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„Es gibt keine faulen Schüler. Es gibt nur unmotivierte Schüler.“

Viele Eltern haben im täglichen Überlebenskampf zwischen Homeoffice und Homeschooling die Liebe zur Schule ihrer Kinder wiederentdeckt. Sie fragen sich: Wie halten die Lehrer das nur den ganzen Tag aus? Der Hirn- und Lernforscher Gerhard Roth meint: eher schlecht als recht. Wir haben ihn gefragt, wie Lernen besser gelingt – und zwar in jedem Alter. 

„Es gibt keine faulen Schüler. Es gibt nur unmotivierte Schüler.“
Der Hirn- und Lernforscher Gerhard Roth / Photo: Achim Multhaupt/laif

getAbstract: Herr Roth, die Corona-bedingten Schulschließungen haben viele Schwach- und Bruchstellen im deutschen Bildungssystem einmal mehr in den Vordergrund gerückt. Wo sehen Sie die größten Probleme?

Gerhard Roth: Tatsächlich haben sich viele Dinge verschärft, die schon vorher zu beklagen waren. Dazu gehört vor allem ein mangelndes Verständnis für die Zusammenhänge, die aus der Gehirn- und Lernforschung seit langem bekannt sind: Mindestens ein Drittel des Lernerfolgs hängt von den Persönlichkeiten der Schüler und Lehrer und ihren Beziehungen untereinander ab. Das Gespür dafür kann man lernen. Doch in der Lehrerausbildung kommen diese Dinge in aller Regel nicht vor. Stattdessen wird von angehenden Lehrern erwartet, dass sie selbst herausfinden, wie man einen guten Unterricht gestaltet.

Wie sieht ein guter Unterricht denn aus?

Fähige Lehrkräfte besitzen drei zentrale Eigenschaften: Vertrauenswürdigkeit, Glaubwürdigkeit und fachliche Kompetenz. Sie müssen versuchen, jeden einzelnen Schüler mit all seinen Stärken und Schwächen zu verstehen. Sie sollten Interesse wecken und motivieren, und zwar in einem Wechsel zwischen Frontalunterricht, Gruppen- und Einzelarbeit. In der heutigen Schulpraxis geht es hingegen immer noch darum, im Dreiviertelstundentakt möglichst schnell mit dem Stoff durchzukommen. Doch das ist wenig effektiv. So lernt das Gehirn nicht. Die Schulschließungen lassen diese Defizite stärker zum Vorschein kommen, weil es nun für die Lehrer noch schwieriger wird, persönlich auf ihre Schüler einzuwirken.

Warum funktioniert der Videounterricht Ihrer Meinung nach nicht?

Corona traf das deutsche Schulsystem völlig unvorbereitet. Seit zehn Jahren diskutieren wir das Thema digitale Medien in der Schule, und geschehen ist fast nichts. Bestenfalls wurden bestimmte Apparate angeschafft, und am Ende sind es dann die Schüler, die ihren Lehrern beibringen müssen, wie man damit umgeht.

Oft fehlt es auch an den nötigen Mitteln und der Kompetenz, die erweiterten Möglichkeiten digitaler Medien kreativ anzuwenden.

Gerhard Roth

Doch ein Grundproblem liegt in der Natur der digitalen Kommunikation: Viele Aspekte der direkten verbalen und nonverbalen Kommunikation gehen dabei verloren, vor allem der direkte Augenkontakt und die Dreidimensionalität der Präsentation. Es ist nun einmal ein sehr verarmtes Medium. Im Geschäftsleben ist das etwas völlig anderes: Für bestimmte Arten von Business-Meetings funktionieren Videokonferenzen hervorragend – in der Schule aber eher nicht. 

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Bildung braucht Persönlichkeit

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Bildung soll also nicht nur Wissen vermitteln, sondern Persönlichkeiten entwickeln. Doch was tun, wenn diese Persönlichkeiten permanent dazwischen blöken und ein halbwegs normaler Unterricht unmöglich wird? Was raten Sie ratlosen Pädagogen?

Natürlich ist das ein riesiges Problem. Aber ich habe bei meinen Lehrer-Coachings immer wieder Klassen erlebt, in denen es von der ersten Minute an still war. Was machen diese Pädagogen anders? Sie vermitteln ihren Schülern: Ich bin nicht euer Kumpel, aber ich bin euch wohlgesonnen. Ich weiß, wie ihr tickt, zum Beispiel wer warum neben wem sitzt. Daneben gibt es Tricks wie das Token-System: An der Tafel werden alle Namen der Schüler angeschrieben. Für jedes erwünschte Verhalten gibt es einen Positivstrich, und für jede Störung einen Negativstrich. Das hat eine ungeheure Orientierungskraft. Und schließlich muss ich als Lehrer auf die besonderen Begabungen der Schüler eingehen, zum Beispiel indem ich jedem von ihnen alle zwei Wochen die Chance gebe, etwas vorzuführen, das ihn besonders interessiert – egal was. Wenn ich dann noch lerne, produktive Einzelgespräche mit den Schülern und wenn nötig auch mit den Eltern zu führen, dann lassen sich auch sehr schwierige Klassen in den Griff bekommen.

