„Mitarbeiter müssen mit einem neuen Tool auch arbeiten können.“
Onlinearbeit ist mittlerweile Alltag. Warum war es in Ihren Augen dennoch wichtig und richtig, diese „Online-Teamhacks“ noch einmal in einem Buch zusammenzufassen?
Kathrin Strehlau: Wir hatten, wie viele andere, das Gefühl, dass die digitale Zusammenarbeit ein New Normal werden würde, auch nach Corona. Viele Teams arbeiten dezentral zusammen. In der Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Kundinnen haben wir jedoch immer wieder mitbekommen, wie ein Tool zwar eingeführt wurde – aber das Zusammenspiel damit, die Zusammenarbeit hakt. Das war der Startschuss für unser Buch, in dem wir die verschiedensten Dinge zum Thema aufbereitet haben. In jedem Team gibt es andere Schwierigkeiten. Das Buch ist so konzipiert, dass wirklich jeder für sich das findet, womit er gerade zu tun hat. Onboarding, ohne sich je gesehen zu haben, schwelende Konflikte, weil der Austausch fehlt. Unser Ziel war es, ein Buch zu schreiben, das punktuell dann unterstützt, wenn man es für nötig hält.
Brigitte Berscheid: Als Trainerin begleite ich in Unternehmen unter anderem die Einführung von Microsoft 365. Dabei erlebte ich immer wieder, dass, wenn solche neuen Welten – meist Softwareprodukte bzw. cloudbasierte Produkte – eingeführt werden, es zwar Schulungen gibt, sprich: man lernt, wie man ein Meeting oder eine Aufzeichnung startet. Aber keiner vermittelt Kenntnisse darüber, was man überhaupt mit diesen Tools machen kann. Wenn Sie ein neues digitales Tool einführen, sollten Sie aber auch sicherstellen, dass die Menschen damit wirklich zusammenarbeiten können. Deshalb haben wir in unserem Buch nicht nur das Know-how, sondern auch das Know-what und das Know-when verarbeitet.
Denken Sie, es gibt einen inhärenten Wert von Onlinezusammenarbeit? Oft wird es ja eher als Mittel zum Zweck gesehen …
Berscheid: Die Onlinezusammenarbeit löst die Arbeit vom Platz. Ganz nach dem Motto „Work is not a place“; ich kann arbeiten, von wo ich will. Ich finde in der technischen Onlinezusammenarbeits-Umgebung einen virtuellen Arbeitsplatz. Oder anders: Wir haben in Microsoft Teams quasi ein gemeinsames Büro. Das richten wir uns so ein, wie wir es brauchen. Und egal, ob ich jetzt vor Ort, zu Hause oder in Spanien am Strand arbeite: Mein Büro bleibt das gleiche.
Strehlau: Darauf aufbauend finde ich persönlich spannend, dass in einem Videocall erst einmal alle „gleich“ sind. Man sieht weder Größenunterschiede und auch nicht, wer in den Pausen zusammensteht. Natürlich kann man jetzt sagen, es gehen wichtige Informationen verloren. Ich finde jedoch, dass das alles ein bisschen auf Anfang stellt und man neu starten kann. Zudem lassen sich Termine unkompliziert und schnell koordinieren, weil ich nicht erst durch die halbe Republik fahren muss.
Berscheid: Das würde ich gern dreimal unterstreichen. Ich mache seit dem ersten Lockdown nur noch Onlinetrainings – und das hat mir ungefähr 30 000 Kilometer im Jahr ersetzt. Da kann man sich überlegen, was ich an Lebenszeit für mich gewonnen habe. Und das erleben auch die Mitarbeitenden im Homeoffice. Dennoch: Es gibt Menschen, die mögen die Verzahnung von Privat- und Arbeitsleben im Homeoffice – aber auch solche, die das nicht tun. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir künftig hybrid arbeiten werden, und darauf müssen sich die Unternehmen einstellen. Und wir als Arbeitnehmer müssen das lernen. Das ist ein echter Change, eine echte neue Art der Zusammenarbeit. Und wir werden das nicht mehr aufhalten können.
Kommen wir noch einmal auf die Tools zu sprechen. Wer ist da in Verantwortung, wenn es um die Kompetenzenvermittlung innerhalb eines Unternehmens geht?
Berscheid: Ich bin der festen Überzeugung, dass Führungskräfte ihre Art zu führen ändern müssen. Zwar wird bei der Onlinezusammenarbeit etwa geduzt, wo vorher gesiezt wurde. Dennoch bleiben die Hierarchien im Kopf.
Deswegen glaube ich, dass es darum geht, einen neuen Onlineführungsstil zu entwickeln.
