„Uns ist die Eigenwilligkeit abhandengekommen, die uns genau hinschauen lässt.“
Herr Lipp, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Microsoft in einer Studie herausfand, dass Goldfische aufmerksamer sind als der heutige Durchschnittsmensch. Wie konnte es so weit kommen?
Jakob Lipp: Im Zeitalter des Smartphones sind Menschen einer Flut von digitalen Reizen ausgesetzt, auf die viele augenblicklich reagieren. Dabei ist ständiges Onlinesein extrem schlecht für die Aufmerksamkeit. Pausenlos Mails und Posts checken hat Folgen: Laut besagter Microsoft-Studie bringt es der goldige Fisch auf eine Aufmerksamkeitsspanne von 9 Sekunden. Auf gerade mal 8 Sekunden kommen wir. Wir hinken hinterher. Dabei dachten wir immer, der Mensch sei das höchstentwickelte und wichtigste Wesen im Universum. Und jetzt das: ernsthafte Konkurrenz von einem Haustier, das ohne jeglichen wirtschaftlichen Nutzen sein ganzes Leben in einem Wasserglas herumschwimmt. Uns ist die Eigenwilligkeit abhandengekommen, die uns genau hinschauen lässt. Es ist die Eigenwilligkeit, die es uns möglich machen würde, einen anderen Weg einzuschlagen und so unscheinbare Details aus dem Gesamtbild herauszulösen.
Damit sich das wieder ändert, raten Sie dazu, die eigene Aufmerksamkeit bewusst zu steuern. Wie funktioniert das?
Machen Sie Ihren Kopf frei! Dann werden Sie aufmerksamer. Sie könnten sich auch selbst Folgendes sagen: „Heute hat mein Kopf mal frei“. Bliebe noch die Frage, warum wir aufmerksamer werden, wenn der Kopf frei hat und geleert ist. Einfach gesagt: Auch unser Gehirn braucht Pausen, Leerlauf, Muße, um so seine Aufmerksamkeitsleistung wieder aufzufrischen. Das ist der ganze Trick.
Viele reden immer vom aktiven Zuhören, sie sprechen von gut Beobachten, wenn es um den Austausch mit anderen geht. Was bringen uns die beiden Dinge in Bezug auf Kommunikation?
In einem Gespräch ist es durch aktives Zuhören wichtig, seinem Gegenüber zu zeigen, dass man Interesse an seinen Worten hat. Denn damit zeigt man zugleich Interesse an seiner Person. Interesse wiederum löst bei Ihrem Gesprächspartner ein wichtiges Gefühl aus: Er fühlt sich anerkannt und respektiert. Das würden Sie sich doch umgekehrt von Ihrem Gesprächspartner auch wünschen. Beobachtung spielt in der Kommunikation eine große Rolle. Wir beobachten ständig. Wir glauben es zumindest.
Denn sehr viele, die beobachten, interpretieren und bewerten bereits, ohne zuvor wirklich beobachtet zu haben.
Jakob Lipp
Die oberste Regel lautet daher: Verzichte beim Beobachten auf ein Urteil. Nur wenn man neutral bleibt, bietet sich einem die Möglichkeit, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Sagen Sie sich darum immer wieder: Du musst Abstand nehmen. Tritt ein Stück zurück. Du musst dich von persönlichen Gefühlen distanzieren. Wenn du beobachtest, betrachte die Welt um dich herum neutral. Alles unwichtig, denken Sie. Jein. Wir sind umgeben von so vielen, speziellen Momenten, die zu schade sind, nicht beobachtet zu werden.
Es liegt leider in der Natur des Menschen, dass wir Menschen gerne nach wenigen Sekunden und Augen-Blicken ein Urteil über das Gegenüber fällen. Lässt sich das auch beeinflussen?
Ja natürlich, wenn man es möchte. Geben Sie doch Ihrem Gegenüber im Vorfeld einige möglichst emotionale und bildhafte Informationen, wie Sie denn gerne wahrgenommen werden möchten. Zum Beispiel können Sie so über Social Media, E-Mail, Presse usw. im Kopf Ihres Gesprächspartners ein „vorgefertigtes“ Bild über Ihre Person und Ihre Schwerpunkte erzeugen. Wichtig wäre nur, diesem Bild dann auch im Face-to-Face-Gespräch zu entsprechen.
Ihr Steckenpferd ist vor allem die nonverbale Kommunikation, also Körpersprache. Wie entscheidend ist diese im Austausch mit anderen?
Gestik sowie Mimik sind äußerst wichtige Wegweiser in den Gesprächen, die wir führen. Sie erleichtern den Transport der Botschaft und die Entschlüsselung von Nachrichten bzw. Emotionen und helfen uns dabei, eine emotionale Beziehung zu unserem Gegenüber herzustellen. Das heißt, auch wenn Beruf, Qualifikation und Aussage von Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern relevant sind, so ist der Gesamteindruck, der von nonverbaler Kommunikation bestimmt wird, entscheidend. Ja, der entscheidende Faktor ist die nonverbale Kommunikation. Dadurch wird Vertrauen aufgebaut. Und ohne Vertrauen ist keine Kommunikation möglich. Ohne Vertrauen verliert das Gesagte seine Bedeutung.
Reden Menschen eigentlich noch vollkommen entspannt mit Ihnen?
(Lacht.) Sehr selten. Nein, Spaß beiseite – eigentlich ist das alles viel weniger geheimnisvoll. Ich stehe seit über 20 Jahre auf der Bühne und entdecke auch, wie beeinflussbar das Publikum ist. Da sollte man meinen, das wäre im echten Leben auch so. Stattdessen meide ich es aber im privaten Bereich eher, im Mittelpunkt zu stehen. Wer mich kennt, der weiß, dass ich viel lieber die Beobachterrolle einnehme. Indem ich hier genau hinsehe, bekomme ich viele Informationen über mein Gegenüber. Das finde ich immer sehr spannend!
Über den Autor
Jakob Lipp ist Mentalist und als solcher ein Experte für Kommunikation. Außerdem ist er als Redner und Coach, speziell für Führungskräfte, tätig.