„Achtsamkeit ist: mitkriegen, was jetzt gerade los ist.“
Herr Braun, Achtsamkeit – wie definiert man die eigentlich?
Ralf Braun: Knapp und etwas banal ausgedrückt formuliere ich gerne: „Achtsamkeit ist: mitkriegen, was jetzt gerade los ist“. Mit den Worten von Jon Kabat-Zinn lautet das so: „Achtsamkeit ist eine besondere Weise, die Aufmerksamkeit zu lenken: bewusst, auf den gegenwärtigen Augenblick, ohne vorschnell zu bewerten.“
Wie kann ich also Stress durch eine achtsame Lebensweise reduzieren bzw. verhindern?
Stress ist die körperlich-geistig-emotionale Antwort unseres Organismus auf eine Bedrohungssituation. Das, was im Körper stattfindet, soll all das bereitstellen, was der Organismus braucht, um aus der Bedrohungslage herauszukommen, um fliehen oder kämpfen zu können. Da nun aber die wenigsten Situationen, die wir tagtäglich als stressig erleben, wirklich bedrohlich oder gar lebensbedrohlich sind, kann die Praxis der Achtsamkeit helfen, zu unterscheiden, ob es sich wirklich um Bedrohung handelt.
Und das, indem ich meinem Geist schule, immer mehr wahrzunehmen, was gerade wirklich abgeht.
Ralf Braun
Neben dieser längerfristigen Schulung können aber auch kleine Übungen helfen, in konkreten Situationen zu intervenieren und den Geist und damit den ganzen gestressten Organismus zu beruhigen, beispielsweise durch Beruhigung des Atmens oder durch eine Übung zur Beruhigung des Geistes.
Was kann ich täglich tun, um achtsam zu leben?
Natürlich ist ein längeres Achtsamkeitstraining wie MBSR (Stressbewältigung durch Achtsamkeit nach Jon Kabat-Zinn) sehr hilfreich.
Doch da die meisten, die gerade Stress erleben, nicht sehen, wie sie viel Übungszeit aufbringen können, ist vielleicht der erste Schritt zum Üben von Achtsamkeit:
Das tun, was ich gerade tue – und nur das!
Ralf Braun
Das bedeutet: wenn ich die Hände desinfiziere, die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was ich da spüre, wenn ich das Desinfektionsmittel einreibe. Einfach nur spüren, ohne darüber nachzudenken. Oder zum Beispiel beim Warten vor einem Aufzug oder vor einer roten Ampel nicht über die Situation zu schimpfen und die Ungeduld aufzublähen, sondern das Warten zu nutzen, um zu spüren, wie mein Körper gerade atmet oder wie meine Fußsohlen durch die Schuhe hindurch Kontakt zum Boden haben.
Über den Autor
Ralf Braun ist Diplomtheologe, arbeitete 27 Jahre lang in der Seelsorge der katholischen Kirche und ist nun Achtsamkeitstrainer in Köln. Mindful@work ist sein erstes Buch.