„Feelgood Management ist kein Allheilmittel.“
Frau Kraus-Wildegger, Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch, dass rund 85 Prozent der Beschäftigten nur eine geringe bis gar keine emotionale Bindung zum Unternehmen haben. Das ist erschreckend.
Monika Kraus-Wildegger: Das ist die bittere Wahrheit. Und das Ergebnis eines bislang gelebten Führungsverständnisses in Kombination mit einem Überangebot an Arbeitskräften. Es standen immer genug Menschen und damit Mitarbeiter zur Verfügung. Die mussten dann ihre Aufgaben machen, weil Arbeit „kein Ponyhof“ ist. Für diese missliche Situation sind nicht einmal die Führungskräfte selbst verantwortlich, sondern ihre Sozialisation.
Das heißt?
Im Leadership-Zirkel war das eine Essenz: „Bewahrt eine professionelle Distanz zum Mitarbeiter, und gebt ihnen klare Vorgaben, damit sie wissen, was sie zu tun haben!“ Früher hat das gut funktioniert. Doch das waren andere Zeiten. Nun herrscht aber Vollbeschäftigung, und bald werden wir noch hektischer nach Fachkräften suchen. Märkte waren vorhersehbar, jetzt sind sie volatil. Und selbst der Kunde weiß ja nicht, was er morgen noch alles möchte oder braucht. Jetzt geht es darum, Mehrwert für den Kunden zu schaffen, und dazu muss man mutig sein und ausprobieren. Nur so können wir als Führungskräfte den neuen Anforderungen gerecht werden.
Was hat das mit der Bindung zum Unternehmen zu tun?
Die 85 Prozent, die keine oder nur geringe Bindung zu ihrem Unternehmen haben, sind die, die bisher nicht mitgenommen wurden. Oder sich noch gar nicht auf die Reise gemacht haben. Egal ob Führungskraft oder Mitarbeiter: beide Rollen haben mit Herausforderungen zu kämpfen, sie müssen sich aktiv mit dem Wandel beschäftigen. Und den Wandel können sie mitgestalten, das nennt man Innovation. Die allerdings kommt nicht von ungefähr: Man kann ein Umfeld pflegen, das Innovationen begünstigt, indem man Menschen Freiräume gibt, ein gemeinsam definiertes Ziel zu erreichen. Führungskräfte, die das tun, setzen auf Kreativität, Kooperation, Empathie, Fingerspitzengefühl – und sie zeigen, dass sie am selben Strang ziehen, die geleistete Arbeit wahrnehmen und das Engagement schätzen. Das sind die Fertigkeiten, auf die es nun ankommt.
Wie wichtig ist diese Wertschätzung in Unternehmen, verglichen mit anderen relevanten Faktoren?
Menschen verlassen ja bekanntlich nicht Unternehmen, sondern sie verlassen einen Vorgesetzten oder eine Chefin. Und sie tun das in den meisten Fällen, weil sie sich in irgend einer Form – zwischenmenschlich oder materiell – nicht genug wertgeschätzt fühlen.
Wertschätzung ist ein menschliches Grundbedürfnis, niemand kann ohne sie leben oder sein Potenzial entfalten.
Monika Kraus-Wildegger
Sie zeigt sich durch Aufmerksamkeit, durch Gehört- und Gesehenwerden, und eben nicht nur in Hierarchien, Titeln und Gehaltserhöhungen.
Der großzügige Lohn hat als Motivator ausgedient?
Ein guter Lohn ist keine Nebensache, hat aber in den letzten Jahrzehnten an Relevanz verloren. Er dient der Absicherung. Wenn aber die finanziellen Verpflichtungen gedeckt sind, geht es rasch um andere Dinge: Sinnhaftigkeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Karrierechancen und Weiterentwicklung.
Wer Anerkennung nicht nur aufgrund seiner Arbeitskraft erfährt, sondern aufgrund seiner Persönlichkeit und seiner individuellen Fähigkeiten, fühlt sich dem Umfeld viel verbundener als durch eine Lohnerhöhung.
Monika Kraus-Wildegger
Um das zu erreichen, müssen Führungskräfte sich nur auf Augenhöhe begeben: Top-Down ist ein Relikt der Vergangenheit, es braucht mehr Drive und Dynamik. Hier kommt das Feelgood Management ins Spiel.
Was ist sein Geheimnis?
Je wohler sich Menschen fühlen, desto mehr sind sie bereit zu geben. Glückliche Menschen leisten bessere Arbeit. Das ist schon alles. Um einen Menschen glücklicher zu machen, stellt man ihn in den Mittelpunkt der eigenen Überlegungen: Was kann er leisten und wie ermögliche ich ihm, dass er sein volles Potenzial zum Gesamterfolg unseres Unternehmens einsetzen kann?
