„Komplimente machen nur Sinn, wenn sie konkret sind.“
Herr Thiele, Sie haben Ihr Buch Argumentieren unter Stress überarbeitet und um den Aspekt der virtuellen Kommunikation ergänzt. Wo liegt in Ihren Augen der Unterschied zwischen stressigen Kommunikationssituationen, die wir vor Ort erleben, und denen, die virtuell stattfinden?
Albert Thiele: Argumentieren auf Distanz ist Kommunikation auf Distanz. Sie sehen die Gesprächspartner zweidimensional gepixelt und im kleinen Format. Argumentieren bedeutet, dass wir Botschaften personalisieren – und diese Persönlichkeitskomponente wirkt im analogen Setting stärker als im digitalen. Daneben sind bei der virtuellen Kommunikation nur zwei unserer Sinne beteiligt, Auge und Ohr.
Warum ist das wichtig?
Vertrauensbildung, Glaubwürdigkeit etc. sind ganzheitliche Dimensionen. Wir erfassen sie mit allen Sinnen. In einem virtuellen Setting geht das aber nicht. Daneben ist die Aufmerksamkeitsspanne reduziert. Der Bildschirm, auf den Sie schauen, macht weniger als 20 Prozent Ihres Wahrnehmungsfeldes aus. Und rund um diesen Bildschirm befinden sich viele Ablenkungen. Das heißt also, die Inhalte, die wir virtuell transportieren wollen, müssen einen echten Aufforderungscharakter haben. Sie müssen attraktiv sein, nutzenorientiert, kurzweilig. Sonst ist das Risiko groß, dass die Zuhörer abschweifen oder andere Dinge tun. Besonders dann, wenn es sich um Meetings mit vielen Personen handelt, die vor allem zuhören müssen.
Welche weiteren Dinge gilt es zu beachten?
In virtuellen Meetings ist die Sprache der primäre Kommunikationskanal und viel wichtiger als das, was wir körpersprachlich rüberbringen. Umso wichtiger sind die verbalen Signale wie Tempo, Pausen etc.
Grundsätzlich kann man sagen, dass die normalen Dialogmechanismen virtuell nur eingeschränkt funktionieren.
Albert Thiele
Gerade unmittelbare Rückmeldungen sind kaum zu erkennen. Sie wissen ja nicht einmal, ob Sie die anderen gerade wirklich anschauen. Das führt unter anderem zum dauerhaften Abtasten sozialer Hinweisreize. Sie führen ständig einen inneren Dialog: „Ach, die Susanne, die guckt aber skeptisch. Aber der Ingo, der ist gut dabei. Und Klaus und Petra machen doch was ganz anderes …“ Diese Art von Gedanken haben Sie in einem Konferenzraum weniger.
Sie sprechen in Ihrem Buch von „Kampfdialektik“. Gemeint ist damit das Vorbringen unsachlicher Inhalte, um jemanden anzugreifen oder aus dem Konzept zu bringen. Wie aber erkenne ich, dass sich mein Gegenüber dieser Dialektik bedient und keine ernst zu nehmenden Kritikpunkte vorbringt?
Um herauszufinden, ob eine Person, mit der Sie sich austauschen (müssen), zu Kampfdialektik neigt, sammeln Sie am besten zuerst einmal Informationen. Fragen Sie Kollegen, wie die Person tickt. Spielt sie gerne ihre Autorität aus? Pauschalisiert sie oft? Auch ein LinkedIn- oder Xing-Profil kann nützliche Informationen liefern. Hinzu kommen Ihre eigenen Beobachtungen: Bestimmt die Person schon vor dem Meeting autoritär die Agenda, ohne dass es ihre Aufgabe ist? Verzichtet sie beim Einstieg ins Gespräch auf Small Talk bzw. ist der Small Talk sehr aufgesetzt? Lässt sie Sie von Beginn an ausreden, oder unterbricht sie Sie schon in der Einstiegsphase des Gesprächs? All das kann darauf hinweisen, dass Ihr Gegenüber unsachlich kommuniziert.
Und abgesehen von der Vorbereitung: Wie macht sich Kampfdialektik im Gespräch bemerkbar?
