„Unternehmen überleben nur, wenn ihre Lerngeschwindigkeit höher ist als die Geschwindigkeit der Veränderungen in ihrer Umwelt.“
Herr Gassmann, welche Fragen muss man sich stellen, um herauszufinden, ob ein Geschäftsmodell erfolgreich sein kann oder scheitern wird?
Ein erfolgreiches Geschäftsmodell fußt auf den Antworten zu vier Fragen: Wer ist unser Kunde? Was ist das Nutzenversprechen, das wir ihm geben? Wie wird dieses Nutzenversprechen umgesetzt? Und: Warum ist das Geschäft profitabel? Dabei gilt: Die Digitalisierung ermöglicht heute die Optimierung von bereits bestehenden Geschäftsmodellen, ist aber auch eine große Chance für Unternehmen, vollkommen neue zu entwickeln.
Konkreter?
Nehmen Sie Skype als größten Telekom-Provider weltweit – aber ohne eine eigene Netzinfrastruktur. Oder Uber als größtes Taxiunternehmen – ohne eigene Taxifahrer, ja sogar ohne eigene Fahrzeuge. Innovative und erfolgreiche Geschäftsmodelle bieten heute in der Regel vor allem eins: Informationen. Oder sie fungieren als digitale Plattform. So stellt Hilti, der Werkzeug- und Baumaschinenhersteller, seinen Kunden mit dem sogenannten On!Track-Tags-Management ein effizientes und effektives System zur Verwaltung der eigenen Betriebsmittel bereit. Die Idee dahinter ist einfach: Jedes Werkzeug, jede Baumaschine ist mit einem Tag versehen, so hat der Unternehmer immer und in Echtzeit einen Überblick darüber, wo Werkzeug oder Maschine sich befinden und wie lange sie eventuell noch im Einsatz sind. Der Unternehmer kann so viel effektiver planen, und Hilti kann ihn und seine Bedürfnisse datenbasiert besser kennenlernen.
Das geht tatsächlich über das eigentliche Produkt und dessen primäre Entwicklung weit hinaus – macht es aber direkt nützlicher. Was muss man denn beachten, wenn man eine solche Weiterentwicklung anstrebt?
Sensibilisieren Sie Ihre Mitarbeiter hinsichtlich neuer Geschäftsmodelle. Was bei Themen wie Innovation und Qualität schon lange selbstverständlich ist, sollte auch mit Blick auf neue Geschäftsmodelle in einer Organisation implementiert werden. Parallel sollten Sie ein eigenes Team aufbauen, das sich auf neue Geschäftsmodelle fokussiert. Wichtig ist, auch Branchenexterne einzubinden. Zudem braucht es zwingend das Wissen um Methoden und Instrumente der strukturierten, systematischen und prozessgesteuerten Geschäftsmodell-Innovation. Und: Haben Sie keine Angst, dass ein neues Geschäftsmodell ein bestehendes kaputtmacht.
Ganz praktisch: Wie geht man dabei systematisch vor?
Nach vielen Jahren empirischer Forschung haben wir den Business Model Navigator entwickelt. Dieser führt in vier Schritten zur Geschäftsmodell-Innovation:
- Initiierung: Hier wird das heutige Ökosystem analysiert und der Status quo analysiert.
- Ideation: In einem zweiten Schritt wird das Unternehmen mit 55 Geschäftsmodell-Mustern konfrontiert, um darauf aufbauend eigene Ansätze für ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln.
- Integration: Der dritte Schritt liegt in der Detailausarbeitung und im Konsistenzcheck.
- Implementierung: Sie ist vor allem durch ein iteratives, hypothesengeleitetes Experimentieren gekennzeichnet. Rasches Lernen mit Piloten steht hier im Vordergrund. Denn Unternehmen überleben nur, wenn ihre Lerngeschwindigkeit höher ist als die Geschwindigkeit der Veränderungen in ihrer Umwelt.
Das klingt, als müsse man auch die richtige Herangehensweise kennen, um erfolgreich zu sein. Kann man aber Innovation „lernen“?
