„Ich würde weinenden Klienten niemals einfach so ein Taschentuch reichen.“
Herr Weisbach, wann bin ich „reif“ für einen Coach?
Christian-Rainer Weisbach: Immer dann, wenn sich Ihre Gedanken im Kreis drehen und Sie merken, dass Sie mit Ihren Fragestellungen, Problemen und Überlegungen keinen Schritt vorankommen. Dann ist es gut, die Perspektive eines Außenstehenden zu hören. Und genau das macht ein Coach. Er ist Gesprächspartner – oder zu Neudeutsch Sparringspartner – und versucht, mit dem Kunden herauszufinden wo dieser sich im Kreis dreht und an welcher Stelle er seine Fragen wiederholt. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Ich hatte einen Kunden, der sich gern verändern und sein Unternehmen verlassen wollte. Das beschäftigte ihn seit Monaten, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Er konnte es allerdings nicht in Worte fassen. Im Gespräch fanden wir heraus, dass er keine Ahnung hatte, wie er eine Kündigung seinem Team erklären könnte. Als das einmal ausgesprochen war, war die Lösungsfindung einfach.
Das klassische Aha-Erlebnis. Wie oft kommt es dazu im Coaching, wenn es um die Frage geht: Was blockiert mich eigentlich wirklich?
Das Aha-Erlebnis ist der Standard. (lacht) Und Sie haben gerade genau das richtige Wort benutzt: Was ist eigentlich das Problem? Das, was der Ratsuchende mir im Gespräch mitteilt, sind die Dinge, die ihm bewusst sind. Doch dahinter steckt in der Regel irgendetwas völlig anderes. Und genau das gilt es herauszufinden. Das Vordergründige können die Menschen allein lösen. Ein Coach unterstützt dabei, die „eigentlichen“ Blockaden zu finden.
Wie finde ich denn einen guten Coach?
Ich selbst bekomme meine Klienten seit 20 Jahren ausschließlich über Empfehlungen. Ich denke, das ist vergleichbar mit der Suche nach einem Arzt. Wenn Sie vollkommen fremd in einer Stadt sind und daher niemanden kennen, suchen Sie vielleicht über das Branchenverzeichnis. Ansonsten fragen Sie Freunde, Bekannte oder Kollegen nach ihren Erfahrungen.
Und was mache ich, wenn ich merke, dass ich dennoch an ein schwarzes Schaf geraten bin, oder auch, wenn ich spüre, dass der einfach nicht „zu mir passt“?
Erfahrungsgemäß bietet ein Coach zunächst ein kostenloses Telefonat oder auch ein erstes 60-minütiges Treffen an. Und in dieser Stunde werden Sie merken, ob es passt oder eben nicht. Stellt der Coach komische Fragen? Fühlen Sie sich nicht wohl? Oder fällt es Ihnen leicht, sich zu öffnen? Vertrauen Sie auf Ihr Gefühl und wenn die Chemie nicht stimmt, ziehen Sie die Reißleine. Das wäre sonst rausgeschmissenes Geld.
Take-aways:
- Coaching unterstützt Menschen, deren Gedanken sich im Kreis drehen und die in einer Situation nicht mehr weiterkommen bzw. feststecken.
- Ein Coach gibt keine Lösung vor, sondern unterstützt den Ratsuchenden durch Gespräche, Rollenspiele etc. dabei, eine eigene Lösung zu finden.
- Das No-Go beim Coaching: Druck aufbauen!
Wie lange dauert Coaching in der Regel?
