Wie Sie mit schrecklichen Nachrichten umgehen
13 Stunden am Tag – und damit fast die gesamte Zeit, in der wir wach sind – widmen wir den Medien. So publizierte es jüngst der Tagesspiegel im Zusammenhang mit dem Medienkonsum der 14- bis 69-Jährigen im Jahr 2021. Klar, in Zeiten von Homeoffice und Remote Work müssen wir auf digitalem Weg Kontakt halten und dafür braucht es die Medien. Dennoch: Auch nach Abzug von Individualkommunikation, also Telefon, E-Mail und Messenger, bleibt es bei 10,5 Stunden Massenmedienkonsum pro Tag.
Reflektieren Sie Ihren Medienkonsum
Dass Medien in unserem Leben eine so große Rolle spielen, hat natürlich auch eine Auswirkung auf unser psychisches Innenleben. Vor allem weil unsere Wahrnehmung evolutionsbedingt negativ verzerrt ist.
Der Negativitätseffekt bringt es mit sich, dass wir darauf getrimmt sind, unser Umfeld stets nach potenziellen Bedrohungen abzusuchen. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch, dass wir Negatives stärker gewichten. Und je mehr negative Dinge wir lesen, desto düsterer erscheint uns die Gegenwart – und die Zukunft.
Man kann daher jedem nur raten, sich kritisch mit dem eigenen Medienkonsum auseinanderzusetzen. Wenn Sie konstant mittels Push-Mitteilung, in Form einer E-Mail oder durch das „Ping“ der Social-Media-App auf das Schlimme, was auf der Welt passiert, hingewiesen werden, können Sie von sich selbst kaum erwarten, es einfach beiseiteschieben zu können. Letztlich führt das dazu, dass Sie unbewusst ständig mit Sorgen beschäftigt sind. Das ermüdet, schwächt Ihre Konzentration und Ihre Leistungsfähigkeit. Und das hilft niemandem, am allerwenigsten Ihnen und Ihrem Umfeld.
Versuchen Sie deshalb doch Folgendes:
- Bewusster Medienkonsum: Weil Medien und News so allgegenwärtig sind, ist es uns vielfach gar nicht bewusst, wie oft und wie viel wir täglich konsumieren. Es ist zur Gewohnheit geworden. Um schlechte Gewohnheiten, also solche, die Ihnen offensichtlich nicht guttun, loszuwerden, müssen Sie sich erst einmal bewusst werden, welches Ausmaß sie einnehmen – und vielleicht auch, was sie auslöst. Wenn Sie also immer kurz nach dem Aufstehen, nach dem Duschen, beim Frühstücken und kurz vor der Arbeit unterschiedliche News-Seiten besuchen, ist das ein guter Ansatzpunkt.
- Zuverlässige Quellen: Natürlich ist bei dem Ausmaß an vorhandenen News-Seiten leider nicht überall gegeben, dass die Informationen möglichst neutral und sachrichtig wiedergegeben werden. Gerade Themen, die allgemein ein großes mediales Interesse genießen, sind anfällig für sogenannte Fake News. Prüfen Sie deshalb genau, von wo Sie Ihre Informationen beziehen. Auch sollten Sie Quellen meiden, die mit reißerischen Headlines oder Bildern um Aufmerksamkeit buhlen. Nachrichteninhalte sind auch ohne Zuspitzung schwer genug zu verdauen.
- Unterschiedliche Quellen: Isoliert können Nachrichten – gerade wenn es um dramatische Geschehnisse geht – schnell eine ganz andere Wirkung entfalten, als wenn sie im Zusammenhang gesehen werden. Um diese Zusammenhänge zu verstehen und Nachrichten richtig einordnen zu können, sollten Sie verschiedene Quellen nutzen. Lesen Sie öfter Bücher oder besuchen Sie reine Informationsseiten.
