„Für die meisten Menschen ist die Sackgasse das Ende der Verhandlung, für uns ist sie der Anfang.“
Wenn Menschen „schrannern“, wie sieht das konkret bezogen auf eine Verhandlung aus?
Matthias Schranner: „Schrannern“ steht mittlerweile für das Nutzen der Philosophie von Schranner. Diese basiert darauf, dass man Konflikte nicht vermeiden darf, sondern dass man Konflikte proaktiv angehen muss. Wenn jemand in einer Verhandlung sehr frühzeitig einen Konflikt benennt, dann nennt man das „Schrannern“.
Sie verhandeln nach einem Prinzip, das Sie beim FBI gelernt haben. Bedeutet?
Das FBI hat wie alle Polizei-Taskforces der Welt unheimlich viel Erfahrung in der Verhandlung mit irrationalen Personen, mit emotionalen Personen. Also mit Leuten, die über Vernunft und Ratio nicht erreichbar sind. Sie sind daher auch die einzigen Organisationen weltweit, die Verhandlungsführung professionell schulen. Verhandeln nach dem FBI bedeutet für uns, dass wir Methoden und Taktiken entwickeln, um Emotionen bewusst in einer Verhandlung zu meiden oder zu steuern. Zudem bauen wir unsere Verhandlungsteams nach den Prinzipien des FBIs auf.
Es verhandelt demnach wer?
Das Team besteht aus Negotiator, Commander und Decision Maker. Der Negotiator ist Ansprechpartner des Verhandlungspartners. Er führt die verbale Verhandlung. Der Commander ist ebenfalls anwesend, übernimmt aber den beobachtenden und vor allem zuhörenden Part. Er berät den Negotiator, mischt sich aber nicht ein. Und der Decision Maker ist, wie der Name schon sagt, derjenige, der die Entscheidungen trifft und sie auch verantworten muss. Am besten haben alle drei keinerlei Interesse an einer guten Beziehung mit der Gegenseite. Es wird oft der Fehler gemacht, dass intern gefragt wird, wer denn jemand von der Gegenpartei kennt und genau diese Person wird in die Verhandlung geschickt. Ein fataler Fehler, da sich so automatisch alles um die Beziehung dreht, und die soll möglichst nicht beschädigt werden.
Sie raten dazu, eine Verhandlung spielerisch zu gestalten. Da werden Ihnen sicher einige Menschen widersprechen.
Ja, weil die meisten spielerisch mit leichtsinnig verwechseln. Spielerisch bedeutet, dass Sie mit einer gewissen Leichtigkeit verhandeln, nicht mit Leichtsinnigkeit. Leichtigkeit bedeutet, dass Sie nicht Recht haben, sondern eine Lösung finden wollen. Sie tun daher alles in der Verhandlung, um den Ball im Spiel zu behalten. Sie bewegen sich. Laufen mal schneller, mal langsamer oder stoppen den Ball. Aber sie bleiben im Spiel. Leichtsinnigkeit ist das Gegenteil. Es bedeutet: Sie sind nicht gut vorbereitet. Sie haben das Team falsch abgestimmt. Sie gehen rein und schauen was geht.
Win-Win ist nicht so ihr Ding, oder?
Win-Win ist die Kernphilosophie des Harvard-Konzepts, ich betrachte unser Konzept als Fortführung dazu. Das Harvard-Konzept ist eine Theorie, die von rationalen und smarten Menschen entwickelt wurde. Es ist ein amerikanisches Konzept, das schon ein wenig in die Jahre gekommen ist. Und es gibt eine Frage, auf die es keine Antwort hat. Diese lautet: Was mache ich, wenn jemand gegen mich verhandelt. Also wirklich mit aller Macht gegen mich verhandelt. Da hört Harvard auf und wir fangen an. Unser Konzept beginnt, wenn die gegnerische Seite Druck aufbaut und Sie bedroht. Oder schon negative Konsequenzen ausspielt und Sie sich fragen, was Sie machen sollen.
Sie haben mal gesagt, Schranner wird gerufen, wenn man in der Sackgasse steckt.
Genau. Und das ist etwas, was viele Menschen aus unserer Sicht falsch einschätzen. Für die meisten Menschen ist die Sackgasse das Ende der Verhandlung, für uns ist sie der Anfang. Viele glauben, wenn man nicht weiterkommt, muss man aufhören, dann ist es vorbei. Wir sagen, jetzt muss man anfangen.
Die Sackgasse bedeutet, dass Ihr Verhandlungspartner Sie braucht.
Matthias Schranner
Denn jetzt haben Sie vielmehr Möglichkeiten, die Verhandlung zu gestalten. Jetzt sind Sie gezwungen, neu darüber nachzudenken. Sie müssen kreativer sein. Müssen andere Leute mit einbeziehen, neue Teams aufsetzen. Zudem bedeutet die Sackgasse auch, dass Ihr Verhandlungspartner Sie braucht. Zwischen Ihnen besteht eine gegenseitige Abhängigkeit, sonst würden Sie nicht (mehr) miteinander reden. Nutzen Sie das.