Im Gespräch selbst macht es Sinn, zunächst zu fragen, was Ihrem Gesprächspartner heute besonders wichtig ist. Das hat den Vorteil, dass Sie die spontane Reaktion der Person sehen und so herausfinden, ob sie an einer sachlichen Zusammenarbeit interessiert ist. Danach können Sie während des Gesprächs immer wieder auf das Gesagte zurückkommen und Ihre Argumentation darauf aufbauen, etwa: „Wie eingangs von Ihnen gesagt, geht es ja darum …“ Zudem sollten Sie, gerade bei Behauptungen, ruhig nachhaken, um herauszufinden, wie tragfähig die Argumente Ihres Gegenübers sind. Denn:
Wer Dinge behauptet, ist beweispflichtig.
Albert Thiele
Sie sprechen auch von „Dirty tricks“, die Kampfdialektiker anwenden. Haben Sie ein Beispiel?
Das sind etwa Lügen, die benutzt werden, um Sie unter Druck zu setzen. So kann Ihr Gegenüber behaupten, es hätte ein anderes Angebot von einem Mitbewerber erhalten, der 22 Prozent mehr bezahlen würde. Oder es fallen Sätze wie „Sie haben ja nicht unbedingt den besten Ruf in Ihrem Unternehmen“, um Sie zu verunsichern. Generell ist es auch problematisch, eine überbordende Dominanz an den Tag zu legen.
Argumentieren unter Stress
Frankfurter Allgemeine BuchKönnen Sie das genauer definieren? Dominanz kann ja vieles bedeuten.
In analogen Settings macht sich beispielsweise jemand groß, indem er Sie warten lässt oder die Sitzmöglichkeiten bewusst so wählt, dass Sie niedriger sitzen. Andere halten nicht angemessen Abstand. Verbal äußert sich überbordende Dominanz etwa, indem jemand die Deutungshoheit für sich beansprucht und Dinge sagt wie: „Das schminken Sie sich jetzt mal ab“, oder: „Das läuft nicht in der Praxis – und ich kenne den Markt seit 22 Jahren“.
Ein gewisses Gefälle ergibt sich aber in bestimmten Kommunikationssituationen automatisch, oder?
Ja, dennoch finde ich, dass ein Gespräch immer auf Augenhöhe geführt werden sollte. Gerade Führungskräfte, egal auf welchem Level, sollten Durchsetzungsfähigkeit und Empathie immer in eine Balance bringen.
Sie stellen in Ihrem Buch verschiedene Strategien vor, wie man in einem stressigen Konfliktfall souverän reagieren kann. Nicht immer einfach umzusetzen, wenn man gestresst und emotional angefasst ist …
Deshalb gibt es Maßnahmen, die man sofort umsetzen kann, und solche, die man langfristig übt, um sie im Ernstfall anwenden zu können, ohne groß nachzudenken. Eine Sofortmaßnahme wäre etwa, dass Sie sich Ihre Reizthemen bewusst machen und sich vornehmen, nicht gleich an die Decke zu gehen, sondern innerlich bis fünf zu zählen. Versuchen Sie in diesen Momenten sachlich zu bleiben und Ihre Emotionen zwar wahrzunehmen, aber nicht gleich rauszulassen.
Und was wären längerfristige Strategien?
Neue Glaubenssätze etablieren. Zum Beispiel „Unfairness ist positiv für mich“. Sie können nämlich jeden Angriff als spannende Herausforderung betrachten und schauen, wie sie ihn umlenken. Das Fatale an solchen Situationen ist nämlich, dass Sie den Angriff als Bedrohung erleben.
Was meinen Sie damit?
Es gibt das optimale Stresslevel, auf dem wir Bestleistungen erbringen. Greift Sie jedoch beispielsweise in einer Präsentation jemand unerwartet an, steigt Ihr Stresslevel. Übersteigt dieses Level einen gewissen Grad, können wir unsere Reaktionen nicht mehr kontrollieren. Gerald Hüther sagte in einem Vortrag, dass „bei zu hohen Erregungszuständen kein handlungsleitendes Muster aus komplexen Hirnregionen abgeleitet werden kann. Das, was noch funktioniert, sind ältere Strukturen im Gehirn, etwa Kindheitsmuster“. Und genau darum fallen so viele Menschen in Stresssituationen in diese Muster zurück und lassen den Stress einfach raus. Sie schlagen Türen, hauen auf den Tisch oder schreien die Assistentin an. Steigt das Stresslevel noch weiter, funktionieren am Ende nur noch die drei Notfallprogramme: Angriff, Flucht oder Erstarrung.
