Probier’s mal mit Persönlichkeit
Nun ist der dann endlich da – der seit vielen Jahren beschworene Fachkräftemangel! Und zwar in einem Ausmaß, das uns nicht überraschen sollte. Und dennoch sind viele Unternehmen überfordert. Sie wissen nicht, wie sie künftig wichtige Schlüsselpositionen besetzen und Talente halten können. Sie bangen um ihre Expertisen und Experten.
Erschwerend kommt hinzu, dass wir aktuell in Polykrisen leben: Wir sind der Pandemie überdrüssig, haben die Balance zwischen New Work, hybridem Arbeiten und Anwesenheitskultur aber noch nicht gefunden. Nicht wenige haben sich seit der erzwungenen „Coronaklausuren“ vor allem hinsichtlich ihrer Arbeit die Sinnfrage gestellt. Auch sind viele Mitarbeitende desillusioniert wegen eines Krieges, mit dem viele nicht gerechnet haben. Die Stimmung ist entsprechend verhalten, ernüchtert, vielleicht sogar abgelöscht. An Dinge wie Innovation oder Weiterentwicklung ist da kaum zu denken. Kurz:
Wir sind erschöpft, aber eine Pause ist nicht absehbar.
Menschen funktionieren nicht auf Knopfdruck
Reinhard K. Sprenger hat bereits 1991 das Buch der Stunde geschrieben: Mythos Motivation. Es war schon damals eine wohltuende Abrechnung mit herkömmlichen Management-Methoden à la „Ich halte dir die Karotte vor die Nase und dann springst du schon.“ oder „Eine Uhr muss nur groß und teuer sein, dann verkaufst du mehr Versicherungen.“ – aber nun, im Jahr 2023, also über 30 Jahre später, könnte es tagesaktueller nicht sein. Sprenger glaubte nie an utopische Zielvereinbarungen, intransparente Bonisysteme oder sonstige Motivationskonstrukte. Und all die Wirtschaftskapitäne haben ihm seither staunend zugehört. Geändert hat sich aber wenig: An jedem einzelnen Tag meiner Arbeit als Headhunterin begegne ich einer oder mehreren dieser damals schon obsoleten Motivationskrücken. Und überall machen sie das Leben meiner Kunden nicht besser, sondern schwieriger. Für meine Firma ist das nicht schlecht. Für den Wirtschaftsstandort, der sich laut über mangelndes Personal beklagt, aber schon.
‚Menschen sind keine Kaffeemaschinen‘, fasste es einmal ein von mir sehr geschätzter Dozent zusammen.
Wie wahr! Wir sind keine Automaten. Menschen lassen sich nur bis zu einem gewissen Punkt programmieren oder anders konditionieren, und der ist obendrein so hochindividuell wie abhängig von vielen anderen äußeren Umständen. Das ist der Grund, warum langfristige Anreize nicht durch Geld, Statussymbole oder Jobtitel gesetzt werden können: Die einen gewöhnen sich schnell dran, den anderen sind sie schnuppe. Wer meint, seine Leute auch 2023 noch über einen Kamm scheren zu können („1,5 Prozent mehr Lohn für alle, das ist doch was!“), ohne dabei auch Teile der Belegschaft zu demotivieren, hat die Forschung zum Thema geflissentlich ignoriert.
Was hilft?
Sie müssen die Menschen in ihrem Kern erreichen. Dort abholen, wo sie für sich ihre Motivation beziehen. Denn:
Was den einen zu Höchstleistungen motiviert, interessiert den anderen überhaupt nicht.
Menschen sind hoch differenzierte Wesen. Eine eigene Biografie, individuelle Sozialisation, unterschiedliche Werte, Weltanschauungen, individuelle Vorlieben – es gibt so viele Dinge, die für Individualität sorgen. Den Punkt, der Ihr Gegenüber zum Handeln motiviert, zu finden und zielsicher anzuvisieren, könnte daher schwieriger nicht sein. Alle reden in diesen Tagen vom Quiet Quitting. Sicher ist es nicht von der Hand zu weisen, dass einige innerlich gekündigt haben. Andere aber finden es einfach für sich gut und in Ordnung, Job nach Vorschrift zu machen. Wichtig ist nur, regelmäßig bestätigt zu bekommen, dass die Arbeitsplätze sicher sind. Andere hingegen gehen ambitioniert ans Werk. Umtriebig gründen sie gemeinsam mit Kommilitonen noch in der Studienzeit ein Start-up. Feel free, feel good!
Wir wissen um all das, ich weiß. Und dennoch erlebe ich in meiner Arbeit anderes. Da werden Menschen immer noch alle gleich behandelt – und das nicht im positiven Kontext von Diversität und Gleichberechtigung. Es ist Zeit, dass wir besser hinschauen, zuhören und verstehen. Was will mein Gegenüber? Was treibt es an? Und wie kann ich es darauf aufbauend motivieren? In unseren Breitengraden sind die physiologischen Grundbedürfnisse weitestgehend befriedigt. Doch Dinge wie Beziehung, Kontakt und Zugehörigkeit, das Verlangen nach Sicherheit, nach Grenzen und Strukturen, nach Autonomie, nach Anerkennung, aber auch nach Erholung sind für viele von uns wichtige Parameter, die nicht immer gegeben sind. Erst recht nicht im beruflichen Kontext.
Fragen nach Persönlichkeit
„Ja, aber ich bin Führungskraft und nicht Psychologe oder die Seelsorge“, mögen Sie vielleicht gerade denken. „Ich kann doch nicht auf jeden Pups eines Mitarbeiters Rücksicht nehmen!“ Nein, das können Sie nicht. Sie könnten aber damit anfangen, Ihre Mitarbeitenden als Persönlichkeiten zu sehen. Seien Sie interessiert, suchen Sie immer mal wieder den Kontakt. Stellen Sie Fragen, Fragen, wie ich sie beispielsweise in meinen Auswahlprozessen platziere:
- Was motiviert Sie?
- Was treibt Sie an?
- Warum haben Sie genau diesen Beruf ergriffen?
- Was ist das Interessanteste an Ihrem Job?
- Warum diese Branche? Warum vielleicht ein Branchenwechsel?
- Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Sie sich wohlfühlen in Ihrer Position?
- Wohin soll Ihre Reise gehen? Haben Sie Vorstellungen davon, was Sie in vier, sechs, acht Jahren machen werden?
Mitarbeitende werden besser, wenn sie immer mal wieder ihre Komfortzone verlassen müssen. Als attraktiver Arbeitgeber fördern und fordern Sie genau das: individuelles Wachstum. Das setzt Energien frei und sorgt für psychologische Sicherheit. Fragen Sie dazu nicht nur nach aktuellen Stärken und Schwächen Ihrer Mitarbeitenden, die sollten Sie als Führungskraft sowieso sehen! Fragen Sie nach Persönlichkeit, und schaffen Sie Raum für Entfaltung, indem Sie selbst persönlich sind.
Es hilft, sich dabei als Dirigent zu sehen, der aus den verschiedensten Einzelinstrumenten ein harmonisches Miteinander macht.
Welche Strategien Ihnen dabei helfen, diesen Weg konsequent weiter zu gehen, erfahren Sie in meinen nächsten Kolumnen.