Wie bereite ich mich also effektiv auf eine Verhandlung vor?
Drei Sachen müssen Sie vor der Verhandlung beachten. Nummer 1: Sie brauchen ein klares Ziel. Was wollen Sie erreichen? Nummer 2: Welche Strategie werden Sie fahren? Also, sind Sie eher kurzfristig oder langfristig orientiert? Nummer 3: Welche taktischen Schritte wenden Sie an? Mit welcher Forderung steigen Sie ein, wo bieten Sie Bewegung an? Wann steigen Sie aus? Das sind Dinge, die Sie vor der Verhandlung zwingend schriftlich festlegen müssen.
Darf ich davon abweichen?
Nie.
Aber sie sprachen von Bewegung.
Damit ist nicht gemeint, sich von der eigenen Strategie abbringen zu lassen. Sie müssen klar vor der Verhandlung festlegen, was verhandelbar ist und was eben nicht. Und daran müssen sie festhalten. Lassen Sie sich niemals provozieren. Bewegung bedeutet, dass Sie sich niemals zu früh festlegen sollten. Lassen Sie die Dinge offen. Ein Fußballspiel entscheidet sich auch erst beim Abpfiff. Gerade in der deutschsprachigen Kultur lieben wir jedoch Klarheit, das ist verhandlungstechnisch tödlich. Wenn Sie sich gleich zu Beginn festlegen, also sagen, was geht und was nicht geht, machen Sie die Türen zu. Dann können Sie nicht mehr zurück. Sie müssen bei dem bleiben, was Sie zu Beginn quasi versprochen haben, sonst verlieren Sie Ihr Gesicht.
Kurzfristige oder langfristige Orientierung – ich gehe davon aus, sie meinen die Beziehungen zwischen den Verhandlungspartnern. Welche Optionen habe ich mit Blick auf meine Verhandlungsstrategie?
Wir arbeiten mit fünf Verhandlungsstrategien. Das eine ist Competing. Heißt: Sie gehen mit einer hohen Forderung rein. Sie spielen auf Sieg. Sie wollen gewinnen. Sie zeigen wenig Kooperationsbereitschaft, wollen sich durchsetzen. Viele Leute verwechseln diese Haltung mit Drohen und sagen, Sie verhandeln unfair. Das ist es aber nicht. Sondern es geht darum, die eigene Position zu benennen, um mit einer relativ starken Verhandlungsmacht das eigene Ziel zu erreichen. Das Gegenteil davon ist Giving-In. Sie fühlen sich ohnmächtig, sind aber langfristig orientiert. Sie wollen keine Beschädigung der Beziehung und geben nach.
Die Drohung ist für uns ein Signal, dass jemand nicht mehr weiter weiß.
Matthias Schranner
Nummer 3 ist der Kompromiss. Sie wissen nicht, was genau Sie tun können, um den Konflikt loszuwerden, also tun Sie irgendwas. Sie einigen sich irgendwo in der Mitte. Nummer 4 ist Avoiding. Sie vermeiden den Konflikt, weil Sie glauben, dass nichts passiert, wenn Sie eben auch nichts tun. Oder Sie hoffen, dass Sie zu einem späteren Zeitpunkt in einer besseren Verhandlungsposition sein werden. Nummer 5 ist schließlich Co-operating, das ist die klassische Einigung. Beide Parteien, einigen sich. In unserem deutschsprachigen Kulturkreis steigen wir oft mit Co-operating ein, wir machen ein Angebot. Wir gehen davon aus, dass der Verhandlungspartner dieses annimmt, es ist ja gut durchdacht und vor allem ist es fair.
Was sind die drei größten Fehler, die ich in einer Verhandlung machen kann?
- Sie machen schon zu Beginn ein Angebot.
- Eine zu frühe Festlegung.
- Rechthaberei. Sie glauben im Recht zu sein und sagen das auch.
In Verhandlungen geht es viel um Macht – was kann ich tun, wenn ich mich selbst weniger mächtig als meinen Gegenüber fühle?
Die Antwort liegt in Ihrer Frage. Sie fühlen es. Es ist nicht berechnet oder lässt sich irgendwie analysieren. Sie haben ein Gefühl. In manchen Verhandlungen haben wir das Gefühl, wir haben gute Karten. Und manchmal haben wir das Gefühl, ohnmächtig zu sein. Aber es ist eben nur ein Gefühl. Sie müssen daher einfach nur Ihr Gefühl ändern.
Brauche ich Argumente in einer Verhandlung?