Dann können wir in solchen Momenten also gar nicht anders, als irrational zu handeln?
Genau. Ihr Ziel sollte daher sein, Ihr Stresslevel im Griff zu haben. Und deswegen kann es helfen, gewisse Glaubenssätze zu verinnerlichen – wie den, dass Angriffe eben keine Gefahr sind, sondern Chancen auf positive Veränderung in Ihrem Leben.
Take-aways:
- Bei schwierigen Gesprächen ist eine gute Vorbereitung das A und O.
- Um unfairen Gesprächspartnern zu begegnen, sollten Sie schwierige Gespräche als Herausforderung sehen, eigene Reizthemen reflektieren und sich in spontanen Antworten üben.
- Bei schwierigem Feedback oder Kritikgesprächen halten Sie Ihren Redeanteil möglichst gering und machen Sie wenn, dann nur konkrete Komplimente.
Sie sagen, dass gute Vorbereitung zentral ist, um stressige Gespräche gut zu meistern. Haben Sie noch ein paar praktische Tipps, wie ich mich vorbereiten kann?
Egal in welches Gespräch Sie gehen: Machen Sie sich vorher bewusst, was Sie erreichen wollen. Setzen Sie sich dazu erreichbare Minimalziele. Wenn Sie zum Beispiel für ein höheres Gehalt bei Ihrem Vorgesetzten argumentieren wollen, wäre ein Minimalziel „Die Aufmerksamkeit meines Vorgesetzten auf mein Thema lenken“. Das schaffen Sie. Weitere wären vielleicht „Drei Schlüsselargumente in der kurzen Gesprächssituation klar rüberbringen“ oder „Den Meinungstrend meines Chefs hinsichtlich dieses Themas in Erfahrung bringen“. Auch das schaffen Sie vermutlich. Und je mehr dieser kleinen Ziele Sie erreichen, desto besser Ihr Gefühl.
Sind eigentlich offensive Taktiken in beruflichen Gesprächen eine gute Wahl?
Es kommt immer darauf an, mit wem Sie argumentieren. Ist Ihr Gegenüber höhergestellt, sollten Sie natürlich etwas vorsichtiger sein. Gefallen lassen müssen Sie sich aber auch dann nicht alles. Wenn Ihr Chef Sie zum Beispiel massiv attackiert, könnten Sie sagen: „Frau/Herr XY, was ich an Ihnen so bewundere, ist, dass Sie immer den richtigen Ton finden“. Ironie ist erlaubt, Sie müssen jedoch auch damit rechnen, dass die Retourkutsche kommt, und entsprechend vorbereitet sein – wie bei allen schwierigen Gesprächen.
Wie entscheide ich in einem Gespräch, ob es besser ist, den Frieden zu wahren oder das eigene Gesicht?
Das ist sicher situations- und personenabhängig. Sie können Ihre Reaktion aber Stück für Stück eskalieren. Ich arbeite hier mit der Vier-I-Methode:
- Ignorieren. Sie ignorieren die Unfairness, indem Sie gar nicht darauf eingehen. Sie sagen: „Schade, dass es noch nicht gelungen ist, Sie zu überzeugen“ oder fragen nach, wo die Bedenken liegen.
- Identifizieren. Sie benennen die Unfairness, etwa indem Sie sagen: „Ich denke, auf dieser Ebene kommen wir nicht weiter“. Anschließend führen Sie sachlich zurück zum Thema.
- Ironisieren. Das wäre etwa eine schlagfertige Gegenoffensive à la «„Was meinen Sie: Hat sich mit Ihrer Bemerkung Ihr Image eher verbessert oder verschlechtert?“
- Isolieren. Sie verlassen das Gespräch, etwa mit den Worten: „Okay, Herr Schneider, ich denke, die Positionen sind klar geworden. Bei dem Punkt A und B sind wir zusammengekommen und bei C und D ist noch Besprechungsbedarf. Ich rede mit meinen Leuten und Sie mit Ihrem Juristen.“
Kritikgespräche sind per se schwierig. Sie raten deshalb dazu, ein gutes Gesprächsklima zu schaffen. Wie schaffe ich das?
Reflektieren Sie vor dem Gespräch Ihre eigene Stimmung. Wenn Sie emotional sind, sagen Sie vielleicht Dinge, die Sie nachher bereuen. Dann kann es Sinn machen, das Gespräch zu verschieben. Auch ist es wichtig, immer respektvoll zu bleiben. Und das gilt auch, wenn Sie Kritik üben.
