefähr 50 Prozent. Wir sind gut ausgebildet, wir sind auf dem Markt. Es gibt keinen Grund, warum wir nicht mehr Verantwortung in führenden Positionen übernehmen sollten. Und solange das nicht realisiert ist, werden wir die Quote brauchen.
Sie selbst sprechen in der Regel nicht von Quote, sondern eher von Krücke – was meinen Sie damit?
Ich meine damit, wir brauchen einen Übergang, sprachlich löse ich mich jedoch immer weiter von dem Begriff. Das Wort “Krücke“ trifft es nicht genau, ruft eher Unbehagen hervor. Ich selbst finde mittlerweile das Wort “Ziel” viel passender. Ziel ist es, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu haben und die Quote hilft dieses zu erreichen.
Sie vertreten die Meinung, dass Frauen oft zu kompromissbereit sind. Aus eigener Erfahrung stimme ich zu. Was kann ich tun, um weniger oft nachzugeben?
Für mich ist der Begriff “kompromissbereit“ erst einmal positiv besetzt: Kompromissfähigkeit ist eine große Stärke. Und über diese verfügen wir Frauen. Man muss jedoch aufpassen, dass man nicht die eigene Haltung oder die eigene Position verliert. Dafür muss ich zunächst einmal wissen: Wie ist denn meine Haltung zu bestimmten Punkten, zu einzelnen, für mich relevanten Themen? Und wo würde ich nicht abweichen, weil meine Werte betroffen sind, die zum Beispiel mein Vorgehen bedingen. Haltung und Werte sind Teil der Persönlichkeit.
Aber mutig zu sein, dient der eigenen Weiterentwicklung – und damit letztlich dem Selbstbewusstsein.
Manuela Rousseau
In der Praxis bedeutet das, dass man mit mir lange handeln muss, um zu einem Kompromiss zu kommen. Es braucht gute Argumente, da meine Haltung stets sehr klar und gefestigt ist. Was nicht passieren sollte. ohne Meinung in ein wichtiges Gespräch gehen. Man muss sich seiner eigenen Meinung zu einem Thema vorher bewusst werden und diese auch vertreten. Haltung ruft beim Gegenüber zudem Respekt hervor. Das habe ich in den vielen Jahren im Aufsichtsrat gelernt. Nur wenn ich mich kraftvoll und klar äußere, wo ich stehe und warum ich da stehe, werde ich ernst genommen. Sicher ist das nicht immer einfach, erst recht nicht, wenn Sie eine Einzelposition einnehmen. Sie müssen raus aus der eigenen Komfortzone. Das ist nicht bequem und erfordert Mut. Aber mutig zu sein, dient der eigenen Weiterentwicklung – und damit letztlich dem Selbstbewusstsein.
Und damit wären wir beim nächsten Thema: Mut. Sie rufen den Frauen zu, dass sie mutiger sein dürfen. Wenn Sie zurückdenken: Was war der für Sie bislang eindrücklichste Moment, in dem Sie mutig waren?
Ich war definitiv sehr mutig, als ich „Ja“ gesagt habe, als man mir eine Kandidatur im Aufsichtsrat anbot. Schließlich fehlte mir jede Erfahrung. Ich habe mir ein wenig Bedenkzeit ausbedungen, um zu recherchieren und mir Wissen und Kenntnisse anzueignen, die mich zu einer Entscheidung bringen konnten. Erst dann habe zugesagt. Im Anschluss habe ich die Aufsichtsratswahl erst einmal verloren. Das heißt, ich habe damals auch etwas Wichtiges gelernt: Nur, weil man sich anstrengt, weil man es wirklich möchte, weil man dafür kämpft, bedeutet das noch lange nicht, dass man auch erfolgreich ist. Doch es ist wichtig, nach Niederlagen wieder aufzustehen. Auch das erfordert Mut. Nach meinem Konkurs im Einzelhandel in meinen frühen Berufsjahren war ich wirklich tiefgefallen und musste erst einmal kleine Brötchen backen. Ich hatte ein Unternehmen besessen, war selbstständig gewesen, und musste wieder von vorne anfangen. Die verlorene erste Aufsichtsratswahl und der Konkurs – aus beiden Situationen habe ich viel über Mut gelernt. Zudem gehört zum mutig sein für mich auch, sich nicht von anderen instrumentalisieren zu lassen. Damit sind wir wieder bei der eigenen Haltung.
Also, ganz nach dem Diktum des deutschen Diplompsychologen und Autors Jens Corssen, der sagt: “Wer hat denn nun das Problem? “
Genau. Die Co-Autorin, Stephanie Ehrenschwendner, hat mich auch bei meinem Buch beraten. Die für mich wichtigste Erkenntnis aus ihrem gemeinsamen Werk Lieben: Warum das größte aller Gefühle in Wahrheit eine Haltung ist war die: Ich darf es mir erlauben, jeden Tag so zu gestalten, wie ich ihn erleben möchte; unsere Gedanken steuern unser Handeln und wir können jeden Morgen selbst entscheiden, was wir tun wollen und wie wir den Tag erleben. Fröhlich, traurig, kämpferisch, glücklich… Ich darf mir die Freiheit nehmen, meine Emotionen selbst zu bestimmen statt mich ausschließlich von ihnen leiten zu lassen.
Lässt sich Mut trainieren?
Ja, und zwar in der Praxis. Das erste Mal öffentlich aufzustehen und sichtbar zu werden, sei es im Aufsichtsrat oder in einem großen Saal mit vielen Menschen, hat mich enorme Überwindung gekostet. Ich habe es dennoch getan, wenn auch mit hochrotem Kopf, klopfendem Herzen und zitternden Knien. Aufstehen, eine Frage stellen, bedeutet, sich (Frei-)Raum zu nehmen. Das ist jetzt 30 Jahre her, aber dass ich damals aufgestanden bin, hat mir gezeigt, dass sich Mut trainieren lässt. Man sollte sich aber darüber bewusst sein, dass Mut immer auch ein Risiko bedeutet, zu scheitern – also will beides wohl abgewogen werden. Es geht um eine Entwicklung, einen Schritt nach dem nächsten. So wird man mutig oder eben mutiger.
Sie sprachen von der Sichtbarkeit. Auch hier lautet Ihr Appell an die Frauen: Macht Euch sichtbarer! Positioniert Euch, macht auf Euch aufmerksam. Warum ist das so wichtig?
Nehmen wir das klassische Meeting. Unabhängig davon, wie viele Frauen und Männer anwesend sind: Leisten Sie einen Wortbeitrag! Beteiligen Sie sich! Alles andere hinterlässt den Eindruck, dass das Thema Sie nicht interessiert, und dass Sie den anderen gegenüber keine Wertschätzung zeigen. Wenn Sie eingeladen sind, sollten Sie aktiv teilnehmen und Ihre Präsenz unterstreichen, indem Sie Ihre Stimme erheben. Auch das lässt sich trainieren. Grundsätzlich gibt es hier einige kleine, feine Regeln:
- Adressieren Sie Ihre Frage oder Ihren Beitrag ganz gezielt.
- Knüpfen Sie an etwas an, was jemand anderes vorhergesagt hat und setzen Ihren eigenen Punkt darauf auf. In Runden, in denen Sie unbekannt sind, nennen Sie Ihren Namen und Ihre Funktion.
- Sprechen Sie die Ranghöchste oder den Ranghöchsten im Raum an und nennen Sie ihn beim Namen.
Indem Sie die Menschen mit Namen ansprechen, verschaffen Sie sich Gehör und Aufmerksamkeit. Menschen mit Namen anzusprechen bedeutet, sie bewusst wahrzunehmen, es drückt Respekt und Wertschätzung aus und schafft Vertrauen.
Kommen wir noch einmal auf das Mann-Frau-Thema zurück. Glauben Sie, dass es wirklich irgendwann keine Rolle mehr spielt, ob man Mann, Frau oder divers ist?
Ich glaube, dass wir hier auf einem guten Weg sind. Ich mache das an der jüngeren Generation fest, die ihre Partnerschaften neu definieren und Rollen neu verteilen. Ich selbst bin noch mit einem Vater als Alleinverdiener aufgewachsen. Er hatte diese Rolle fest in sein Leben integriert. So ist es auch heute noch bei der etwas älteren Generation häufig anzutreffen. Aber die jetzige Generation, die Studierenden, denken hierarchiefreier. Junge Männer wünschen sich Partnerinnen, die eigenständig sind, die einen Beruf ausüben, selbst Geld verdienen. Sie sehen darin Vorteile für sich selbst. Klassische Rollen werden sich auflösen, und neue, individuelle Familienmodelle werden sich ergeben und werden auch schon gelebt. Familien begreifen sich heute als Team. Das fängt im Privatleben an und setzt sich im Berufsleben fort. Sicher werden wir immer noch Stereotypen haben, die uns daran erinnern, dass wir noch einen längeren Weg vor uns haben. Aber ich denke dennoch, dass es in 10 bis 20 Jahren normal sein wird, dass Männer und Frauen selbstverständlich und gut zusammenarbeiten, und dass dies als bereichernd betrachtet wird.
Die große Herausforderung der Zukunft: den Mehrwert von gemischten Teams zu nutzen.
