Ziele erreichen?
Was dort von einem auf den anderen Tag im wahrsten Sinn des Wortes in Schutt und Asche liegt, ist für viele Menschen auch in nicht-kriegerischen Zeiten eine Fortschrittsidee, die sich an Zielen orientiert. Der Blick ist angestrengt in die Zukunft gerichtet. Zielerreichung um (fast) jeden Preis ist oft die unausgesprochene Losung vieler Lebensplanungen. Das Wochenende. Der Urlaubsbeginn. Das neue Auto. Die Beförderung. Das größere Haus. Die Rente.
Das Leben ist in dieser Perspektive ein einziges Vorbereiten: „Wenn ich erst dieses Ziel erreicht habe, dann werde ich …“ „Beim nächsten Karrieresprung bin ich zufrieden, dann kann ich …“ „Wenn ich erst mal meine Rente durch habe, dann …“
Menschen, die so denken und sprechen, sind nie da, wo sie sind.
Sie denken immer an die Zeit „danach“: Der Schüler denkt ans Abitur, der Student ans Examen, der Trainee an den Vorstandsjob und der Vorstandsvorsitzende daran, sich „zur Ruhe zu setzen“, um seine Hobbys zu pflegen. Viele stellen sich, unbekümmert der Reichtümer, die sie umgeben, auf die Zehenspitzen, um in die Zukunft zu sehen.
Eine knapp 40-jährige Frau, die eine einflussreiche und wohldotierte Anstellung gekündigt hatte, um ein Zweitstudium aufzunehmen, machte eine entsprechende Erfahrung: „Mit wem auch immer ich sprach, alle fragten sofort: ‚Und dann?‘ Kaum jemand interessierte sich für das Studium selbst. Alles Interesse galt der Zeit danach.“ Dem Studium kommt offenbar kein Eigenwert zu, es ist nur Mittel zum Zweck, nur Vorbereitung. Es bekommt Wert erst durch seine Überwindung. Eine Hürde, die zu nehmen ist, die man „hinter sich lässt“.
Für nachdenkliche Menschen war es schon immer eine offene Frage, ob ein zielbezogenes Leben auch ein gelungenes Leben ist.
Es ist jedenfalls nicht klar, ob das Ziele-erreichen-Wollen, das uns alle Welt nahelegt, eine kluge Idee ist. Die Nachteile werden zumeist ausgeblendet. Zum Beispiel schaden Ziele dem Zeiterleben: Wir schauen gebannt auf morgen, wenn (hoffentlich) das Ziel erreicht wird. Dadurch räumen wir der Zukunft auf Kosten der Gegenwart den Vorrang ein. Bisweilen kommt die Gegenwart gar nicht mehr vor. Wir verfehlen das „Jetzt“ – wenn man so will, die Achtsamkeit für den Augenblick. Dadurch wird das erlebte Leben noch kürzer, als es ohnehin schon ist.
Auch sachlich gibt es Mängel: Ziele erzeugen Tunnelblick, übersehen die sich plötzlich öffnende Chance. Zugespitzt:
Wer das Ziel trifft, verfehlt alles andere. Ist das Leben nicht vielmehr einem Kreuzworträtsel vergleichbar, bei dem immer neue Wörter gefunden und verbunden werden?
Zudem: Können wir wirklich sicher sein, dass unser Lebenszustand irgendwie „besser“ wird, wenn wir ein Ziel erreichen? Nein, das können wir nicht. Ein Ziel können wir – als Ziel – eigentlich nur zerstören. Wir haben dann vielleicht irgendwann das Haus endlich fertiggestellt oder unseren Traumpartner geheiratet. Aber dann machen viele „vorausschauende“ Menschen eine eigenartige Erfahrung: diese Leere, sobald sie es endlich geschafft haben. Man kann das „metaphysische Obdachlosigkeit“ nennen. Und was tun sie dann? Sie suchen sich ein neues Ziel. Sie laufen wieder irgendeinem ideal gedachten Zustand hinterher.
Ein Ziel erreichen heißt: sich ein neues Ziel suchen. Weiter! Weiter! Der Volksmund sagt: Wer Ziele hat, hüte sich, sie zu erreichen. Auf zur nächsten Runde! Und äußerlich sehr erfolgreiche Menschen kennen das: Erfolg macht traurig.
Das Klügste, was ich je über dieses Thema gelesen habe, stand in großen Lettern über dem Tresen einer Essener Kneipe: ‚Morgen gibt’s Freibier!‘ Die Kneipe ist immer voll.
Einiges von diesem Thema habe ich „anklingen“ lassen in dem Song „Für immer und ewig“.
Song
Für immer und ewig
Bist kurz davor zu leben, vom Morgen eingehüllt
Schaust über deine Pläne, bist mit Sorge erfüllt
Im Ohr noch das Versprechen, selten eingelöst
Dahingesagte Worte, mit einem Lächeln versüßt
Sie weiß, dass er weiß, und sie wissen beide davon
Er weiß, dass sie weiß, denn was ist im Leben schon …
Für immer und ewig
Willst alles berechnen, auf Nummer sicher gehen
Bist nie da, wo du bist, lässt die Jahre verwehn
Später hält bloß durch, das Jetzt aber lebt
Worauf willst du noch warten?
Der wahre Weg steht
Für immer und ewig
Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht wir?
Wann, wenn nicht heut? Wo, wenn nicht hier?
Nächste Schritte
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