Brigitte Berscheid
Die Führungskräfte müssen an sich arbeiten, müssen ihren Führungsstil weiterentwickeln. Vor allem aber müssen sie selbst die Tools kennen. Denn nur, wenn die Führungskraft das Tool kennt, das Tool akzeptiert und das Tool einsetzt, kann sie dasselbe von den Mitarbeitenden verlangen. Zudem sehe ich die Verantwortung bei den Unternehmern, die bei jeder neuen Softwareeinführung alle Mitarbeitenden mitnehmen müssen. Kein Unternehmen kann es sich leisten, Menschen in meinem Alter – ich bin 57 – jetzt schon zu verlieren, so viele Fachkräfte gibt es einfach nicht. Und da sehe ich die Unternehmen in der Pflicht, auch diese Generation mit Trainings mitzunehmen. Und zwar nicht nur mit Softwareschulung, sondern auch mit methodischen Trainings. Und sei es nur, dass man unser Buch kauft. (lacht)
Strehlau: Ich sehe es ähnlich. Wichtig ist es aber auch, dass wir gemeinsam lernen müssen, wieder mehr Vielfalt zuzulassen, und wir müssen einfach auch willens sein, Dinge neu zu entscheiden, neu zu besprechen. Es wird immer nach festen Regeln für die digitale Zusammenarbeit gefragt. Die gibt es aber nicht, allein schon deshalb, weil sich die Tools so schnell verändern. Dazu kommt, dass die Teams miteinander vielleicht ganz anders kommunizieren als mit der Führungskraft, weil die Kommunikationswege andere sind. Relevant ist es, immer wieder gemeinsam im Gespräch zu sein. Dieses „one size fits all“ funktioniert in diesem Fall nicht. Man muss offen bleiben für neue Lösungen, Erfahrungen sammeln und immer wieder reflektieren: Was hat das jetzt mit uns gemacht als Team? Wie hat sich unsere Zusammenarbeit verändert? Wie wollen wir die Dinge anpassen, damit die Tools wirklich die Zusammenarbeit unterstützen?
Das ist oft der Punkt, oder? Oft wird irgendwie um die Tools herum gearbeitet, statt sie wirklich zu integrieren.
Berscheid: Genau. Wenn man sich früher eine neue Software angeschafft hat, musste man seinen eigenen Prozess dieser anpassen. Es gab wenig Handlungsspielraum. Software von heute macht es möglich, diese den eigenen Bedürfnissen und Prozessen anzupassen. Das muss man aber lernen. Ich sage meinen Kunden meistens, dass sie keine Software gekauft haben, sondern ein virtuelles Bürogebäude, das sie jetzt einrichten müssen. Eine virtuelle Arbeitsumgebung, die gestaltet werden muss.
Take-aways:
- Die Einführung eines digitalen Tools sollte auf unterschiedlichen Ebenen über einen längeren Zeitraum hinweg geschehen und alle Mitarbeitenden mitnehmen.
- Essenziell für die erfolgreiche Integration eines Tools ist die Offenheit für Neues, der Spaß am Ausprobieren und die Einarbeitung anhand konkreter Alltagsaufgaben.
- Führungskräfte müssen für die Onlinezusammenarbeit mit ihren Mitarbeitenden einen neuen Führungsstil entwickeln.
Nehmen wir an, dass sich niemand im Unternehmen darum kümmert, dass ich als Mitarbeiter ein Tool „erklärt“ bekomme. Was kann man selbst tun, um Überforderung vorzubeugen und sich zurechtzufinden?
Strehlau: Ich empfehle, mit Kleinigkeiten zu starten und einfach im Team darüber zu sprechen, was schwierig ist oder was man herausgefunden hat. Eine neue Funktion gefunden? Dann berichten Sie das Ihren Kollegen! Es geht darum, Spaß an der Arbeit mit dem Tool zu gewinnen, Dinge kennenzulernen, auszuprobieren und diese dann so für sich zu formen, dass sie nützlich sind und den Alltag vereinfachen – statt dogmatisch Dinge vorzugeben. So kann jedes Teammitglied auch das Umfeld inspirieren und motivieren.
Berscheid: Ein Vorteil der digitalen Zusammenarbeitsumgebung ist: Ich kann da nix kaputtmachen. Warum nicht einfach mal ausprobieren? Hey, wenn ich die Dateiablage jetzt mal strukturiere und in vier Wochen stellen wir fest, dass das nicht machbar ist – ja was soll’s, dann machen wir sie halt neu. Damit ist kein Programmieraufwand verbunden. Die digitale Welt ist eine große weite Spielwiese. Wir sollten uns einfach ein bisschen locker machen. Nicht immer auf Anweisungen warten, sondern Dinge austesten und Spaß haben.
Stattdessen redet man nicht über seine Erfahrungen, geschweige denn seine Fehler. Deshalb ist da vermutlich oft sehr viel Scham dabei. Man hat aus Versehen eine Besprechung gestartet, und das haben jetzt sicher alle gesehen – wie peinlich.
