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Für Ihren individuellen Wissensvorsprung haben wir hier eine getAbstract-Zusammenfassung (ein Buch mit insgesamt 288 Seiten) zum Thema recherchiert und praktisch eingeordnet. Hätten Sie diese Arbeit selbst übernommen, wären Sie nicht weniger als 334 Minuten (ungefähr 6 Stunden) beschäftigt gewesen. Erfahren Sie mehr.

„Vergessen Sie die guten Vorsätze!“

Zeit für konzentrierte Taten und kreative Träume wünschen sich viele – und bekommen stattdessen eine knallvolle To-do-Liste geschenkt. Volker Busch, Autor von Kopf frei, hält vieles für verzichtbar. Zum Beispiel Unterwäsche bügeln.

„Vergessen Sie die guten Vorsätze!“
Volker Busch, fotografiert von Oliver Reetz

Herr Busch, es ist jetzt 8:45 Uhr. Freuen Sie sich schon auf Ihre tägliche Tiefe Stunde der Konzentration zwischen 11 und 12?

Volker Busch: Unbedingt! Und zwar weil ich diese Stunde selbstbestimmt mit Dingen fülle, die mir Freude machen und die mir wichtig sind. Nichts und niemand taktet meine Zeit oder lenkt meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge. Dadurch gerate ich in einen Zustand des Versinkens. Ich schaffe etwas weg, das schon lange herumlag, oder ich komme zu einer überraschenden Erkenntnis. In dieser Zeit entsteht immer etwas Positives und Konstruktives. Das macht mich glücklich. Es tut gut in einer Welt, in der alles scheinbar nebeneinander und gleichzeitig passieren muss. Die Tiefe Stunde ist so etwas wie mein Fels in der Brandung.

Gelingt Ihnen das wirklich jeden Tag?

Nein, natürlich nicht. Gestern zum Beispiel habe ich den ganzen Tag lang Patienten behandelt. Manchmal halte ich Vorträge oder sitze in der Bahn. Es geht ja auch nicht darum, sich sklavisch an eine Regel zu halten, sondern darum, sich diese Eigenzeit überhaupt zu gönnen. Ob das nun dreimal oder sechsmal in der Woche stattfindet, spielt keine Rolle. Aber diejenigen, die ich irgendwie dazu motivieren konnte, erleben es alle als einen Zugewinn an Lebensqualität. 

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Zusammenfassung (Buch)

Kopf frei!

Ein lebensnaher Ratgeber mit Rezepten gegen digitale Überforderung und geistige Verstopfung.

Volker Busch Droemer
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Ich kenne viele, die sagen würden: „Nette Idee, aber ich schaffe das nie und nimmer.

Damit sind Sie nicht allein. Nicht nur einzelne Menschen, sondern ganze Teams und Abteilungen schließen das oft kategorisch aus. „Bei uns geht das nicht“, heißt es dann, „wir müssen immer überall gleichzeitig sein“. Doch das ist blanker Unsinn. Sich einmal am Tag eine Stunde auszuklinken ist eine Frage der Logistik. Das schafft man immer, wenn man will.

Und ganz sicher geht die Welt nicht unter, wenn wir für eine Weile nicht erreichbar sind.

Ich denke da an folgendes Szenario: Ein Abgabetermin steht an. Zig Mails in der Inbox. Die Milch kocht über. Und dann macht das Handy ständig „Pling“. Was tun?

Ich würde Ihnen Batch Tasking vorschlagen, das heißt die Stapelung von Aufgaben. Sie sitzen also am Schreibtisch. Die überkochende Milch hat Priorität, das ist sozusagen ein Küchennotfall. Anschließend können Sie auf dringende Handynachrichten reagieren, dann eine halbe Stunde nur für die Beantwortung der E-Mails aufwenden. Das ist eine Möglichkeit, das Chaos zu bewältigen.

Wie stapeln Sie Ihre Aufgaben?

Ich habe beispielsweise eine Telefonzeit. In diesen Zeitkorridor lege ich alle Anrufe. Heute sind sechs oder sieben Telefonate zwischen 13 und 15 Uhr vorgesehen – aber deshalb habe ich jetzt die Ruhe für unser schönes Gespräch. Danach sind zwei Stunden für das Schreiben eines Artikels reserviert. Und dann wartet am späten Nachmittag der E-Mail-Stapel auf mich. Jeder kriegt heute noch eine Antwort, aber erst zwischen 17 und 18 Uhr. Da mache ich es mir gemütlich, stelle Musik an, trinke meine letzte Tasse Kaffee und arbeite die Mails in Ruhe ab.

