Sind Ghostwriter Verbrecher?
„Nie wieder werde ich ein Buch lesen! Nie wieder, Heinz! Das ist ja eine bodenlose Frechheit!“ Mir tat die ältere Dame leid. Was hatte ich getan!? Zwei kurze Sätze, und das Weltbild einer 88-Jährigen war ruiniert. Zumindest das, was sie von Autoren und Schriftstellern hatte. „Das können die doch nicht machen! Das ist ein Verbrechen. Und Sie, Sie unterstützen die Menschen dabei auch noch?“ Ich nickte, leicht beschämt.
Was war passiert? Gemeinsam mit Sohnemann hockte ich aus Zufall mit Heinz und Elisabeth an einem Vierertisch in der Bahn. Ein kurzer Small Talk, dann klappte ich meinen Laptop auf, wollte arbeiten. Elisabeth blieb jedoch mitteilungsbedürftig. Bis Heinz sagte: „Elli, die Dame möchte arbeiten.“ Das wiederum brachte „Elli“ auf die Idee, mal nachzufragen. „Was machen Sie denn da?“ Meine Antwort: „Ich schreibe. Aktuell an einem Buch.“ „Oh“, entwich es Elisabeth. „Das ist ja toll. Schreiben Sie Romane?“ „Nein. Es ist ein Buch über Führung und ich schreibe es für jemand anderen.“ Ein kurzer Moment der Stille, dann wurde Elli laut:
Wie bitte?! Sie schreiben ein Buch für jemand anderes, und der tut dann so, als wenn er es geschrieben hätte? Das ist doch kriminell!
Liebe Elisabeth, das war definitiv eine gänzlich neue Reaktion auf meinen Nebenjob als Ghostwriterin. Eigentlich werde ich in dieser Rolle öfter gefragt, ob ich es nicht blöd finde, hunderte von Seiten zu schreiben und nicht einmal zwischen den Zeilen erwähnt zu werden. Als kriminell hatte mich bis zu diesem Tag aber noch niemand bezeichnet.
Wissen festhalten, Wissen verbreiten
Von Haus aus bin ich – und das mit Herz – Journalistin. Ghost wurde ich mehr aus Zufall, bin es heute aber mit Leidenschaft in Teilzeit. Dabei schreibe ich nichts Diktiertes auf, sondern sehe meine Aufgabe als Sparringspartner. Ich tue, was ich am besten kann, schreiben, mein Gegenüber liefert, was es bis ins Detail hat: Fachwissen. Immer mit dem Ziel, dass Dritte davon profitieren können. Ich strukturiere und organisiere das Wissen meiner Auftraggeber und Auftraggeberinnen, um es nachvollziehbar, verständlich und spannend in Form zu bringen – sei es als Buch, Fachartikel oder Rede. Denn:
Es gibt viele Menschen da draußen, die so viel wissen, es aber einfach nicht genießbar zu Papier bringen können. Dabei könnten wir alle von diesen Erkenntnissen profitieren.
Schreiben ist Kunst. Es ist aber auch Handwerk, das Fachwissen erfordert – und Disziplin. Die größte Herausforderung ist es, auf den Punkt zu kommen und verständlich zu bleiben. Gerade in schwierigen Kontexten ist es essenziell, so zu formulieren, dass ein Text verständlich ist und nicht zu Tode langweilt. Bürokratendeutsch ist ebenso tabu wie Sätze, die Sie dreimal lesen müssen, um sie zu verstehen.
Die Faustregel dabei ist: Jede wichtige Information hat das Recht auf einen eigenen Satz.
Diese Regel ist der Hauptgrund dafür, dass gerade Experten beim Schreiben Unterstützung brauchen. Sie wissen meist so viel, und das so detailliert, dass sie den Wald vor lauter Bäumen aus den Augen verlieren – die Quintessenz nicht ausformulieren können, weil sie ihnen „unterkomplex“ erscheint. Genau das ist es aber, was alle Nicht-Experten brauchen: pointierte Verknappung. Sonst steigen sie aus.
Andere haben schlicht keine Zeit zum Schreiben. Oder stellen eine einfache Rechnung an: Ein Buch zu schreiben ist zeitaufwändig, nie in wenigen Tagen getan. Und wenn sie in ihrer beruflichen Rolle – z. B. durch Consulting, Coaching, Seminarleitungen – an einem Tag 5000 Euro verdienen können, ziehen sie diese Tätigkeit ökonomisch rational dem aufwändigen Verfassen eines Lehrbuchs vor und investieren einen Teil des Einkommens in jemanden, der es für sie, und unter Rückgriff auf ihre Materialen und ihr Hintergrundwissen, schreibt. Ganz so, wie Sie jemanden dafür bezahlen, ein Päckchen für Sie nach Patagonien zu transportieren – denn das könnten Sie sicher auch, nur nicht so schnell und vergleichsweise günstig.