Berscheid: (lacht) So kann es kommen. Ich habe vor Kurzem ein Mitglied des Vorstands eines Unternehmens, das wir betreuen, in Teams aus Versehen angepinnt. Ich war im Training und habe die falsche Person mit demselben Namen kontaktiert. Ein Vorstandsmitglied! Ich habe mich schnell mit einer kurzen Mitteilung entschuldigt und dann kam eine ganz freundliche Antwort. Wir haben uns kurz unterhalten und am Schluss meinte er: „War jetzt eigentlich nett, sich mal mit jemand nicht beruflich kurz austauschen.“ In Teams kann ich wirklich auch den Vorstandsvorsitzenden ganz direkt anschreiben. Führungskräfte sollten das nutzen und in Dialog kommen.
Gibt es noch weitere Stolpersteine bei der Einführung neuer Tools?
Strehlau: Bei der tatsächlichen Integration in den Arbeitsalltag. Du machst eine strikte Schulung, zu der die Mitarbeitenden hinkommen. Sie probieren ein bisschen aus und das war’s. Das ist jedoch keine Einführung. Bei einer Einführung geht es vielmehr darum, Dinge an ganz konkreten Fragestellungen aus dem Arbeitsalltag auszuprobieren. Dabei können sich Kollegen untereinander helfen, die vielleicht unterschiedlich alt sind und einen unterschiedlichen Zugang zu solchen Tools haben.
Wir müssen wegkommen von diesem ‚Ich mache einmal eine Schulung und dann können die Leute das‘. Das ist es halt genau nicht.
Kathrin Strehlau
Es geht darum, sich über das Tool und die Zusammenarbeit damit Gedanken zu machen. Und vor allem auch darüber, was Sie weglassen. Denn oft kommt nur eine Software dazu. Und irgendwann hast du einen Berg an Software und weißt gar nicht mehr, welche du denn nun nutzen sollst.
Berscheid: Ich glaube, der größte Stolperstein ist die Kommunikation. Mit der Einführung von Onlinezusammenarbeit muss auch ein neues Mindset verbunden sein. Und dieser Mindset-Change ist die große Herausforderung. Es ist so ungefähr, wie wenn ein Unternehmer sagt: „Wir machen jetzt mehr Betriebssport“ und dann stellt er einfach die Geräte hin und meint, es würde nun mehr Sport gemacht. Parallel zur Tool-Einführung braucht es eine Kommunikations- und Trainingsstrategie im Unternehmen: Workshops, Trainings etc. Ich muss Teams zeigen, wie sie online zusammenarbeiten. Ich muss sie dabei unterstützen. Die Software selbst arbeitet mit niemandem zusammen. Sie ist nur der Raum, wo die Zusammenarbeit stattfindet. Das heißt, wenn ich nicht kommuniziere und kein Mindset-Change im Unternehmen hinbekomme, klappt es nicht. Und dann glaube ich, verliert ein Unternehmen seine Zukunftsfähigkeit, weil gerade junge Menschen so arbeiten möchten.
Wie würden Sie diesen Change angehen?
Strehlau: Mir ist wichtig, dass es nicht um einen Change geht im Sinne von etwas, was einen bisherigen Zustand abwertet. Bisher gemachte Erfahrungen sind nach wie vor hilfreich. Es muss auch nicht immer alles geändert werden. Manchmal muss man es nur anders beschreiben oder kombinieren. Die Leute sollen nicht das Gefühl haben, dass sie plötzlich als Ganzes nicht mehr passend sind. Statt also alles Alte zu verteufeln und allem Neuen blind zu folgen, geht es mehr darum, offen zu bleiben – das Mindset also vielmehr zu erweitern. Es geht darum, herauszufinden, was von den jeweiligen Erfahrungen eines Mitarbeitenden jetzt mit dem neuen Tool hilfreich ist – und was nicht. Finden Sie heraus, was vom bisherigen Fundus ausgehend Sie erweitern können, damit die Kompetenzen des Mitarbeitenden noch besser in die veränderten Rahmenbedingungen passen.
Berscheid: Das würde ich gerne noch ergänzen. Es ist nämlich nicht die Zusammenarbeit, die wir ändern müssen. Die Unternehmen haben sich in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren wirklich weiterentwickelt. Wir müssen nicht die Art und Weise der Zusammenarbeit ändern – wir haben nur einen neuen Ort, an dem wir zusammenarbeiten. Und diesen Ort müssen wir als Ort begreifen. Es ist eben nicht nur ein IT-Projekt, es ist auch nicht nur ein Entwicklungsprojekt, sondern wir haben einerseits das Tool, das eingeführt werden muss, aber dann auch noch die entsprechenden Skills, die vermittelt werden müssen, und eine neue Kommunikation. Ich kann Tool, Skill und Kommunikation nicht einfach trennen. Und deswegen brauche ich Menschen aus allen Bereichen des Unternehmens, die gemeinsam eine Strategie entwickeln. Denn ich glaube nicht, dass die Personalabteilung so eine Einführung allein hinbekommt. Und ich glaube auch nicht, dass der Führungskreis das allein schafft. Aber wenn alle sich an einen Tisch setzen, dann bekommen die das richtig gut hin.