Nein. Auf ein Argument folgt in der Regel immer ein Gegenargument. Das endet in der Regel in Rechthaberei. Es geht bei einer Verhandlung darum, die Lösung für einen Konflikt zu finden. Daher: Gehen Sie stets positiv in die Verhandlung. Freuen Sie sich darauf, den Konflikt zu lösen. Loben Sie Ihren Verhandlungspartner und sprechen Sie über Gemeinsamkeiten. Setzen Sie zu Beginn einen zeitlichen Rahmen. Und dann sagt jeder, was er will. Denn ein Konflikt ist nichts anderes als der Fakt, dass Sie etwas von einem anderen wollen, was der nicht hergeben will.
Wie reagiere ich idealerweise auf Drohungen und Druck?
Es ist normal in unserem Kulturkreis, dass Drohungen ausgesprochen werden. Meistens werden diese ja nicht aus dem Gefühl der Stärke, sondern aus dem Gefühl der Schwäche ausgesprochen. Also wenn sie in einer starken Verhandlungsposition sind, brauchen sie nicht mehr drohen. Deshalb ist die Drohung für uns ein Signal, dass jemand nicht mehr weiter weiß. An diesem Punkt müssen Sie Hilfe anbieten. Der Gegenüber hat gezeigt, dass er sich in einer schwierigen Lage befindet, daher geht es nun darum, gemeinsam Dinge zu entwickeln. Ihre Kommunikation muss sich ändern. Weg vom Konflikt, hin zur Gemeinsamkeit. Sie wollen gemeinsam eine Lösung finden, Sie haben gemeinsam die Verantwortung. So kommt man wieder rein in die Verhandlung.
Was ist mit einem Bluff in der Verhandlung – erlaubt?
Das kommt auf den Kulturkreis an. Hier in der Schweiz steht man dem Bluff relativ negativ gegenüber. In anderen Kulturen, der chinesischen oder auch arabischen, gehört es zum Spiel. Wichtig: Sie dürfen niemals lügen, in keiner Kultur. Bluffen, also Andeuten, dass es eine andere Alternative geben könnte, ist erlaubt.
Gibt es Dinge, die ein Schranner niemals verhandeln würde?
Ich habe Schwierigkeiten mit Erbstreitigkeiten. Das sind oft Leute, die selbst noch nichts gearbeitet haben, die nichts zum Erfolg oder eben dieser Geldsumme beigetragen haben. Und die sich um Geld streiten, dass ihnen aus meiner Sicht auch nicht wirklich gehört. Sie verhandeln mit allen Mitteln gegeneinander. Solche Verhandlungen haben für mich keinen Sinn. Es geht nicht darum, Arbeitsplätze zu sichern, das Klima zu retten oder den Flüchtlingen zu helfen. Das ist eine absolut sinnlose Verhandlung, in der alles kaputt gemacht wird und keiner gewinnen kann.
Haben Sie eigentlich schon einmal eine Verhandlung verloren?
Nein (lacht). Die Frage ist doch, was bedeutet verlieren. Nehmen wir das Beispiel meines Tagessatzes. Ein Kunde fragt an und ich sage, ich mache keinen Workshop unter 100 Euro in der Stunde. Wir verhandeln und der Kunde bewegt sich nicht. Er beharrt auf 90 Euro. In diesem Fall endet unsere Verhandlung damit, dass ich es nicht mache. Aus meinem mache Verständnis habe ich die Verhandlung nicht verloren, sondern ich habe mich vorher entschieden, dass ich mindestens 100 Euro die Stunde haben muss. Das ist für mich kein Verlust, keine Niederlage. Sondern eine klare Entscheidung.
Gibt es noch Menschen, die mit Ihnen freiwillig verhandeln?
Ich habe noch keinen getroffen.
Stichwort: Virtuelle Verhandlung. Unterscheiden sich digitale von Präsenzverhandlungen?
Virtuelle Verhandlungen kommen schneller zu einem Ergebnis, weil die nonverbale Kommunikation so gut wie wegfällt. Man verhandelt konzentrierter, es sind weniger Emotionen im Spiel. Dazu laufen virtuelle Verhandlungen in der Regel über drei Kanäle. Der Videocall ist sehr förmlich, sehr distanziert. Zeitgleich kommuniziert man oft mittels LinkedIn-Chat miteinander. Hier ist man sehr direkt und hier findet der eigentlichen Austausch statt. Und über Whats-App halte ich mit meinen Kollegen, die ebenfalls im Call sind, Kontakt und wir beraten uns. Ich sage immer, LinkedIn ist die neue Kaffeemaschine, also der Ort, an dem die wirklich wichtigen Dinge besprochen werden.
Über den Autor
Matthias Schranner wurde von der Polizei und dem FBI zum Verhandlungsführer ausgebildet. Heute berät er mit seinem Institute globale Unternehmen, die UNO und politische Parteien bei schwierigen Verhandlungen. Er ist Dozent für Verhandlungen an der Universität St. Gallen in der Schweiz und Präsident der SNI LLC New York. Von ihm sind bislang die folgenden Bücher erschienen: Verhandeln im Grenzbereich, Der Verhandlungsführer, Teure Fehler, Faule Kompromisse und Das Schranner-Konzept