Copy-and-paste ist keine gute Idee
Wir alle kennen das Sprichwort, dass viele Köche den Brei verderben. Auch beim Schreiben ist da viel Wahres dran. Wenn jeder mitmischen und seinen Senf dazugeben, alles hineinpacken, es jedem Recht machen will, wird es schwierig. Und ungenießbar. Ist von vornherein klar, wer was wann erledigt und wie etwas erledigt wird, sieht das anders aus. In meinem Fall, um beim Bild der Köche zu bleiben, liefert der Auftraggeber, die Auftraggeberin die Zutaten. Ich schaue dann, wie ich daraus ein bekömmliches Rezept kreiere. Dabei füge ich noch ein paar weitere Zutaten hinzu oder lasse – nach Absprache – andere weg. Was ich jedoch nicht tue: Rezepte anderer eins zu eins kopieren. Denn:
Abschreiben ist auch beim Ghostwriting nicht erlaubt.
Und dennoch kommt das vor – immer wieder. Prominente Beispiele wie das der CDU-Politikerin Diana Kinnert oder auch der heutigen deutschen Außenministerin Annalena Baerbock zeigen, dass das mit den Quellenangaben nicht immer so ernst genommen wird, wie es das eigentlich sollte, wie es das muss. Den ehemaligen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat das Abschreiben sogar seinen Posten gekostet. Gleiches galt für Pal Schmitt: Der ehemalige ungarische Staatspräsident hatte den Großteil seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Nach Bekanntwerden war der Doktortitel weg und auch das präsidiale Amt.
Aber das sind doch …
… genau, Politiker. Menschen, die es eigentlich besser wissen und sich an Regeln halten sollten. Für mich sind sie aber zuerst einmal Beispiele dafür, dass sie sich der Schreibaufgabe nicht gewachsen fühlten, daran gescheitert sind. Entweder, weil sie sich selbst unrealistische Ziele gesetzt haben. Oder, weil sie sich schlecht beraten ließen. Die Verlockung, ein geschlossenes Werk hervorzubringen, ohne sich selbst anstrengen zu müssen, war schon immer groß, und in der Vergangenheit ließen sich solche Verstöße gegen Lauterkeit, Urheberrechte und künstlerische Prinzipien auch nur schwer nachweisen. Aber:
Das Internet hat nicht nur das Aufstöbern und Plagiieren anderer Leute Leistungen einfacher gemacht. Auch der Nachweis des Abkupferns gelingt heute müheloser: Plagiatsjäger und Anwälte haben daraus in jüngster Zeit ein lukratives Geschäftsmodell gemacht.
Mit dem Aufkommen von KI-Tools, die – geschickte Prompts an sie vorausgesetzt – aus dummen Fragen vermeintlich clevere Antworten machen, werden beide Seiten, die Plagiatoren und ihre Jäger, nun noch mächtiger. Und ja, ChatGPT ist ein einziger, monströser Plagiator. Wer unter einem Plagiat nämlich „die Anmaßung fremder geistiger Leistungen“ versteht, wie es die Definition vorgibt, wird hier bei jeder Frage fündig. Die KI macht nichts anderes, als in einem bestimmten Kontext das nächste Wort einer Antwort zu erraten – aufgrund der Eingabe und der statistischen Wahrscheinlichkeit für ein Folgewort. Sie rekombiniert dann je nach Kontext die Bruchstücke, die sie in ihrem Datensatz findet. „Neu“ oder „genuin“ ist also kein einziges Wort des Ausgespuckten.
Wenn nichts Neues mehr geschrieben und ins Large Language Model hineingefüttert würde und sich alle nur noch der Fragerei an Chatbots widmeten, erzeugte das nichts weniger als eine gigantische Feedbackschleife.
Darum macht mir die neue Technik als Autorin auch keine Angst. Sie kann meine Arbeit, spezifisches Fachwissen einer Person kontextuell richtig aufbereitet für eine spezifische Zielgruppe zu Papier zu bringen, nicht ersetzen. Die Ergebnisse der Abfrage sind nicht nur trocken wie Zwieback. Sie sind auch inhaltlich meist oberflächlicher als thematisch ähnlich gelagerte Influencerposts, was aus publizistischer Sicht jede Qualitäts-Bottom-Line unterschreitet.
ChatGPT und Kollegen verschweigen dabei meist nicht nur die Quellen, die die dahinter liegenden Modelle anzapfen, die Maschinen prüfen auch nicht, wie seriös sie sind. Das machen gute Autoren, Journalisten und Ghosts anders – die denken mit, denn das ist ihr Job. Tun sie das nämlich nicht, haben sie bald keinen mehr. Hier ist, anders als bei Chatbots, also buchstäblich „Skin in the Game“.
