Folge 8: Firmenevents – und warum man trotzdem hingehen sollte
«Verrückt, wie erfolgreich man ungewollte Anlässe verdrängen kann», denkt sich Nina, während sie die Mail mit dem Betreff: 30 Jahre – let’s party! öffnet. Natürlich kennt sie den Inhalt der Nachricht: Das von allen heiß erwartete Firmenjubiläum, das mit einer Party am kommenden Freitagabend gefeiert wird. Als sie das letzte Mal daran gedacht hat, war das nur irgendein Datum im Januar. Doch jetzt muss Nina entsetzt feststellen, dass alle anderen das Event offenbar nicht vergessen haben. Ihre Woche ist im Eimer – oder zumindest die Motivation. Wie schön wäre es, einfach nicht hinzugehen … Sie könnte ja eventuell sagen, dass sie Kopfschmerzen hat? Dann fällt ihr ein: Das war schon beim letzten Mal ihre Ausrede. Vielleicht ein dringendes anderes Event? Aber was wäre hier glaubhaft und vor allem akzeptabel? Nina lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und starrt an die Decke. Sie ärgert sich über sich selbst. Hätte sie sich doch bloß nicht von Ellen bequatschen lassen und am Ende zugesagt. Doch damals schien es noch so weit weg… Nina schliesst die Augen. Aber, mal ehrlich: Was würde denn schon passieren, wenn sie einfach nicht hinginge? Vielleicht ein, zwei Kommentare, mehr käme sicher nicht. Man kann sie schließlich nicht zwingen – oder?
Gesetzlich können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter tatsächlich nicht verpflichten, an Firmenevents teilzunehmen. Besonders introvertierte Persönlichkeiten können diesen lebhaften Abenden, an denen jeder mit jedem zu sprechen scheint, nichts abgewinnen. Daher sagen sie in der Regel – wie Nina– ab. Das ist aber nicht immer zum eigenen Vorteil, so dass man sich genau überlegen sollte, ob es nicht doch möglich wäre, sich irgendwie zu motivieren, für wenigstens ein, zwei Stunden zu kommen. Devora Zack, selbst bekennende Introvertierte, macht ihresgleichen Mut, denn sie meint, dass es ein Irrglaube sei, dass nur Extrovertierte gut networken können. Dieser beruhe darauf, dass man Introvertierten bisher einfach die falschen Ratschläge gegeben hat:
Meiner Erfahrung nach sind Menschen, die von sich behaupten, mit Netzwerkpflege nichts am Hut zu haben, zugleich überzeugt, dass sie selbst zu ebendieser Netzwerkpflege partout unfähig sind. Das Gegenteil aber ist der Fall. Gerade diese Menschen bringen die besten Voraussetzungen mit, um hier zu brillieren. Sie befolgen nur die falschen Regeln.
Devora Zack
Sich «ins Getümmel zu stürzen», aktiv zu verkaufen oder auch unter möglichst viele Leute zu gehen, das alles sind Tipps für Menschen, die sich von Natur aus auf Partys wohl fühlen, sogar Kraft daraus schöpfen. Menschen, die Ruhe und Zeit mit sich allein bevorzugen oder sogar regelrecht brauchen, werden diese Vorschläge ins seelische Unglück stürzen – auch Networking-Versuche schlagen unter diesen Voraussetzungen garantiert fehl. Stattdessen können und sollten Introvertierte auf Events, Parties und anderen Treffen am besten zuhören, beobachten und verarbeiten. Außerdem sollten sie sich Ziele setzen – realistische Ziele: Wenn sie nur ein, zwei neue Leute getroffen haben, mit denen sie nette Gespräche hatten, war der Abend ein voller Erfolg.
Solche Abende sind für Introvertierte anstrengend – deshalb sollte auf Qualität gesetzt werden, nicht auf Quantität. Sich nicht auf jedes Event zwingen, aber durchaus zu einigen verpflichten – und das möglichst frühzeitig: So gewinnt man nicht nur Zeit, sich innerlich darauf einzustellen, sondern macht auch seltener einen Rückzieher. Und gerade Letzteres sollte man durchaus ernst nehmen, denn:
Netzwerkpflege ist die Basis dafür, dass Sie Ihr Potenzial voll ausschöpfen können.
Devora Zack
Auch wenn Nina die Gesetzeslage nur zu gern weiter ausreizen und erneut absagen würde – sie möchte sich genauso gern beruflich weiterentwickeln. Und wie man es auch dreht und wendet: Es sind solche Feiern, und nur solche Feiern, auf denen sie unverbindlich und verhältnismäßig einfach in die Nähe der Personen kommt, von denen ihre berufliche Weiterentwicklung abhängt. Das weiß Nina eigentlich und sie gibt sich einen Ruck. So schlimm wird’s schon nicht werden. Entschlossen löscht sie die begonnene Absage und schreibt Ellen stattdessen: «Weißt du schon, was du Freitag anziehst?»
Ninas Welt
Nina ist 28 und Angestellte im Bereich Marktforschung. In ihrem Büroalltag erlebt sie immer wieder Situationen, in denen sie sich denkt: «Ich kann nicht die einzige mit diesem Problem sein.» Wie gut, dass sie jetzt Zugang zur getAbstract-Bibliothek hat und ihre Lösungsvorschläge Gegenstand unserer neuen monatlichen Arbeitswelt-Kolumne sind, finden Sie nicht?