Wie kontern Sie der Konzernleitung, die beim Thema Feelgood Management von „sozialem Gedöns“ spricht?
(Lacht.) Feelgood Management ist kein Allheilmittel. Es funktioniert nicht in jeder Branche. Im Maschinenbau oder in der Industrie trifft es flächendeckend oft auf Unverständnis und gilt als „soziales Gedöns“, das den Arbeitsablauf stört. Ok. Zielgruppe des Konzepts sind aber vor allem Unternehmen, die in der Wissensökonomie tätig sind, und deren Kernaufgaben Vermittlung und Vernetzung sind.
Feel Good Management – Anforderungen und Aufgabengebiete
Springer GablerWie agiert der Feelgood Manager innerhalb eines solchen Unternehmens?
Feelgood Manager sind Kulturbotschafter und damit Multiplikatoren. Sie sind Schnittstelle zwischen Belegschaft und Management. Sie erheben den Bedarf, initiieren Maßnahmen, laden zum Mitmachen, Mitentscheiden und Mitgestalten ein und etablieren Rahmenbedingungen dafür. Zudem sind sie oft auch Sparringpartner für das Management, wenn es um Kultur- und Organisationsentwicklung geht. Deshalb brauchen Sie neben „Anschieb-Qualitäten“ auch Rückgrat und ein gewisses Standing in der Organisation.
Jemand, der es jedem recht machen möchte, taugt nicht zum Feelgood-Manager.
Monika Kraus-Wildegger
Im Idealfall verfügt ein Feelgood Manager über ein Studium der Betriebswirtschaft, Psychologie, Organisation, Kommunikation, Personalwirtschaft oder über eine vergleichbare Ausbildung und mehrjährige Berufserfahrung. Zudem braucht es psychosoziale Kompetenzen wie Empathie, Kooperationsfähigkeit, vernetztes Denken und Methodenwissen.
Wie sieht Feelgood Management in der Praxis aus?
Lassen Sie es mich am Beispiel des Berliner Unternehmens „kreuzwerker“ – ca. 80 Mitarbeiter – erklären. Hier hat Feelgood Managerin Ulrike König einen sogenannten Culture Club eingeführt. Dieser hat beratende und unterstützende Funktion bei den Themen Employer Branding, Werte, Gleichberechtigung und Benefits. Der Club wird von der Feelgood Managerin geleitet und besteht aus Mitarbeitern, die sich freiwillig gemeldet haben.
Welche Projekte wurden 2020 initiiert?
Drei verschiedene. Beim ersten ging es um die Werte der Firma: Innerhalb des Clubs übernahmen Mitarbeiter Verantwortung für je einen Unternehmenswert, um als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen, wenn ein Mitarbeiter das Gefühl hat, ein Wert wird verletzt. Ein weiteres war ein Nachhaltigkeitsprojekt: Hier wurde die Hochschule für Wirtschaft & Recht Berlin vom Club mit ins Boot geholt, die nun über einen Zeitraum von 12 Monaten bei der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie für das Unternehmen unterstützt und dabei eng mit den Mitarbeitern zusammenarbeitet. Und ein drittes Projekt betraf die Mitarbeiterbeziehungen: Hier wurde das Meeting- und Begegnungs-Format Open Friday erfolgreich umgesetzt. In regelmäßigen Abständen tauschen hier die Mitarbeiter an einem Tag ihr persönliches Wissen, ihre Erfahrungen untereinander aus, und schauen gemeinsam, wie diese zum Unternehmenserfolg beitragen können.
Wird Feelgood Management in der Corona-Krise also wichtiger – oder haben weite Teile der Wirtschaft gerade ganz andere Prioritäten?
Eine KPMG-Studie hat kürzlich festgestellt, dass vor Corona der Klimaschutz das wichtigste CEO-Topic war. Jetzt ist es der Mensch. Im Fokus stehen plötzlich Personal- und Talentfragen – und ich bin überzeugt, dass es weiter in diese Richtung geht. Es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich auch über die Wissensökonomie hinaus weite Teile der Wirtschaft vermehrt Fragen nach der Anerkennung und Wertschätzung ihrer Mitarbeiter werden stellen müssen.
Über die Autorin
Monika Kraus-Wildegger ist Gründerin und CEO von GOODplace, einer Qualifizierungs-, Beratungs- und Wissensplattform. Mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation hat sie den Qualitätsstandard für das Berufsprofil des Feelgood-Managers entwickelt.
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