Auch die Sache mit dem „richtigen Ton“ kann eine KI nicht leisten. Ein Ghost schreibt in der Sprache seiner Auftraggeber und so, dass die entsprechende Zielgruppe sich – im wahrsten Sinne des Wortes – angesprochen fühlt. Eine KI spuckt generische Texte aus, weil sie weder den Absender noch den Adressaten wirklich kennt.
Bücher als Wissenskondensator
Hier sind wir beim Punkt: Autoren, ihre Ghostwriter, Lektoren und Korrektoren sowie die Checks & Balances, die nach ihrer Zusammenarbeit und der Publikation derselben im Öffentlichen wirken, stellen gemeinsam sicher, dass wertvolles Wissen seinen Weg in die Breite findet – und schwarze Schafe auch als solche kenntlich gemacht werden. Sie sammeln und kondensieren Inhalte, die hilfreich sein sollen, also einen Preis haben, den eine bestimmte Zielgruppe zu zahlen bereit sein dürfte. Glauben Sie mir:
Jedes gute Buch ist ein Gemeinschaftswerk.
Die erfolgreichsten Menschen sind aus den selben Gründen nie allein gestartet: Denken Sie an die Garagengeschichte von Larry Page und Sergey Brin (Google). Auch Mark Zuckerberg wäre ohne seine Kommilitonen Eduardo, Dustin und Chris mit Facebook nicht weit gekommen. Bill Gates gründete Microsoft zusammen mit Paul Allen. Sie alle haben in diesen Konstellationen die Aufgaben übernommen, die ihnen am besten lagen, die Köpfe zusammengesteckt und diskutiert, experimentiert und sich gemeinsam neues Wissen angeeignet.
Teamwork ist nicht nur wichtig, weil es uns als soziale Lebewesen das Leben schöner macht, sondern weil es dabei um Verantwortung und Fokus, um das Austarieren von Stärken und Schwächen geht, was die Erfolgsaussichten verbessert. Gute Zusammenarbeit profitiert von klaren Regeln. Deshalb sollten Sie …
- Ihr Wissen als wertvolle Ressource sehen, die Grundlage Ihrer Arbeit, aber vor allem wertvolles Gut im Rahmen von Zusammenarbeit ist.
- Ihr Wissen, Ihre Stärken offensiv anbieten und sich die richtigen Sparringspartner aussuchen, damit Sie gemeinsam Bestleistung bringen können. (PS: Ich lehne Ghostwriting-Projekte nicht nur wegen unterschiedlicher Auffassungen von Bezahlung ab, sondern zu einem entscheidenden Teil, weil wir als Team nicht funktionieren würden.)
- Ihr Wissen, Ihre Stärken immer wieder hinterfragen, um sich konstant in Ihrem Fachbereich weiterbilden und -entwickeln zu können. Seien Sie offen für konstruktive Kritik. Fordern Sie diese von Ihren Partnern und Teamkollegen auch ein.
Es lohnt sich, die eigene Arbeit als Rädchen im Getriebe eines erfolgreichen Wissensmanagements, auf das wir auch wirtschaftlich angewiesen sind, zu sehen. Denn:
Laut einer Umfrage geben schon heute mehr als die Hälfte der deutschen Wissensarbeiter (54 Prozent) an, dass ihr anstellender Betrieb unter Unternehmens-Amnesie leide.
Das hat zunächst mit einem miserablen internen Wissensmanagement zu tun, ist aber auch Folge davon, dass immer mehr Menschen glauben, ihr wertvollstes Asset – ihr Wissen – gut behüten zu müssen oder nicht in ansprechender Form teilen zu können. Tun das zu viele, leidet zuerst die transparente, konstruktive Teamarbeit. In einem größeren Kontext sind die Folgen aber noch gravierender: Wird Wissen nicht stärker geteilt und verteilt, und zwar über die Grenzen von Organisationen, „Fachsprech“ oder ganzen Wirtschaftszweigen hinaus, leidet die generelle Innovationsfähigkeit. Wo immer also die vorhandenen Hürden abgebaut werden können, sollte man das tun.
Elisabeth wusste von all dem nichts, und das kann ihr auch niemand übel nehmen. Deshalb versuchte ich mich auch im ICE von Hamburg nach Zürich einmal mehr am Kondensieren und Abschmecken: „Sie beide sehen so aus, als seien Sie schon mehr als ein Jahr zusammen“, meinte ich freundlich. „66 Jahre!“, war ihre prompte Antwort. „Und wie haben Sie es so lange miteinander ausgehalten?“, fragte ich. Elisabeth sah mich an, schwieg wieder einige Sekunden und begann dann zu lachen. Sie sagte:
Weil ich die Dinge gemacht habe, die Heinz nicht konnte … und er mir seit 66 Jahren die Dinge abnimmt, die ich nicht kann.