„Dank KI werden weniger Menschen in kürzerer Zeit mehr leisten können – das hat Folgen für den Arbeitsmarkt.“

Zukunftsforscher Lothar Abicht über die Geschwindigkeit der KI-Entwicklung, neu entstehende Jobprofile – und Arbeitsfelder, bei denen der Mensch der Maschine auch weiterhin überlegen sein wird.

„Dank KI werden weniger Menschen in kürzerer Zeit mehr leisten können – das hat Folgen für den Arbeitsmarkt.“
@ThomasReinhardt.de

Herr Abicht, wird künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt wirklich so massiv erschüttern, wie es oftmals prognostiziert wird?

Lothar Abicht: Mit großer Wahrscheinlichkeit ja. Ich kann natürlich nicht mit Sicherheit sagen, wohin die Reise gehen wird. Solche Prognosen gab es ja schon mehrfach. Der Unterschied zur jetzigen Situation ist aber, dass die neue Technologie tatsächlich existiert und sich mit großer Geschwindigkeit weiterentwickelt. Schrittweise erschließt sie sich so neue Anwendungsfelder. Wie tief der Umbruch sein wird oder ob er Dimensionen wie die industrielle Revolution haben wird, ist im Augenblick schwer abzuschätzen. Die große Frage, die bislang eher verhalten gestellt wird, ist aber: Wird es in absehbarer Zeit eine sogenannte starke KI geben? Also eine Technologie, die die menschlichen Fähigkeiten tatsächlich übertrifft.

Bleiben wir noch bei der generativen KI. Viele sind davon ausgegangen, dass zuerst die Sachbearbeiter durch KI ersetzt werden, jetzt hat es die kreative Branche besonders heftig getroffen …

Im Grunde sind es drei Gruppen, die die KI aktuell besonders beeinflusst. Die erste Ebene ist die, die Sie eben angesprochen haben: die Sachbearbeiter. Tätigkeiten, die sich automatisieren lassen. Die zweite Ebene betrifft Menschen, die in der Vergangenheit eher als unangreifbar galten, also die Kreativen. Leute, die Wissensarbeit betreiben.

Die generative KI steigert die Produktivität.

Daher wird sie wesentliche Impulse liefern, um die Wissensarbeit zu verändern. Weniger Menschen werden in kürzerer Zeit mehr leisten können – das hat Folgen für den Arbeitsmarkt. Schließlich gibt es noch eine dritte Ebene, die sich andeutet: KI wird wahrscheinlich in der Lage sein, Roboter zu steuern und sie damit auf ein menschliches Niveau anzuheben. Das wird aber länger dauern als die Veränderungen auf den beiden anderen Ebenen.

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Zusammenfassung (Artikel)

Das Ende der Wissensgesellschaft

Wer mit dem Kopf arbeitet, muss KI-Konkurrenz nicht fürchten? Weit gefehlt! Diesmal wird es die Wissensarbeitenden treffen.

Lothar Abicht managerSeminare Verlag
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Aber werden KI und zukünftige Technologien wirklich ganze Berufsgruppen auslöschen?

Ich persönlich sehe das im Augenblick nicht. Was ich sehe, ist die angesprochene Produktivitätssteigerung. Aber sicher, es wird eventuell in naher Zukunft Berufsgruppen geben, deren Tätigkeiten die Technologie ganz übernehmen kann. Hier denke ich aktuell zum Beispiel an Übersetzer oder andere Menschen, die sprachliche Dienstleistungen anbieten. Gleiches gilt für Illustratoren und Grafiker. Es gibt allerdings noch keine fundierten Studien, wie dramatisch oder einschneidend die Veränderungen durch KI in diesem Bereich waren, etwa betreffend der Auftragslage.

Take-aways:

  • Es wird Berufsgruppen geben, deren Arbeit aufgrund des technischen Fortschritts starke Einschnitte erleben wird.
  • Die durch die KI gesteigerte Produktivität einzelner Menschen ist jetzt schon sichtbar, daher sollte jeder, der sich betroffen fühlt oder das Gefühl hat, irgendwann betroffen zu sein, sich mit offenen Augen dem Fortschritt zuwenden.
  • Care und Climate sind die zentralen Themen der Zukunft – hier kann KI unterstützen, aber es braucht vor allem den Menschen, der aktiv und engagiert handelt.

Was ist mit Menschen wie mir, also Autoren und Journalisten?

Auch hier besteht ein Risiko. In den USA haben die Schreibenden bereits erlebt, dass die Anfragen massiv zurückgegangen sind oder dass die KI sich aus Werken namhafter Schriftsteller und Schriftstellerinnen bedient hat. Ihre Antwort war es, OpenAI auf Urheberrechtsverletzung zu verklagen. Das ist derzeit offen. In anderen Ländern gibt es noch keine Klagen, aber viel Unruhe.

Was kann ich also tun, wenn ich sehe, dass die KI über kurz oder lang massiven Einfluss auf meine Arbeit haben wird?

Ich kann jedem nur raten, nicht wegzuschauen, sondern sich aktiv mit den neuen Technologien auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite sollten Sie sich fragen, wie Sie diese persönlich für Ihre Arbeit nutzen können, um selbst produktiver zu werden. Das gibt Ihnen gleichzeitig auf der anderen Seite eine Vorstellung davon, wo die KI Sie tatsächlich ersetzen kann oder ersetzen wird.

Verschaffen Sie sich einen realistischen Überblick darüber, was in den nächsten Jahren passieren kann. Und wenn Sie dann feststellen, dass Sie eventuell mit dem, was Sie heute tun, Ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können, handeln Sie.

Erweitern Sie Ihr Portfolio, suchen Sie nach Alternativen – bevor es vielleicht zu spät ist.

ChatGPT weiß so viel, weil die Technologie mit den Dingen gefüttert wurde, die ins Netz gestellt wurden – ob freiwillig von den Urhebern selbst oder über Dritte, spielt dabei keine Rolle. Wenn wir die KI mit unserem Wissen trainieren, könnten wir sie dann nicht auch willentlich manipulieren und damit schlechter machen?

Für Otto Normalverbraucher wird das schwer werden. Dazu braucht es Menschen mit Einfluss und einem Namen wie in den USA. Zu den Klagenden gehören dort nämlich bekannte Autoren wie der Schöpfer von Game of Thrones. Wenn Sie keinen Namen haben, können Sie sich auch mit vielen anderen Menschen zusammentun und im Kollektiv engagieren. Dies passiert jedoch bislang selten, vor allem in Europa. Hier haben Deutschland, Frankreich und Italien beispielsweise erst vor ein paar Tagen ganz klar kommuniziert, dass man mit einem KI-Gesetz zwar Risiken wie Diskriminierung oder Datenschutz verringern will, es aber auf keinen Fall darum geht, die Anwendung zu verbieten. Hier gibt es sicher noch sehr viel Diskussionsbedarf, auch weil die Technologie sich so schnell weiterentwickelt.

Apropos Weiterentwicklung. Sie schreiben in einem Artikel, dass KI zwar neue Berufe erschaffen wird, aber weniger als die Menge, auf die sie Einfluss hat.

Ich würde sagen, dass wir bislang noch überhaupt keine komplett neue Berufsgruppe identifizieren können, die die KI geschaffen hat. Auch wenn als Beispiel gerne die der sogenannten Prompt Writer genannt wird. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, zu verstehen, dass Beruf und Tätigkeit nicht dasselbe sind. Berufe setzen eine spezifische Ausbildung oder Qualifikation voraus. Eine Tätigkeit hingegen ist ein breiter Begriff, der jede Art von Arbeit oder Aufgabe beschreibt. Das bedeutet, bislang sind die Berufe gleich geblieben, lediglich die Tätigkeiten haben sich verändert. KI ist wie jede Technologie ein Werkzeug, das Menschen in ihrem Berufs- oder auch Privatleben nutzen. Und sie ist, das kann man sagen, eine Erweiterung unserer Fähigkeiten und unseres menschlichen Wissens.

Dennoch sind Sie sehr überzeugt davon, dass die Wissensgesellschaft sich langsam verabschiedet. Es sei nun die Zeit für eine Care-und-Climate-Gesellschaft. Was meinen Sie damit?

Die Wissensgesellschaft folgte auf die industrielle Revolution. Es gab also sehr viel weniger Menschen, die in der Industrie arbeiteten, und mehr, die im Bereich der Wissensverarbeitung tätig waren. Dieser Prozess wiederholt sich nun.

Weniger Wissensarbeitende werden mehr Output liefern, weil sie von digitalen Assistenten unterstützt werden.

Vergleichbar mit dem Bauern, der dank des Einsatzes von Maschinen plötzlich viel mehr produzieren und entsprechend mehr Menschen versorgen konnte. Das wirft die Frage auf, an welchen Punkten es mehr Menschen oder überhaupt noch Menschen braucht – und das ist eindeutig im Bereich Care und im Bereich Climate.

Von welchen Jobs und Aufgaben sprechen wir hier?

Care umfasst alle Bereiche, bei denen Menschen mit Menschen interagieren. Bereiche, wo Empathie ganz wichtig ist. Sicher ist hier der Pflegebereich ein großes Feld, aber auch die Erziehung unserer Jüngsten und deren Betreuung wie Bildung sind und bleiben ein wichtiges Feld für menschliche Arbeit. Je älter die Lernenden sind, desto eher können KI und Technologie den Großteil der Bildung übernehmen. In der letzten Lebenshälfte jedoch wird menschliche Arbeit in Form von Pflege wieder wichtig, um in Würde altern zu können.

Welche Berufe und Tätigkeiten kommen im Bereich Climate auf uns zu?

Vor allem der grundlegende Umbau der gesamten Technologie in Richtung Klimaneutralität. Das ist eine wahnsinnige Herausforderung, die besonders umfassende technologische Fähigkeiten erfordert. Nehmen wir die Wärmepumpe als Beispiel. Hier brauchen Sie zeitnah – vor allem in Deutschland – viel Fachpersonal, die diese einbauen können. Und Sie brauchen Menschen, die sie entwickeln.

Auch wenn einige immer noch von Klimahysterie reden: Wenn wir es jetzt nicht schaffen, den Klimawandel zumindest zu verlangsamen, indem wir die Technologien klimaneutral machen, geht das nicht gut aus.

Sie können das wie den zunehmenden Einsatz von KI verdrängen, helfen wird es Ihnen nicht. Es gibt keine Alternativen – vom Aufhalten des Klimawandels können wir nämlich nicht mehr reden.

Nehmen wir das E-Auto. Hier wird gerne immer mal wieder in den Raum gestellt, dass die Herstellung und Entsorgung der Batterie diese Autos nicht ökologisch freundlicher macht als ein Benziner.

Ich habe mich für mein neues Buch damit detailliert auseinandergesetzt und es wird viel Halbwissen verbreitet. Um es kurz zu fassen: Selbst wenn das Auto mit einem Strommix aus China mit einem hohen Kohleanteil unterwegs ist, fährt es nach einigen tausend Kilometern in der Summe umweltschonender als ein Benziner. Dazu kommen bereits rund 50 Prozent aller E-Autos aus China. Wobei wir dann bei einem ganz anderen Problem sind, das Europa hat.

Das da wäre?

Wenn Sie sich die Märkte der Zukunft anschauen, hat China quasi schon alle besetzt. 95 Prozent der Solarpanels stammen aus China. Und genau so dominierend ist das Land bei Wärmepumpen, Windkraftanlagen oder Elektrobussen. Also was den Climate-Bereich betrifft, hat Deutschland und auch Resteuropa eigentlich nur noch eingeschränkte Chancen, noch Fuß zu fassen. Und damit sind wir wieder bei der Frage: Was machen all die Wissensarbeitenden, wenn KI bestimmte Funktionen ersetzt und die Produktionsfähigkeit der Übriggebliebenen um das 10-, wenn nicht 100-Fache steigert? Das sind die Fragen, die nun relevant sind, die aber ungern offen gestellt werden.

Offensichtlich hakt es an vielen Stellen. Wie sehen Sie die Zukunft der Wissensarbeitenden, die Europas, und was kann ich als Einzelperson tun, um nicht unter die Räder zu kommen?

Wissensarbeitende werden ohne Zweifel auch künftig in Europa in erheblichem Umfang gebraucht. Allerdings könnte sich ihre Stellung in dem Sinne verändern, dass sich Gräben auftun: hoch qualifizierte Wissensarbeitende in Mensch-Maschine- bzw. -KI-Teams auf der einen Seite und eine Art akademisches Proletariat, das von der KI noch nicht abdeckbare Tätigkeiten übernimmt, auf der anderen. Die Parallelen zur Industriearbeit früherer Jahrzehnte sind nicht zu übersehen.

Stabilisierend wirkt die Präsenz der Wissensarbeitenden weiterhin an politischen und wirtschaftlichen Schaltstellen.

Um ihre Stellung zu schützen, können sie durch Bürokratie, Normen, Verbote sowie Gesetze den Einsatz der neuen Technologien viel stärker verzögern als Industriearbeitende beim Übergang zur Wissensgesellschaft.

Und Einzelne?

Jeder darf sich als Individuum (politisch) für eine stabile und demokratische EU einsetzen. Denn ohne die Menschen haben Deutschland wie auch Europa kaum Chancen im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Wettbewerb der Supermächte. Klimaschutz und die Bewältigung anderer Krisen sind ebenfalls von Menschen und weniger von Maschinen abhängig. Das gilt auch für die bereits bestehenden militärischen Konflikte. Geht es um den Einzelnen und sein Privatleben, kann ich nur einen Lebensstil empfehlen, bei dem „wirtschaftliche Reserven“ aufgebaut werden. Die Abfederung von Risiken durch den Sozialstaat lässt seit Jahren nach und das Risiko eines jähen persönlichen beruflichen Absturzes wächst weiter an. Und genau darum braucht es stabile persönliche Beziehungen, die als Anker in unruhigen Zeiten dienen. Denn mit KI können Sie kommunizieren, das stimmt. Aber nicht so, wie wir Menschen es untereinander tun.

Über den Autor:
Lothar Abicht arbeitet als Senior Associate beim Zukunftsforschungsinstitut Themis Foresight.

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