- Strukturierter Medienkonsum: Ist es wirklich wichtig, alles jetzt und sofort zu wissen? Versuchen Sie einmal, sich Zeitfenster für Ihren Medienkonsum einzurichten, etwa eine halbe Stunde am Mittag und eine am Abend. Halten Sie es frei nach Rolf Dobelli:
Wenn eine Information wirklich wichtig ist, werden Sie früh genug davon erfahren – aus der Fachpresse, von Ihren Freunden, Ihrer Schwiegermutter oder von jemand anderem, mit dem Sie sich unterhalten.
Rolf Dobelli
Er schlägt sogar einen noch radikaleren Weg vor: einmal in der Woche die Doppelseite „The world this week“ vom Economist zu lesen – und sonst komplett auf News zu verzichten.
In seinen Augen sind Online-News mehr Unterhaltung als tatsächliche Information. Das Problematische daran: News machen süchtig – auch die schlechten. Dafür gibt es sogar schon einen Begriff: Das sogenannte „Doomscrolling“ bezeichnet „den intensiven Konsum negativer Nachrichten“, wie etwa die Wiener Zeitung schreibt. Man hat ständig Angst, etwas zu verpassen, und kommt in einen negativen Sog. Das hat nichts mehr mit dem Wunsch zu tun, informiert zu sein. Und wenn Sie sich das bewusst machen, fällt es Ihnen vielleicht auch leichter, Ihren Medienkonsum zu reduzieren.
Gefühle sind erlaubt, aber behalten Sie die Kontrolle
Negative Gefühle zu unterdrücken oder sich zwanghaft abzulenken, führt nur dazu, dass sie stärker werden und umso unkontrollierter und heftiger hervorbrechen. Sie dürfen auf emotionale Nachrichten also immer emotional reagieren. Wichtig ist nur, dass Sie nicht in dem Gefühlschaos verloren gehen, das die eine oder andere Schreckensmeldung auszulösen vermag. Dabei hilft Ihnen emotionale Intelligenz. Steven C. Hayes, einer der einflussreichsten Psychologen der Welt, hat über Jahre hinweg gemeinsam mit seinem Team unzählige Studien evaluiert. Das Fazit: Es gibt sechs zentrale Prozesse, die bei positiver psychologischer Veränderung eine Rolle spielen. Zusammengefasst hat er sie in der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Diese hilft, aus schwierigen Situationen und Krisen gestärkt hervorzugehen. In einem Gespräch meint Hayes, dass der Umgang mit Krisen im Leben sei, wie Fahrrad zu fahren: In Zeitlupe betrachtet, geraten nämlich auch geübte Fahrer immer wieder kurz aus dem Gleichgewicht. Das ist normal. Übertragen auf Lebenskrisen kann man also sagen: Wenn man diese sechs Prozesse der ACT übt und sich damit befasst, kann das dazu führen, dass man sich irgendwann von ganz allein wieder fängt, wenn man kurz aus der Balance gerät.
Wenn wir Angst haben, macht es keinen Unterschied, ob etwa ein Szenario, vor dem wir uns fürchten, tatsächlich der Realität entspricht oder nur in unseren Köpfen stattfindet. Lesen wir also etwas, dessen mögliche Konsequenzen uns Angst machen, ist der Worst Case gefühlt schon eingetreten. Wenn wir das Gefühl haben, den Boden unter unseren Füßen zu verlieren, sollten wir uns in Erinnerung rufen, welche vergangenen schwierigen Situationen wir überstanden haben – fragen Sie sich: Wie habe ich das damals geschafft?
Und ganz wichtig: Gerade auf die großen, weltbewegenden und vielfach sehr schrecklichen Dinge, die auf der Erde geschehen, haben Sie in den allermeisten Fällen keinen direkten Einfluss.
Natürlich können Sie helfen, aber nur wenn Sie lernen, nicht Mitleid zu empfinden, sondern Mitgefühl. Wenn Sie Mitleid empfinden, sind die Schmerzzentren in Ihrem Gehirn aktiv – Sie leiden mit. Doch damit ist niemandem geholfen.
