„Bitte nicht helfen, es ist auch so schon schwer genug!“
Das Leben besteht aus Gegensätzen und Widersprüchen. Und auch die sogenannten „Werte“ sind mehrdeutig, unscharf, kontextabhängig. Es gibt nichts, was ohne sein Gegenteil auskommt.
Das gilt auch für einen so hochgelobten Wert wie das „Helfen“ – er ist janusköpfig, ambivalent, wie jeder Wert. Die dunkle Hälfte des Doppelgesichts schaut man sich jedoch ungern an.
Natürlich: Wer einem Menschen hilft, tut zunächst einmal etwas Gutes. Nicht zuletzt auch sich selbst – weil man sich selbst besser gefällt oder sich doch zumindest besser fühlt, wenn man geholfen hat. Manchmal aber, und das wird oft übersehen, schwächt Hilfe. Zum Beispiel, wenn der andere sie gar nicht bräuchte, es allein schaffen könnte. Oder wenn Hilfe zudringlich wird. Oder wenn Hilfe gleichsam ihr eigenes Gebrauchtwerden erzeugt.
Keine Frage, wir müssen Menschen helfen, die sich selbst nicht helfen können. Aber wie viele sind das eigentlich? Die Vorstellung vom grundsätzlich hilfsbedürftigen Menschen munitioniert den Paternalismus. Und der lauert. Entsprechend sind Freunde in der Not nicht so selten, wie uns das Sprichwort glauben machen will. Einige warten geradezu auf die Not, um zu helfen. Mit dem Eifer des Trüffelhundes suchen sie das Missliche. Es ist ihnen verdrießlich, nicht helfen zu können; sie ärgern sich gar, wenn der Freund mit dem Problem selbst fertig wird. Streng genommen sind das gar keine Freunde.
Andersherum gilt: wo tatsächlich keine Freunde sind – und das passiert –, „helfen“ die Institutionen. Sie leben davon. Genau besehen beuten sie die Hilflosigkeit anderer unterschiedslos aus. Allein schon, um ihre Existenz zu sichern: viele sogenannte Wohlfahrtsverbände, die gesamte Mitleidsindustrie, etliche Vorgesetzte in Unternehmen, Betriebsräte, auch Eltern. Vor allem aber die Politik: Sie kauft sich Wählerstimmen durch selektive Wohltaten, die abhängig machen und dafür Dank abnötigen. Politik lebt von einer selbstsüchtigen, sich aufdrängenden Fürsorge – wie auch immer die Folgen für andere sein mögen. Was wie Fittiche aussieht, erweist sich als Unheilsschwingen.
Beurteilen wir also die Wirkung von Hilfe, nicht die Absicht! Ständiges Beschützen hält die Menschen klein. Falsche Hilfe hilft vor allem, Schwächen zu verstetigen. Wenn ich jemanden schone, entmündige ich ihn immer auch.
Es gibt aber auch die Hilfe, die den Nächsten achtet. Sie hält Abstand. Und sie geht niemals weiter als das Not-Wendige. Sie zu gewähren braucht Augenmaß, und mehr noch das Vertrauen, dass der andere über individuelle Techniken der Problemlösung verfügt. Noch nie hat jemand ein Problem gehabt ohne eine Lösung! Ihn in der Verantwortung zu lassen, zu ermutigen statt zu entmündigen, das bezeugt Respekt und Achtung.
Eine der waghalsigsten Übungen: einem lieben Menschen oder Kollegen die unmittelbare Hilfe zu versagen – um ihm dadurch zu helfen. Ihm Erwachsenwerdung zu ermöglichen, aus Geflechten der Abhängigkeit in die Unabhängigkeit zu gelangen, von der Hilfe zur Selbsthilfe zu kommen, Fremdbestimmung in Selbstverantwortung umzumünzen. Nur wer gelernt hat, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen, ist eine Person. Und nur das selbst Erfahrene wird wirklich unser Eigen und steht uns von diesem entscheidenden Moment an im individuellen Problemlösungsarsenal zu Verfügung. Oder kürzer: Wer eine helfende Hand sucht, findet sie immer am Ende seiner Arme. Manchmal braucht es bloß jemanden, der darauf hinweist.
Ich habe aus dem Fundstück auf der Bürotür einen Song gemacht. Er ist so ein Hinweis.
Samariter-Blues
Songtext
Ich hab ihn schon erwartet
Deinen mitleidsvollen Blick
Der gute Mensch in dir wittert seine Chance
Du rückst gleich etwas näher
Sparst dir jegliche Kritik
Du willst nur retten, schützen, aber brauchst mein Missgeschick
Bitte hilf mir nicht, es ist auch so schon schwer genug
Hilf mir bitte nicht, es ist schon gut
Bitte hilf mir nicht, nur der Selbstversuch macht klug
Lass mich doch mal machen, ich werd’s schon selber tun
Du hast dies milde Lächeln
Stehst moralisch leicht erhöht
Beim Barmherzigsein kennst du kein Erbarmen
Ich hab Dich nicht gerufen
Komm alleine gut zurecht
Doch wenn’s mir richtig gut geht, dann geht’s dir richtig schlecht
Bitte hilf mir nicht, es ist auch so schon schwer genug
Hilf mir bitte nicht, es ist schon gut
Bitte hilf mir nicht, nur der Selbstversuch macht klug
Ich will dir für dein Zutrauen danken
will mich für den Respekt bedanken
Und vor allem sag ich Dank
Dass ich dir nichts – zu danken hab
Bitte hilf mir nicht, es ist auch so schon schwer genug
Hilf mir bitte nicht, es ist schon gut
Bitte hilf mir nicht, nur der Selbstversuch macht klug
Lass mich doch mal machen, ich werd’s schon selber tun.
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Von Reinhard K. Sprenger zum Thema erschienen:
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