Das Dilemma der Beraterinnen und Berater
Mit Anfang 30 habe ich begonnen als Organisationsentwicklerin zu arbeiten – andere nennen es Beraterin. Mit meiner ersten Stelle als interne Beraterin bei einem Unternehmen vollzog sich unwillkürlich ein innerer Prozess, der mir weder bewusst war, noch konnte ich diesen steuern. Er passierte einfach. Mit Tag 1 war ich sicher, dass ich schlauer sein musste als mein Gegenüber. Welche Berechtigung hätte ich sonst als Beraterin? Warum sollte sich jemand von mir beraten lassen, wenn ich nicht schlaue Antworten auf seine Fragen hätte? So stellte sich mein inneres Ich darauf ein, schlauer sein zu müssen. Immer und überall.
In den Workshops, die ich fortan moderierte, brachte ich nicht nur die Probleme auf den Punkt, sondern hatte natürlich auch die besten Lösungen parat. Ich selbst fand meine Argumentation logisch, lösungsorientiert und nachvollziehbar. Das Problem: meine Lösungen stießen auf Widerstand bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Ich war frustriert.
Dazu ein Beispiel: Wir entwickelten damals Change-Programme, die wir sorgfältig planten, ausrollten und überprüften. Nach bestem Wissen und Gewissen versuchten wir, eine Win-Win-Situation herzustellen. Wir wollten eine bessere Kultur der Zusammenarbeit, Führung und Kommunikation erreichen – für das Unternehmen und für die Mitarbeitenden. Wir waren dabei kreativ, belesen, reflektiert, scharfsinnig und einfallsreich. Wir fanden es herrlich, die aus unserer Sicht richtigen Formate, Ideen und Methoden für “die anderen“ zu entwickeln. Doch kaum hatten wir angefangen, die Konzepte einzubringen, standen wir einer Wand des Widerstands gegenüber.
Humble Consulting – die Kunst des vorurteilslosen Beratens
Carl-Auer-Systeme VerlagWir steckten, und vor allem ich steckte, im Dilemma: Einerseits wurde ich „eingekauft“, um Veränderungen zu bewirken, und gleichzeitig wurde mir erklärt, warum meine vermeintlich guten Ideen unpassend oder nutzlos seien.
Ich dachte nach: Wie ist das bei mir? Wann gehe ich selbst in den Widerstand? Wann schalte ich auf Abwehr und Konfrontation? Meine Antwort war banal, öffnete mir aber die Augen: Wenn ich nicht die Wahl habe, sondern gezwungen werde, etwas zu tun, dann will ich das aus Prinzip schon nicht.
Ich will selbst entscheiden, ob mir eine Veränderung guttut und engagiere mich nur, wenn die Antwort „Ja“ lautet. Als mir das klar wurde, änderte ich meine Herangehensweise fundamental. Seither begann ich all meine Workshops damit, Teams und Abteilungen mein Konzept vorzustellen und anschließend zu fragen, ob sie mit mir und meinem Konzept arbeiten wollen. Bei einer Quote von mehr als 20-Prozent Nein-Stimmen (geheime Wahl) brach ich den Workshop und die weitere Arbeit ab. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zunächst erstaunt und beeindruckt, so viel Mitspracherecht zu haben. Die meisten Teams (mehr als 80 Prozent) stimmten dann auch für die Zusammenarbeit mit mir, und zumindest eine Weile lang war der unliebsame Begleiter Widerstand anderweitig beschäftigt.
Seit ein paar Monaten aber sehe ich wieder vermehrt verschränkte Arme und höre zahlreiche Gegenargumente im Workshop-Verlauf. Wahlmöglichkeit und Freiwilligkeit allein, so fand ich heraus, sind also noch kein Garant für Offenheit und gemeinsame, widerstandslose Arbeit. Aber: Was tun, um herauszufinden, woran es nun wieder lag?
Ich begann, die Workshops für mich aufzuzeichnen und noch einmal mit Abstand anzuhören. Und da war es wieder: Ich wollte schlauer sein, presste in Reflexionsschleifen, hinterfragte Antworten. Ich zeigte Modelle, Studien und Filme mit dem Ziel, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die gleichen Erkenntnisse gewannen, die mir selbst so wichtig waren. Ich wollte, dass sie ihr Verhalten optimierten. Ich konnte hören, wie sehr ich es wollte. Ich konnte aber nicht hören, dass sie es wollten.
Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass das Gras nicht wächst, wenn man daran zieht. Mein Denkfehler besteht darin, dass ich die Veränderung will. Aber wenn ich genauer hinschaue und überlege, wann eine Veränderung geklappt hat, ist das passiert, wenn ich losgelassen habe. Rückblickend erkenne ich, dass im Loslassen eine gesunde Unsicherheit, neugierige Offenheit und Authentizität steckt, die sich transportiert. Es war und ist noch immer ein langer Weg auf dieser Erkenntnisreise und ich werde wohl noch einige Male am Gras ziehen – aber ab sofort klebt dabei ein Post-It an meinem Schreibtisch auf dem steht: Lass los!
#let’s hear again
- Bitten Sie vor einem längeren (Video-)Call (Workshops, Brainstormings, Retrospektiven, Feedback-Gespräche oder ähnliches) um die Erlaubnis, das Gespräch für eigene Weiterbildungszwecke aufzunehmen.
- Hören Sie sich das Gespräch ein bis zwei Tage später noch einmal an. Stellen Sie sich die Fragen: „Habe ich gut zugehört/nachgefragt oder vor allem versucht, meine Meinung unterzubringen und durchzusetzen?“
- Wenn Sie sich dabei ertappen, nicht gut zugehört zu haben, überlegen Sie sich Alternativsätze, die besser gepasst hätten, und schreiben Sie diese auf.
- Es handelt sich dabei um einfache Fragen wie: „Kannst Du dazu mehr sagen?“ oder „Das habe ich noch nicht ganz verstanden, kannst Du das bitte noch weiter ausführen?“ oder „Wie genau kommst Du darauf?
„Hey, Lydia!„
Das bin ich. Meine Passion ist das „Hacking“: mit kleinen Tricks und Kniffen eine möglichst große Wirkung erzeugen. Und in dieser Kolumne gebe ich einmal im Monat Auskunft über die neusten Zugänge meiner Workhacks-Bibliothek. Feedbacks zur Nützlichkeit gern unmittelbar an: ls@workhacks.de