Wenn Sie jemanden kritisieren, besteht die Kunst darin, Ihr Gegenüber zum sprechen zu bringen.
Albert Thiele
Sagen Sie: „Nun, Herr/Frau XY, was das Chinaprojekt angeht, hatten wir uns ja anspruchsvolle Ziele gesteckt. Auch was das Timing betrifft. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?“ Kann Ihr Gegenüber einen Fehler selbst ansprechen, wahrt es sein Gesicht. Und das Gespräch wird aufrechterhalten.
Was ist mit der Sandwichtaktik, von der man so oft hört? Also erst etwas Positives sagen, dann kritisieren und dann wieder mit etwas Positivem abschließen …
Komplimente machen nur Sinn, wenn sie konkret sind und wirklich mit der „Success Story“ Ihres Gegenübers zu tun haben. Geht das nicht, lassen Sie die Komplimente weg. Kritisieren Sie ehrlich, aber bewusst und geben Sie Ihrem Gegenüber eben die Chance, den Fehler selbst einzuräumen und damit auch gleichzeitig eine Lösung anzubieten.
Sie stellen in Ihrem Buch auch Ansätze vor, um klarer und zielgerichteter zu kommunizieren. Warum ist das so wichtig?
Ganz einfach:
Je länger Sie sprechen, umso mehr Angriffsflächen bauen Sie auf.
Albert Thiele
Und nicht nur das: Wer zu lange spricht, überfüttert die Aufnahmefähigkeit des Rezipienten quasi und wirkt damit unsympathischer. Das ist gewissermaßen logisch: Mikroökonomisch gesprochen wird der Grenznutzen immer kleiner, je länger man spricht – und ab einem gewissen Punkt sogar negativ.
Eine Methode, um spontan souveräne Statements abzugeben, ist die Fünfsatztechnik. Können Sie kurz ausführen, was es damit auf sich hat?
Stellen Sie sich vor, Sie werden jetzt gefragt, was Sie über den Ukrainekonflikt denken. Oder den Beitrag der Schweiz zum Klimawandel. Vermutlich haben Sie 1000 ungeordnete Gedanken im Kopf und müssten bei einer Antwort auf willkürliche Assoziationen zurückgreifen. Bei der Fünfsatztechnik beschränkt man sich auf drei Argumente, einen Einstieg und einen Schluss bzw. eine Konklusion.
Wie bereitet man das vor?
Sie beginnen mit der Konklusion, also Ihrem eigentlichen Standpunkt zu dem Thema, den Sie rüberbringen wollen. Nehmen wir an, der wäre: „Die Schweiz tut zu wenig für den Klimaschutz“. Als Nächstes überlegen Sie sich, wie Sie diese Konklusion unterfüttern, was also Ihre Argumente dafür sind. Vielleicht denken Sie, dass vieles angekündigt wurde und nicht gemacht worden ist? Oder dass im Verkehr noch mehr gemacht werden könnte? Beschränken Sie sich auf drei dieser Argumente. Haben Sie auch die, geht es darum, den richtigen Einstieg für Ihr Statement zu finden. Der hängt davon ab, ob Sie in einem Gespräch nach Ihrer Meinung gefragt werden oder sich selbst einbringen. Bei Letzterem könnten Sie etwa mit einer Positionierung einsteigen: „Ich finde, Sie fragen zu Recht: Wo steht denn die Schweiz?“ Oder Sie beziehen sich auf etwas, dass gerade gesagt wurde: „Können wir denn nicht mehr machen?“ Im Anschluss folgen Ihre Argumente sowie Ihre Konklusion.
Und wie übt man das am besten?
Wählen Sie irgendein Thema aus, über das oft diskutiert wird, etwa Kernenergie. Dann stellen Sie auf Ihrem Smartphone einen Timer und versuchen, in 30 bis 40 Sekunden zu diesem Thema nach der Fünfsatztechnik Stellung zu beziehen. Wenn Sie das regelmäßig tun, wird es Ihnen irgendwann in Fleisch und Blut übergehen.
Über den Autor
Albert Thiele ist Trainer für Kommunikation, Rhetorik und Dialektik sowie Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Advanced Training. Er arbeitet zudem als Autor und Coach für Führungskräfte.