Durch das Stapeln muss ich weniger zwischen unterschiedlichen Tätigkeiten umschalten, kann mich besser konzentrieren und finde für jede einzelne Aufgabe die nötige Ruhe.

Ist uns das denn früher leichter gefallen? Oder anders gefragt: Sind die digitalen Medien an allem schuld?

Nein, es stimmt schon: Der Mensch hat immer schon dazu geneigt, sich Dingen gleichzeitig oder rasch alternierend zuzuwenden. Und die Welt hat auch früher schon viel geboten, sodass wir uns für 1000 Sachen begeistern und nirgendwo richtig ankommen konnten. Aber es gibt heute mehr Ablenkungen. Nehmen wir unsere Smartphones, die wir alle mittlerweile in unseren Hosentaschen tragen oder neben uns liegen haben. Wahrscheinlich liegt es bei ihnen gerade genauso auf dem Schreibtisch wie bei mir.

Ja – auf stumm geschaltet.

Sehen Sie, bei mir nicht einmal das (lacht). Ich bin also hier ein schlechtes Vorbild. Das Smartphone ist ein relativ neues Phänomen. Früher waren wir für einen Großteil der Ablenkungen selbst verantwortlich, man ging mal zur Toilette, holte sich einen Kaffee oder hielt einen Plausch mit Kollegen. Geschenkt. Doch die Anzahl, Dichte und Vielfalt der Störungen haben zugenommen.

Sie entlarven Multitasking in Ihrem Buch als Mythos. Warum versuchen wir es dennoch ständig?

Weil unser Gehirn die sofortige Aufmerksamkeit durch den Ausstoß von Dopamin belohnt. Dopamin ist ein Glückshormon, das schon in geringen molekularen Mengen ein angenehmes Gefühl erzeugt. Wenn Sie also gerade einen Text schreiben und sich kurz einer SMS zuwenden, obwohl die gar nicht wichtig ist, gibt Ihnen dieser Aufmerksamkeitswechsel kurzfristig ein gutes Gefühl.

Langfristig wäre das Glücksgefühl natürlich viel größer, wenn Sie bei einer Sache bleiben und sie zu Ende bringen könnten. Dieses Gefühl liegt jedoch in weiter Ferne. Und das ist das Perfide daran.

Trotzdem sind die meisten Menschen stolz auf ihre angeblichen Multitasking-Fähigkeiten.

Allerdings. Multitasking passt zur heutigen Leistungskultur. Wir wollen alle ein bisschen so sein wie unsere Computer. Aber darin liegt ein großer Irrtum, denn der Mensch ist deutlich schlechter darin, sich vielen Dingen gleichzeitig zuzuwenden. Wir müssen uns klarmachen, dass der Verzicht auf Multitasking zunächst anstrengend ist. Mit der Zeit werden wir feststellen, dass wir am Ende des Tages entspannter und ausgeruhter sind. Wenn wir da erst einmal hinkommen, haben wir die erste Tür zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung geöffnet.  

In Ihrem Buch beschreiben Sie einen Teufelskreis: Sobald wir merken, dass unsere Konzentration nachlässt, machen wir Fehler und werden dadurch noch unsicherer und depressiver. Viele Menschen kommen sogar mit der Befürchtung zu Ihnen, sie hätten Alzheimer.

Natürlich müssen wir hier vorsichtig sein. Wenn es bei einem Menschen zu einer depressiven Verstimmung kommt, wenn die Leistung abfällt oder das Gedächtnis nachlässt, dann muss das nicht an mangelndem Fokus oder Multitasking liegen. Es entbindet uns Ärzte nicht von einer sorgfältigen Differenzialdiagnostik. Richtig ist aber auch, dass solchen Beschwerden – zumindest im mittleren Alter – meist keine biologischen Erkrankungen zugrunde liegen. Rein statistisch liegen die häufigsten Ursachen im Lebenswandel, und das Allererste, was wir dagegen tun können, ist unsere To-do-Listen zusammenzustreichen.  

Und wie oft hören Sie: „Unmöglich, das geht bei mir nicht“?