Gibt es auch in der konkreten Nutzung der Tools noch gängige Probleme, die Ihnen immer wieder begegnen?
Strehlau: Viele versuchen das, was sie in der Präsenzwelt gemacht haben, eins zu eins in die Onlinewelt zu übertragen. Das Ergebnis sind zweitägige Kommunikationstrainings. Das macht keinen Sinn. Digital doch lieber öfter, kürzer und fokussierter.
Berscheid: Denken Sie auch an die Dinge, die Sie sonst mit den Kollegen über den Schreibtisch in zwei Minuten geklärt haben. Um diese jetzt zu klären, brauchen Sie keinen Videocall, da reicht ein Chat. Das ist das neue Rufen über den Schreibtisch. Es darf auch kein Meeting ohne Agenda geben. Nur mit einer Agenda überlegen sich die Leute wirklich, ob sie ein Meeting ansetzen müssen. Heute wird für banale Fragen wie „An welchem Tag könnten wir denn nächstes Jahr die Veranstaltung ansetzen?“ ein Meeting anberaumt – die Einladung ins Meeting ist das heutige CC. Früher habe ich so viele Leute wie möglich in die E-Mail-CC genommen, um mich abzusichern. Heute lade ich so viele Leute wie möglich in ein Meeting ein, damit sie sich nicht übergangen fühlen. Das ist einfach nur Humbug.
Strehlau: Ein Meeting ist nicht geeignet für den Austausch von Informationen. Vielleicht noch nicht mal für das Treffen von Entscheidungen, weil das kann theoretisch jeder für sich machen. Es ist geeignet für Brainstorming, für Reflexion. Nur für den Austausch von Ideen, das Entwickeln neuer und gemeinsamer Sachen.
Berscheid: Genau – fürs Sammeln, Priorisieren, vielleicht auch das Verdichten von Ideen. Aber die Info kommt bitte vorher. Ich möchte keine Präsentation im Meeting angucken müssen. Ich hätte die gern vorher. Die Entscheidung treffe ich notfalls hinterher per Forms. Dann habe ich sie auch gleich dokumentiert.
Zum Schluss noch eine eher allgemeine Frage zur Digitalisierung: Wir alle kennen soziale Medien, manche Leute mehr, manche Leute weniger. Ein Smartphone hat zumindest ein Großteil der Menschen schon. Haben Sie Erfahrungen gemacht, wie diese private Nutzung von digitalen Tools bzw. sozialen Medien die berufliche Nutzung beeinflusst?
Berscheid: Ich glaube, es kommt extrem auf das Tool an, das man gerade benutzt. Also in einem Eins-zu-eins-Chat in Microsoft Teams, da werden auch schon mal GIFs verwendet oder ein lustiges Bild gepostet, wie bei WhatsApp. In den öffentlichen Beiträgen dagegen, wo jeder und meistens auch der Vorgesetzte mitliest, da sind die Leute vorsichtig. Da wird eher wenig gepostet, wenig gesprochen.
Strehlau: Das ist eine spannende Frage. Ich hatte einen Kundentermin, da ging es um das Thema „Wie kommen wir jetzt eigentlich in Kontakt mit unseren künftigen Kunden, wenn es keine Messen mehr gibt?“ Niemand kam auf die Idee, dass Xing und/oder LinkedIn nicht nur Tools sind, um dauerhaft mit dem eigenen Lebenslauf auf Jobsuche zu sein, sondern eben ähnliche Funktionen wie eine Messe haben. Die Beiträge und Posts sind wie Vorträge auf Messen, die Kommentare darunter oder Kontaktanfragen und Nachrichten wie die Gespräche danach. Und ein Treffen oder virtuelles Kaffeetrinken ist auch möglich. Die digitale Welt ist so spannend, mit all ihren Tools und Möglichkeiten, diese gilt es einfach ohne Angst zu entdecken – und das eventuell auch mithilfe von Online-Teamhacks.
Über die Autorinnen
Brigitte Berscheid arbeitet als Trainerin für Führung, Zusammenarbeit und Kommunikation. Kathrin Strehlau ist Diplom-Psychologin und Coachin mit dem Schwerpunkt digitale Teamentwicklung und DIY-Teamentwicklung.