Manuela Rousseau
Ich gehe noch weiter und spreche von gemischten Teams: Teams, in denen Menschen aus verschiedenen Nationen, Kulturen kommen und unterschiedliches Wissen additiv nutzen. Um dort hinzukommen sollten wir daran arbeiten, gemischte Teams erfolgreich zu machen. Das klappt nicht, indem frauenfördernde Seminare angeboten werden. Frauen kommen genauso hervorragend ausgebildet aus dem Studium wie Männer. Was wir brauchen ist Offenheit, die Bereitschaft, Andersdenkende, Andersfühlende, Andersagierende zu respektieren und als Bereicherung zu erkennen. Das ist eine große Herausforderung der Zukunft: den Mehrwert von gemischten Teams zu nutzen. Und dass jede und jeder Spaß daran hat, weil alle ihr individuelles, unterschiedliches Wissen einbringen können. Erfolg zu haben ist eine starke Triebfeder.
Welche Gedanken haben Sie zur finanziellen Gleichberechtigung?
Bei Beiersdorf ist das im Blick auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit grundsätzlich gegeben. Sicher entsteht ein wenig Spielraum, wo jemand mit einer gleichen Berufsausbildung vielleicht ein bisschen erfahrener ist. Oder sie oder er kommt aus einer Position, wo sie oder er vorher mehr verdient hat, man sie oder ihn aber für das Unternehmen gewinnen möchte. Grundsätzlich glaube ich, dass die Entlohnung zukünftig wenig damit zu tun haben wird, welchen Geschlechts ich bin, sondern damit, welche Erfahrungen ich einbringen kann.
Sie arbeiten unter anderem auch als Professorin am Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Ich habe in einem Interview gelesen, dass Ihnen der Titel der Professorin zunächst “unangenehm” war.
Es war vielmehr der Umstand unangenehm, dass ich erst, nachdem ich diese Professur erhalten hatte, immer gefragt wurde, was ich studiert hätte. Vorher wollte das niemand wissen. Und dann musste ich die Karten auf den Tisch legen – ich hatte nicht studiert. Das war das eigentlich Unangenehme. Der Titel an sich ist schön, aber die Tatsache, dass ich einen Lebensweg öffentlich machen musste, der mir diesen Titel erst einmal so nicht ermöglicht hätte, das war eher unbequem. Dass ich darauf stolz sein kann, habe ich in den ersten Jahren als Professorin nicht erkannt. Vielleicht lag es daran, dass ich damals noch keine klare Position dazu hatte. Heute denke ich: Es ist etwas Besonders, was ich leiste, ich darf es mit Freude erklären.
Sie sind unter anderem auch als Mentorin tätig. Ich würde gern kurz zwei Situationen schildern, in denen ich einen guten Rat gebrauchen könnte. Erstens: Dieser Moment, in dem man als Frau denkt «Oh Gott, warum habe ich bloß „Ja“ gesagt, ich kann das doch gar nicht.» Wie bleibe ich nun selbstbewusst und packe den Stier bei den Hörnern?
Ich hoffe, das ging Ihnen nicht vor dem Standesamt so, dort hatte ich ein ungutes Gefühl bei meiner ersten Hochzeit. (lacht) Aber ernsthaft: Ich habe damals, als die Anfrage für den Aufsichtsrat kam, deutliches Interesse signalisiert aber nicht sofort „Ja“ gesagt. Das ist in jeder Situation wichtig. Niemals „Ja“ sagen, ohne Details zu kennen, sondern erst einmal weitere Informationen einholen. Eine Schleife drehen, sage ich gern. Nicht sofort dem Impuls vielleicht nicht „Nein“ sagen zu wollen nachgeben, sondern mit einer kritischen Distanz sagen: Danke, ich freue mich über dieses tolle Angebot. Ich hätte gerne Zeit bis morgen, um darüber nachzudenken. Dies gibt die Möglichkeit, darüber nachzudenken, was es bedeuten würde, abzulehnen oder unter welchen Rahmenbedingungen es ein klares JA werden könnte.
Häufig spielt die Angst hinein, dass jemand anderes gefragt wird, wenn ich nicht sofort „Ja“ sage. Oder dass man nie wieder gefragt wird. Man sagt zu, obwohl man vielleicht gar keine Zeit, Interesse oder Erfahrung hat.
Hier fangen wir an, Kompromisse auszuhandeln. Nehmen wir den Faktor Zeit. Erkundigen Sie sich direkt nach dem Zeitaufwand. Wenn Sie sehen, dass es möglich wäre, Sie aber andere Dinge vielleicht vertagen müssten, fordern Sie als Freiberuflerin oder Freiberufler mehr Honorar. Sagen Sie, dass Sie es gerne machen, aber anderes schieben müssen und aus diesem Grund beträgt Ihr Honorar plus 10 Prozent. Sicher ist das mutig, aber es ist klar. Auch ich habe mich lange schwer damit getan, Preise für Vorträge zu nennen. Zeit ist nun einmal Geld, besonders für Selbstständige.
