Von anderen lernen – gezielter Wissenstransfer im Unternehmen
Mentor war ein guter Freund des griechischen Helden Odysseus. Als Odysseus gen Troja zog, bat er Mentor, ein Auge auf seinen Sohn Telemach zu werfen und ihn auf seine künftige Rolle als König vorzubereiten: Die Idee des väterlichen Unterstützers und Förderers namens „Mentor“ war geboren.
Viele Hundert Jahre später gibt es Tausende von Mentoren auf der Welt. Auch ich habe einen. Und er ist gut. Er kennt zwar nicht jede Antwort auf die großen Fragen des Lebens, aber auf meine meistens sehr situationsbezogenen Job-Unsicherheiten kontert er mit erfahrungsbasiertem Feedback. In meinem Fall ist der Mentor ein tief im Wirtschaftsleben verwurzelter Charakter, jahrelang praxiserprobt, ein Mensch der Tat – und auch nicht auf den Mund gefallen. Wenn ich etwas wissen muss oder will, ist er für mich da. Und genau darum geht es. Denn Wissen ist zur wichtigsten ökonomischen Ressource geworden, die Wissensökonomie wird als Megatrend gefeiert.
In manchen Bereichen der Wirtschaftswelt wird dem Wissen aber dennoch nur unzureichend Aufmerksamkeit geschenkt: Nicht selten gehen ältere Arbeitnehmer in Pension, ohne dass man von Unternehmensseite aktiv dafür gesorgt hätte, ihr Know-how zu „konservieren“. Das kostet nicht nur Nerven, sondern Geld. Viel Geld.
Der Mentoring-Kompass für Unternehmen und Mentoren
SpringerGesucht: ein Rahmen für den Wissenstransfer
Mentoring ist, obwohl gerade viel davon geredet wird, nicht wirklich neu, denn schon immer haben unerfahrene von erfahrenen Kollegen gelernt – im Zuge der Ausbildung oder später im täglichen Austausch des Arbeitslebens. Es ist eine Art Rahmenprogramm, in dem Wissenstransfer geordnet stattfindet, also mit gewissen Regeln und nach klaren Vorgaben.
Das heißt konkret: Ein erfahrener Mitarbeiter, der Mentor, gibt sein Wissen an einen weniger erfahrenen Kollegen, den Mentee, weiter. Der Austausch ist ein Dialog, der sowohl die fachliche, firmeninterne als auch die persönliche Ebene miteinbezieht.
Im Vordergrund steht der Austausch von praktizierten Strategien, selbst erworbenen Kenntnissen und persönlichen Erfahrungen.
Tinka Beller & Gabriele Hoffmeister-Schönfelder
Wichtig: Beide Seiten profitieren von diesem Austausch, und das Unternehmen ganz besonders. Denn durch Mentoring-Programme stellt man sicher, dass vorhandenes Wissen im Unternehmen bleibt, auch wenn ein Mitarbeiter kündigt oder in Pension geht. Ältere Mitarbeiter – egal ob Führungskraft oder Teammitglied – verfügen nämlich über etwas, das die nachwachsende Generation nicht hat und auch nicht „nachholen“ kann: jahrzehntelange theoretische, aber vor allem praktische Erfahrung.
Notwendig: klare Regeln
Im Gegensatz zu einem Coach ist der Mentor meistens nicht auf die Wissensweitergabe hin geschult, sondern schlichtweg jemand, der seine Erfahrungen gemacht hat und diese mit einem anderen teilt. Mentoren brauchen also gewisse Vorgaben, damit klar ist, was sie teilen müssen – und was nicht. Die Vorgehensweise des klassischen Mentorings läuft daher wie folgt ab:
- Vermittler bestimmen: Sobald das Unternehmen sich für die Einführung eines Mentoring-Programms entscheidet, gilt es einen Vermittler zu definieren, der passende Mentoren und Mentees innerhalb der Belegschaft bestimmt. Diese Vermittler können externe oder interne Mitarbeiter sein.
- Zusammenführung und Entscheidung: Nach der Vorauswahl spricht der Vermittler mit jedem ausgewählten Mitarbeiter, um seine Stärken und Schwächen zu ermitteln. Im zweiten Schritt trifft er die Entscheidung, welche Mitarbeiter gemeinsam arbeiten sollen. In einem persönlichen Gespräch entscheiden sich Mentor und Mentee anschließend, ob sie zusammen arbeiten wollen.
- Rahmenbedingungen klären: Zum Auftakt werden das Mentoring-Konzept erläutert und die Spielregeln festgehalten. Mentor und Mentee besprechen gemeinsam, welche Erwartungen auf beiden Seiten bestehen und wie man die Beziehung gestalten will. Auch organisatorische Dinge werden geklärt. Welche Kommunikationskanäle will man nutzen? Wie oft will man sich treffen?
- Inhalte festlegen: Im Idealfall werden bereits zum Start des Mentorings die Inhalte festgelegt. Was will der Mentee vom Mentor lernen? Welche Dinge hält der Mentor für besonders wichtig? Welche Dinge sind mit Blick auf die unternehmerischen Ansprüche besonders relevant und wie würde der Mentee sich gerne persönlich weiterentwickeln? Nach den einzelnen Treffen werden die besprochenen Dinge schriftlich festgehalten.
- Erfolgskontrolle: Bei zeitlich begrenzten Mentoring-Programmen sollte ein finales Treffen stattfinden, bei dem mittels Workshop und Dokumentation die Ergebnisse präsentiert werden. Bei offenen Programmen ohne feste Laufzeiten finden regelmäßig Kontrolltermine statt. Bei diesen wird der aktuelle Stand des Wissenstransfers besprochen und eventuelle Kursabweichungen werden korrigiert.
Professionelles Mentoring in der betrieblichen Praxis
Haufe VerlagDie Rollen des Mentors
Mentoren haben eine klare Aufgabe, doch wie sie ihre Rolle erfüllen und ausfüllen ist auch eine persönliche Frage. Es zeigen sich aber einige Stereotypen oder eben Rollen, die ein Mentor immer wieder übernimmt:
- Der weise Berater: Er verfügt über einen deutlichen Erfahrungsvorsprung gegenüber seinem Mentee, wobei er diesen nutzt, um seinen „Zögling“ mit den richtigen Fragen in die richtige Richtung zu lenken.
- Die neutrale Instanz: Ratschläge von nahestehenden Personen sind oft gut gemeint, verfolgen aber auch oftmals einen eigenen Nutzen. Der Mentor hingegen berät neutral und fällt kein vorzeitiges Urteil.
- Der Krisenmanager: Es gibt persönliche und psychologische Krisen. Im ersten Fall hilft der Mentor dabei, diese zu bewältigen. Im zweiten Fall sollte er dem Mentee zu professioneller Hilfe raten.
- Der Aktivierer: Viele Mentees wollen so gerne, trauen sich aber nicht. Hier ist der Mentor Sparringspartner und unterstützt aktiv bei der Entwicklung von Ideen und der Persönlichkeit des Mentees.
- Der Zuhörer: Wohl eine der wichtigsten Rollen des Mentors ist die des Zuhörers. Jemand, der wirklich richtig hinhört und Aufmerksamkeit schenkt. Dies dient der Selbstreflexion des Mentees.
Wissenstransfer jenseits der Firma
Mentoring wird aber nicht nur in Unternehmen praktiziert, bestenfalls wird es sogar bereits während der Ausbildung aktiv in die Karriereplanung miteinbezogen. So bieten zum Beispiel die Uni St. Gallen und die ZHAW entsprechende Programme an. Und auch in Deutschland gehen Universitäten das Thema aktiv an, wie unter anderem die Goethe-Universität in Frankfurt oder die Universitäts-Gesellschaft Hamburg e. V. (in Kooperation mit der Fakultät BWL der Universität Hamburg). An der TU Wien gibt es sogar gleich mehrere Mentoring-Programme, um Studierende und Studieninteressierte zu unterstützen. Und auch die Medizinische Universität in Graz räumt dem Mentoring einen wichtigen Platz im täglichen Studienalltag ein.
Wissenstransfer zwischen verschiedenen Unternehmen
Mentoring kann außerdem auch unternehmensübergreifend stattfinden. Prominentes Beispiel ist hier unter anderem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg: Er profitierte über viele Jahre vom Wissen seines Mentors Steve Jobs. Und auch Bill Gates lernte in seiner engen Freundschaft mit Warren Buffett das Wichtigste zum Thema Geld.
Wichtig: Vorzugsweise wird beim unternehmensübergreifenden Mentoring (auch Cross-Mentoring genannt) das Programm durch eine sogenannte Cross-Mentoring-Beratungsagentur geleitet. Diese sorgt für entsprechende Unternehmenskontakte, ohne dabei die heikle Sache mit der Konkurrenz aus den Augen zu verlieren. In meinem persönlichen Fall ist der Mentor sogar in einer völlig anderen Branche zu Hause – was mir persönlich ermöglicht, Dinge auch aus ganz anderen Blickwinkeln zu betrachten.
Nein, ich gebe Ihnen jetzt nicht seine Telefonnummer. Aber hier sind immerhin nützliche Links zu den großen Mentoring-Anlaufstellen, von dort aus geht es erfahrungsgemäß dann schnell: