Folge 21: Das richtige Lob
„Aua!“, schreit Nina und für einen kurzen Moment ist es still am anderen Ende der Leitung. „Nina, ist alles okay?“, fragt Zola. „Ja, schon gut, ich bin nur mit meinem Schienbein gegen die offene Spülmaschine geknallt.“ Ihre Stiefschwester lacht: „Wie war das mit deinem Multitasking-Problem?“ Nina verdreht die Augen: „Wenn ich das so genau nehmen würde, könnten wir auch nicht an meinem Homeoffice-Tag telefonieren. Aber du sagtest, es sei wichtig.“ Nina hört ihre Schwester lange einatmen: „Ja, sorry. Ich brauche mal wieder einen Rat. Ich leite das neue Team ja jetzt schon einige Monate. Und vor Kurzem haben wir unser erstes größeres Projekt abgeschlossen. Eine echte Teamleistung. Und irgendwie steht das seither im Raum …“ Nina kann nicht ganz folgen. „Was steht im Raum?“ Zola seufzt. „Na ja, dass wir das irgendwie feiern müssen. Ich habe das Gefühl, jeder wartet darauf, dass ich ein Lob ausspreche.“ Nina kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie kennt ihre Stiefschwester: „Erwarten sie das oder erwartest du das von dir, weil du weißt, dass es das Richtige wäre?“„Nina!“, stöhnt Zola. Dann fährt sie fort: „Ist ja auch egal. Jedenfalls fühle ich mich doof, wenn ich einfach eine Runde Schulterklopfer verteile. Oder eine Rede halte und ihnen sage: Fein gemacht! Aber irgendwie muss ich ihre Leistung dennoch anerkennen, oder?“
Zola hat Recht. Das bestätigt etwa Reinhard Haller. In seinem Buch Das Wunder der Wertschätzung schreibt er, dass ein Ausbleiben von Lob und Anerkennung dazu führt, dass gerade besonders ehrgeizige und perfektionistische Mitarbeitende frustriert sind und den Ärger in sich hineinfressen. Sie werden dauergestresst und verspüren Wut – eine Wut, die zumeist nach innen gerichtet und damit viel zu lange unsichtbar ist. Das wird schnell ernst:
Fehlende Wertschätzung ist nicht nur mit Selbstwertzweifel und
Reinhard Haller
eingeschränktem Sicherheitsgefühl verbunden, sondern begünstigt psychische Probleme.
„Die reichen von Sucht, über Burn-out bis hin zu Depressionen“, erklärt Nina. Am anderen Ende der Leitung ist es still. Dann sagt Zola leise: „Gerade nach dem, was mit Kathrin passiert ist, will ich das nicht riskieren. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich in meiner Position richtig Komplimente gebe.“
Dass Zola das schwerfällt, wäre für Haller keine Überraschung. Unsere Gesellschaft ist in vielerlei Hinsicht emotional ausgehungert, schreibt er. Gerade bei Führungskräften gelten Abgebrühtheit und emotionale Distanzierung oft als professionell. Wenn sie dann plötzlich empathisch werden und liebevolle Dinge sagen müssen, ist das vielen erst mal unangenehm. Hinzu kommen noch weitere Gründe:
Zentrieren wir diese positiven Gefühlszuwendungen allzu sehr auf die eigene Person, sodass für die Mitmenschen nichts mehr übrig bleibt? Ist es peinlich, anderen Lob zu schenken, wenn man sich selbst heimlich danach sehnt? Oder wird die Kraft des Lobens einfach unterschätzt? Wahrscheinlich spielen alle genannten Faktoren eine Rolle.
Reinhard Haller
Gratifikation im beruflichen Kontext umfasst viele Dinge: finanzielle Zuwendungen, sichere Arbeitsplätze, Aufstiegsmöglichkeiten, flexible Arbeitsmodelle sowie Wertschätzung. „Ich kann förmlich hören, was du denkst, Zola. Doch so cool Dinge wie zusätzliche Ferien oder bessere Karrierechancen als Anerkennung auch sind – um gutes Lob kommst du nicht herum.“ „Und was ist gutes Lob?“, hakt Zola nach. „Primär glaubhaft – und damit ehrlich. Das heißt, dass es möglichst keinen Vorgaben folgen, sondern persönlich und individuell sein sollte. Gib Komplimente aber nie pro forma, um Kritik oder eine Aufgabe loszuwerden – das merken Mitarbeitende sofort.“
„Kann ich nicht noch was anderes tun, als einfach Komplimente zu geben?“ Offenbar hat Zola davor immer noch etwas Respekt. „Was oft unterschätzt wird, ist Dankbarkeit als Form der Wertschätzung. Und das kann ich dir aus eigener Erfahrung sagen: Ein Danke am Arbeitsplatz ist so viel wert“, meint Nina. Dann kommt ihr die Idee: „Überleg dir doch einmal, wer was bei dem Projekt besonders gut gemacht hat – und dann bedankst du dich dafür und erklärst, warum.“ Zola ist begeistert: „Das ist eine super Idee! Danke zu sagen, fällt mir viel leichter – und so habe ich einen guten Einstieg.“ Sie wirkt motiviert. Kurz ist es ruhig, dann kichert sie plötzlich. „Zola? Warum lachst du?“ Doch statt einer Antwort sagt ihre Stiefschwester: „Danke, Nina. Ich bin sehr froh, dass ich mit meinen Alltagssorgen immer zu dir kommen kann.“