Die zweite Situation betrifft das Stichwort Gehaltsverhandlung. Ich weiß, was mein Vorgänger in der gleichen Position verdient hat, daher habe ich genau diese Summe in den Raum gestellt. Man will mir aber 20 Prozent weniger bezahlen. Dabei habe ich sogar bessere Referenzen. Was mache ich?
Sie sollten grundsätzlich mit einer vorher überlegten und festgelegten Gehaltsvorstellung in ein solches Gespräch gehen. Das, was Sie im Gespräch aufrufen, darf sicher höher sein als was am Ende der Verhandlung dabei rauskommt. Wenn Sie ein deutliches Zögern bei Ihrem Gegenüber spüren, können Sie immer noch fragen, an welche Größenordnung er oder sie gedacht hat. Bringen Sie Argumente mit, warum Sie so gut sind, dass Sie das geforderte Gehalt verdienen – Fakten wie Berufserfahrungen oder spezielle Eigenschaften, die Sie auszeichnen. Was haben Sie bisher gemacht? Wie flexibel sind Sie? Sehen Sie sich selbst ein wenig wie ein Produkt, eine Marke, und verkaufen Sie sich entsprechend. Fragen Sie sich vorab, wo Ihre Schmerzgrenze ist, bei der Sie aussteigen werden, und ist diese erreicht, sagen Sie höflich: Es tut mir wirklich leid, aber es ist für mich der falsche Zeitpunkt für Ihr Angebot. So haben Sie nicht einmal „Nein“ gesagt. Oder seien Sie ehrlich: Ich habe andere Gehaltsvorstellungen.
Und abschließend eine Frage, die ebenfalls einen persönlichen Hintergrund hat: 2020 war ein schwieriges Jahr für alle, besonders aber für Frauen. Viele wurden durch Homeschooling und Homeoffice wieder verstärkt in alte Rollenmuster gedrängt. Also von der berufstätigen Frau wieder hin zur Hausfrau und Mutter.
Diese Situation hat sich in der Krise grundsätzlich häufig nicht verändert. Der- oder diejenige, die in der Partnerschaft eine Vollzeitbeschäftigung hat, hat derzeit wenig Spielraum dafür, sich um Kinder oder Haushalt zu kümmern. Diese Verantwortung liegt in den meisten Fällen wieder bei den Frauen, das stimmt. Weil sie diejenigen sind, die meistens in Teilzeit beschäftigt sind. Frauen werden aktuell enorm beansprucht und legen einen Spagat hin, der über das möglich Machbare hinausgeht: die berufliche Arbeit selbst, dazu die Betreuung von Kleinkindern oder Homeschooling, Haushalt und die tägliche Versorgung der Familie – das alles vielleicht noch in einer kleinen Wohnung. Es ist derzeit eine extreme Situation für Frauen! Ich habe vor jeder einzelnen Respekt. Ich glaube jedoch, dass viele Männer jetzt erkennen, welche enorme Leistung Frauen im Alltag erbringen, wie viel Arbeit im Familienalltag steckt.
Die Krise hat noch sichtbarer gemacht, was Frauen leisten.
Manuela Rousseau
Frauen wollen nicht, dass Männer ihnen «etwas abnehmen», sondern, dass die Verantwortung sowie das Bewusstsein, zuständig zu sein, bei beiden gleich ist. Gerade in den jüngeren Generationen verändern sich die Rollenmodelle. Ich finde, die Krise hat noch sichtbarer gemacht, was Frauen leisten. Paare werden in und nach der Pandemie auch über neue Arbeitszeitmodelle nachdenken. Ich bin der Meinung, dass nicht eine Person allein ein volles Gehalt für die Familie erarbeiten muss. Gut wäre doch, wenn jeder jeweils die Hälfte dessen beitragen kann, was die Familie braucht. Das täte jedem einzelnen oder jeder einzelnen wie auch unserer Gesellschaft gut. Es würde Frauen vor Altersarmut bewahren, weil sie sich kontinuierlich Rentenansprüche erwirtschaften könnten. Wir würden endlich wegkommen von: Du arbeitest ja nur Teilzeit. Reduzierte Vollzeit wäre ein paritätisch funktionierendes Modell. Das würde Familien helfen, auch nach der Pandemie.
Über die Autorin
Manuela Rousseau ist seit Juni 1999 Mitglied im Aufsichtsrat der Beiersdorf AG und seit 2019 stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende. Seit April 2009 ist sie auch im Aufsichtsrat der maxingvest AG. Daneben ist sie Professorin im Studiengang Kulturmanagement an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater.