3. Vertrauen bedeutet: delegieren
Wie ich in meinem Eingangstext schon schrieb: Niemand kann alles wissen oder in allen Dingen ein Meister werden. Wer vorgibt, als Chef unfehlbar zu sein, läuft Gefahr, sich – wie Diktatoren – in einer Echokammer wiederzufinden, die das Scheitern nur exponentiell verschlimmert.
Ich habe mir deshalb drei Regeln für meine Arbeit als Mensch und CEO gegeben:
- Umgib dich mit Leuten, die irgendetwas besser können als du! Das gilt fürs Geschäft, wo man diese Regel unbedingt auch beim Recruiting oder bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrats beherzigen sollte, wie fürs Private. Achtung: Dabei geht es nicht um Gockel. Ich habe von introvertierten Führungskräften stets mehr gelernt als von den extrovertierten.
- Hör ihnen aufmerksam zu! Die ersten drei Millionen Umsatz bei getAbstract habe ich nur gemacht, weil ich geschwiegen und Notizen gemacht habe, als mir Kunden und potenzielle Kunden erzählt haben, was sie wirklich bewegt. Was bei Mitarbeitenden gilt, gilt auch in der Familie: Nur wer zuhört, kann etwas lernen.
- Sei großzügig mit Aufmerksamkeit und Zeit! Das Referatsthema Ihres Sohnes interessiert Sie nicht? Dumm für Sie, denn Sie können mit ihm mitlernen und gleichzeitig die Verbindung zu ihm stärken, wenn Sie mehr Interesse zeigen. Denken Sie wieder an Meier aus der Finanzabteilung und seine Ideen: Klar geht er einem manchmal auf die Nerven. Aber er hat auch immer wieder hervorragende Geistesblitze. Und die soll er doch bitte schön in der Firma haben, nicht bei der Konkurrenz.
Wer diese drei Regeln beherzigt, ist bereit, Arbeit abzugeben. Wohlgemerkt: Ich rede nicht von „Tasks“ oder den allgegenwärtigen „Bullshit Jobs“ – die sollten Führungskräfte ohnehin abgeben.
Ich rede von Denk- und Strategiearbeit und von der Ausführung darauf basierend gefällter Entscheidungen.
Schauen Sie, dass die wichtigen Abteilungen in Ihrer Bude von Leuten geführt werden, die sich Ihr Vertrauen erworben haben. Was diese Besetzung angeht, habe ich gelernt, dass es nicht immer ausgebildete Betriebswirte oder Manager sind, die hier die beste Arbeit machen, sondern solche, die einfach in ihrem Fach gut sind, eine hohe Sozialkompetenz und den richtigen Sinn für die eigene Unternehmenskultur haben. Ob das der Fall ist, testen Sie durch die Abgabe erst einzelner Aufgaben bei dann immer weiter nachlassender Kontrolle.
Es ist wie bei einem Kind, das das Über-die-Straße-Gehen lernen soll: Zuerst bringen Sie die Basics bei – links und rechts schauen, hinhören, noch mal schauen – und sind streng damit. Dann schauen Sie aufmerksam hin, bemerken den Fortschritt. Und irgendwann geht die Person selbst über die Straße, ohne überfahren zu werden – das ist der Moment zum Loslassen. Und vielleicht lernt sie dann sogar, dass der Fußgängerüberweg nicht immer die beste Stelle ist, um das Ziel zu erreichen.
Wollen Sie diese Fähigkeit ausbauen, machen Sie klar, dass Fehlermachen eine Option ist, und legen Sie höchstens eine Hand voll gut definierter Regeln fest, die im Weiteren unbedingt zu beachten sind. Regen Sie die Leute zum Entdecken und Weiterlernen an. Ich selbst verbringe nie länger als 15 Minuten in einem Raum, in dem ich von niemandem etwas lerne, und ziehe mich jeden Tag drei bis fünf Stunden zum Lesen zurück, um mich weiterzubilden. Ermutigen Sie beim weiteren Delegieren zu solcherlei Neugier und Kreativität, und belohnen Sie diejenigen Kollegen, die Sie und Ihre Organisation damit voranbringen.
Drei Regeln:
- Wer nur halbherzig delegiert, hat entweder kein vertrauenswürdiges Umfeld (Jasager und Unselbstständige) oder ein geschöntes Bild von sich selbst. Beides führt zu schlechten Entscheidungen.
- Verlangen Sie nicht zu viel! Fehler sind allgegenwärtig und zum Lernen da. Muten Sie deshalb nach und nach mehr Vertrauen zu und kontrollieren Sie, was zurückkommt. Setzen Sie dazu wenige, dafür klare Regeln – und legen Sie auch fest, was passiert, wenn sie gebrochen werden.
- Erfolgreiche Delegation funktioniert nach dem „Wer macht was wie womit wo wann und bis wann wozu?“-Prinzip.
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