Ja. Innovation lässt sich lernen und systematisch angehen, beginnend bei der Ideenfindung bis hin zur Umsetzung. Während unserer Forschung haben wir 55 Basismuster definiert, die rund 90 Prozent aller Geschäftsmodell-Innovationen abdecken. Sie können als Grundlage dienen, um den Prozess der Entwicklung und Implementation umzusetzen. Das sind zwar keine Blaupausen, die immer eins zu eins übernommen werden können, aber es sind Grundgerüste, auf denen sich aufbauen lässt. Wichtig ist, dass der Prozess als solcher verstanden wird.
Innovative Geschäftsmodelle sind selten ein Geniestreich, sie sind organisierte Entwicklungen, denen ein Konzept und ein System zugrunde liegen.
Oliver Gassmann
Von den Strategie- und Kulturfragen zur Technik: Wie entscheidend ist die?
Technologie ist meist nur ein Ermöglicher, selten die kritische Erfolgskomponente. Unternehmen aus Deutschland und der Schweiz sind häufig technologieorientierte Nischenplayer, die sich in der Vergangenheit immer ausschließlich über Technologie und Produkte differenziert haben. Heute sind die kritischen Schlüsseltechnologien für neue Geschäftsmodelle – Internet, IoT, Konnektivität, Cloud, Algorithmen und KI, um nur einige zu nennen – aber ubiquitär verfügbar. Das Management dieser Technologien ist zwar ein notwendiger, aber kein hinreichender Erfolgsfaktor mehr.
Welche Fehler passieren dabei häufig – und wären eigentlich leicht zu vermeiden?
Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist der richtige Abstraktionsgrad, um die dominante Logik einer Industrie oder eines Unternehmens zu überwinden. Hier werden oft Fehler gemacht: Die einen Unternehmen bleiben zu sehr im Produkt verhaftet und können sich nicht von der alten Denke lösen. Die anderen werden zu abstrakt und versuchen auch einem Maschinenbauer eine Google-Strategie aufzuerlegen. Beides ist nicht erfolgversprechend. Hier haben unsere 55 Muster von erfolgreichen Geschäftsmodellen als Erfolgskomponenten und Legobausteine sehr geholfen, die Fehler zu überwinden. In unserem BMI-Lab haben wir viel Erfahrung sammeln können in der Begleitung neuer Geschäftsmodelle. Dies ist eingeflossen in unsere neue Buchauflage, bei der wir auch einen stärkeren Wert auf das Testen gelegt haben. Zu oft haben Unternehmen keine klare Teststrategie, das berühmte „Pivoting“ wird damit zum Zufallsfaktor. Es ist wichtig, die impliziten Annahmen eines neuen Geschäftsmodells klar zu nennen und eine Teststrategie aufzustellen. Das ist keine große Kunst, muss aber gemacht werden.
Welche großen Trends sehen Sie für die nahe Zukunft? Steht nach der digitalen Revolution eine weitere an?
Ja, ich sehe klare Trends hin zu einer stärkeren Partnerstrategie, um die Kunden – egal ob B2B oder B2C oder B2B2C – entlang ihrer Kundenreise besser zu begleiten. Dabei entstehen neue Geschäfts-Ökosysteme, die zu einer Wertverlagerung über die heutigen Industriegrenzen hinweg führen werden. Noch wichtiger wird in der neuen Welt, was früher schon wichtig war: der Kunde. Was schon immer galt, gilt auch in der aktuellen Krise: Sie führt nicht zu einer Trendumkehr, sondern zur Trendverstärkung.
Über den Autor
Oliver Gassmann ist Professor für Innovationsmanagement an der Universität St. Gallen, Direktionsvorsitzender des Instituts für Technologiemanagement. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen neue Geschäftsmodelle, strategisches Innovationsmanagement sowie internationale Innovationsprozesse. Er ist Autor zahlreicher Bücher, unter anderem von 33 Erfolgsprinzipien für Innovation und High-Risk-Projekte.