2. Vertrauen: Wer davon abgibt, bekommt es
Als ich meiner Familie meine zukünftige Frau vorstellte, war das für Erstere ein Schock. Meistens ist es ja andersherum, aber der Traum meiner ihr Leben lang hart arbeitenden Eltern war es, überspitzt gesagt, dass mir das durch sie finanzierte Studium an der Hochschule St. Gallen zügig die Türen einer reichen, bestenfalls innerschweizerischen Industrieerbin öffnen würde, damit ich mich um Wohlstand und Lebensqualität nie sorgen müsste. Die hochintelligente und wunderschöne Ecuadorianerin, die dann bei der Ankunft am Bahnhof mit mir aus dem Zug stieg – und von der ich meiner Mutter schon nach einem Tag gesagt hatte, dass ich sie heiraten würde –, entsprach ganz und gar nicht den lang gehegten Erwartungen. Das hatten die beiden mir sogar vorab mitgeteilt.
Aber: Meine Mutter hatte Blumen zum Bahnsteig mitgebracht, umarmte María Fernanda zu meiner Überraschung lang und herzlich. Letztere fragte gleich: „Wie kommt es, dass du mich so freundlich willkommen heißt?“ Und meine Mutter zögerte keine Sekunde mit ihrer Antwort: „Wenn Thomas dich so liebt, wie er dich liebt, dann wird schon etwas dran sein.“
Warum erzähle ich Ihnen diese Geschichte? Weil der buchstäbliche Vertrauensvorschuss auch im Geschäftsleben die Initialzündung für gelingende Kooperationen ist. Ja, das Vorschießen von Vertrauen fällt uns leichter, wenn wir seltener enttäuscht wurden (etwa von adretten Bewerbern, die sich dann doch als Nulpen entpuppt haben), wer aber aus den Enttäuschungen lernt, wird je länger, desto weniger davon erleben.
Konkret kann das bedeuten: Meier aus der Finanzabteilung hat eine Idee, wie die Spesen effizienter abgerechnet werden können, und sagt Ihnen das beim Firmenapéro? Belächeln Sie ihn nicht und falten Sie ihn schon gar nicht wegen Übertretung seiner Zuständigkeiten zusammen! Bitten Sie ihn, seine Idee in einem gemeinsamen Gespräch mit Ihnen und seinem Vorgesetzten zu präsentieren. Kann man die Sache weiterverfolgen? Setzt die Idee andere Initiativen in Gang?
Klar kann es sein, dass dabei nichts rauskommt und Meier seine Kompetenzen überschätzt hat – aber verloren haben Sie trotzdem nichts. Im Gegenteil:
Sie signalisieren damit, dass Ideen ernst genommen werden, Initiative geschätzt wird, und eine so entstehende Kultur der Offenheit in Vertrauen ermuntert auch andere, sich zu engagieren.
Machen Sie deshalb eine Gewohnheit daraus: Hören Sie aufmerksam zu, lassen Sie sich nicht von Hierarchien leiten, und geben Sie Ideen, die Ihnen vielleicht fremd oder zuerst etwas seltsam vorkommen mögen, eine Chance. Ablehnen können Sie nach reiflicher Überlegung und Begründung immer noch, aber ihr intellektueller Radius wird sehr schnell sehr überschaubar (und lässt sich nur noch schwer wieder erweitern), wenn Sie Zynismus, Unnahbarkeit und Besserwisserei demonstrieren.
Drei Regeln:
- Vertrauen abzugeben bedeutet: sich und andere ernst nehmen.
- Wer Vertrauen abgibt, signalisiert damit Vertrauenswürdigkeit und legt die Basis für Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
- Letztere minimiert nach und nach den Bedarf an Kontrolle und sorgt mittelfristig für ein Ausradieren des zeit- und ressourcenfressenden Micromanagements.
Hier finden Sie alle meine Kolumnen.