Einige finden ihre Antworten schnell, bei anderen geht es länger. Ich habe auch Klienten, die betreue ich seit zehn Jahren. Die melden sich immer dann, wenn sie nach Unterstützung in einer konkreten Situation suchen. Andere haben nach zwei bis drei Terminen bereits ihre Lösung gefunden. Dazu ein weiteres Beispiel: Ein Klient von mir würde gerne kündigen, doch er weiß, dass das die Verantwortlichen in der Firma nicht akzeptieren werden. Er wollte also wissen, wie er sicherstellen könnte, dass er und seine Motive verstanden werden. Bereits nach einer Sitzung war ihm klar, dass es gar nicht darum ging, dass man ihn verstand, sondern darum, dass er die anderen versteht – eben diejenigen, die er vor den Kopf stößt und die sich dadurch abgelehnt oder kritisiert fühlen könnten. In die zweite Sitzung kam er dann schon mit einer konkreten Vorstellung, wie er es in Worte fassen wollte, und in einer dritten Sitzung werden wir die Situation in Form von Rollenspielen durchgehen.
Was halten Sie von Onlinecoaching?
Wenig. Vor allem, wenn ich die Person noch gar nicht kenne. Nehmen wir diese Situation hier mit Ihnen: Ich sehe Sie zwar am Bildschirm, aber alle Details Ihrer Mimik kann ich nicht erkennen. Und ich sehe Ihre Füße nicht. Es ist nämlich so, dass sich in einem problematischen Gespräch zuallererst die Fußspitzen bewegen. Und es sind diese kleinen Details, auf die ein Coach im Gespräch achtet, um den Klienten optimal zu unterstützen.
Sie sprachen eben schon das Rollenspiel an. Welche weiteren Methoden kommen beim Coaching zur Anwendung?
Das Rollenspiel ist für mich das A und O. Während ich die Rolle des Gegenübers übernehme, spielen wir die Situation so lange nach, bis der Klient Sicherheit spürt in seinem Verhalten. Das klingt jetzt sehr nach Training, aber es ist nicht so, dass ich Dinge vorgebe, sondern der Klient findet seine eigenen Worte und Gesten. Für ihn muss es stimmen.
Verrückt ist, dass viele ein Verhalten zwar recht schnell zeigen können, es aber nicht wollen.
Christian-Rainer Weisbach
Es leuchtet ihnen ein, warum sie die Dinge so und nicht anders formulieren. Und sie finden sich auch im Gesagten wieder. Doch dann fürchten sie sich davor, ein neues Verhalten zu zeigen, da sie ja dann nicht mehr „natürlich“ oder authentisch seien. Es geht also eher um das Wollen und weniger um das Können.
Was erwartet eigentlich ein Coach von mir als Klient?
Das ist einfach gesagt: eine Fragestellung. Und warum sollten Sie auch kommen, wenn Sie keine Frage in Bezug auf Ihre Absichten, Ihr Leben, Ihre Ziele hätten? Womit ich für gewöhnlich nicht rechne, ist Selbstkritik. Es gibt so viele Klienten, die frei von Selbstkritik sind. Schuld sind dann immer die anderen.
Dazu passt ein Satz aus Ihrem Buch: „Im Coaching lernt der Ratsuchende, dass er allein die Verantwortung für seine Probleme trägt.“ Das passt sicher nicht jedem …
Das ist eine spannende Sache. Die Verantwortung bleibt beim Klienten. Aber der muss auch lernen, dass er nur für seine Probleme verantwortlich ist.
Die meisten Probleme resultieren nämlich daraus, dass Menschen sich verantwortlich fühlen für die Probleme anderer Leute.
Christian-Rainer Weisbach
Viele versuchen einen Lösung zu finden, die dazu führt, dass es anderen gut geht. Und erst dann geht es einem auch selbst gut. Ich halte das für eine sehr übergriffige Grundhaltung. Ich bin zuständig für das Wohlergehen anderer Menschen. Die Verantwortung dort lassen, wo sie nun mal hingehört, ist ein wichtiges Thema im Coaching. Der Coach selbst darf zudem an gar keiner Stelle Verantwortung für den Klienten übernehmen. Im Coaching geht es beispielsweise immer um Emotionen und Tränen gehören einfach dazu, bei Männern wie bei Frauen. Ich selbst habe wirklich lernen müssen, damit entspannt umzugehen. Denn es ist wichtig, dem anderen seine Tränen zuzubilligen. Es gibt „therapeutische Settings“, bei denen die Taschentuchbox schon auf dem Tisch steht. Doch Frage: Welche Botschaft sende ich Ihnen, wenn ich Ihnen die Box bereits bei der ersten Träne reiche?
