Folge 12: Beichte via E-Mail
Ninas Finger trommeln auf ihrer Tastatur. Wie fängt sie das am besten an? Sie kennt ihren Chef persönlich und sie pflegen einen kollegialen Umgang. Allerdings geht es hier nach wie vor um ihren Vorgesetzten – und ganz nebenbei um ein unangenehmes Thema. Sehr geehrter? Lieber? Hallo? Und was dann? Gerne würde Nina ihren Chef auf die unschöne Information erst etwas vorbereiten, sie in Small Talk betten oder sich erst mal erklären. Vielleicht sollte sie auch ausholen und ihm in möglichst eloquenter Sprache ihre Situation schildern? Vielleicht würde ihn das milde stimmen …
Hannes Külz empfiehlt jedoch, solche Dinge zu unterlassen. Der Schreibcoach und ehemalige Redakteur der Financial Times Deutschland rät bei E-Mails (die das Thema meist schon im Betreff zusammenfassen) zu Direktheit – und dazu, sie möglichst persönlich zu halten. Wer unpersönliche, vermeintlich professionelle Standardfloskeln benutzt, wenn auch in guter Absicht, sendet womöglich schon negative Signale, wie etwa:
Ich habe diesen Brief oder diese E-Mail so geschrieben, dass ich möglichst schnell fertig war. Ich habe mir für dich nicht mehr Zeit genommen als unbedingt nötig. Du bist Standard!
Hannes Külz
Will man dem Leser das Gegenteil signalisieren, braucht es keinen langen, durchdachten Brief. Nahbarkeit und Sympathie erreicht man schon, wenn man ein wenig vom „Sehr geehrte/r“ und den „Freundlichen Grüßen“ abweicht und die E-Mail so formuliert, wie man selbst oder der Empfänger sprechen würde. Dabei hilft es, kurz vom Text aufzuschauen und den Sachverhalt in eigenen Worten laut auszusprechen. Diese mündliche Erklärung ist oftmals schon viel besser als jede Formulierung, über der man lange gebrütet hätte. Dass der Text dadurch zu salopp wird, hält Külz für unwahrscheinlich:
Denn auch beim Sprechen passen sie sich automatisch der Situation an. Mit dem Vorstandsvorsitzenden sprechen Sie intuitiv anders als mit Ihrer Kollegin (…).
Hannes Külz
Nähe schaffen also einfache, kurze Sätze, aber auch persönliche Details. Am besten, man baut Dinge ein, die man von dem Empfänger weiß. Dinge wie seinen Aufenthaltsort. Vielleicht auch ein Hobby oder persönliche Lebensumstände. Von Konjunktiven oder sogenannten Vorstoppern – wie „Ich setze dich in Kenntnis, dass …“ – sollte man hingegen die Finger lassen. Sie verlängern Sätze und die bürokratische Höflichkeit ist in den meisten Fällen unnötig. Besser ist es, selbstbewusst zum Punkt zu kommen.
Was Emojis angeht, so empfiehlt Isabel Schürmann in der New Work: Knigge reloaded einen eher spärlichen Umgang. Denn:
Es kann passieren, dass das freundlich winkende Emoji beim Empfänger als ein umarmendes Emoji ankommt. Das kann dann schon mal peinlich werden, besonders im Geschäftsleben.
Isabel Schürmann
Ein letztes Mal liest Nina ihre Mail durch:
Hallo Tom,
leider ist mir heute ein dummer Fehler unterlaufen. Olivia hatte mir in einer Mail ihren ersten Entwurf für den Newsletter geschickt. Dass es sich dabei nur um einen Entwurf handelt, habe ich überlesen, und ihn mit allen Fehlern an die Endnutzer weitergeleitet. Als Schadensbegrenzung schlage ich vor, uns in einer erneuten Mail für den Fehler zu entschuldigen, den korrigierten Newsletter anzuhängen und den Nutzern für die Unannehmlichkeit einen Gutscheincode zu senden. Den Entwurf für die Mail findest du im Anhang.
Das alles tut mir leid. Ich weiß, dass es meine Aufgabe ist, jeden Newsletter final durchzuschauen. Mein Fehler ist mir sehr unangenehm. Er wird mir eine Lehre sein, mich besser zu konzentrieren und meine Aufgaben gewissenhafter zu erledigen.
Trotzdem viel Erfolg bei der Konferenz und bis später. Nina.
Sie nickt. Zwar ist ihr immer noch übel, als sie auf „Senden“ klickt. Doch Nina findet, dass die Mail genau das ausdrückt, was sie sagen wollte. Einige Stunden später erhält sie eine Antwort: Ihr Chef ist zwar nicht begeistert – das merkt sie an dem „Das sollte wirklich nicht noch mal passieren“. Doch er bedankt sich für ihre Ehrlichkeit und nimmt ihren Lösungsvorschlag an. Als sie ihn einige Tage später im Büro trifft, erzählt er ihr gut gelaunt von der Konferenz – und alles ist wie immer.
Ninas Welt
Nina ist 28 und Angestellte im Bereich Marktforschung. In ihrem Büroalltag erlebt sie immer wieder Situationen, in denen sie sich denkt: „Ich kann nicht die einzige mit diesem Problem sein.“ Wie gut, dass sie jetzt Zugang zur getAbstract-Bibliothek hat und ihre Lösungsvorschläge Gegenstand unserer neuen monatlichen Arbeitsweltkolumne sind, finden Sie nicht?