Fast immer. Aber das stimmt einfach nicht. Wir haben alle viel zu viel auf unseren To-do-Listen, und natürlich muss manches davon sein. Aber eben nicht alles. Die Kunst ist herauszufinden, was wirklich unverzichtbar ist – etwa weil ich Verantwortung übernehme für jemanden oder etwas – und wann ich mir das nur einbilde, beispielsweise um meinen eigenen perfektionistischen Ansprüchen zu genügen. Das heißt, wir müssen erst einmal gründlich aufräumen, um ein gewisses Maß an Freiheit zurückzugewinnen.

Apropos perfektionistisch: Als ich vor 20 Jahren nach Umbrien zog, musste ich verblüfft feststellen, dass viele italienische Hausfrauen das Bügeln von Unterwäsche für unverzichtbar hielten.

(Lacht.) Das ist ein schönes Beispiel. Und so ist es mit vielen anderen Dingen.

Wir Deutschen haben immer das Gefühl, wir müssten vorher die Wohnung sauber machen, wenn Gäste kommen. Das ist genauso ein Blödsinn.

Ich glaube, dass jeder in seinem Leben Dinge findet, die weg können, um dann zu sehen: Was macht das mit mir? Welche Freiräume gewinne ich zurück, um Dinge zu tun, die wirklich wichtig sind? Oder um einfach nur zur Ruhe zu kommen? Oft sind es nur kleine Stellschrauben, aber unterm Strich sind sie sehr effektiv.

Bei einem Trendthema unserer Zeit sind Sie jedoch skeptisch – und das ist die Achtsamkeit. Warum?

An sich fußt Achtsamkeit auf einer Kultur, die ich befürworte – wenn sie zum Inhalt hat, nicht alles vorschnell zu bewerten, sondern erst einmal besonnen darüber nachzudenken. Leider leben wir heute nämlich in einer Bewertungskultur, in der wir alles hochemotional sofort in Schubladen packen. Ich beobachte aber auch, dass wir die Achtsamkeit zweckentfremden, nämlich als Aufforderung dazu, uns erst gar nicht mit unseren Gefühlen auseinanderzusetzen. Letztere haben jedoch Signalcharakter. Angst, Scham, Reue, Schuld – das alles sind sinnvolle Gefühle. Sie sind nur dann krankhaft, wenn sie übertrieben groß werden und sich mit einem Klammergriff um uns legen.

Im Buch bringen Sie Achtsamkeit mit dem Thema Zerstreuung in Verbindung.

Genau, denn die ist ungeheuer wichtig – die Gedanken einfach schweifen zu lassen, zum Beispiel bei einem Spaziergang durch den Wald. Wenn Sie sich dabei über etwas ärgern oder Ihnen die Tränen kommen, wenn Sie sich mit einer Entscheidung versöhnen oder jemandem verzeihen – kurz wenn ein Prozess stattfindet, dann ist das ungeheuer wichtig. Solchen Gefühlen nur mit einem buddhistischen Lächeln hinterherzuschauen, wäre wenig hilfreich.

Viele Eltern fragen sich verzweifelt, wie ihre Kinder mit dem Handy in der Hand den Kopf frei behalten können. Sie haben selbst zwei Kinder. Wie alt sind die – und was raten Sie Erziehungsberechtigten?

Ich habe eine 14-jährige Tochter und einen 12-jährigen Sohn. Beide haben ihr Handy mit zwölf bekommen, und das gönne ich ihnen auch. Ich halte nichts davon, ihnen etwas vorzuenthalten, was in diese Welt gehört. Aber die Altersgrenze war mir wichtig. Denn im klassischen Grundschulalter wächst das Gehirn enorm, insbesondere die Strukturen, die für Konzentration und Fokus wichtig sind. Kinder müssen in diesem Alter lernen, eine halbe Stunde ein Buch zu lesen, Matheaufgaben zu machen oder sich ganz normal am Tisch mit uns zu unterhalten. Das sind Grundvoraussetzungen für ein erfülltes Leben, und Studien zeigen, dass man diese Dinge nur schwer noch mit 16 lernen kann.

Wie schaffen Sie es, das Handy aus der Kampfzone zu halten?