Sie betreuen seit 2014 ein Projekt zur Verbesserung von Unterrichtskonzepten an einer Privatschule in Schleswig-Holstein. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Wir haben mit einer kleinen Schar von Lehrern angefangen, sogenannte Roth-Tage zu veranstalten. Der Kern dieses Ansatzes ist monothematisches und fächerübergreifendes Lernen: Pro Tag wird ein einziges Thema behandelt, entweder von einem Lehrer allein oder in einer verträglichen Fächerkombination wie Biologie und Chemie oder Deutsch und Musik. Als Thema kommt alles Mögliche in Frage: Sturm und Drang, das Mittelalter, die Weser, der Frühling – es muss einfach für die Schüler interessant sein. Die Lehrer führen das Thema zunächst ein, überprüfen das Vorwissen der Schüler, lassen sie dann gut strukturiert in der Gruppe arbeiten und schließlich die Inhalte in einer Phase des Selbstlernens – gerne auch mit bestimmten Lernprogrammen – vertiefen. Am Ende fassen alle gemeinsam das Gelernte zusammen und die Schüler gehen um 16 Uhr nach Hause, ohne dass sie noch etwas machen müssen. Der Erfolg gab uns Recht: Die Schüler waren begeistert und haben sich im Schnitt um eine Note verbessert. Sie haben mehr Spaß an der Schule, können das Gelernte besser behalten und fühlen sich respektiert. Und auch die meisten Lehrer sind deutlich entspannter.

Stichwort Noten: Die sorgen immer wieder für heftige Kontroversen. Könnte man sie nicht einfach abschaffen?

Nein, und zwar aus einem einfachen Grund: Weil die Eltern darauf bestehen – und auch die Schüler.

Selbst wenn die Lehrer Noten abschaffen wollten, Eltern und Schüler wären dagegen. Sie brauchen eine Bewertung.

Gerhard Roth

Eine ganz andere Frage ist die nach der Form und Qualität der Bewertung. Ist eine Eins oder Zwei eine gute Bewertung und eine Vier oder Fünf eine schlechte? Nein. Vielmehr geht es darum, eine qualifizierte Rückmeldung zu geben. Nicht: Du hast eine schlechte Note, weil du ein fauler Hund bist, sondern weil du dieses oder jenes nicht ganz verstanden hast. Und dann sollte man fragen: Woran liegt das? Wo sind konkrete Wissensdefizite? Hast du zu Hause Konflikte oder interessiert das Fach dich einfach nicht? Was können wir tun, damit du beim nächsten Mal besser abschneidest? Aus meiner Sicht gibt es keine faulen Schüler. Es gibt nur unmotivierte Schüler – und solche, die nicht gelernt haben, wie sie sich für etwas motivieren können.

Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen: Unsere 14-jährige Tochter wollte sich zuletzt in der Schule für nichts mehr motivieren. Sie war so frustriert, dass sie seit Anfang des Jahres von zu Hause aus lernt. Im zentralen Interview unseres „Lernen“-Schwerpunkts erklärt sie die Gründe dafür. Wie stehen Sie zum Thema Homeschooling, das in Deutschland ja gesetzlich verboten ist?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Es geht letztlich ja darum: Was tun, wenn das eigene Kind überhaupt nicht ins System passt? Nun gibt es Schüler, die das einfach an sich abperlen lassen und nach den Regeln spielen, ohne dass ihnen das größere Probleme bereitet. Wenn man aber eine ehrliche Natur und emotional empfindlich ist, dann ist der Leidensdruck hoch. Dafür ist das System nicht geeignet, in Deutschland nicht und in Italien, das ich gut kenne, erst recht nicht. Man kann ja nicht einfach das Schulsystem ändern. Die Eltern können die Defizite – wenn sie denn die Zeit dazu haben – bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Oder sie finden eine andere Bezugsperson, die dem Kind das bietet, was es in der Schule vermisst. Aber nur alleine von zu Hause aus zu lernen, halte ich nicht für ideal. Da fehlt einfach die soziale Komponente.

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Sie arbeiten ja nicht nur mit Schulen, sondern beraten auch Unternehmen zu Themen wie Führung, Agilität und Change Management. Welche Parallelen sehen Sie zu der Situation an den Schulen?