Ich soll mir die Tränen trocknen und aufhören zu weinen.
Genau. Ich setze Sie unter Druck. Sicher habe ich ein Taschentuch griffbereit, aber ich würde weinenden Klienten niemals einfach so ein Taschentuch reichen. Ich lasse sie weinen, und irgendwann beginnen sie zu „nesteln“ und stellen fest, dass sie selbst kein Taschentuch haben. Erst dann reiche ich ihnen eines – das ist dann aber eine selbstverständliche Hilfestellung, da ich jemandem etwas gebe, was er benötigt. Ein Taschentuch bei der ersten Träne bedeutet: Trockne deine Tränen ab. Hör auf. Ein klassisches Beispiel von: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Sie sagten gerade, dass Sie lernen mussten, mit weinenden Klienten entspannt umzugehen. Welche weiteren Fähigkeiten brauche ich als Coach?
Geduld. Im Coaching geht es nicht um Zeit und Tempo. Ich selbst habe deshalb lernen müssen, die 90-minütigen Sitzungen nicht vorzustrukturieren in der Erwartung: Nach 30 Minuten müssen wir da sein, nach 60 Minuten sollten wir da sein und nach 75 Minuten in die abschließende Zusammenfassung kommen. Ich habe heute Sitzungen, da ist auch nach 80 Minuten noch alles diffus und dann plötzlich in der Minute 82 kommt die Wendung. Zu der kommt es aber nicht, wenn ich Druck mache. Wenn ich einem Klienten gegenübersitze, achte ich auf eine entspannte Haltung. Der andere muss nicht nur fühlen, sondern auch sehen können, dass er sich die Zeit nehmen kann, die er braucht. Je mehr Druck Sie aufbauen, desto langsamer arbeitet das Gehirn Ihres Gegenübers.
Was ist mit Empathie und Kommunikationsstärke? Sind das nicht auch wichtige Fähigkeiten?
Das ist das Handwerkszeug. Das setze ich voraus. Das müssen Sie beherrschen, ohne darüber nachzudenken. Von einem Bademeister erwarten wir auch, dass er Schwimmen kann. Was er aber eigentlich braucht, ist ein extrem guter Blick. Er muss Bewegungen vorwegnehmen können und sehr wachsam sein.
Gibt es auch Dinge, die ein Coach auf gar keinen Fall tun darf? Neben dem Aufbauen von Druck …
Niemals Fragen stellen, um die eigene Neugier zu befriedigen. Ein Coach stellt immer nur Fragen stellvertretend für den Ratsuchenden. Fragen, die dieser sich nicht selbst stellt. Der Ratsuchende muss so ins Nachdenken kommen. Das ist der eigentliche Entwicklungsweg. Ratschläge hingegen resultieren aus Ungeduld: „Ich sag Ihnen jetzt mal, was für Sie gut ist. Und dann läuft das schon.“ Und ein zweiter Punkt ist der, dass Sie niemals die Dinge, die ein Klient Ihnen sagt, bewerten. Ihre eigene Meinung hat im Coaching nichts verloren.
Wie oft verwechseln Menschen Coaching und Therapie?
Ich kenne Coaches, die Coaching und Therapie nicht trennen und sich damit, wie ich persönlich finde, verantwortungslos in ein Feld begeben, das nicht ihres ist. Um psychotherapeutisch arbeiten zu können, braucht man einen völlig anderen, auch klinischen Hintergrund. Sich zuzutrauen, psychotherapeutische Probleme im Coaching zu lösen, halte ich für vermessen. Auf der anderen Seite kommen immer mal wieder Menschen mit echten psychotherapeutischen Problemen ins Coaching. Die trauen sich oft einfach nicht, in die Psychotherapie zu gehen. Diese Gespräche sind besonders wichtig, weil es dann darum geht, herauszufinden, warum dieser Klient sich nicht traut, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und diese Blockade gilt es zu lösen, damit der Klient anschließend einen Therapeuten aufsuchen kann.