Wichtig ist: Es gibt klare Regeln. Meine Frau und ich haben einen Handyvertrag mit unseren Kindern unterzeichnet. Ich habe das ganz liebevoll und lustig formuliert. Der Vertrag ist natürlich nicht juristisch, aber psychologisch bindend. Und er führt dazu, dass wir diese Dinge nicht täglich neu zu verhandeln brauchen. Außerdem versuche ich, ihnen ein vernünftiges Verhalten vorzuleben. Ich gucke beim Fernsehen nicht aufs Handy und lese auch nicht Zeitung am Tisch, wenn wir uns unterhalten. Ich hoffe, dass ich das meiste richtig mache. Aber natürlich passieren mir auch Fehler. Das ist ja das Schöne.

Wir können als Eltern auch etwas falsch machen, ohne dass unsere Kinder deshalb zu Zombies werden.

Sie schreiben im Buch, dass Sie nicht gefragt werden möchten, in welcher Welt wir in zehn Jahren leben werden, sondern in welcher Welt wir leben wollen. Warum?

Weil ich davon überzeugt bin, dass wir unsere Gesellschaft selbst gestalten können und müssen. Ich möchte in einer Welt leben, in der wir uns unser Leben nicht durch digitale Technologien vorschreiben lassen. Derzeit schafft der Markt ständig neue Angebote, die wir uns unbesehen zu eigen machen. Das ist mir zu passiv. Ich würde mir wünschen, dass wir erst einmal die Fragen beantworten: Brauchen wir das? Ist das sinnvoll und nachhaltig? Beispiel Bildungspolitik: Da werden jede Menge Tablets angeschafft, um anschließend darüber nachzudenken, wie man sie im Unterricht einsetzen kann. Ein völlig falscher Ansatz. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, wir müssen uns fragen: Was brauchen Kinder heute, um gut zu lernen? Wenn wir dann zum Schluss kommen, dass Tablets unverzichtbar sind, ist das aus meiner Sicht in Ordnung.

Zum Jahreswechsel haben sich viele vorgenommen, nun alle Probleme auf einmal anzugehen – aber nach wenigen Wochen ist es dann mit den guten Vorsätzen meist wieder vorbei. Ihr Tipp?

Vergessen Sie die guten Vorsätze! Die Erfahrung zeigt, dass wir uns viel zu viele davon aufhalsen und sie dann doch nicht einhalten. Mein erster Ratschlag lautet:

Wählen Sie ein einziges Ziel aus und denken Sie lange darüber nach – am besten nicht gerade im Silvestersuff.

Sie müssen dafür brennen und sich von anderen Zielen trennen, von denen Sie denken, die gehörten irgendwie dazu – etwa schlanker werden, sich mehr bewegen und und und. Das ist für unser Gehirn viel zu wenig konkret. Außerdem fehlt da der Plan. Das wäre nämlich schon mein zweiter Ratschlag: Neben der sorgfältigen Zielauswahl unbedingt einen konkreten Plan zu erstellen, wie Sie die Ziele erreichen möchten.

Verstanden. „Kopf frei“ wäre also ein schlechter Neujahrsvorsatz. Haben Sie trotzdem einen Tipp für unsere Leser, wie sie ihren Kopf ein kleines bisschen freier bekommen – jetzt gleich, nach der Lektüre dieses Interviews?

Machen Sie – wenn Sie in Ihrer Region damit gesegnet sind – einen Spaziergang im Schnee. Erstens ist die Natur ein Raum, in dem immer etwas Positives mit unserem Gehirn passiert. Wir setzen andere Prioritäten und gewinnen neue Perspektiven. Und zweitens ist ein Spaziergang in der Winterlandschaft so wohltuend, weil der Schnee im wahrsten Sinne alles zudeckt. Dinge, die noch gemacht werden müssen, werden unsichtbar. Alles ist einfach nur weiß. Und das tut unserer Seele gut.

Über den Autor
Volker Busch ist Forscher und Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Er hält Vorträge und Seminare zu den Themen Gehirngesundheit und Motivation und produziert mit „Gehirn gehört“ seinen eigenen Podcast. Die Rhetorik Akademie Tübingen hat Busch im August 2022 zum Speaker des Jahres 2021 gekürt.

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1 Für diesen Beitrag haben wir die praktischsten Einsichten aus einer Zusammenfassung zum Thema herausgesucht.
1 Wir haben ein Buch mit 288 Seiten für diesen Artikel gelesen und zusammengefasst.
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