Das Empfinden von Mitgefühl ist stattdessen mit dem Bedürfnis verknüpft, dass es der anderen Person besser gehen soll. Zudem sind beim Mitgefühl nicht Schmerzzentren, sondern das Belohnungssystem in Ihrem Gehirn aktiv. Sie fühlen sich also besser und sind in der Lage, aktiv etwas gegen das Leiden zu tun, sofern Ihnen das eben möglich ist.
Wenn Sie sich also etwas distanzieren müssen, um nicht in allzu großes Mitleid zu verfallen, ist das legitim. Und um noch einmal zu Dobelli zu kommen: Er geht sogar so weit, dass er seinen News-Konsum nahezu komplett auf die Dinge beschränkt, die ihn oder sein direktes Umfeld betreffen, also auf Dinge, die beispielsweise in seiner Wohngegend passieren. Dinge, auf die er Einfluss nehmen kann.
Was für mich relevant ist, hat absolut nichts mit dem zu tun, was für andere Menschen relevant ist. Geschweige denn mit dem, was auf dem globalen News-Menü steht. Die meisten Menschen gehen jedoch davon aus, dass sogenannte World News automatisch relevant seien. Ein Irrtum.
Rolf Dobelli
Dass nicht jeder das gleichermaßen radikal und ichbezogen umsetzen kann oder will, ist normal. Was also tun Sie, wenn Sie sich doch nicht ganz von den weltweiten Nachrichten isolieren können und trotz aller guter Vorsätze immer wieder ins Sorgen kommen? Machen Sie sich das bewusst. Wenn Sie über Dinge grübeln und sich sorgen, haben Sie vielleicht das Gefühl, dass Ihnen diese Analyse der Sachverhalte weiterhilft. Doch dem ist meist nicht so. Viel eher führt es dazu, dass Sie sich danach schlechter fühlen, weil Sie keine Lösung für das Problem gefunden haben (oder finden konnten). Überlegen Sie sich also erst einmal, wie viel Zeit pro Tag Sie eigentlich mit Sorgen verbringen – und begrenzen Sie die Zeit anschließend.
Was Ihnen guttut
Gerade in schwierigen Zeiten sollten Sie mehr Dinge tun, die Ihre Batterien wieder aufladen. Verbringen Sie Zeit mit Ihren Liebsten. Lassen Sie das Handy – oder andere Geräte, die Ihnen Nachrichten zuspielen – auch mal zu Hause oder schalten Sie sie für eine Weile aus. Verzichten Sie einen Tag am Wochenende ganz darauf und beobachten Sie, was das mit Ihnen macht. Selbstverständlich sollten Sie mit anderen über das sprechen, was Sie belastet. Aber eben nicht nur darüber. Üben Sie sich darin, ganz im Moment präsent zu sein. Das gilt auch für die Arbeit: Grübelei kann durchaus ein Weg sein, sich von Dingen abzulenken. Leichte Produktivitätseinbußen sind unter erschwerten Umständen normal. Aber um nicht ganz den Anschluss zu verlieren, sollten Sie versuchen, den Drang, sich in Zerstreuung – oder Newsseiten – zu verlieren, zu beobachten und ihn langsam in den Griff zu kriegen.
Die Kunst, sich nicht ablenken zu lassen
Redline VerlagWenn all das nicht die gewünschten Effekte hat, Sie merken, dass Sie immer verzweifelter werden und es vielleicht einfach nicht mehr schaffen, zuversichtlich zu sein – holen Sie sich Hilfe. Genau dafür sind Experten da.
Gerade angesichts der momentanen Lage fühlen sich viele Menschen überfordert, gestehen sich aber dennoch nicht zu, Hilfe in Anspruch zu nehmen: „Es geht ja allen gleich.“ – und das stimmt eben nicht. Persönlich bedingt wühlen bestimmte Situationen manche Menschen mehr auf als andere. Manchmal hilft Ihnen schon eine objektiver und sachkundiger Rat von außen, der die richtige Richtung weist. Oder um in der Analogie von Hayes zu bleiben: Lernen Sie mit Stützrädern Fahrrad fahren.