„Ich gehe zum Coach“ klingt eben besser als „Ich gehe zum Therapeuten oder Psychologen“.
Im deutschen Sprachraum können immer noch viele nicht zwischen Psychologe und Psychiater unterscheiden. Das hat zur Folge, dass „Ich gehe zum Psychologen“ quasi übersetzt wird mit „Ich habe einen an der Waffel.“ Das ist schade, denn es gibt so viele Menschen, die an einem Punkt in ihrem Leben nicht weiterkommen. Und das ist kränkend, denn jeder von uns hat den Anspruch, seine Probleme selbstständig lösen zu können. Das ist Ausdruck unseres Erwachsenseins.
Ganz viele nehmen deswegen kein Coaching in Anspruch, weil sie die narzisstische Kränkung, es nicht allein schaffen zu können, nicht ertragen.
Christian-Rainer Weisbach
Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist überhaupt nichts Verwerfliches. Bei Zahnschmerzen greifen Sie auch nicht allein zum heimischen Bohrer, sondern gehen zum Zahnarzt.
Sprich: Narzissten kommen dann eher weniger oder zu einem späteren Zeitpunkt.
Narzissten kommen niemals, weil sie es selbst wollen, sondern weil man sie genötigt hat. Ich hatte mal einen Geschäftsführer vor Jahren, der schon bei der Eröffnung sagte: „Na ja, mir wurde das ja jetzt dermaßen ans Herz gelegt, das auch mal in Anspruch zu nehmen. Also bringen wir es hinter uns.“ Wir sind dann nach 60 Minuten auseinandergegangen und ich habe zu ihm gesagt: „Wenn Sie irgendwann mal eine Frage haben, die Sie nicht lösen können, bin ich gerne für Sie da. Aber bislang haben Sie doch alles sehr gut alleine hingekriegt.“ Er hat zufrieden und breit grinsend die Sitzung verlassen.
Werden im Rahmen des Coachings also zu Beginn Ziele festgelegt? Oder geht es am Anfang wirklich darum, zu schauen, ob es für beide Seiten passt und ob es sich eventuell doch um ein psychotherapeutisches Problem handelt?
Ich halte es so, dass der Klient nach der ersten Sitzung entscheidet, ob er überhaupt einen zweiten Termin will. Das muss auch nicht direkt vor Ort passieren. Wenn Sie es vertiefen wollen, machen wir einen weiteren Termin aus. Ziel ist immer, den Ratsuchenden dabei zu unterstützen, sein Problem zu lösen und in der Regel das „Nicht-Offensichtliche“ ans Tageslicht zu bringen. Und danach wird die Anzahl an Sitzungen festgelegt.
Und zum Schluss die Frage: Wer geht eigentlich so zu seinem Coach?
Das ist absolut gemischt. Ich coache Lehrer, Rechtsanwälte, Handwerker, Pfarrer, Ärzte … Und wenn es um die Altersgruppe geht, liegt das Alter der Klienten zwischen 30 und 60 Jahre. Obwohl auch schon ein 17-Jähriger an einem Gruppenseminar von mir teilgenommen hat. Ein echter Glücksmoment, denn es war für alle anderen Beteiligten schön zu sehen, wie er an bestimmte Fragestellungen herangegangen ist. Aus dieser Begegnung haben alle viel mitgenommen.
Über den Autor
Christian-Rainer Weisbach war an den Universitäten Tübingen und Hohenheim in Forschung und Lehre aktiv und ist seit über 35 Jahren in der betrieblichen Fort- und Weiterbildung tätig.