TEAM: „Toll, ein anderer macht’s“?
In unserer Wahlheimat Italien hat nach sechsmonatiger Pause der Präsenzunterricht wieder begonnen. Aber unsere älteste Tochter, die gerade 15 Jahre geworden ist, lernt nach wie vor zu Hause: Obwohl sie den ganzen Sommer für ihr „esame di idoneità“ pauken musste – eine Art Versetzungsprüfung an der Referenzschule – wollte sie um keinen Preis wieder dorthin zurück. Lieber langes Homeschooling und kurze Büffelferien, als neun Monate die verhasste Schulbank drücken und drei Monate dolce far niente.
Das Experiment geht also weiter. Zugegeben, ich habe immer noch manchmal Bauchschmerzen. Häufig klingen mir die Bedenken in den Ohren, die Schulleiter, Familie und Freunde anklingen ließen: Wo lernt sie den Umgang mit anderen? Was ist mit der viel besungenen Sozialkompetenz? Heiner Barz hat in Schule ist mehr als Lernfabrik zu Recht Heinrich Böll zitiert: „Vielleicht lernen wir nicht in der Schule, aber auf dem Schulweg fürs Leben?“ Umgekehrt ist das Urteil unserer Ältesten zum Thema Gruppenarbeit mehr als ernüchternd: „Sobald eine Lehrerin ein Projekt vorschlug, bedeutete es, dass ich die nächste Woche damit verbringen würde, die ganze Arbeit allein zu machen.“
Dem völlig entgegengesetzt steht die Erfahrung unserer jüngsten, jetzt 12-jährigen Tochter: Während der Corona-Schulschließungen begann sie im Gegensatz zu ihrer Schwester, sich an jedem zweiten Nachmittag mit ihren Freundinnen in einer virtuellen Lerngruppe zu treffen – und diese Tradition hat sie nach dem Schulneustart beibehalten. Die Mädels machen gemeinsam Hausaufgaben, fragen einander ab und haben unendlich viel Spaß dabei. Ständig höre ich unsere Jüngste in ihrem Zimmer laut lachen, diskutieren und deklamieren. Remote-Teamwork vom Feinsten.
Teamwork lässt sich lernen
Ist gelungene Teamarbeit also eine Frage des Charakters? Trennt sich bei der Zusammenarbeit die Spreu der spröden Eigenbrötler vom Weizen der begnadeten Menschenfänger?
Glaubt man Patrick Lencioni, dann ist genau das der Fall. Das ist die schlechte Nachricht. Doch es gibt auch eine gute: Die 3 Tugenden idealer Teamplayer – Hunger, Bescheidenheit und Smartness – lassen sich erlernen. Gute Teamworker sind fleißig, haben kein großes Ego und können gut mit Menschen umgehen. Fehlt einem Menschen jedoch mehr als eine der drei genannten Tugenden, wird er niemals ein wirklicher Teamplayer werden können. Als Unternehmen sollte man sich von dieser Person trennen oder sie gar nicht erst einstellen. Muss jedoch nur eine einzige neu entwickelt werden, kann sich der Aufwand lohnen – wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen.
Francesca Gino geht noch einen Schritt weiter. In Teamwork lernen beschreibt sie sechs Schlüsselfähigkeiten, die wir trainieren können: Zuhören, Empathie entwickeln, Feedback nehmen und geben, führen und sich führen lassen, konkret und bildhaft sprechen, Win-win-Situationen ermöglichen. Führungskräften legt die Expertin für Arbeitspsychologie ans Herz: Lenken Sie den Blick Ihrer Mitarbeiter von innen weg nach außen. (Ach, schießt es mir spontan durch den Kopf, haben Sie das schon mal bei einer 15-Jährigen probiert? Das erscheint mir ungefähr so aussichtsreich wie der Versuch, unseren Hund von der verbotenen Lieblingscouch fernzuhalten, sobald wir uns außer Hör- und Riechweite befinden.)
Menschen arbeiten gerne zusammen
Jedenfalls kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen: Manchen scheint die Kooperationsfähigkeit in die Wiege gelegt worden zu sein – anderen weniger. Das macht Letztere nicht zu schlechteren Menschen. Auch Eigenbrötler haben geniale Ideen, wertvolle Fähigkeiten und liebenswerte Seiten. Man muss sie nur aus ihnen herauskitzeln. Doch das erfordert Fingerspitzengefühl und einen Wandel der Unternehmenskultur. Wie das funktioniert, erklären die Autoren von Wake Up and Smell the Coffee und Mastering Collaboration. Beide argumentieren überzeugend, dass die meisten Menschen von Natur aus zusammenarbeiten – egal ob im Freundeskreis, in der Familie oder im Verein. Warum nicht auch mit Kollegen?
Wie entscheidend das für den Unternehmenserfolg ist, betonen Alois Summerer und Paul Maisberger in Teamwork agil gestalten: Unternehmen, die die Kraft agiler Teams nutzen, sind bis zu fünfmal erfolgreicher als ihre nicht agilen Mitbewerber. Entscheidend ist: Mitarbeiter agiler Teams organisieren sich selbst und konzentrieren sich auf die Kunden – nicht den Chef. Die Scrum-Methode sorgt dafür, dass Teams strukturiert und eigenverantwortlich handeln, und Kanban verbessert Arbeitsprozesse durch Visualisierung. Auch hier gilt: Agile Teamarbeit fällt nicht vom Himmel. Wir müssen sie uns hart erarbeiten.
Das stimmt hoffnungsvoll. Unsere Älteste ist zwar keine geborene Teamworkerin, die sich gerne in Bescheidenheit übt. Doch was heute nicht ist, kann (noch) werden. So wie sie Zusammenarbeit im Klassenverband erlebt hat – mit Befehlen von oben, willkürlicher Gruppenzusammenstellung und fehlenden Feedbackschleifen – funktioniert es nicht; in der Schule ebenso wenig wie im Unternehmen. Da lass ich mich lieber von unserer Jüngsten inspirieren: Sie und ihre Freundinnen haben ihr Team selbst organisiert und erreichen gemeinsam „im Flow Leistungsspitzen“ (Summerer & Maisberger). Und das haben sie nicht in der Schule, sondern auf dem Weg dorthin gelernt.
Nächste Schritte
Den einen, alternativlosen Weg zu mehr Sozialkompetenz gibt es nicht; stattdessen aber viele Pfade zu einem smarteren Umgang mit anderen Menschen. Welche? Das erfahren Sie in unserer Serie Soft Skills für Führungskräfte.