Sehr viele. Der Lehrer ist ja auch eine Führungskraft. Er darf nicht auf den Tisch hauen und sagen: „Gemacht wird, was ich befehle“, sondern muss die schwierige Balance zwischen Führen und Agieren auf Augenhöhe finden. Ähnlich wie in der Lehrerausbildung wird auch beim Führungskräftetraining viel falsch gemacht – obwohl aus der Hirnforschung schon lange bekannt ist, was funktioniert.

Und was ist das?

Führungskräfte müssen vor allem an drei Dingen arbeiten: Wie gehe ich mit Leistung um, wie treffe ich gute Entscheidungen, und in welchem Maße kann ich Menschen verändern? Untersuchungen haben gezeigt, dass 80% der Veränderungen in der deutschen Wirtschaft scheitern. Unterdessen versucht man angehenden Führungskräften beizubringen, ständig nur positiv zu denken, Probleme einfach zu ignorieren und mit fernöstlichen Techniken zu sich selbst finden. Ich nenne das Bahnhofsbuchhandlungs-Esoterik. Zielführend ist das nicht. Vielmehr sollte man ihnen zeigen, wie sie ein Team führen und herausfinden, was ihre Teammitglieder antreibt und motiviert. Das gilt erst recht für Neueinstellungen, Versetzungen und Beförderungen. Die wichtigste Frage lautet: Kann die Person das und will sie das?

Wenn Persönlichkeit und Position nicht zusammenpassen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit von Burnouts und Depressionen.

Gerhard Roth

Ich muss das Gefühl haben, dass ich mich zumindest teilweise selbst verwirklichen kann mit dem, was ich täglich mache.

Sie zitieren Aussagen von Persönlichkeitspsychologen, dass die Entwicklung unserer Persönlichkeit mit etwa 14 Jahren in ihren Grundzügen abgeschlossen ist und wir den Höhepunkt unserer geistigen Fähigkeiten im Durchschnitt zwischen 25 und 35 erreichen. Was bedeutet das für unsere Karriere?

Berufserfolg hängt von drei Dingen ab: Einer gewissen allgemeinen Intelligenz, der erworbenen Kompetenz und der Motivation. Im Alter zwischen 15 und 25 denken wir am schnellsten. Diese Fähigkeit nimmt in dem Maße ab, wie wir an Kompetenz gewinnen – die hat man als 15-Jähriger überhaupt nicht, mit 30 aber schon. Von nun an tut sich eine Schere auf: Die Fähigkeit zum schnellen, scharfen Denken nimmt ab, dafür beherrschen wir bestimmte Fertigkeiten immer besser. Dort, wo sich beide Linien schneiden – meistens zwischen 45 und 50 – erreichen wir unser Optimum.

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Und danach geht es rapide bergab?

Nein, überhaupt nicht. Aber es kann dann nicht mehr darum gehen, nur die rein kognitiven Kompetenzen zu erweitern. Auch das viel gepriesene Gehirn- oder Gedächtnistraining bringt da wenig. Das geht solange gut, wie man übt. Sobald man eine Pause einlegt, ist vieles wieder weg. Vielmehr sollten wir, je älter wir werden, das Verständnis für die eigene Arbeit vertiefen und die Motivation hochhalten. Das ist bei älteren Mitarbeitern das Wichtigste: Ihnen zu vermitteln, dass sie mit allem, was sie können und wissen, sehr viel wert sind. Viele Studien haben bewiesen, dass es älteren Mitarbeitern nicht an kognitiver Leistungsfähigkeit mangelt, sondern vor allem an Motivation. Sie haben Angst, aufs Abstellgleis geschoben zu werden.

Sie sind selbst 77 und noch immer beruflich hochaktiv. Verraten Sie uns Ihr Geheimnis?

Ich bekam gegen Ende meiner universitären Karriere ein Amt, das mich sehr forderte: Als Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes war ich für die Hochbegabtenförderung zuständig und musste mit der Politik um viel Geld verhandeln. So etwas hält jung. Wenn sich dann – wie in meinem Fall – auch noch Möglichkeiten ergeben, eine eigene Firma zu gründen, Bücher zu schreiben und mit dem eigenen Sohn Forschung zu betreiben, dann spornt das extrem an. Natürlich ist körperliche und geistige Gesundheit im Alter teilweise genetisch bedingt und auch Glückssache. Aber wenn man damit gesegnet ist, dann bedarf es für den Erfolg eigentlich nur noch der Motivation: Der Fähigkeit, sich selbst zu motivieren und Menschen um sich zu haben, die einen motivieren. 

Über den Autor
Gerhard Roth studierte Philosophie, Germanistik, Musikwissenschaft und Biologie und promovierte in Philosophie und anschließend in Zoologie. Seit 1976 lehrt er als Professur für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie an der Universität Bremen. 2016 gründete er das private Roth-Institut, das sich der Beratung und Weiterbildung widmet. Roth ist außerdem Autor des Buches Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern (früherer Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten).

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